Lieber werter Freund,
was müssen Sie von meinem
Schweigen nur denken? Es liegt
so viel dazwischen und in dieser
Zeit der Wort- und Rastlosigkeit
wollte ich nicht schreiben.
Ostende hat mir bis zuletzt nicht
behagt und erst die Rückreise über
Antwerpen–. Brüssel hat mir etwas
Entschädigung gebracht, trotzdem
ich zu unfrisch war, um alles
Schöne voll aufzunehmen!
Einige Tage, die ich in Wien
verbracht habe, haben mir keine
freie Zeit gelassen und seit
meiner Ankunft in Aussee
verfüge ich weniger dann je
über eine ruhige Stunde.
Wir sind einige zwanzig Menschen
im Hause und es ist mühsam, all
diese Elemente zu einen.
Denken Sie sich ungezählte Fäden,
die stündlich durch — allerlei Unverstand
verwirrt werden, meine Aufgabe
ist, sie immer wieder zu lösen. Oftmals
ist das Knäul so groß, dass ich verzagen
möchte und es alle Kraft braucht,
um mit endloser Geduld —die mir
keineswegs angeboren ist — die Fäden
schön säuberlich zu sondern ohne
sie abzureißen. So manche zurren
und ziehen an meinem Herzen
und die Anspannung der Nerven
nimmt den Schlaf. Allmählig,
hoffe ich, wird alles glatter, ruhiger
werden, und ich werde wieder
zum Bewusstsein des eigenen
Daseins kommen. Die Landschaft
erquickt mich durch ihren Frieden
und ist erholend nach der Unrast
des Sinnes.
Morgen erwarte ich Bruckmanns’
Vermutlich kam neben Frau Bruckmann auch ihr Mann zu Besuch. (S. 3)
als Gäste, Hofmannsthal ist bereits
eingerückt und arbeitet so fleißig,
dass ich ihn meist erst am Abend
sehe. Er sagte erst gestern wieder
wie sehr er sich mit Ihrer Bekanntschaft gefreut. Benni habe ich leider
nicht mehr gefunden und Ihr kleiner
Sohn war nicht daheim wie ich Gualitto
besucht habe. Wie gerne möchte
ich Sie herzaubern! Ich hoffe innig
es fügt sich einmal und wir
verleben wohltuend, harmonische
Tage unter diesem Dach – anders
als die jetzigen, deren Anforderung an
mich oft gar zu groß sind.
Ein Schmerz ist und bleibt es
mir, dass die Wiener Tage
Vom 21. April bis zum 15. Juli 1908 unterrichtete Busoni 25 Schüler in Wien und wohnte im Todesco Palais.
Zudem fand auch im Juni ein Musikabend im Todesco Palais mit den Schülern statt, zu dem Oppenheimer einlud.(, S.163-166)
zu Ende sind, wie werde ich Sie
vermissen, liebster Freund!
Ihr Brief war mir eine Herzensfreude und ich habe ihn im
Geist tausendfach erwidert, auch
und oft mit ganzer Seele zu
Ihnen gesprochen und mitgelebt, nur
ist es zu keiner greifbaren
Form geworden, da ich nicht
schreiben konnte.
Jetzt suchen Sie meine
Gedanken daheim und ich freue
mich auf ein Zusammensein im Oktober,
daran halte ich fest.
Frau Greta bitte ich innigst zu grüßen,
den jungen Grünberg und Closson auch
herzlichsts, hoffentlich sehen wir uns
im Herbst.
Von Petri hatte ich eine liebe Karte,
er weiß nun auch, dass ich komme.
Vielleicht findet sich die ganze
Kolonie hier einmal zusammen,
das wäre herrlich.
23. August 1908Sonntag
Ich wurde unterbrochen, hatte
die Post versäumt und inzwischen
habe ich heute Morgen Ihren
lieben Brief über Wien erhalten.
Entschuldigen Sie jeden unangenehmen
Gedanken, liebster Freund, ich bitte
Sie; es tut mir weh, Sie auch nur
für einen Augenblick damit
belastet zu wissen.
Aus ganzem Herzen freudigst
wird Ihr Wunsch erfüllt und ich
beauftrage die Kreditanstalt mit
dieser Post 5000 MK. an Ihre Adresse
zu senden.
Da all meine Geldangelegenheiten
durch Gomperz-Lieben erledigt
werden, ich, so merkwürdig es
klingen mag, nie Bargeld liegen
habe, weil ich mehr brauche als
ich soll und darf, ich andererseits nicht
will, dass Ihr Name genannt wird,
habe ich mich an die Kreditanstalt
gewendet, wo ich ein kleines Effekten
Depõt habe.
Da Sie selbst die Rückzahlung an die
Bank zu machen wünschen, so schreibe
ich die Adresse auf und gebe die ferner
an unter welcher es zu machen
ist. An die K.K. priv. oesterr.
Kreditanstalt für Handel und
Gewerbe. Wien - I am Hof.
- Zur Gutschrift auf das Konto
Bar. Jella Oppenheimer. Todesco-Wien
I Kärnthnerstraße 51.
Warum müssen diese Widrigkeiten die besten und edelsten
Menschen quälen. Was gäbe
ich, gerade Sie verschont zu wissen
von sorgenden Gedanken,
an den Zwang der Reisen,
die Ihre kostbare Zeit einengen
und Sie nicht immer frei
schaffen lassen. Wie unanständig
ist das Schicksal – und doch auch
gütig, hat es mir doch Ihre
Freundschaft gebracht, die mir
so viel bedeutet.