Hugo Leichtentritt to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Berlin · March 29, 1916

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Mus.ep. H. Leichtentritt 12 (Busoni-Nachl. B II)Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2769
[1]
Berlin W. Winterfeldt Str. 25a
d. 29. Maerz 1916.

Sehr verehrter Meister Busoni!

Der erste April ist im Anzuge und
es ist hohe Zeit, daß dieser Brief abgeht, wenn
er EuchSie noch rechtzeitig erreichen soll. Zu
April 1, 1916Ihrem fünfzigsten Geburtstag nehmen Sie meine
herzlichsten Glückwünsche entgegen. Ich hatte beab⸗
sichtigt Ihnen als ein kleines Zeichen meiner
Verehrung Imeine Schrift über Sie zu überreichen;
Umstände, die mir nicht zur Last fallen, haben
dies leider verhindert, und so wird Ihnen nur
das erste Kapitel, das Ihren Lebensgang in
großer Kürze beschreibt, zugehen. Die beiden
folgenden Kapitel werden den Pianisten und
den Komponisten behandeln. Etwaige Anmerkungen
von Ihnen zu meinem Versuche der Biographie,

Berlin W., Winterfeldtstr. 25a
den 29. März 1916.

Sehr verehrter Meister Busoni!

Der 1. April ist im Anzuge, und es ist hohe Zeit, dass dieser Brief abgeht, wenn er Sie noch rechtzeitig erreichen soll. Zu Ihrem 50. Geburtstag nehmen Sie meine herzlichsten Glückwünsche entgegen. Ich hatte beabsichtigt, Ihnen als ein kleines Zeichen meiner Verehrung meine Schrift über Sie zu überreichen; Umstände, die mir nicht zur Last fallen, haben dies leider verhindert, und so wird Ihnen nur das erste Kapitel, das Ihren Lebensgang in großer Kürze beschreibt, zugehen. Die beiden folgenden Kapitel werden den Pianisten und den Komponisten behandeln. Etwaige Anmerkungen von Ihnen zu meinem Versuche der Biographie werden mir sehr willkommen sein, weil ich gerade in diesem Kapitel durchaus auf das Material angewiesen war, das mir zufällig zufloss, und ohne Ritas Hilfe hätte ich nicht einmal dies kleine Kapitel fertiggebracht. Ich hoffe, in den beiden anderen Abschnitten mehr des Eigenen zu geben. Gleichzeitig habe ich auch Breitkopf & Härtel gebeten, Ihnen meine Bücher über die Geschichte der Motette und die Formenlehre zu übersenden. Ob Sie als ein nicht historischer Geist sich für die Motette interessieren werden, weiß ich nicht; immerhin aber wünschte ich, Sie mit einer jener Arbeiten bekannt zu machen, die mich ein Jahrzehnt meines Lebens in Anspruch genommen haben. Für die Geschichte der Motette hat Leichtentritt über 600 Manuskripte von Motetten analysiert (vgl. Mill / von der Linn 2001, S. 503). Nach eigenen Angaben flossen vier Jahre intensive Arbeit in die deutsche Ausgabe (vgl. Leichtentritt/DeVoto 2014, S. 162 f.). Ich glaube jedenfalls, dass man dem Buch einen wissenschaftlichen Wert nicht wird abstreiten können, für mich persönlich hat es auch einen künstlerischen gehabt, weil es mich in eine Welt hoher, edler und reiner Kunst für Jahre verpflanzt hat, und davon ist schon etwas hängen geblieben, wennschon ich seitdem in einem anderen Garten Blüten zu treiben mich ernstlich bestrebe. Die „Formenlehre“ bitte ich Sie als ein pädagogisches Nachschlagebuch für die angehenden Musiker zu betrachten. Sie will keine Gesetze aufstellen und Vorschriften geben, sondern nur zeigen, was die Meister getan haben und warum sie im einzelnen Falle so und nicht anders gehandelt haben. Die Folgerungen möge jeder Benutzer selbst ziehen, je nach seinem Verstande. Auf die Musikalische Formenlehre hat Busoni offensichtlich skeptisch reagiert: „das normative Denken, das ihm in dem Buch begegnete, muß ihn […] befremdet haben“ (Seedorf 1990, S. 29). Anlässlich der geplanten Neuauflage schreibt Busoni am 21. September 1918: „Haben Sie an Ihrer Formenlehre Neues angebracht, oder erscheint das Buch unveraendert? Darüber hätte ich mich gerne mit Ihnen ausgesprochen. Mich will es mehr und mehr bedenken, dass die musikalischen Formen fortwährend verschiebbar und nach Inhalt und Motiv gestaltet sein wollen; wie ein Gebäude nach dem gegebenen Zweck und Terrain. Erinnere ich mich doch, dass Schopenhauer einmal schreibt, der Kopf eines Hundes waere langgestreckt u. deshalb schön, weil auch der Körper horizontal gebildet sei. Eine Formenlehre bedeutet mir nur eine Geschichte der Form, eine Aufzählung vorhandener Beispiele u. Typen. — Ueber jeder Seite sollte die Warnung stehen: So wie hier dieser Meister zu seiner Idee seine Form fand, so sollt Ihr zu Euerer Idee die Eurige suchen.“ Und am 5. Januar 1919 heißt es: „Wenn Sie Ihr Buch etwa benennen möchten: ‚Erläuterung der musikalischen Formen bis zum Eintritt des XX Jahrhunderts‘, — so verstünde ich ein solches Werk. Eine Anweisung zum Komponieren halte ich für unrichtig“ (zit. nach ibid., S. 29). Soeben lernte ich Ihr indianisches Tagebuch kennen, das mich lebhaft fesselt, weil mein auf delikate Klangreize gestimmtes Ohr dort die Fülle des Schönen findet. Die neue Harmonik hat hier schon den Weg zum holden Wohllaut gewonnen, den ich bei Schönberg und Genossen so schmerzlich vermisse. Immer nur Herbheit und Zerrissenheit verstimmt, ich bin noch immer altmodisch genug, mich am schönen Klang zu erfreuen: Überhaupt erlebe ich den Klang mehr und mehr als die schwingende Seele der Musik. Wie sehr wünschte ich, es möge mir vergönnt sein, mit Ihnen persönlich mich über solche Probleme des Näheren zu unterhalten, die mir sehr stark am Herzen liegen. Hoffentlich kommt auch diese Zeit bald! Meine Operndichtung habe ich vollendet, das Geigenkonzert hoffe ich auch jetzt wieder in Angriff zu nehmen und dem wohlverdienten Ende zuführen zu können. Möge Ihnen im neuen Jahrzehnt Ihres Lebens alles Gute beschieden sein, mögen wir uns alle Ihrer Kunst noch mehr wie früher erfreuen dürfen.

