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N.Mus.Nachl. 30, 102
3 und 4 März 1918
Mein lieber, verehrter Meister!
Es erschien mir wünschenswert, auf unsere kürzliche
Unterhaltung bei Ihnen,
Aus dem Briefwechsel geht nicht hervor, wann sich Busoni und Jarnach getroffen haben – nur, dass Busoni danach eine Woche lang krank war.
gelegentlich zurückzukommen; da
Sie es in Ihrem heutigen Brief selbst tun, zögre ich
nicht länger.
Ich hatte an diesem Abend die Empfindung dass wir,
von einem gewissen Moment an, beständig aneinander
vorbeigingen. Diese Empfindung lastete so sehr auf mir,
dass ich nicht die Kraft fand, eine Anstrengung zu machen
um das Missverständnis zu beseitigen. Sie denken vielleicht,
es wäre da kein Missverständnis. Und doch haben Sie
angenommen, ich beschimpfe „Don Giovanni“ als ich bloss
die dramatische Form des Textes anklagen wollte; dieser
wird übrigens auch von Ihnen, aus anderen, noch wichtigeren
Gründen, bemängelt.
Im Briefwechsel mit Robert Freund lässt sich eine Kritik Busonis an der dramatischen Form von Mozarts Don Giovanni finden, und zwar in den Briefen vom 23.4. und 25.4.1907.
– Ich finde nun in der Tatsache dass die
Oper sich 130 Jahre erhält keinen Beweis für die Güte
oder Wirksamkeit des Librettos; eher einen Beweis des schönen,
beharrlichen Willens der Dirigenten, die das Werk aufführen.
Das Publikum folgt, verstehend oder nicht verstehend. Und
denken wir an „Orpheus“
das seit 150, an „Freischütz“
das seit fast 100 Jahren – letzterer sogar unbedingt mehr
als „Don Giovanni“) gespielt werden! – Sind das nicht noch
viel schlimmere Texte? Wir gehen zum „Freischütz“ um Musik
zu hören, es ist der Konzertsaal im Theater. Es stört uns nicht,
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3. und 4. März 1918
Mein lieber, verehrter Meister!
Es erschien mir wünschenswert, auf unsere kürzliche
Unterhaltung bei Ihnen
Aus dem Briefwechsel geht nicht hervor, wann sich Busoni und Jarnach getroffen haben – nur, dass Busoni danach eine Woche lang krank war.
gelegentlich zurückzukommen; da
Sie es in Ihrem heutigen Brief selbst tun, zögre ich
nicht länger.
Ich hatte an diesem Abend die Empfindung, dass wir,
von einem gewissen Moment an, beständig aneinander
vorbeigingen. Diese Empfindung lastete so sehr auf mir,
dass ich nicht die Kraft fand, eine Anstrengung zu machen,
um das Missverständnis zu beseitigen. Sie denken vielleicht,
es wäre da kein Missverständnis. Und doch haben Sie
angenommen, ich beschimpfe „Don Giovanni“, als ich bloß
die dramatische Form des Textes anklagen wollte; dieser
wird übrigens auch von Ihnen, aus anderen, noch wichtigeren
Gründen, bemängelt.
Im Briefwechsel mit Robert Freund lässt sich eine Kritik Busonis an der dramatischen Form von Mozarts Don Giovanni finden, und zwar in den Briefen vom 23.4. und 25.4.1907.
– Ich finde nun in der Tatsache, dass die
Oper sich 130 Jahre erhält, keinen Beweis für die Güte
oder Wirksamkeit des Librettos; eher einen Beweis des schönen,
beharrlichen Willens der Dirigenten, die das Werk aufführen.
Das Publikum folgt, verstehend oder nicht verstehend. Und
denken wir an „Orpheus“,
das seit 150, an „Freischütz“,
das seit fast 100 Jahren (letzterer sogar unbedingt mehr
als „Don Giovanni“) gespielt werden! – Sind das nicht noch
viel schlimmere Texte? Wir gehen zum „Freischütz“, um Musik
zu hören, es ist der Konzertsaal im Theater. Es stört uns nicht,
aber wenn wir von der Oper als Kunstwerksbegriff reden, da
gilt ein anderer Maßstab. Dass Mozart mit „Don Giovanni“
Vollendetes geschaffen, haben Sie selbst mich einzusehen gelehrt:
Don Juan, der Riese, bleibt für mich literarisch ungeschaffen.
Das meinte ich.
Dies war aber damals die Hauptsache nicht. – Ich habe etwas
Anderes auf dem Herzen, und es drängt mich, es Ihnen
aufrichtig zu sagen: Sie, mein lieber Meister, haben kein
Vertrauen zu mir; ich meine, Sie zweifeln meinen Charakter,
meine seelische Festigkeit an. Sie konnten mir das antun,
mich, zwei Minuten nachdem ich die Entstehung Ihres „Faust“
als die Entstehung Des Opernkunstwerks begrüßt hatte, vor
Ihrem jungen Freunde
Aus den bisher publizierten Busoni-Briefwechseln geht nicht hervor, wer diese dritte Person ist.
der Indifferenz, der Achtungslosigkeit Ihren
Werken gegenüber anzuklagen. Ich bitte Sie, nicht an Empfindlichkeit meinerseits zu glauben; ich liebe Sie zu sehr, um mich
von Ihnen gekränkt zu fühlen. Aber verwunden können Sie
mich. – Trotz meiner Geschwätzigkeit besitze ich nicht die Fähigkeit, meine Gefühle zur Schau zu tragen. Ist Ihnen mein
kaltes oder allzu sachliches Benehmen ein Beweis, dass ich
weniger lebhaft empfinde als andre? – Jener, der bei Ihnen
damals saß und mich mit stummem Tadel umwickelte, braucht
nicht zu wissen, dass ich meine Liebe und Bewunderung zu
Ihren Werken wenig mit Worten, mit der Tat aber, wo
ich es vermag, immer bekunde. Es ist mir auch
gleichgültig. Sie aber machten einen bösen Scherz.
Es ist Ihnen – andererseits – vielleicht etwas befremdend, dass ich
mich Ihrem Einfluss nicht restlos unterwerfe, nachdem ich durch
Sie so vieles begriffen, lieben oder ablehnen gelernt. – Nein, ich
werde kein Petri der Komposition;
ich will Sie nicht kopieren;
ich will Ihre hohe Persönlichkeit besser ehren, verstehen und
deuten: Ich bemühe mich, Ihrem Beispiel zu folgen, dem
Beispiel des unabhängigen, streng eigendenkenden Künstlers –
und wenn mir das gelingt, so werde ich, mit mehr
Berechtigung als irgendjemand, mich mit dem Titel Ihres
Schülers adeln können.
Darf ich, mein großer Freund, noch bevor ich zu
Ihnen gehe, ein Wörtchen über dies alles erwarten?
Ich erfuhr erst durch Ihren Brief, dass Sie krank gewesen;
ich freue mich, gleichzeitig zu lesen, dass Sie wieder gesund
sind; was haben Sie gehabt? Hoffentlich sind Sie jetzt ganz
hergestellt.
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N.Mus.Nachl. 30, 102
aber wenn wir von der Oper als Kunstwerksbegriff reden, da
gilt ein anderer Massstab. Dass Mozart mit „D. Giovanni“
Vollendetes geschaffen, haben Sie selbst mich einzusehen gelehrt:
Don Juan, der Riese, bleibt für mich literarisch ungeschaffen.
Das meinte ich.
Dies war aber damals die Hauptsache nicht. – Ich habe etwas
Anderes auf dem Herzen, und es drängt mich, es Ihnen
aufrichtig zu sagen: Sie, mein lieber Meister, haben kein
Vertrauen zu mir; ich meine, Sie zweifeln meinen Charakter,
meine seelische Festigkeit an. Sie konnten mir das antun,
mich, zwei Minuten nachdem ich die Entstehung Ihres „Faust“
als die Entstehung Des Opernkunstwerks begrüsst hatte, vor
Ihrem jungen Freunde,
Aus den bisher publizierten Busoni-Briefwechseln geht nicht hervor, wer diese dritte Person ist.
der Indifferenz, der Achtungslosigkeit Ihren
Werken gegenüber, anzuklagen. Ich bitte Sie, nicht an Empfindlich⸗ keit meinerseits zu glauben; ich liebe Sie zu sehr, um mich
von Ihnen gekränkt zu fühlen. Aber verwunden können Sie
mich. – Trotz meiner Geschwätzigkeit besitze ich nicht die Fähig⸗ keit, meine Gefühle zur Schau zu tragen. Ist Ihnen mein
kaltes oder allzu sachliches Benehmen ein Beweis dass ich
weniger lebhaft empfinde als andre? – Jener, der bei Ihnen
damals sass und mich mit stummem Tadel umwickelte, braucht
nicht zu wissen dass ich meine Liebe und Bewunderung zu
Ihren Werken wenig mit Worten, mit der Tat aber, wo
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gleichgültig. Sie aber machten einen bösen Scherz.
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N.Mus.Nachl. 30, 102
mich Ihrem Einfluss nicht restlos unterwerfe, nachdem ich durch
Sie so vieles begriffen, lieben oder ablehnen gelernt. – Nein, ich
werde kein Petri der Komposition;
ich will Sie nicht kopieren;
ich will Ihre hohe Persönlichkeit besser ehren, verstehen und
deuten: ich bemühe mich, Ihrem Beispiel zu folgen, dem
Beispiel des unabhängigen, streng eigendenkenden Künstlers, –
und wenn mir das gelingt, so werde ich, mit mehr
Berechtigung als irgend jemand, mich mit dem Titel Ihres
Schülers adeln können.
Darf ich, mein grosser Freund, noch bevor ich zu
Ihnen gehe, ein Wörtchen über dies alles erwarten?
Ich erfuhr erst durch Ihren Brief dass Sie krank gewesen;
ich freue mich, gleichzeitig zu lesen dass Sie wieder gesund
sind; was haben Sie gehabt? Hoffentlich sind Sie jetzt ganz
hergestellt.
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