Ferruccio Busoni an Philipp Jarnach arrow_backarrow_forward

Berlin · 23. Oktober 1920

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N.Mus.Nachl. 30, 67
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23 O 1920
Berlin

L PH J Ihr trefflicher Brief
hat meinen Frühstücks
-Tisch erhellt; er hat den seltenen
Fehler, dass er zu viel von mir, zu
wenig von Ihnen selbst spricht!

Über die beschriebenen Zeichen
von Anhänglichkeit in Z. habe ich
mich gefreut, wie auch über die
erfolgreichen Gesänge. Zur Aufführung von vier Gesangsstücken Busonis in Zürich„Zwei Lieder op. 15“, „Lied des Unmuts“ und „Flohlied (Lied des Mephistopheles)“ vgl. den vorherigen Brief. Das Konzert fand vermutlich im Oktober 1920 statt. Unvergleich-
lich mehr ergriff mich der schöne
Ton, in dem Ihre eigene Empfind-
ung sich kundgiebt. – Wie gerne
hätte ich Sie hier, – ich wiederhole es
immer – aber könnte ich’s verant-
-worten, Sie herzulocken? Im Oktober 1921 schließlich verließ auch Jarnach Zürich und folgte Busoni, der im September 1920 nach Berlin zurückgekehrt war (vgl. Weiss 1996, S. 137). – Doch, Sie
haben Recht, erst mein Verhält-
-nis zur Oeffentlichkeit wird, als
es hergestellt sein wird, das Bild
erst deutlicher zeigen: als wie das
Bad bei der photographischen Platte
wirkt. (Unter meinen Büchern
fand ich die erste Mittheilung
Daguerre’s über seine Erfindung.) Louis Daguerre stellte 1839 sein „Daguerreotypie“ genanntes proto-photographisches Verfahren vor.

Andreae schlug ich vor,
seine Symphonie hier – womöglich! –
einzuführen. Brief an Andreae vom 3. Oktober 1920 (Willimann 1994, S. 132–134, hier S. 133). Darauf aber ant-
wortete er nicht. Gerne würde
ich Ihr Quintett u. Laquai’s
Sonate bekannt geben Gemeint ist vermutlich Laquais 2. Sonate für Klarinette und Klavier, da Jarnach im vorherigen Brief über die Aufführung einer Sonate Laquais durch den Klarinettisten Edmondo Allegra spricht. Tatsächlich empfahl Busoni u. a. Jarnachs „Streichquintett op. 10“ und ein Werk Laquais für die ersten Donaueschinger Musiktage 1921 (damals noch Donaueschinger Kammermusik-Aufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“); angenommen wurde jedoch nur das Streichquintett, das dank Busonis Fürsprache bereits am 20. April 1921 in Berlin aufgeführt wurde (vgl. Weiss 1996, S. 131). (die
Zusammenstellung der Namen

23. Oktober 1920, Berlin

L PH J,

Ihr trefflicher Brief hat meinen Frühstückstisch erhellt; er hat den seltenen Fehler, dass er zu viel von mir, zu wenig von Ihnen selbst spricht!

Über die beschriebenen Zeichen von Anhänglichkeit in Zürich habe ich mich gefreut, wie auch über die erfolgreichen Gesänge. Zur Aufführung von vier Gesangsstücken Busonis in Zürich„Zwei Lieder op. 15“, „Lied des Unmuts“ und „Flohlied (Lied des Mephistopheles)“ vgl. den vorherigen Brief. Das Konzert fand vermutlich im Oktober 1920 statt. Unvergleichlich mehr ergriff mich der schöne Ton, in dem Ihre eigene Empfindung sich kundgibt. – Wie gerne hätte ich Sie hier – ich wiederhole es immer –, aber könnte ich’s verantworten, Sie herzulocken? Im Oktober 1921 schließlich verließ auch Jarnach Zürich und folgte Busoni, der im September 1920 nach Berlin zurückgekehrt war (vgl. Weiss 1996, S. 137). Doch, Sie haben Recht, erst mein Verhältnis zur Öffentlichkeit wird, als es hergestellt sein wird, das Bild deutlicher zeigen: als wie das Bad bei der photographischen Platte wirkt. (Unter meinen Büchern fand ich die erste Mitteilung Daguerres über seine Erfindung.) Louis Daguerre stellte 1839 sein „Daguerreotypie“ genanntes proto-photographisches Verfahren vor.

Andreae schlug ich vor, seine Symphonie hier – womöglich! – einzuführen. Brief an Andreae vom 3. Oktober 1920 (Willimann 1994, S. 132–134, hier S. 133). Darauf aber antwortete er nicht. Gerne würde ich Ihr Quintett und Laquais Sonate bekanntgeben Gemeint ist vermutlich Laquais 2. Sonate für Klarinette und Klavier, da Jarnach im vorherigen Brief über die Aufführung einer Sonate Laquais durch den Klarinettisten Edmondo Allegra spricht. Tatsächlich empfahl Busoni u. a. Jarnachs „Streichquintett op. 10“ und ein Werk Laquais für die ersten Donaueschinger Musiktage 1921 (damals noch Donaueschinger Kammermusik-Aufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“); angenommen wurde jedoch nur das Streichquintett, das dank Busonis Fürsprache bereits am 20. April 1921 in Berlin aufgeführt wurde (vgl. Weiss 1996, S. 131). (die Zusammenstellung der Namen ist zufällig!). – Schreiben Sie jedenfalls dem Lienau, dass er mir die Partitur schicke: die Widmung allein gibt mir ein Anrecht darauf; abgesehen von meiner hohen Schätzung des Werkes und dem Wunsche, es wieder zu lesen.