Ich begrüße Sie, Ihre Angehörigen, und auch Rita herzlichst.

In steter Verehrung.

Ihr sehr ergebener

H. Leichtentritt.

                                                                
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[2] werden mir sehr willkommen sein, weil ich gerade
in diesem Kapitel durchaus auf das Material
angewiesen war, das mir zufällig zufloß, und
ohne Rita’s Hilfe hätte ich nicht einmal dies
kleine Kapitel fertiggebracht. Ich hoffe in den
beiden anderen Abschnitten mehr des Eigenen
zu geben. Gleichzeitig habe ich auch Breitkopf
& Härtel
gebeten, Ihnen meine Bücher über Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

die Geschichte der Mottette, und die Formenlehre
zu übersenden. Ob Sie als ein nicht historischer
Geist sich für die Motette interessieren werden,
weiß ich nicht; immerhin aber wünschte ich
Sie mit einer jener Arbeiten bekannt
zu machen, die mich ein Jahrzehnt meines
Lebens in Anspruch genommen haben. Für die Geschichte der Motette hat Leichtentritt über 600 Manuskripte von Motetten analysiert (vgl. Mill / von der Linn 2001, S. 503). Nach eigenen Angaben flossen vier Jahre intensive Arbeit in die deutsche Ausgabe (vgl. Leichtentritt/DeVoto 2014, S. 162 f.). Ich
glaube jedenfalls, daß man dem Buch einen
wissenschaftlichen Wert nicht wird abstreiten
können, für mich persönlich hat es auch einen
künstlerischen gehabt, weil es mich in eine

                                                                
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Welt hoher, edler und reiner Kunst für Jahre verpflanzt hat
und davon ist schon etwas hängen geblieben, wennschon ich seitdem
in einem anderen Garten Blüten zu treiben mich ernstlich bestrebe.
Die „Formenlehre“ bitte ich Sie als ein pädagogisches Nachschlagebuch
für die angehenden Musiker zu betrachten. Sie will keine Gesetze
aufstellen und Vorschriften geben, sondern nur zeigen was die
Meister gethan haben und warum sie im einzelnen Falle so
und nicht anders gehandelt haben. Die Folgerungen möge jeder
Benutzer selbst ziehen, je nach seinem Verstande. Auf die Musikalische Formenlehre hat Busoni offensichtlich skeptisch reagiert: „das normative Denken, das ihm in dem Buch begegnete, muß ihn […] befremdet haben“ (Seedorf 1990, S. 29). Anlässlich der geplanten Neuauflage schreibt Busoni am 21. September 1918: „Haben Sie an Ihrer Formenlehre Neues angebracht, oder erscheint das Buch unveraendert? Darüber hätte ich mich gerne mit Ihnen ausgesprochen. Mich will es mehr und mehr bedenken, dass die musikalischen Formen fortwährend verschiebbar und nach Inhalt und Motiv gestaltet sein wollen; wie ein Gebäude nach dem gegebenen Zweck und Terrain. Erinnere ich mich doch, dass Schopenhauer einmal schreibt, der Kopf eines Hundes waere langgestreckt u. deshalb schön, weil auch der Körper horizontal gebildet sei. Eine Formenlehre bedeutet mir nur eine Geschichte der Form, eine Aufzählung vorhandener Beispiele u. Typen. — Ueber jeder Seite sollte die Warnung stehen: So wie hier dieser Meister zu seiner Idee seine Form fand, so sollt Ihr zu Euerer Idee die Eurige suchen.“ Und am 5. Januar 1919 heißt es: „Wenn Sie Ihr Buch etwa benennen möchten: ‚Erläuterung der musikalischen Formen bis zum Eintritt des XX Jahrhunderts‘, — so verstünde ich ein solches Werk. Eine Anweisung zum Komponieren halte ich für unrichtig“ (zit. nach ibid., S. 29). Soeben lernte
ich Ihr indianisches Tagebuch kennen, das mich lebhaft fesselt, weil
mein auf delikate Klangreize gestimmtes Ohr dort die Fülle des
Schönen findet. Die neue Harmonik hat hier schon den Weg
zum holden Wohllaut gewonnen, den ich bei Schönberg und

                                                                
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und Zerrissenheit verstimmt, ich bin noch immer
altmodisch genug mich am schönen Klang zu
erfreuen: überhaupt erlebe ich den Klang mehr
und mehr als die schwingende Seele der Musik.
Wie sehr wünschte ich, es möge mir vergönnt
[…] at least 1 char: overwritten. sein, mit Ihnen persönlich mich über solche Pro⸗
bleme des Näheren zu unterhalten, die mir
sehr stark am Herzen liegen. Hoffentlich kommt
auch diese Zeit bald! Meine Operndichtung habe ich
vollendet, das Geigenkonzert hoffe ich auch
jetzt wieder in Angriff zu nehmen und dem
wohlverdienten Ende zuführen zu können. Möge
Ihnen im neuen Jahrzehnt Ihres Lebens alles Gute Nachlaß Busoni
beschieden sein, mögen wir uns alle Ihrer Kunst
noch mehr wie früher erfreuen dürfen.

Ich begrüße Sie, Ihre Angehörigen, und auch Rita herzlichst.

In steter Verehrung.

Ihr sehr ergebener

H. Leichtentritt.

                                                                
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29.3.16.7-8N
* 50 a
Berlin W
29.3.16.7-8N
* 50 a
Herrn
Prof. F. Busoni.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Schweiz.
Zürich.
Scheuchzer Str. 36.
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6Facsimile
6Diplomatic transcription
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Zürich
-1.IV.16 XII
[Brf. Exp.]
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2769-Beil.
Mus.ep. H. Leichtentritt 12
Nachlaß Busoni B II
                                                                
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<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="right" resp="#post"> <stamp xml:id="post_rec" rend="round border align(center) rotate(45)"> <placeName key="E0500132" rend="majuscule">Zürich</placeName> <lb/><date when-iso="1916-04-01">-1.IV.16 XII</date> <lb/><supplied reason="low-ink"><hi rend="majuscule">Brf. Exp.</hi></supplied> </stamp> </note> <note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="shelfmark" place="center" rend="align(center)" resp="#archive_sig" xml:id="addSignature"> <add place="above" rend="align(center)">Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2769-Beil.</add> </note> <note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="shelfmark" place="bottom-center" resp="#archive_sig" xml:id="delSignature"> <del rend="strikethrough align(center)"> Mus.ep. H. Leichtentritt 12 <lb/><handShift new="#sbb_st_blue"/>Nachlaß Busoni <handShift new="#archive_red"/>B II </del> </note> <substJoin xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" target="#delSignature #addSignature"/>

Document

doneStatus: candidate XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2769 | olim: Mus.ep. H. Leichtentritt 12 (Busoni-Nachl. B II) |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Collation
Seitenfolge: 1, 3, 2, 4 (3 im Querformat)
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Hugo Leichtentritt, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mit Beistift eingetragen hat.
  • Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift eingetragen hat.
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
Foliations
  • Foliierung durch das Archiv, mit Bleistift oben rechts auf den Vorderseiten.

Summary
Leichtentritt gratuliert Busoni zu seinem 50. Geburtstag; schickt das erste Kapitel seiner Busoni-Biographie und bittet um Anmerkungen; übersendet außerdem seine Geschichte der Motette und die Formenlehre; bringt seine Bewunderung für das Indianische Tagebuch zum Ausdruck; äußert sich zur Bedeutung des Klanges in der Musik; hat das Libretto seiner Oper Esther abgeschlossen; will die Arbeit am Geigenkonzert fortsetzen.
Incipit
Der 1. April ist im Anzuge

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
November 14, 2020: candidate (coding checked, proofread)
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