Martin Wegelius an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Helsinki · 12. September 1894

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Mus.ep. M. Wegelius 12 (Busoni-Nachl. B II)Mus.Nachl. F. Busoni
B II, 5325

Helsingfors d. 12 Sept. 94.

Lieber Freund!

Herzlichsten Dank für deinen
Brief
, den ich für diessmal
unbeantwortet lassen muss.
Nur in aller Eile möchte
ich Dich – streng unter uns
– fragen, ob Du überhaupt
und unter irgend einer Be⸗
dingung Schüler oder Schü⸗
lerinnen annim̅st? Es sind
zweie bei uns flügge ge⸗
worden – ich möchte besonders
die kleine Sissi Sundgren Sigrid Sundgren war seit 1892 Klavierschülerin am Institut. Vom Herbst 1894 bis 1897 lernte sie bei Busoni in Berlin und kehrte anschließend wieder an das Musikinstitut nach Helsinki zurück, wo sie im August 1898 (bei N. N. 2001 fälschlich auf 1907 datiert) den Lehrer für Cello Georg Schnéevoigt heiratete. 1899 übernahm sie vertretungsweise eine Lehrstelle für Klavier am Institut und unterrichtete seit 1904 mit Pausen regulär (vgl. Dahlström 1982, S. 468, 328; N. N. 2001; N. N. 1898f; zur Ehe siehe auch den Brief vom 16. April 1900). kei⸗
nem andern als dir in der
[am linken Rand, längs:]
ich unbescheidenes verlangt habe! Hanna grüsst
euch beide Dein M Wegelius[1]

Helsingfors, den 12. September 94.

Lieber Freund!

Herzlichsten Dank für deinen Brief, den ich für diesmal unbeantwortet lassen muss. Nur in aller Eile möchte ich Dich – streng unter uns – fragen, ob Du überhaupt und unter irgendeiner Bedingung Schüler oder Schülerinnen annimmst? Es sind zweie bei uns flügge geworden – ich möchte besonders die kleine Sissi Sundgren Sigrid Sundgren war seit 1892 Klavierschülerin am Institut. Vom Herbst 1894 bis 1897 lernte sie bei Busoni in Berlin und kehrte anschließend wieder an das Musikinstitut nach Helsinki zurück, wo sie im August 1898 (bei N. N. 2001 fälschlich auf 1907 datiert) den Lehrer für Cello Georg Schnéevoigt heiratete. 1899 übernahm sie vertretungsweise eine Lehrstelle für Klavier am Institut und unterrichtete seit 1904 mit Pausen regulär (vgl. Dahlström 1982, S. 468, 328; N. N. 2001; N. N. 1898f; zur Ehe siehe auch den Brief vom 16. April 1900). keinem andern als dir in der Welt anvertrauen. Die ist wirklich ein geniales Kind und kann sogar nach deinen Anforderungen ein Pianist werden. Kräfte, gute Nerven und guten Mut hat sie auch – sogar der Dayas hat sie mit seinen Verrücktheiten nicht brechen können; von der würdest Du Freude haben können, wirkliche, echte Künstlerfreude. Ob Du sie für ein paar Monate im Stich lassen musst – das macht nichts, sie wird doch bei dir besser lernen als bei einem andern. Die Aspelin Edith Aspelin studierte schon seit 1888 am Konservatorium und war entsprechend zwei Jahre Schülerin von Busoni gewesen. In einer undatierten handschriftlichen Evaluation seiner Student*innen, die Busoni während seiner Lehrzeit in Helsinki angelegt haben muss, bewertet er sie als nur durchschnittliche Schülerin (die Liste ist Bestandteil des Nachlass Andersson, Otto 58 (I:4-5) der Åbo Akademi). Aspelin wurde ebenfalls von Busoni als Schülerin aufgenommen, blieb jedoch nur bis 1896 in Berlin und kehrte anschließend als Vertretungslehrerin zurück an das Musikinstitut (vgl. Dahlström 1982, S. 397, 326; Päiv 1896; N. N. 1895h; N. N. 1897d). Dem Briefwechsel zwischen William Dayas und Busoni ist zu entnehmen, dass Aspelin 1898 erneut zu Busoni nach Berlin in die Lehre kam und im Februar 1899 zu Dayas nach Manchester ging, um dort zu arbeiten (vgl. die Briefe vom 25. Januar bis 6. März 1899 in der Staatsbibliothek zu Berlin, Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1403–1406). möchte auch kolossal gern bei dir spielen – sie hat in der letzten Prüfung, zwar etwas angestrengt, das Es-Dur-Konzert von Beethoven und deine D-Dur-Fuge bewältigt. Die öffentliche Prüfung fand am 29. Mai 1894 statt. Neben dem 5. Klavierkonzert von Beethoven spielte Aspelin Busonis Transkription von J. S. Bachs Präludium und Fuge D-Dur (vgl. N. N. 1894j). Die hat einen ganz seltenen Charakter und kolossale Energie – Talent nicht in demselben Maß – aber doch nicht ohne. Dayas wollte sie natürlich alle beide zu Klindworth haben – der wird nun aber alt, und als ich ihnen von dir sprach, waren sie gleich freudigst bereit. Besonders bitte ich für die Sissi, die ist eine Perle, die kannst Du zu allem erziehen, was Du nur magst. Am aller schönsten wäre es, wenn Du oder Deine Frau sie ganz zu euch nehmen könntet. Ob Du jetzt eine Reise machst oder nicht, bedeutet meiner Ansicht nach wenig für die Sache. Sie ist ja noch kolossal jung – sie kann schon ein paar Monate warten. Sie ist jetzt auch arm geworden – der Vater hat Zession gemacht – wird aber jedenfalls unterstützt.

Ich sagte „streng unter uns“ für den Fall, dass Du sie absolut nicht nimmst und sie zu Klindworth müssten. Aber auch wenn Du sie annimmst, wäre es am besten, wenigstens den Dayas nichts davon wissen zu lassen, ehe sie beide bei dir sind und angefangen haben. Kannst Du mir bald antworten, wäre ich dir außerordentlich dankbar. Verzeihe mir diesen saunachlässigen Brief – ich habe nur einige Minuten; herzlichen Dank für die Partitur Siehe die Kommentierung im vorigen Brief. und das erste Heft vom Wohltemperierten Klavier. Die Busoni-Edition wird natürlich bei uns offiziell. Wie bald ist sie fertig? Anders als bei Dent 1974 (S. 103) , Kindermann 1980 (S. 417 f.) oder Couling 2005 (S. 151) zu lesen ist, wurde der erste Band von Busonis Ausgabe des Wohltemperierten Klaviers nicht gesammelt 1894 gedruckt, sondern in drei Etappen 1894 (Nr. 1–8), 1895 (Nr. 9–16) und 1897 (zwei Hefte: Nr. 17–24 und Anhang), wie aus der Korrespondenz mit Breitkopf & Härtel hervorgeht (Briefe vom 20. Dezember 1894 und 12. Juli 1896, in: Busoni / Breitkopf & Härtel / Hanau 2012, Bd. 1, Br. 39, S. 31 bzw. Br. 50, S. 38). Grüße deine Frau schönstens und sei mir nicht böse, wenn ich Unbescheidenes verlangt habe! Hanna grüßt euch beide

Dein M Wegelius

                                                                
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Welt anvertrauen. Die ist wirk⸗
lich ein geniales Kind und
kann sogar nach deinen An⸗
forderungen ein Pianist wer⸗
den. Kräfte, gute Nerven und
guten Muth hat sie auch –
sogar der Dayas hat sie
mit seinen Verrücktheiten
nicht brechen können; von
der würdest Du Freude ha⸗
ben können, wirkliche, echte
Künstlerfreude. Ob Du sie
für ein Paar Monaten im
Stich lassen musst – das
macht nichts, sie wird doch
bei dir besser lernen
als bei einem Andern.
Die Aspelin Edith Aspelin studierte schon seit 1888 am Konservatorium und war entsprechend zwei Jahre Schülerin von Busoni gewesen. In einer undatierten handschriftlichen Evaluation seiner Student*innen, die Busoni während seiner Lehrzeit in Helsinki angelegt haben muss, bewertet er sie als nur durchschnittliche Schülerin (die Liste ist Bestandteil des Nachlass Andersson, Otto 58 (I:4-5) der Åbo Akademi). Aspelin wurde ebenfalls von Busoni als Schülerin aufgenommen, blieb jedoch nur bis 1896 in Berlin und kehrte anschließend als Vertretungslehrerin zurück an das Musikinstitut (vgl. Dahlström 1982, S. 397, 326; Päiv 1896; N. N. 1895h; N. N. 1897d). Dem Briefwechsel zwischen William Dayas und Busoni ist zu entnehmen, dass Aspelin 1898 erneut zu Busoni nach Berlin in die Lehre kam und im Februar 1899 zu Dayas nach Manchester ging, um dort zu arbeiten (vgl. die Briefe vom 25. Januar bis 6. März 1899 in der Staatsbibliothek zu Berlin, Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1403–1406). möchte auch
kolossal gern bei dir Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

[am linken Rand, längs:]
uns officiell. Wie bald ist sie fertig? Anders als bei Dent 1974 (S. 103) , Kindermann 1980 (S. 417 f.) oder Couling 2005 (S. 151) zu lesen ist, wurde der erste Band von Busonis Ausgabe des Wohltemperierten Klaviers nicht gesammelt 1894 gedruckt, sondern in drei Etappen 1894 (Nr. 1–8), 1895 (Nr. 9–16) und 1897 (zwei Hefte: Nr. 17–24 und Anhang), wie aus der Korrespondenz mit Breitkopf & Härtel hervorgeht (Briefe vom 20. Dezember 1894 und 12. Juli 1896, in: Busoni / Breitkopf & Härtel / Hanau 2012, Bd. 1, Br. 39, S. 31 bzw. Br. 50, S. 38). Grüsse dei⸗
ne Frau
schönstens und sei mir nicht böse, wenn

                                                                
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gestrengt, das Essdurkonsert
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ganz seltenen Charakter
und kolossale Energie –
Talent nicht in demselben
Maass – aber doch nicht ohne.
Dayas wollte sie natürlich
alle beide zu Klindworth
haben – der wird nun aber
alt, und als ich ihnen von
dir sprach, waren sie gleich
freudigst bereit. Besonders
bitte ich für die Sissi, die
ist eine Perle, die kannst
Du zu allem erziehen was
Du nur magst. Am aller[2]
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ja noch colossal jung – sie
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wird aber jedenfalls unterstützt.

Ich sagte “streng unter uns”,
für den Fall dass Du sie
absolut nicht nimmst und
sie zu Klindworth müssten.
Aber auch wenn Du sie zu an⸗
nim̅st wäre es am besten, we⸗
nigstens den Dayas nichts davon
wissen zu lassen, ehe sie beide
bei dir sind und angefangen
haben. Kannst Du mir bald
antworten, wäre ich dir aus=
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nachlässigen Brief – ich habe nur einige Minuten;

                                                                
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83
Rek.
[Helsingf]ors * Helsinki
1 Transkription unsicher: Papier fehlt. 4. IX. 94
* [Гель]сингфорсь *
[…] mindestens 2, höchstens 4 Zeichen: unleserlich.
R
Herrn Professor F. B. Busoni.
Berlin-Charlottenburg
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Kantstrasse 153.
13639
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6Faksimile
6Diplomatische Umschrift
6XML
Wegelius
С. Петербургъ
4
12 16 Transkription unsicher: wenig Tinte. 9 Transkription unsicher: wenig Tinte. 4 12
IX
5. Эксп
Bestellt
vom
Postamte 2
18 9. 94
8-9 ½V.




Mus.Nachl.
F. Busoni B II, 5325-
Beil.
Charlotten
Nachlaß Busoni
B II
Mus.ep. M. Wegelius 12
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5325 | olim: Mus.ep. M. Wegelius 12 |

Nachweis Kalliope

Zustand
Brief ist gut erhalten. Beim Umschlag wurde ein Teil der Vorderseite rausgeschnitten.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Kollation
Seitenfolge: 1–4, Brieftext geht dann am linken Seitenrand weiter, angefangen mit Seite 4 bis Seite 1
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Martin Wegelius, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (schwarze Tinte)
  • Helsinkier Poststempel (schwarze Tinte)
  • Sankt Petersburger Poststempel (schwarze Tinte)
  • Poststempel des Zustellbezirks (schwarze Tinte)
  • Poststempel Einschreiben (schwarze Tinte)
  • Hand eines Postbeamten, der die Notiz
  • Rek.
  • auf dem Briefumschlag vermerkt hat
  • Unbekannte Hand, die den Zustellort auf der Rückseite des Briefumschlags ergänzt hat
  • Unbekannte Hand, die auf dem Briefumschlag mit blauem Stift eine unleserliche Kennzeichnung eingetragen hat
  • Unbekannte Hand, die auf dem Briefumschlag mit Bleistift die Zahl
  • 8
  • notiert hat
  • Unbekannte Hand, die auf dem Briefumschlag mit schwarzer Tinte die Zahl
  • 3
  • eingetragen hat
  • Unbekannte Hand, die auf dem Briefumschlag mit schwarzer Tinte die Zahl
  • 1639
  • eingetragen hat
  • Hand Gerda Busonis, die auf der Rückseite des Umschlags den Absendernamen vermerkt hat
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Zusammenfassung
Wegelius bittet Busoni, die beiden Schülerinnen Sigrid Sundgren und Edith Aspelin zu sich aufzunehmen, um sie zu unterrichten; dankt für den Erhalt des Sinfonischen Tongedichts und des ersten Hefts von Busonis Ausgabe des Wohltemperierten Klaviers.
Incipit
Herzlichsten Dank, für deinen Brief, den ich für diesmal

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
19. März 2024: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition