Ferruccio Busoni an Philipp Jarnach arrow_backarrow_forward

Berlin · 26. November 1920

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N.Mus.Depos. 56,92
26 Nov. 1920

L Ph. J mit Vergnügen erfuhr ich, dass Ihre
Flöten Sonatine richtig aufgenommen
wurde. Das Quintett (Partt.) gab ich

gleich weiter, um eine Aufführung anzuregen.
(Darüber machte ich Ihnen bereits eine Andeu-
tung, die leider ohne Erwiederung blieb.) – Vgl. den Brief vom 23. August 1920.
Die Tage fliehen nur so – man kann sie
nicht fassen, sie entschlüpfen Einem zwischen
die Finger. Noch geniesse ich heute den Vormittag
u. sehe bereits den Augenblick des Schlafengehens.
Symbol des ganzen Lebens! EsDa heisst es, die es
auszunutzen. Darin versuche ich das Aüsserste
an der Energie, die mir zu Gebote steht. – Ich
vermuthe, dass Sie aehnlich empfinden u. handeln.
Reich wird man nur durch Sparen, es ist unsinnig
auf das grosse Loos zu rechnen. – Nun, in
welcher Weise sparen und sammeln Sie, lieber
Freund Philipp? – Ich weiss mir auch etwas
Zeit und Theilnahme für aAndere zu erübrigen,
darum möchte ich gerne mehr von Ihnen erfahren.
Mein Cortège wurde vorgestern vollendet,
es hat 34 grosse Partitur seiten erreicht;
heute setzte ich die ersten Textworte in Musik.
Die KlavierAbende haben an Kraft, Gem[…] 1 Zeichen: unleserlich. üth
u. Zeit mir viel geraubt., u. mich abgelenkt. Am 18. und 20. November 1920 hatte Busoni zwei Klavierabende in der Berliner Philharmonie gegeben (nicht, wie in der Busoni-Literatur verbreitet, am 28. November, vgl. Couling 2005, S. 329 und Beaumont 1987, S. 327). Gespielt wurden: Bach-Busoni, Goldberg-Variationen; Weber, Sonate As-Dur; Busoni, Toccata [Uraufführung]; Busoni, Carmen-Fantasie; Liszt-Busoni, Don-Juan-Fantasie (Konzert 1); Chopin, 24 Préludes, Beethoven, Sonate B-Dur op. 106, Liszt-Busoni, 6 Paganini-Etüden (Konzert 2). Ich sehe mit
Schrecken die grosse Unterbrechung nach
Neujahr herangaloppieren: – wie soll man
sein Leben klug eintheilen? Allerschwierigstes
Problem. – Leben Sie wohl mit den Ihren,
und seien Sie Alle umarmt.
Ihr herzlich
ergebener

26. Nov. 1920

L Ph. J

mit Vergnügen erfuhr ich, dass Ihre Flöten-Sonatine richtig aufgenommen wurde. Das Quintett (Partt.) gab ich gleich weiter, um eine Aufführung anzuregen. (Darüber machte ich Ihnen bereits eine Andeutung, die leider ohne Erwiderung blieb.) – Vgl. den Brief vom 23. August 1920. Die Tage fliehen nur so – man kann sie nicht fassen, sie entschlüpfen einem zwischen die Finger. Noch genieße ich heute den Vormittag und sehe bereits den Augenblick des Schlafengehens. Symbol des ganzen Lebens! Da heißt es, es auszunutzen. Darin versuche ich das Äußerste an der Energie, die mir zu Gebote steht. – Ich vermute, dass Sie ähnlich empfinden und handeln. Reich wird man nur durch Sparen, es ist unsinnig, auf das große Los zu rechnen. – Nun, in welcher Weise sparen und sammeln Sie, lieber Freund Philipp? – Ich weiß mir auch etwas Zeit und Teilnahme für Andere zu erübrigen, darum möchte ich gerne mehr von Ihnen erfahren. Mein Cortège wurde vorgestern vollendet, es hat 34 große Partiturseiten erreicht; heute setzte ich die ersten Textworte in Musik. Die Klavierabende haben an Kraft, Gemüt und Zeit mir viel geraubt und mich abgelenkt. Am 18. und 20. November 1920 hatte Busoni zwei Klavierabende in der Berliner Philharmonie gegeben (nicht, wie in der Busoni-Literatur verbreitet, am 28. November, vgl. Couling 2005, S. 329 und Beaumont 1987, S. 327). Gespielt wurden: Bach-Busoni, Goldberg-Variationen; Weber, Sonate As-Dur; Busoni, Toccata [Uraufführung]; Busoni, Carmen-Fantasie; Liszt-Busoni, Don-Juan-Fantasie (Konzert 1); Chopin, 24 Préludes, Beethoven, Sonate B-Dur op. 106, Liszt-Busoni, 6 Paganini-Etüden (Konzert 2). Ich sehe mit Schrecken die große Unterbrechung nach Neujahr herangaloppieren: – wie soll man sein Leben klug einteilen? Allerschwierigstes Problem.

Leben Sie wohl mit den Ihren, und seien Sie alle umarmt.

Ihr herzlich ergebener

                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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Busoni an Ph. Jarnach
(Berlin)
26 Nov 20
1 Blatt
Nr. 4
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Depos. 56,92 |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Blatt, 1 beschriebene Seite
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen hat
  • Hand Gerda Busonis, die auf der Rückseite mit Bleistift das Datum notiert hat
  • Unbekannte Hand, die auf der Rückseite mit Bleistift die Zuordnung zum Jarnach-Briefwechsel und eine Nummerierung vermerkt hat
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 12

Zusammenfassung
Busoni hat Jarnachs Streichquintett für Aufführungen weitergegeben; hat die Partitur des Cortège (Doktor Faust) vollendet; äußert Gedanken zur Einteilung der Lebenszeit („Allerschwierigstes Problem.“).
Incipit
mit Vergnügen erfuhr ich, dass Ihre Flöten-Sonatine

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
21. Oktober 2021: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition