beim aufwachen fand ich heute
Ihren Brief vor – und draußen
war Sonnenschein. Beides ent-
behrte ich seidt langer Zeit
und ich begrüsste Beides freudig
und dankbar. Wir hatten einen
hartnäckigen Winter, und seit
zwei Monaten durfte ich
wieder nicht den Kopf aus
dem Fenster stecken. Meine
Sehnsucht geht auch nach
Italien; ich will Alles versuchen,
es bald wieder zu sehen. Ihr
Plan waere allerdings der
vorgezeichnete Weg: hoffen
wir, dass ich dem gewachsen
sei.Im Brief vom 02.03.1924 berichtet Oppenheimer
von ihren Plänen, Rom Ende März zu bereisen.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
beim aufwachen fand ich heute
Ihren Brief vor – und draußen
war Sonnenschein. Beides ent-behrte ich seit langer Zeit
und ich begrüßte beides freudig
und dankbar. Wir hatten einen
hartnäckigen Winter und seit
zwei Monaten durfte ich
wieder nicht den Kopf aus
dem Fenster stecken. Meine
Sehnsucht geht auch nach
Italien; ich will alles versuchen,
es bald wieder zu sehen. Ihr
Plan wäre allerdings der
vorgezeichnete Weg: hoffen
wir, dass ich dem gewachsen
sei.Im Brief vom 02.03.1924 berichtet Oppenheimer
von ihren Plänen, Rom Ende März zu bereisen.
Es ist mir nicht lieb,
dass Sie „Ulrike“ gelesen
haben.Im Brief vom 02.03.1924 berichtet Oppenheimer,
sich durch das Werk „durchgewunden“ zu haben.
Es gibt nichts
Jämmerlicheres, als das
Zurückschauen: selbst
in die angenehme Vergan-
genheit, geschweige denn
in die peinliche und hässliche!
Wassermann ist auf
seine „Objektivität“ stolz:
ihm ist es gleich, was er
erzählt, wenn er nur „erzählen“
kann. Es ist in der Kunst
ein richtiges Prinzip, an den
Ereignissen die man berichtet
(oben darstellt) unbeteiligt
zu bleiben; doch ist es dabei
eine koordinierte Bedingung,
dass der Leser oder Zuschauer
auch nur „empfange“ ohne
zu „erleben“.
Doch wenn eine Jella
mit einer Ulrike – selbst in
Fiktion, - zusammentrifft,
dann gewinnt das Erlebnis
über die Darstellung ein Über-gewicht: das künstlerische Genuss-moment muss zurücktreten,
um dem schmerzhaften
Mitgefühl zu weichen.
Ich bitte um den mir
noch unbekannten Dr. Max Mell,
den Sie mir gütig senden wollen.
Im Akzeptieren von Büchern
bin ich ohne Scham; ich
könnte darum betteln, ge-legentlich auch welche stehlen.
Gewiss, müsseen wir uns
„sehen“: Sollte im Herbst
mein Doktor Faust in Dresden
zu Darstellung kommen, so
rechnete ich nicht wenig auf
Ihre Anwesenheit!
Vorläufig ist noch ein Rest
des Werkes „im Geiste seines Schöpfers“,
vorausgesetzt, dass Geist bei diesem
sich vorfinde.Doktor Faust bleibt unvollendet,
da Busoni am
27.07.1924 verstirbt.
Das Werk wird von seinem Schüler
Philipp Jarnach posthum vervollständigt und am
21.05.1925 in
Dresden uraufgeführt.
Pillen und Tropfen und
Massage richten in diesem Falle
nicht das geringste aus;
ebenso wenig wie Bäder
und Sport. Leonardo (sagte
mir einmal D’Annunzio)
wäre ein Gerippe, das anstatt
des Kopfes eine Fackel trüge.
Ich meine, (anders gedeutet, als
D’Annunzio wollte) dass selbst
ein todtes Leib, oben noch
leuchten kann.
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BI, 907
[2]
Es ist mir nicht lieb,
dass Sie „Ulrike“ gelesen
haben.Im Brief vom 02.03.1924 berichtet Oppenheimer,
sich durch das Werk „durchgewunden“ zu haben.
Es gibt nichts
Jämmerlicheres, als das
Zurückschauen: selbst
in die angenehme Vergan-
genheit, geschweige denn
in die peinliche u. hässliche!
Wassermann ist auf
seine “objektivitaet” stolz:
ihm ist es gleich, was er
erzählt, wenn er nur “erzählen” kann. Es ist in der Kunst
ein richtiges Prinzip, an den
Ereignissen die man berichtet
(oben darstellt) unbetheiligt
zu bleiben; doch ist es dabei
eine Koordinierte Bedingung,
dass der Leser oder Zuschauer
auch nur “empfange” ohne
zu “erleben”.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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[3]
Doch wenn eine Jella mit einer Ulrike – selbst in
Fiktion, - zusammentrifft,
dann gewinnt das Erlebnis
über die Darstellung i dasein Über-
gewicht: deras kunstlerische Genuss-
Moment muss zurücktreten,
um dem schmerzhaften
Mitgefühlt zu weichen.
Ich bitte um den mir
noch unbekannten Dr. Max Maell,
den Sie mir gütig senden wollen.
Im Akzeptieren von Büchern
bin ich ohne Scham; ich
Könnte darum betteln, ge-
legentlich auch welche stehlen.
Gewiss, müsseen wir uns
“sehen”: Sollte im Herbst
mein Doktor Faust in Dresden zu Darstellung Kommen, so
rechnete ich nicht wenig auf
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin Ihre Anwesenheit!
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<lb/>bin ich ohne Scham; ich
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BI, 907
[2]
Vorläufig ist noch ein Rest
des Werkes „im geiste seines Schöpfers“,
vorausgesetzt dass Geist bei ddiesem
sich vorfinde.Doktor Faust bleibt unvollendet,
da Busoni am
27.07.1924 verstirbt.
Das Werk wird von seinem Schüler
Philipp Jarnach posthum vervollständigt und am
21.05.1925 in
Dresden uraufgeführt.
Pillen u. Tropfen und
Massage richten in diesem Falle
nicht das geringste aus;
ebenso wenig wie Massagen Bäder
und Sport. Leonardo (sagte
mir einmal „“D’Annunzio)
waere ein Gerippe, das anstatt
des Kopfes eine Fackel trüge.
Ich meine (anders gedeutet, als
D’Annunzio wollte) dass selbst
ein todtes Leib, oben noch
leuchten kann.~
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Das <titlekey="E0400218">Werk</title> wird von seinem Schüler
<persNamekey="E0300376">Philipp Jarnach</persName> posthum vervollständigt und am
<datewhen-iso="1925-05-21">21.05.1925</date> in
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Pillen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Tropfen und
<lb/>Massage richten in diesem Falle
<lb/>nicht das geringste aus;
<lb/>ebenso wenig wie <delrend="strikethrough">Massagen</del> Bäder
<lb/>und Sport. Leonardo (sagte
<lb/>mir einmal <delrend="strikethrough"><mentionedrend="dq-du-straight-oo"/></del><persNamekey="E0300713">D’Annunzio</persName>)
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<lb/>des Kopfes eine Fackel trüge.
<lb/>Ich meine<choice><reg>,</reg></choice> (anders gedeutet, als
<lb/><persNamekey="E0300713">D’Annunzio</persName> wollte) dass selbst
<lb/>ein todtes Leib, oben noch
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<lb/><placeNamekey="E0500029"><hirend="spaced-out">Berlin</hi></placeName></stamp></note><signed><persNamekey="E0300017">Ferruccio B</persName></signed><dateline><datewhen-iso="1924-03-05">5 März 1924</date></dateline></closer></div>
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8Diplomatic transcription
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[Rückseite von Textseite 4]
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Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 907+907a+907b | olim:
Mus.ep. F. Busoni 760+760a.b
|
Busoni bringt seinen Wunsch nach
Italien reisen zu wollen zum Ausdruck;
bittet um Zusendung der Werke von Max Mell;
hofft auf ein Wiedersehen mit Oppenheimer bei der
Aufführung seines noch unvollendeten Werks Doktor Faust
in Dresden.
Letter by Ferruccio Busoni to Jella Oppenheimer (o.O., [Berlin], 5 March 1924), prepared by Lea Langosch, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Jella Oppenheimer, edited by Christian Schaper and Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, May 2023: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0102119 (January 21, 2023: proposed)
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<TEIxmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0"xml:id="D0102119"><teiHeader><fileDesc><titleStmt><titlexml:lang="de">Brief von Ferruccio Busoni an Jella Oppenheimer (o.O., [Berlin], 5. März 1924)</title><titlexml:lang="en">Letter by Ferruccio Busoni to Jella Oppenheimer (o.O., [Berlin], 5 March 1924)</title><authorkey="E0300017">Ferruccio Busoni</author><respStmt><resp>Prepared by</resp><persNamekey="E0300836"><forename>Lea</forename><surname>Langosch</surname></persName></respStmt><respStmt><resp>Digitization by</resp><orgNamekey="D-B">Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz</orgName></respStmt></titleStmt><publicationStmt><publisher>Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin</publisher><pubPlace>Berlin</pubPlace><datewhen-iso="2023-05"/><availability><licencetarget="https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/">Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0)</licence></availability></publicationStmt><seriesStmt><titletype="main">Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften</title><titletype="genre">Briefe</title><titletype="subseries"key="E010014">Briefwechsel Ferruccio Busoni – Jella Oppenheimer</title><editorkey="E0300314">Christian Schaper</editor><editorkey="E0300313">Ullrich Scheideler</editor></seriesStmt><sourceDesc><msDesc><msIdentifier><countrykey="DE">Deutschland</country><settlement>Berlin</settlement><institutionkey="D-B">Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz</institution><repository>Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv</repository><collection>Nachlass Ferruccio Busoni</collection><idno>Mus.Nachl. F. Busoni B I, 907+907a+907b</idno><altIdentifier><idnotype="D-B.olim">Mus.ep. F. Busoni 760+760a.b</idno></altIdentifier><altIdentifier><institution>Kalliope-Verbund</institution><idno>DE-611-HS-564932</idno></altIdentifier></msIdentifier><msContents><summary><persNamekey="E0300017">Busoni</persName> bringt seinen Wunsch nach
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in <placeNamekey="E0500052">Dresden</placeName>.
</summary><msItem><docDate><!--<date when-iso="YYYY-MM-DD"/>--></docDate><!--ggf. auch vom Archiv eingetragenes Datum (sonst löschen):--><docDateresp="#archive"sameAs="#arch_date"><!--<date when-iso="1912" cert="unknown"/>[1912?]--></docDate><incipit><!-- Incipit einfügen --></incipit></msItem></msContents><physDesc><objectDesc><supportDesc><extent><measuretype="folio">4 Blatt</measure><measuretype="pages">4 beschriebene Seiten</measure></extent><collation><!--Seitenfolge: 1, 3, 2, 4 (2, 4 im Querformat)--></collation><condition>Der Brief ist gut erhalten.</condition></supportDesc></objectDesc><handDesc><handNotexml:id="major_hand"scope="major"medium="black_ink"scribe="author"scribeRef="#E0300017">Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift</handNote><!-- oder in anderer Farbe? oder in deutscher Kurrentschrift? --><handNotexml:id="archive"scope="minor"medium="pencil"scribe="archivist">Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat</handNote><handNotexml:id="archive_red"scope="minor"medium="red_pen"scribe="archivist">Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat</handNote><handNotexml:id="sbb_st_red"scope="minor"medium="red_ink"scribe="archivist">Bibliotheksstempel (rote Tinte)</handNote></handDesc></physDesc><history><origin><origPlacekey="…">o.O., [Berlin]</origPlace><!--Eintrag für Ort anlegen und ID hier ergänzen--><origDatewhen-iso="1924-03-05"/></origin></history><additional><listBibl><bibl><reftarget="#E0800342"/>, S. 375 f.</bibl></listBibl></additional></msDesc></sourceDesc></fileDesc><encodingDesc><projectDesc><p>Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.</p></projectDesc><editorialDecl><hyphenationeol="hard"rend="sh"><p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit einfachen Bindestrichen.</p></hyphenation><punctuationmarks="all"placement="external"><p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p></punctuation><quotationmarks="none"><p>Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut <att>rend</att> der entsprechenden Elemente codiert.</p></quotation><p>Die Übertragung folgt den Editionsrichtlinien des Projekts. <ptrtarget="http://www.busoni-nachlass.org/E1000003"/></p></editorialDecl></encodingDesc><profileDesc><correspDescref="http://www.busoni-nachlass.org/D0102119"><correspActiontype="sent"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118518011"key="E0300017">Busoni, Ferruccio</persName><datewhen="1924-03-05"/><!--<placeName ref="http://www.geonames.org/######" key="E05#####">Name des Ortes</placeName>--></correspAction><correspActiontype="received"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/1102402745"key="E0300819">Oppenheimer, Jella</persName></correspAction><correspContext><!--<ref type="replyTo" target="#D0101###"/>
<ref type="repliedBy" target="#D0101###"/>--><reftype="previous"target="#D0102134"/><reftype="next"target="#D0102120"/></correspContext></correspDesc><langUsage><languageident="de"/></langUsage></profileDesc><revisionDescstatus="proposed"><changewhen-iso="2023-05-29"who="#E0300314">Datei angelegt, status todo</change><changewhen-iso="2023-12-26"who="#E0300836">status unfinished</change><changewhen-iso="2023-01-21"who="#E0300836">Status proposed</change></revisionDesc></teiHeader><facsimilesameAs="https://content.staatsbibliothek-berlin.de/dc/1843812061/manifest"><graphicn="1"url="https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000349E600000001"/><graphicn="2"url="https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000349E600000002"/><graphicn="3"url="https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000349E600000003"/><graphicn="4"url="https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000349E600000004"/><graphicn="5"url="https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000349E600000005"/><graphicn="6"url="https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000349E600000006"/><graphicn="7"url="https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000349E600000007"/><graphicn="8"url="https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000349E600000008"/></facsimile><texttype="letter"><body><divtype="transcription"><pbn="1"/><notetype="shelfmark"resp="#archive"place="top-left"><subst><delrend="strikethrough">Mus. ep. F. Busoni 760 (Busoni Nachl. BI)</del><addplace="below">Mus. Nachl. F. Busoni B I, 907</add></subst></note><notetype="foliation"resp="#archive"place="top-right">[1]</note><openerrend="align(left)"><salute>Liebe Frau <persNamekey="E0300819">Jella</persName>,</salute><salute>verehrte Freundin,</salute></opener><p><lb/>beim aufwachen fand ich heute
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<lb/>Sehnsucht geht auch nach
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<lb/>wir, dass ich dem gewachsen
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<notetype="commentary"resp="#E0300836"><reftarget="#D0102134">Im Brief vom <datewhen-iso="1924-03-02">02.03.1924</date></ref> berichtet <persNamekey="E0300819">Oppenheimer</persName>
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</note><notetype="stamp"place="center"resp="#dsb_st_red"><stamprend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeNamekey="E0500029"><hirend="spaced-out">Berlin</hi></placeName></stamp></note></p><pbn="2"/><notetype="objdesc"resp="#E0300836">[Rückseite von Textseite 1]</note><pbn="3"/><notetype="shelfmark"resp="#archive"place="top-left">BI, 907</note><notetype="foliation"resp="#archive"place="top-right">[2]</note><prend="indent-first">Es ist mir nicht lieb,
<lb/>dass Sie <titlekey="E0400664"><mentionedrend="dq-du">Ulrike</mentioned></title> gelesen
<lb/>haben.
<notetype="commentary"resp="#E0300836"><reftarget="#D0102134">Im Brief vom <datewhen-iso="1924-03-02">02.03.1924</date></ref> berichtet <persNamekey="E0300819">Oppenheimer</persName>,
sich durch das Werk <q>durchgewunden</q> zu haben.
</note>
Es gibt nichts
<lb/>Jämmerlicheres, als das
<lb/>Zurückschauen: selbst
<lb/>in die angenehme Vergan-
<lb/>genheit, geschweige denn
<lb/>in die peinliche <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> hässliche!
<lb/><persNamekey="E0300404">Wassermann</persName> ist auf
<lb/>seine <soCalledrend="dq-uu"><choice><sic>objektivitaet</sic><corr>Objektivität</corr></choice></soCalled> stolz:
<lb/>ihm ist es gleich, <hirend="underline">was</hi> er
<lb/>erzählt, wenn er nur <soCalledrend="dq-uu">erzählen</soCalled><lb/>kann. Es ist in der Kunst
<lb/>ein richtiges Prinzip, an den
<lb/>Ereignissen die man berichtet
<lb/>(oben darstellt) unbet<choice><orig>h</orig></choice>eiligt
<lb/>zu bleiben; doch ist es dabei
<lb/>eine <choice><sic>K</sic><corr>k</corr></choice>oordinierte Bedingung,
<lb/>dass der Leser oder Zuschauer
<lb/>auch nur <soCalledrend="dq-uu">empfange</soCalled> ohne
<lb/>zu <soCalledrend="dq-uu">erleben</soCalled>.
<notetype="stamp"place="margin-right"resp="#dsb_st_red"><stamprend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeNamekey="E0500029"><hirend="spaced-out">Berlin</hi></placeName></stamp></note></p><pbn="4"/><notetype="objdesc"resp="#E0300836">[Rückseite von Textseite 2]</note><pbn="5"/><notetype="shelfmark"resp="#archive"place="top-left">BI, 907</note><notetype="foliation"resp="#archive"place="top-right">[3]</note><prend="indent-first">Doch wenn eine <persNamekey="E0300819">Jella</persName><lb/>mit einer Ulrike – selbst in
<lb/>Fiktion, - zusammentrifft,
<lb/>dann gewinnt das Erlebnis
<lb/>über die Darstellung <delrend="strikethrough">i das</del><addplace="above">ein</add> Über-
<lbbreak="no"/>gewicht: d<subst><delrend="overwritten">er</del><addplace="across">as</add></subst> k<choice><sic>u</sic><corr>ü</corr></choice>nstlerische Genuss-
<lbbreak="no"/><choice><sic>M</sic><corr>m</corr></choice>oment muss zurücktreten,
<lb/>um dem schmerzhaften
<lb/>Mitgefühl<delrend="strikethrough">t</del> zu weichen.
