Kurt Weill an Ferruccio Busoni arrow_forward

Berlin · vmtl. 20. Januar 1921

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Mus.ep. K. Weill 1 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5358
Berlin, vmtl. 20. Januar 1921Donnerstag abend.

Sehr verehrter, lieber Meister,

Nach einem fünfjährigen, kriegsbedingten Exil-Aufenthalt in der Schweiz war Busoni Anfang September 1920 in seine Wahlheimat Berlin zurückgekehrt. Auf Initiative von Leo Kestenberg, ehemaliger Klavierschüler von Busoni und seit Dezember 1918 Musikreferent im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, hatte Busoni ab Januar 1921 eine Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste übernommen. Die Konditionen für den Posten waren überaus verlockend: „Übernahme einer Klasse, begrenzt auf jeweils sechs Monate pro Jahr und zwei Unterrichtstage pro Woche in seiner Berliner Wohnung (Schebera 1990, S. 32). Weill, der im selben Monat nach Berlin gekommen war, verwarf seinen ursprünglichen Plan, sein Studium an der Berliner Musikhochschule fortzusetzen und bewarb sich erfolgreich um einen Platz ein Busonis Klasse.

erlauben Sie mir, meinem Herzen auf diesem Wege Luft zu machen
u. Ihnen nochmals für Ihre überaus freundliche Hilfsbereitschaft zu danken. Es lässt sich nicht zweifelsfrei rekonstruieren, worin diese Hilfsbereitschaft bestand. Jutta Theurich legt in einem Vorbericht zu ihren Editionen der hier nun auch digital verfügbaren Weill-Briefe die Vermutung nahe, Busoni könnte dem zu dieser Zeit noch in ungesicherten Verhältnissen lebenden jungen Komponisten finanzielle Unterstützung angeboten oder ihm Verdienstmöglichkeiten verschafft haben (vgl. Theurich 1989, S. 323). So hatte Busoni Weill u. a. den Auftrag erteilt, von seinem Divertimento für Flöte und Orchester op. 52 eine Fassung für Flöte und Klavier zu erstellen.
Ich konnte Ihnen heut nachmittag meinen Dank nur so flüchtig hinstammeln
in meiner Überraschung darüber, daß ein Mensch sich meiner so tatkräftig
annehmen konnte, dazu noch der Mensch, den ich von allen am glühendsten
verehre. Ich war Ihnen schon vor dem heutigen Tage so dankbar für jedes
Wort aus Ihrem Munde, für den freundschaftlichen Verkehr, dessen Sie mich
würdigten, für die ungeahnten Ausblicke, die Ihre Musik mir eröffnete,
daß ich nun kaum weiß, wie ich diese ganze Dankesschuld abtragen soll.
So werden Sie es verstehen, wenn ich mit meinem heutigen Dank eine
Bitte verbinde: Lassen Sie mich Ihnen weiter helfen, soweit Sie mich
brauchen u. ich es vermag, lassen Sie es als selbstverständlich gelten,
daß ich mit allem, was ich habe, Ihrem Werk u. Ihrem Leben zur
Verfügung stehe.

Deutsche
Staats ·
bibliothek
Berlin
Berlin, vmtl. 20. Januar 1921Donnerstagabend

Sehr verehrter, lieber Meister,

Nach einem fünfjährigen, kriegsbedingten Exil-Aufenthalt in der Schweiz war Busoni Anfang September 1920 in seine Wahlheimat Berlin zurückgekehrt. Auf Initiative von Leo Kestenberg, ehemaliger Klavierschüler von Busoni und seit Dezember 1918 Musikreferent im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, hatte Busoni ab Januar 1921 eine Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste übernommen. Die Konditionen für den Posten waren überaus verlockend: „Übernahme einer Klasse, begrenzt auf jeweils sechs Monate pro Jahr und zwei Unterrichtstage pro Woche in seiner Berliner Wohnung (Schebera 1990, S. 32). Weill, der im selben Monat nach Berlin gekommen war, verwarf seinen ursprünglichen Plan, sein Studium an der Berliner Musikhochschule fortzusetzen und bewarb sich erfolgreich um einen Platz ein Busonis Klasse.

erlauben Sie mir, meinem Herzen auf diesem Wege Luft zu machen und Ihnen nochmals für Ihre überaus freundliche Hilfsbereitschaft zu danken. Es lässt sich nicht zweifelsfrei rekonstruieren, worin diese Hilfsbereitschaft bestand. Jutta Theurich legt in einem Vorbericht zu ihren Editionen der hier nun auch digital verfügbaren Weill-Briefe die Vermutung nahe, Busoni könnte dem zu dieser Zeit noch in ungesicherten Verhältnissen lebenden jungen Komponisten finanzielle Unterstützung angeboten oder ihm Verdienstmöglichkeiten verschafft haben (vgl. Theurich 1989, S. 323). So hatte Busoni Weill u. a. den Auftrag erteilt, von seinem Divertimento für Flöte und Orchester op. 52 eine Fassung für Flöte und Klavier zu erstellen. Ich konnte Ihnen heut Nachmittag meinen Dank nur so flüchtig hinstammeln in meiner Überraschung darüber, dass ein Mensch sich meiner so tatkräftig annehmen konnte, dazu noch der Mensch, den ich von allen am glühendsten verehre. Ich war Ihnen schon vor dem heutigen Tage so dankbar für jedes Wort aus Ihrem Munde, für den freundschaftlichen Verkehr, dessen Sie mich würdigten, für die ungeahnten Ausblicke, die Ihre Musik mir eröffnete, dass ich nun kaum weiß, wie ich diese ganze Dankesschuld abtragen soll. So werden Sie es verstehen, wenn ich mit meinem heutigen Dank eine Bitte verbinde: Lassen Sie mich Ihnen weiter helfen, soweit Sie mich brauchen und ich es vermag, lassen Sie es als selbstverständlich gelten, dass ich mit allem, was ich habe, Ihrem Werk und Ihrem Leben zur Verfügung stehe.

Ich wäre sehr glücklich, immer gelten zu dürfen als

Ihr aufrichtig ergebener „Famulus“

Kurt Weill.

                                                                
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Ich wäre sehr glücklich, immer gelten zu dürfen als

Ihr aufrichtig ergebener „famulus“

Kurt Weill.

Nachlaß Busoni
                                                                
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BerlinNW
20.1.21. 7–8N.
⭑ 123 b

Herrn

Dr. Ferruccio Busoni

Berlin W.

Viktoria⸗Luise⸗Platz 11.
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Kurt Weill, NW 23. Flensburgerstr.[…] unknown : Papier fehlt.
Gth. I. Gth. = Gartenhaus; noblere Bezeichnung für ein Hinterhaus.
Deutsche
Staats ·
bibliothek
Berlin
Mus.ep. K. Weill 1
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5358-Beil.
Nachlaß BusoniB II
                                                                
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Dokument

warningStatus: in Bearbeitung XML Faksimile Download / Zitation

Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5358 | olim: Mus.ep. K. Weill 1 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten; Briefumschlag verso rechts oben unvollständig (infolge Aufriss), mit geringem Textverlust.
Umfang
1 Blatt, 2 Seiten
Kollation
Seitenfolge: 1, 2
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Kurt Weill, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Weill dankt Busoni für seine Hilfsbereitschaft, den freundschaftlichen Umgang und die „ungeahnten Ausblicke“, die ihm Busonis Musik eröffnete; bittet darum, Busonis „Werk u. […] Leben“ weiter helfend zur Seite stehen zu dürfen.
Incipit
erlauben Sie mir, meinem Herzen auf diesem Wege Luft zu machen

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
8. Juni 2021: in Bearbeitung (in der Erfassungs-/Codierungsphase)
Stellung in diesem Briefwechsel
Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Theurich 1990, S. 114 Theurich 1998, S. 17 f.