Hochgeehrter Herr!
Entschuldigen sie, dass ich erst heute zur
Beantwortung Ihres liebenswürdigen Briefes komme.
Eigentlich bin ich recht neidisch auf Sie, dass Sie jetzt Sommerferien
machen können [.?] ich wünschte, ich könnte es auch. Denn jetzt heißt es
noch bis Mitte August hier aushalten und so viel, weil Stunden
geben und dazu großtenteils an gänzlich unbegabte
Leute – für einen erbärmlichen Honorarsatz. Und was
soll ich in den vier Wochen Ferien machen, werde in meiner
Heimat weiter ni[c]hts tun als Komponieren.
Jetzt bin ich an einen Klavierkonzert (Eugen d’Albert
gewidmet – darf ich Ihnen wohl mein zweites Klavierkonzert widmen?) nachher kommen Variationen
für großes Orchester über ein Thema [von] Beethoven.
Das ist der Fluch des Unterrichtens – nimmt man es wirklich
ernst, so stößt man überall auf Hindernisse und Unannehmlichkeiten
nimmt man es leicht, so lernen die Schüler nichts.
Sehr erfreut bin ich über Ihre gütige Versprechung, mir einiges von
Ihren Werken zu senden, und ebenso über Ihr Versprechen, mir Ihr geschätztes
Urteil über meine Werke in einem späteren Briefe mitteilen zu wollen.
Hier in Wiesbaden ist leider keine Gelegenheit, um Novitäten
zu bringen, da alles so musiktot als möglich ist.
Ja, dass ich in Leipzig nicht den gewünschten Boden finde das glaube
ich selbst – überhaupt so lange Leipzig noch sehr unter dem Gestirn
„Reinecke“ steht, wird für einen „modernen“ Musiker Leipzig
wenig Anregung bieten! Und [na]ch__s als Schüler ins
Konservatorium einzutreten, das geht mir auch contre coeur!
Ich habe mich jetzt absichtlich so drei Jahre vom Schaffen größerer
Werke zurückgehalten, um selbst mehr innere künstlerische Klarheit
zu haben und nicht mehr in die z.T. unberechtigten Übertreibungen
zu verfallen, die in meinen ersten Sachen sind. O Gott, heute bin ich
ja erst 22 Jahre alt da hat man ja noch Grund genug um zu lernen.
Richtung habe ich keine; ich nehme das Gute, wie es eben kommt. Und
ist mir jede musikalische Parteilichkeit – Brahms contra
Wagner [„] – im Grunde höchst zuwider. Auch halte ich es für ein
total verfehltes Unternehmen von unseren Musikzeitungen mit
dem ewigen, ewigen Wagner! Jeder Künstler von „Gottes Gnaden“
weiß doch selbst, dass Wagner das ist, was er eben ist – warum
denn immer so hartnäckig Wagnerartikel bringen.
Gerade die neu aufwachsende Generation sollte man überall immer und immer
wieder an den Urquell musikalischen Schaffens und göttlichsten Kunst –
Joh. Seb. Bach – hinweisen und zu allererst den Leuten zeigen was
J. S. Bach eigentlich ist. Leider dass F. Liszt seine Ausgabe (Übertragungen) von
Bach’schen Orgelwerken (Peters) so schlecht gemacht – es ist wahrlich
nur Kopistenarbeit. Und wie soll die heutige mit Thannhäuser und
Tristan geschwängerte Jugend überhaupt zu einem richtigen
Verständnis von Bach kommen. „Bach muss akademisch“
gespielt werden ist des Feldgeschrei der hochweisen Professoren
– und so hört man diesen Giganten immer hineingezwängt
in ein viel zu enges Corsett.
Entschuldigen Sie meine Aufrichtigkeit; allein so von Zeit zu Zeit
überkommt mich die Wut[,]wenn ich ansehen muss wie man Musik
macht.
Also von Herzen beste fröhlichste Ferien. Ruhen Sie aus
auf Ihren Lorbeeren und erfreuen Sie uns nächste Saison
hier in W. Überraschen Sie die musikalische Welt auch wieder
mit neuen Werken – und glauben Sie mir, es gibt selten einen
Musiker, der neidloser und bewundernder die Schöpfungen
wirklicher zeitgenössischen Tondichter aus vollstem Herzen
anerkennt und verehrt als Ihren
Gute Ferien!
Erwarte __chstens ein
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_____ mir ______
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