</p><prend="indent-first">Ich bitte um den mir
<lb/>noch unbekannten Dr. <persNamekey="E0300901">Max M<delrend="transformed">a</del><addplace="across">e</add>ll</persName>,
<lb/>den Sie mir gütig senden wollen.
<lb/>Im Akzeptieren von Büchern
<lb/>bin ich ohne Scham; ich
<lb/><choice><sic>K</sic><corr>k</corr></choice>önnte darum betteln, ge-
<lbbreak="no"/>legentlich auch welche stehlen.
</p><prend="indent-first">Gewiss, müsseen wir uns
<lb/><soCalledrend="dq-uu">sehen</soCalled>: Sollte im Herbst
<lb/>mein <titlekey="E0400218"><hirend="underline">Doktor Faust</hi></title> in <placeNamekey="E0500052">Dresden</placeName><lb/>zu Darstellung <choice><sic>K</sic><corr>k</corr></choice>ommen, so
<lb/>rechnete ich nicht wenig auf
<notetype="stamp"place="right"resp="#dsb_st_red"><stamprend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeNamekey="E0500029"><hirend="spaced-out">Berlin</hi></placeName></stamp></note><lb/>Ihre Anwesenheit!
</p><pbn="6"/><notetype="objdesc"resp="#E0300836">[Rückseite von Textseite 3]</note><pbn="7"/><notetype="shelfmark"resp="#archive"place="top-left">BI, 907</note><notetype="foliation"resp="#archive"place="top-right">[2]</note><p><lb/>Vorläufig ist noch ein Rest
<lb/>des Werkes <soCalledrend="dq-du">im <choice><sic>g</sic><corr>G</corr></choice>eiste seines Schöpfers</soCalled>,
<lb/>vorausgesetzt<choice><reg>,</reg></choice> dass Geist bei <delrend="strikethrough">d</del>diesem
<lb/>sich vorfinde.
<notetype="commentary"resp="#E0300836"><titlekey="E0400218">Doktor Faust</title> bleibt unvollendet,
da <persNamekey="E0300017">Busoni</persName> am
<datewhen-iso="1924-07-24">27.07.1924</date> verstirbt.
Das <titlekey="E0400218">Werk</title> wird von seinem Schüler
<persNamekey="E0300376">Philipp Jarnach</persName> posthum vervollständigt und am
<datewhen-iso="1925-05-21">21.05.1925</date> in
<placeNamekey="E0500052">Dresden</placeName> uraufgeführt.
</note>
Pillen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Tropfen und
<lb/>Massage richten in diesem Falle
<lb/>nicht das geringste aus;
<lb/>ebenso wenig wie <delrend="strikethrough">Massagen</del> Bäder
<lb/>und Sport. Leonardo (sagte
<lb/>mir einmal <delrend="strikethrough"><mentionedrend="dq-du-straight-oo"/></del><persNamekey="E0300713">D’Annunzio</persName>)
<lb/>w<choice><sic>ae</sic><corr>ä</corr></choice>re ein Gerippe, das anstatt
<lb/>des Kopfes eine Fackel trüge.
<lb/>Ich meine<choice><reg>,</reg></choice> (anders gedeutet, als
<lb/><persNamekey="E0300713">D’Annunzio</persName> wollte) dass selbst
<lb/>ein todtes Leib, oben noch
<lb/>leuchten kann.<orig>~</orig></p><closer><saluterend="indent">Einen schönen Frühling</salute><salute>auf der Erde und im Gemüt<choice><orig>h</orig></choice>e</salute><salute>(im Herzen ist es ja bei Ihnen </salute><salute>ständig) wünscht Ihnen</salute><salute>w<choice><sic>ae</sic><corr>ä</corr></choice>rmstens Ihr Sie verehrender</salute><notetype="stamp"place="right"resp="#dsb_st_red"><stamprend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeNamekey="E0500029"><hirend="spaced-out">Berlin</hi></placeName></stamp></note><signed><persNamekey="E0300017">Ferruccio B</persName></signed><dateline><datewhen-iso="1924-03-05">5 März 1924</date></dateline></closer><pbn="8"/><notetype="objdesc"resp="#E0300836">[Rückseite von Textseite 4]</note></div></body></text></TEI>