Ferruccio Busoni to Robert Freund arrow_backarrow_forward

Budapest · between March 1 and March 17, 1899

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Mus. Nachl. F. Busoni B I, 533 Mus. ep. F. Busoni 36
(Busoni-Nachl. B I)
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Hochverehrter
Herr u. Freund. –

Dass sich in einem Menschen
Intelligenz u. Güte und Bildung
vereinen ist nicht verwunderlich,
Iinsofern als ich die Existenz
oder den Werth einer dieser
Eigenschaften ohne die beiden
anderen bezweifle; erfreulich
und wohlttuend ist es jedoch,
wenn man ihnen doch vereint
begegnet und noch dazu in einer
so harmonischen Innigkeitwie
es bei Ihnen, werther Freund, zutrifft.

Hochverehrter Herr und Freund. –

Dass sich in einem Menschen Intelligenz und Güte und Bildung vereinen, ist nicht verwunderlich, Iinsofern als ich die Existenz oder den Wert einer dieser Eigenschaften ohne die beiden anderen bezweifle; erfreulich und wohltuend ist es jedoch, wenn man ihnen doch vereint begegnet und noch dazu in einer so harmonischen Innigkeit,wie es bei Ihnen, werter Freund, zutrifft.

Ihr freundlicher Briefe und Ihre Sendungen, die mich ebenso überraschten als wahrhaft erfreuten, verdienten eine ausführliche Erwiederung, die musikalische Sendung eine sachliche Besprechung: – durch meine eiligen Reisen und zusammengehauften Tätigkeiten,konnte ich aber dieser Forderung nicht gerecht werden, kann es auch heute kaum – schon deshalb, weil das Huber’sche Konzert Gemeint ist hier höchst wahrscheinlich Hans Hubers Klavierkonzert Nr. 3 in D-Dur aus dem Jahre 1899 (op. 113). nicht vor mir aufliegt; – doch darf ich auch nicht länger säumen, ohne meine Gewissensunruhe anwachsen zu lassen und durch den Vorwurf Unhöflichkeit und Undankbarkeit zu verfallen.

Haben Sie also vor Allem herzlichsten Dank. Ich erhielt Ihren Brief , Huber’s Konzert und die magnanime Weinsendung

die ich höchlich zu würdigen weiß. Ob ich das Klavierkonzert Ihres Freundes und hochgeschätzten Komponisten Huber nach verdientem Maß zu würdigen verstehe, ist weniger feststehend. Der Name des Meisters ist die Tatsache, dass Sie, verehrter Freund, für das Stück eintreten, bürgen für den Wert – der unleugbar ist –, lassen aber allzuviel erhoffen, das sich nicht unwiederlegbar das einstellt. Die bezwingende Macht des Genialen, welches über die kleineren Mängel hinwegbefiehlt und die Kritik zu Boden drückt, scheint mir vor Allem zu fehlen... Sodann ist im Klaviersatze ein Schwanken zwischen musikalischem und Virtuosen, das dem ersten zwar nicht schadet, dem zweiten aber etwas zu hindern scheint.

Bei der nicht unerschöpflichen Fantasie des Autors war es aber ein entschiedener Fehler, (es scheint mir der Hervorragenste) die Komposition mit einem Variationswerke zu eröffnen. Huber scheint darin alle Rhythmen und Figuren, die ihm zur Verfügung fanden, angewandt zu haben, mit ... ohne ökonomischen Bedacht auf das Folgende zu nehmen. Wie ein Familienvater, der durch Vorschüsse in der ersten Hälfte des Jahres sein ganzes Jahreseinkommen aufgezehrt hat, so hat Huber in diesem – immerhin bedeutenden und Achtungerzwingenden Variationensatz – sich stark verausgabt. Sie müssen zugeben, dass Scherzo und Finale nicht sonderlich Neues aufweisen, auch unter einander bedenklich gleichartig sind. – Anders gestaltet hätte sich die Folgenschwere der Variationenform, wenn sie am Ende des Werkes aufgetreten wäre. Die Wiederholung bereits vorher erschienener Rhythmen und Figuren hätte sodann einen epilogischen Charakter angenommen, der mir befriedigend gewirkt hätte. Schließlich mag das Verfehlte nun darin liegen, dass die Variationen zu vielseitig angelegt sind, anstatt dass sie sich auf die Erschöpfung eines Stimmung[s]gehaltes beschränken, wie es in Beethovens As dur Sonate, in der Appassionata, in der Kreuzer Sonate der Fall ist; während Variation[s]sätze universeller Gestaltigkeit am Schlusse erscheinen, wie in der Eroica, in Brahm’s vierter Symphonie, in Beethovens’ Sonate op 109 und – last not least – in der Neunten!

Um die guten Eindrücke, die mir das Werk hinterließ, nicht zu verschweigen, so erlaube ich mir zu erwähnen, dass es eine große musikalische Tüchtigkeit, Formgewandheit in der Satzführung, Vornehmheit, Ernst und einen erfreulichen Mangel an Extravaganz zeigt; – alles mir persönliche Eindrücke – nach dem ersten Durchspielen, dazu noch aus der Erinnerung niedergeschrieben und ohne jeden Anspruch, sie für eine endgültige Kritik ausgeben zu wollen. Sollte ich in irgend einem Ausdruck hierbei voreilig, erweisbar ungerecht oder flüchtig gewesen sein so bitte ich zu verzeihen und die Tatsache auf Rechnung der Umstände zu schreiben. Ich bin zerstreut, übermüdet und wirklich nicht im Vollbesitze meiner Klarheit des Denkens.

Es wird Sie interessieren, dass ich in Strassburg – bei einem Trödler – sechs Hefte der ersten Ausgaben Liszt’scher Rhapsodien fand; ein siebentes Heft in Stuttgart; die Numerirung dieser Heft[e] geht bis zur Zahl acht, so dass mir gewiss ein Heft fehlt, vielleicht aber auch noch ein neuntes oder zehntes existiren kann. Von der 6. Rhapsodie besitze ich jetzt drei verschiedene ältere Fassungen, und doch erinnere ich mich einer vierten noch, die ich als Knabe besass und durchspielte und von den erwähnten drei noch etwas abwich. –

Ich wurde hier in Pesth von Ihren Lieben auf das Herzlichste empfangen. Wir sind ausgezeichnete und wie ich glaube unveränderliche Freunde geworden; auch Ihren Herrn Bruder lernte ich kennen, für den ich sofort Sympathie gefasst. Aber es will mir scheinen, dass es die Bekanntschaft mit Ihnen gewesen, die unserer Verbindung den Siegel aufdrückte und den Bund beschloss. Wie froh und dankbar ich Ihnen und dem Schicksal [weiter am linken Seitenrand:] bin, kann ich nicht ohne Ergriffenheit denken.

Ich grüße Sie mit vollster Hochachtung und Herzlichkeit. Meine Frau, die zugegen ist, sendet Ihnen alles Schöne. Ihr sehr ergebener

Ferruccio Busoni

                                                                
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Ihr freundlicher Briefe und
Ihre Sendungen, die mich eben-
so überraschten als wahrhaft
erfreuten, verdienten eine
ausführliche Erwiederung, die
musikalische Sendung eine
sachliche Besprechung: – durch
meine eiligen Reisen und zusammen-
gehauften Tätigkeitenkonnte
ich aber dieser Forderung nicht
gerecht werden, kann es auch
heute kaum – schon deshalb,
weil das Huber’sche Concert Gemeint ist hier höchst wahrscheinlich Hans Hubers Klavierkonzert Nr. 3 in D-Dur aus dem Jahre 1899 (op. 113).
nicht vor mir aufliegt; – doch
darf ich auch nicht laenger
saumen, ohne meine
Gewissensunruhe anwachsen
zu lassen und durch den Vorwurf
Unhöflichkeit und Undank-
barkeit zu verfallen.

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Nachlaß Busoni

Haben Sie also vor Allem
herzlichsten Dank. Ich erhielt
Ihren Brief , Huber’s Concert und
die magnanime Weinsendung

                                                                
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3)

die ich höchlich zu würdigen weiss.
Ob ich das Clavierconcert Ihres
Freundes und hochgeschätzten
Componisten Huber nach verdientem
Maass zu würdigen verstehe, ist
weniger feststehend. Der Name
des Meisters ist die Tatsache,
dass Sie, verehrter Freund, für
das Stück eintreten bürgen für
den Werth – der unleugbar ist –
lassen aber allzuviel erhoffen,
das sich nicht unwiederlegbar
das einstellt. Die bezwingende
Macht des Genialen, welches
über die kleineren Mängel
hinwegbefiehlt und die Kritik
zu Boden drückt, scheint mir vor
Allem zu fehlen.. Sodann
ist im Claviersatze ein Schwanken
zwischen musikalischem und
Virtuosen, das dem ersten
zwar nicht schadet, dem zweiten
aber etwas zu hindern scheint.