Geistig geht es mir weiter gut. Ich habe mit erneuter Entschlossenheit an den Doktor Faust wieder angeknüpft. Busoni begann bereits 1916 mit der Komposition des Doktor Faust, unterbrach seine Arbeit allerdings mehrmals und verstarb am 27. Juli 1924 vor der Vollendung, die schließlich Jarnach übernahm (vgl. Ermen 1996, S. 108). Selbst das Klavierspiel gibt mir noch Vergnügen.

Aber Sie müssten mehr von Ihnen berichten. Ohne mich in der Rolle des Schicksals im Mindesten aufdrängen zu wollen (Sie wissen sehr wohl, was Sie tun) – liegt es mir doch sehr nahe zu wissen, was Sie unternehmen und ob das Unternommene Sie befriedigt und fördert. Im Äußeren und im Inneren.

Leider schwiegen Sie auch über Benni. Was mag in ihm vorgehen, was will er beginnen? – Dieses merkwürdige Gemisch von philosophischem Un-Ehrgeiz und Bequemlichkeits-Liebhaber gibt mir oft zu denken. Auch sein Geschlechtsleben ist mir ein Problem.

Biolley, dem ich eines der ersten Exemplare des Doktor-Faust-Buches sandte, an den ich schrieb, hat noch nicht reagiert. – Busoni hatte das Textbuch zu seiner Oper Doktor Faust bereits 1918 vorab als Zeitschriftenbeitrag veröffentlicht, 1920 folgte die Veröffentlichung als Separatdruck.

Tun Sie selbst es bald wieder, wofür Ihnen sehr freudig dankbar sein wird

Ihr Sie und Frau Barbara freundschaftlich grüßender, herzlichst ergebener

F. Busoni

                                                                
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N.Mus.Nachl. 30, 67
2 ist zufällig!). – Schreiben Sie
jedenfalls dem Lienau, dass
er mir die Partitur schicke: die
Widmung allein gibt mir ein
Anrecht darauf; abgesehen von
meiner hohen Schätzung des Werkes
u. dem Wunsche, es wieder zu lesen.

– Geistig geht es mir weiter gut.
Ich habe mich mit erneuter Ent-
-schlossenheit an den Dr F. wieder
angeknüpft. Busoni begann bereits 1916 mit der Komposition des Doktor Faust, unterbrach seine Arbeit allerdings mehrmals und verstarb am 27. Juli 1924 vor der Vollendung, die schließlich Jarnach übernahm (vgl. Ermen 1996, S. 108). Selbst das Klavier-
spiel gibt mir nochwieder Vergnügen.

– Aber Sie müssten mehr von
Ihnen berichten. Ohne mich in der
Rolle des Schicksals im Mindesten
aufdrängen zu wollen (Sie wissen
sehr wohl was Sie thun) – liegt es
mir doch sehr nahe zu wissen,
was Sie unternehmen, und ob
das Unternommene Sie befriedigt. u. fördert.
Im Äusseren und im Inneren. –

– Leider schwiegen Sie auch über
Benni. Was mag in ihm vorgehen,
was will er beginnen? – Dieses
merkwürdige Gemisch von philosophischem
Un-Ehrgeiz u. Bequemlichkeits-Liebhaber
gibt mir oft zu denken. Auch sein
Geschlechtsleben ist mir ein Problem.

Biolley, dem ich eines der ersten Ex.
des Doktor-Faust-Buches sandte, an den
ich schrieb, hat noch nicht reagiert. – Busoni hatte das Textbuch zu seiner Oper Doktor Faust bereits 1918 vorab als Zeitschriftenbeitrag veröffentlicht, 1920 folgte die Veröffentlichung als Separatdruck.

Thun Sie selbst es bald wieder, wofür
Ihnen sehr freudig dankbar sein wird


[am linken Rand, längs:]

Ihr, Sie und Frau Barbara freundschaftlich
grüssender, herzlichst ergebener


F. Busoni

                                                                
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23 Okt 20
Preußischer
Staats-
bibliothek
zu Berlin
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doneStatus: zur Freigabe vorgeschlagen XML Faksimile Download / Zitation

Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Nachl. 30,67 |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten sind beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Hand Gerda Busonis, die auf der Rückseite mit Bleistift das Datum notiert hat
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Busoni freut sich über Jarnachs positive Berichte nach Aufführungen seiner Werke in Zürich; hätte Jarnach gerne in Berlin; meint, dass das Bild der Berliner Musikszene in der Nachkriegszeit mit der Etablierung seiner Rolle darin klarer werden wird; fordert Partitur von Jarnachs Streichquintett an; hat seine Arbeit an Doktor Faust fortgesetzt; hätte gerne mehr Informationen über seinen Sohn Benni; hat das Textbuch zu Doktor Faust an Biolley gesendet.
Incipit
Ihr trefflicher Brief hat meinen Frühstückstisch erhellt

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
5. November 2021: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition