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N.Mus.Nachl. 30,93
Verehrter Meister und Freund!
Vielen Dank für Ihren lieben Brief und die Uebersendung
des Tonhalleberichtes. Ich wollte Ihnen sofort antworten, aber
der „Prolog zu einem Ritterspiele“ spielt mir böse Streiche.
Ich schlage mich durch ein zähes Gestrüpp schlechter Kontra⸗ punkte hindurch; erst heute abends erblickte ich den rettenden
Ausgang, der zu einem dämmerigen und wollustweichen Des-Dur
mich führen soll …
Die Abschrift des „Wandbildes“ ist fertig; morgen schicke ich
Ihnen das Originalmanuskript zurück. Auch habe ich ange⸗ fangen den Arlecchino=Auszug zu revidieren. Die Unspielbarkeit
mancher Stelle ist auf unnötige Oktavverdoppelungen des
Diskants zurückzuführen, – was aber leicht umzuändern ist.
Ich bin auf Seite 40 gekommen. Das übrige lässt sich in
vier oder fünf Stunden erledigen. – Nicht so mit der „Turan⸗ dot“, woran neu zu schreiben ist. Auch möchte ich, bevor die
Auszüge zum Druck geschickt werden, mit Ihnen manche
Kleinigkeiten mündlich besprechen.
Die Frage, ob ich die Komposition des „Wandbildes“ sofort anfan⸗ gen werde oder später ist mir zum Problem geworden. Ich
möchte so gern anfangen solange ich noch Herr meiner Zeit
bin; andrerseits bin ich so vertieft in der bewussten Ritterposse
Preußischer
Staats⸗ bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
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Verehrter Meister und Freund!
Vielen Dank für Ihren lieben Brief und die Übersendung
des Tonhalle-Berichtes. Ich wollte Ihnen sofort antworten, aber
der „Prolog zu einem Ritterspiele“ spielt mir böse Streiche.
Ich schlage mich durch ein zähes Gestrüpp schlechter Kontrapunkte hindurch; erst heute abends erblickte ich den rettenden
Ausgang, der zu einem dämmerigen und wollustweichen Des-Dur
mich führen soll …
Die Abschrift des „Wandbildes“ ist fertig; morgen schicke ich
Ihnen das Originalmanuskript zurück. Auch habe ich angefangen, den Arlecchino-Auszug zu revidieren. Die Unspielbarkeit
mancher Stelle ist auf unnötige Oktavverdoppelungen des
Diskants zurückzuführen – was aber leicht umzuändern ist.
Ich bin auf Seite 40 gekommen. Das Übrige lässt sich in
vier oder fünf Stunden erledigen. – Nicht so mit der „Turandot“, woran neu zu schreiben ist. Auch möchte ich, bevor die
Auszüge zum Druck geschickt werden, mit Ihnen manche
Kleinigkeiten mündlich besprechen.
Die Frage, ob ich die Komposition des „Wandbildes“ sofort anfangen werde oder später, ist mir zum Problem geworden. Ich
möchte so gern anfangen, solange ich noch Herr meiner Zeit
bin; andrerseits bin ich so vertieft in der bewussten Ritterposse,
dass es mir schwer wird, diese Arbeit zu unterbrechen.
Ich habe schon 30 Seiten hinter mir, und das Ganze wird 50 Seiten
wahrscheinlich nicht überschreiten. Wenn ich etwas schneller
komponieren könnte, so würde ich noch vor dem 10. August
dazu kommen, die erste Szene der Pantomime zu skizzieren,
für welche ich eine Idee habe. – Ich habe sogar einige Anfangstakte der Verwandlungsmusik geschrieben. Wie schön ist Ihr
Text! Ich habe ihn seitdem zweimal wiedergelesen und fühle
immer eindringlicher, was alles in diesen wenigen Zeilen
enthalten ist – ich denke jetzt nicht an das Phantastische,
Rätselhafte darin, obwohl das es war, was mich zuerst
frappierte. Der Mädchengesang z. B. erweitert die Bedeutung der
Fabel in erstaunlicher Weise. Sie schildern nicht, wie das
Märchen, ein Erlebnis, sondern resümieren ein Menschenschicksal
in einfachen, ruhigen Zügen. Die sinnende Schönheit dieses
Gedichtes, darin die Ermutigung einer Erkenntnis ohne Bitterkeit machen es für mein Gefühl zu einer hohen Äußerung
menschlicher Güte und künstlerischen Empfindens. Danke,
mein lieber Meister und Freund! Sie fahren fort, uns
durch Beispiel den Weg zu zeigen. Nur diesmal haben
Sie mich eingeschüchtert. Wie soll ich es fertigbringen,
das Gedicht durch Musik nicht zu beeinträchtigen?
Dieser schwebende Rhythmus muss bewahrt werden!
Ich vermute, dass dieser Chor mich mehr Arbeit kosten
wird als die ganze übrige Pantomime.
Herzlichste Grüße von uns beiden an Sie und Frau Busoni.
Nochmals Dank dem Lello für seine energische Radierung
– eine, für mein Laiengefühl, entscheidende Kraftprobe.
Ihr Philipp Jarnach
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<note type="shelfmark" resp="#archive" place="top-left">N.Mus.Nachl. 30,93</note>
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Vielen Dank für <ref target="#D0101624">Ihren lieben Brief</ref> und die <choice><orig>Ue</orig><reg>Ü</reg></choice>bersendung
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<!-- liegt dieser Bericht vor? -->
<lb/>der <title key="E0400552" rend="dq-du">Prolog zu einem Ritterspiele</title> spielt mir böse Streiche.
<lb/>Ich schlage mich durch ein zähes Gestrüpp schlechter Kontra
<lb break="no"/>punkte hindurch; erst heute abends erblickte ich den rettenden
<lb/>Ausgang, der zu einem dämmerigen und wollustweichen Des-Dur
<lb/>mich führen soll …
</p>
<p>
Die Abschrift des <title key="E0400481" rend="dq-du">Wandbildes</title> ist fertig; morgen schicke ich
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<lb break="no"/>fangen<reg>,</reg> den <rs key="E0400611"><title key="E0400133">Arlecchino</title><pc>=</pc>Auszug</rs> zu revidieren. Die Unspielbarkeit
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<lb/>Auszüge</rs> zum Druck geschickt werden, mit Ihnen manche
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Die Frage, ob ich <rs key="E0400612">die Komposition</rs> des <title key="E0400481" rend="dq-du">Wandbildes</title> sofort anfan
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<lb/>möchte so gern anfangen<reg>,</reg> solange ich noch Herr meiner Zeit
<lb/>bin; andrerseits bin ich so vertieft in der bewussten <rs key="E0400552">Ritterposse</rs><reg>,</reg>
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<stamp rend="round border align(center) majuscule tiny">Preußischer
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2Facsimile
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2Diplomatic transcription
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2XML
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dass es mir schwer wird, diese Arbeit zu unterbrechen.
Ich habe schon 30 Seiten hinter mir und das ganze wird 50 S.
wahrscheinlich nicht überschreiten. Wenn ich etwas schneller
komponieren könnte, so würde ich noch vor dem 10n August
dazu kommen, die erste Szene der Pantomime zu skizzieren,
für welche ich eine Idee habe. – Ich habe sogar einige Anfangs⸗ takte der Verwandlungsmusik geschrieben. – Wie schön ist Ihr
Text! Ich habe ihn seitdem zweimal wiedergelesen und fühle
immer eindringlicher was alles in diesen wenigen Zeilen
enthalten ist, – ich denke jetzt nicht an das Phantastische,
Rätselhafte darin, – obwohl das es war, was mich zuerst
frappierte. Der Mädchengesang z. B. erweitert die Bedeutung der
Fabel in erstaunlicher Weise. Sie schildern nicht, wie das
Märchen, ein Erlebnis, sondern resümieren ein Menschenschicksal
in einfachen, ruhigen Zügen. Die sinnende Schönheit dieses
Gedichtes, darin die Ermutigung einer Erkenntnis ohne Bitter⸗ keit machen es für mein Gefühl zu einer hohen Äusserung
menschlicher Güte und künstlerischesn Empfindens. Danke,
mein lieber Meister und Freund! Sie fahren fort, uns
durch Beispiel den Weg zu zeigen. Nur diesmal haben
Sie mich eingeschüchtert. Wie soll ich es fertig bringen,
das Gedicht durch Musik nicht zu beeinträchtigen?
Dieser schwebende Rhythmus muss bewahrt werden!
Ich vermute dass dieser Chor mich mehr Arbeit kosten
wird als die ganze übrige Pantomime.
Herzlichste Grüsse von uns beiden an Sie und Frau Busoni[.]
Nochmals Dank dem Lello für seine energische Radierung
[left border, lengthwise:]
[–] eine, für mein Laiengefühl, entscheidende Kraftprobe.
Ihr Philipp Jarnach
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dass es mir schwer wird, diese Arbeit zu unterbrechen.
<lb/>Ich habe schon 30 Seiten hinter mir<reg>,</reg> und das <choice><orig>g</orig><reg>G</reg></choice>anze wird 50 <choice><abbr>S.</abbr><expan>Seiten</expan></choice>
<lb/>wahrscheinlich nicht überschreiten. Wenn ich etwas schneller
<lb/>komponieren könnte, so würde ich noch vor dem <date when-iso="1917-08-10">10<choice><orig><seg rend="sup underline2">n</seg></orig><reg>.</reg></choice> August</date>
<lb/>dazu kommen, die erste Szene der Pantomime zu skizzieren,
<lb/>für welche ich eine Idee habe. – Ich habe sogar einige Anfangs
<lb break="no"/>takte der Verwandlungsmusik geschrieben. <orig>–</orig> Wie schön ist <rs key="E0400481">Ihr
<!-- wie viel / was ist von Jarnachs Musik im Nachlass erhalten? im Entitäteneintrag ergänzt -->
<lb/>Text</rs>! Ich habe ihn seitdem zweimal wiedergelesen und fühle
<lb/>immer eindringlicher<reg>,</reg> was alles in diesen wenigen Zeilen
<lb/>enthalten ist<orig>,</orig> – ich denke jetzt nicht an das Phantastische,
<lb/>Rätselhafte darin,<orig> –</orig> obwohl das es war, was mich zuerst
<lb/>frappierte. Der Mädchengesang z. B. erweitert die Bedeutung der
<lb/>Fabel in erstaunlicher Weise. Sie schildern nicht, wie das
<lb/>Märchen, ein Erlebnis, sondern resümieren ein Menschenschicksal
<lb/>in einfachen, ruhigen Zügen. Die sinnende Schönheit dieses
<lb/>Gedichtes, darin die Ermutigung einer Erkenntnis ohne Bitter
<lb break="no"/>keit machen es für mein Gefühl zu einer hohen Äu<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erung
<lb/>menschlicher Güte und künstlerische<subst><del rend="overwritten">s</del><add place="across">n</add></subst> Empfindens. Danke,
<lb/>mein lieber Meister und Freund! Sie fahren fort, uns
<lb/>durch Beispiel den Weg zu zeigen. Nur diesmal haben
<lb/>Sie mich eingeschüchtert. Wie soll ich es fertig<orig> </orig>bringen,
<lb/>das Gedicht durch Musik nicht zu beeinträchtigen?
<lb/>Dieser schwebende Rhythmus <hi rend="underline">muss</hi> bewahrt werden!
<lb/>Ich vermute<reg>,</reg> dass dieser Chor mich mehr Arbeit kosten
<lb/>wird als die ganze übrige Pantomime.
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<salute>Herzlichste Grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e von <rs type="persons" key="E0300376 E0300664">uns beiden</rs> an Sie und <persName key="E0300059">Frau Busoni</persName><supplied reason="omitted">.</supplied>
<lb/>Nochmals Dank dem <persName key="E0300153">Lello</persName> für seine energische Radierung
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3Facsimile
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3Diplomatic transcription
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4Facsimile
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4Diplomatic transcription
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4XML
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Zu N.Mus.Nachl. 30,93
Zürich
16.VII.17.XI-
Brf. Exp.
Preußischer
Staats⸗ bibliothek
zu
Berlin
Kulturbesitz
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<addrLine rend="underline">Absender: <persName key="E0300376">Philipp Jarnach</persName> – in <placeName key="E0500784">Obstalden</placeName>.</addrLine>
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