                                                                
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Bei der nicht unerschöpflichen
Fantasie des Autors war es aber
ein entschiedener Fehler, –
(es scheint mir der Hervorragenste)
die Composition mit einem
Variationswerke zu eröffnen. Hu-
ber
scheint darin alle Rhythmen
und Figuren, die ihm zur Verfügung
fanden, angewandt zu haben,
mit ... ohne ökonomischen
Bedacht auf das Folgende zu
nehmen. Wie ein Familien-
vater der durch Vorschüsse, in
der ersten Hälfte des Jahres
sein ganzes Jahreseinkommen
aufgezehrt hat, so hat Huber
in diesem – immerhin
bedeutenden und Achtung-
erzwingenden Variationensatz –
sich stark verausgabt. Sie
müßen zugeben, dass Scherzo
und Finale nicht sonderlich
Neues aufweisen, auch unter
einander
bedenklich gleichartig

                                                                
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sind. – Anders gestaltet hätte sich
die Folgenschwere der Variationen-
form, wenn sie am Ende
des Werkes aufgetreten waere.
Die Wiederholung bereits vorher
dagew erschienener Rhythmen
u. Figuren hätte sodann einen
epilogischen Charakter angenommen, und
der mir befriedigend gewirkt
hätte. Schließlich mag das
Verfehlte nun darin liegen,
dass die Variationen zu vielseitig
angelegt sind, anstatt dass sie
sich auf die Erschöpfung eines
Stimmung[s]gehaltes beschränken, wie

                                                                
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in der Appassionata, in der
Kreuzer Sonate der Fall ist;
während Variation[s]sätze
universeller Gestaltigkeit am
Schlusse erscheinen, wie in der
Eroica, in Brahm’s vierter
Symphonie, in Beethovens’
Sonate op 109. und – last not least –
in der Neunten!

Um die guten Eindrücke, die
mir das Werk hinterließ, nicht
zu verschweigen, so erlaube ich
mir zu erwähnen, dass es eine
große musikalische Tüchtigkeit,
Formgewandheit in der
Satzführung, Vornehmheit,
Ernst und einen erfreulichen
Mangel an Extravaganz
zeigt; – alles mir persönliche
Eindrücke – nach dem ersten
Durchspielen, dazu noch aus der Erinnerung
niedergeschrieben und ohne
jeden Anspruch, sie für eine
endgültige Kritik ausgeben zu wollen.

                                                                
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Sollte ich in irgend einem
Ausdruck hierbei voreilig,
erweisbar ungerecht oder
flüchtig gewesen sein so bitte
ich zu verzeihen und die
Thatsache auf Rechnung der
Umstaende zu schreiben.
Ich bin zerstreut, übermüdet
und wirklich nicht im Vollbesitze
meiner Klarheit des Denkens.

Es wird Sie interessiren,
dass ich in Strassburg – bei
einem Trödler – sieben
sechs Hefte der ersten
Ausgaben Liszt’scher
Rhapsodien fand; ein
siebentes Heft in Stuttgart;
die Numerirung dieser
Heft[e] geht bis zur Zahl
acht, so dass mir gewiss
ein Heft fehlt, vielleicht

                                                                
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aber auch noch ein neuntes
oder zehntes existiren kann.
Von der 6. Rhapsodie besitze
ich jetzt drei verschiedene ältere
Fassungen, und doch erinnere ich
mich einer vierten noch,
die ich als Knabe besass
und durchspielte und auch
von den erwähnten drei
noch etwas abwich. –

Ich wurde hier in Pesth
von Ihren Lieben auf das
Herzlichste empfangen.
Wir sind ausgezeichnete und
wie ich glaube unveränderliche
Freunde geworden; auch Ihren
Herrn Bruder lernte ich
kennen, für den ich sofort
Sympathie gefasst. Aber
es will mir scheinen, dass es
die Bekanntschaft mit Ihnen
gewesen, die unserer Verbindung
den Siegel aufdrückte und
den Bund beschloss. Wie froh und
dankbar ich Ihnen u. dem Schicksal
[weiter am linken Seitenrand:] bin, kann ich nicht ohne Ergriffenheit denken.

Ich grüße Sie mit vollster
Hochachtung u. Herzlichkeit.
Meine Frau, die zugegen ist, sendet Ihnen alles Schöne. Ihr sehr ergebener

Ferruccio Busoni

                                                                
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warningStatus: unfinished XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus. Nachl. F. Busoni B I, 533 | olim: Mus. ep. F. Busoni 36 (Busoni-Nachl. B I) |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
2 Blatt im Querformat, 4 beschriebene Seiten (jeweils zweispaltig)
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mit Bleistift eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 12345678

Summary
Busoni bespricht das Klavierkonzert Nr. 3 von Hans Huber kritisch.
Incipit
Dass sich in einem Menschen Intelligenz

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
April 22, 2021: unfinished (currently being prepared (transcription, coding))
Direct context
Preceding Following
Near in this edition
Previous editions
Beaumont 1987, S. 63 f.