Robert Freund to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Zürich · May 11, 1908

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Mus.ep. R. Freund 26 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1715
[1]
Zürich, Untere Zäune 7
11/5 [1908]

Lieber Freund! Ohne ein
Wort der Erwiederung will
ich Ihren Brief doch nicht
lassen, wäre es auch nur
um meinem Bedauern Ausdruck
zu geben, dass Ihre
“Selbst-Auslassung” nicht
länger ausgefallen. Den̅
Alles was Sie denken u.
empfinden, interessirt mich
und am Meisten wenn
wir nicht vollständig
harmoniren., Übrigens
deckt si wie im Falle
Brahms. Übrigens deckt
sich Ihre Ansicht (wen̅
Sie das „Deutschthum“

Lieber Freund!

Ohne ein Wort der Erwiderung will ich Ihren Brief doch nicht lassen, wäre es auch nur, um meinem Bedauern Ausdruck zu geben, dass Ihre „Selbst-Auslassung“ nicht länger ausgefallen. Denn alles, was Sie denken und empfinden, interessiert mich, und am meisten, wenn wir nicht vollständig harmonieren, wie im Falle Brahms. Übrigens deckt sich Ihre Ansicht (wenn Sie das „Deutschtum“ fortlassen) mit derjenigen von Richard Strauss, wenn Sie es auch in etwas anderen Worten sagen. Gewiss ist, dass Brahms nach neuen Formen gesucht hätte, wenn er nicht in den Beethoven’schen Formen das zum Ausdruck hätte bringen können, was er eben zu sagen hatte. Ich glaube also, dass Ihnen eigentlich der Inhalt unsympathisch ist und nicht die traditionelle „Form“. Und das ist (nämlich der Inhalt) doch in jeder Kunst das Eigentlichste und Höchste, und der ist Gefühlssache. Da würde alles Diskutieren nichts nützen, da Sie eben anders empfinden. Aber interessieren würde es mich einmal, diese „Materie“ – wie Goethe-Schiller sagen würden – mit Ihnen durchzusprechen, um Ihre Meinung tout au long Frz.: in voller Länge, lang und breit. zu hören. – Zu einem schriftlichen Salbadern ist Ihre Zeit aber zu kostbar, und wir (d. h. ich und noch einige andere) ziehen Ihre Brautwahl Ihren schönsten theroretischen Erörterungen vor; denn diese sind doch immer grau, und jeder wirkliche Künstler desavouiert sie häufig im Schaffen, da die Inspiration sich um keine Theorien kümmert und alles „hohe“ Produzieren unbewusst geschieht. Verzeihen Sie diese Gemeinplätze, sie fließen unwillkürlich in die Feder. Also lassen Sie uns nicht zu lange warten, denn auch meine Zeit ist kostbar, wenn auch in anderem Sinne. Nähert man sich den Sechzigen, so hat man nicht mehr viel Zeit zu verlieren. –

Von meiner Frau alles Schöne, und ich bin und bleibe

Ihr herzlich ergebener

R. Freund

                                                                
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2) fortlassen) mit derjenigen von Richard
Strauss
, wen̅ Sie es auch in etwas
anderen Worten sagen. Gewiss ist,
dass Brahms nach neuen Formen gesucht
hätte, wen̅ er nicht in den Beethoven-schen
Formen dass zum Ausdruck hätte
bringen kön̅en was er eben zu sagen
hatte. Ich glaube also dass Ihnen eigentlich
der Inhalt unsympathisch ist u. nicht die
traditionelle „Form“. Und das ist wie(nämlich der Inhalt)
doch in jeder Kunst das Eigentlichste u.
Höchste, u. der ist Gefühlssache. Da würde
alles Discutiren nichts nützen da Sie
eben anders empfinden. Aber interessiren

                                                                
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3. würde es mich einmal diese
“Materie” [–] wie Göthe-Schiller
sagen würden – mit Ihnen
durchzusprechen, um Ihre
Meinung tout au long Frz.: in voller Länge, lang und breit.
zu hören. – Zu einem
schriftlichen Salbadern ist
Ihre Zeit ebenaber zu kost-
bar u. wir (d. h. ich u.
noch einige Andere) ziehen
Ihre Brautwahl Ihren
schönsten theroretischen Erörte-
rungen vor; denn diese sind
doch im̅er grau u. jeder wirk-
liche Künstler desavouiert sie
häufig im Schaffen, da Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

die Inspiration sich um
keine Theorien küm̅ert u.
alles “hohe” Producieren unbe-
wusst geschieht. Verzeihen
Sie diese Gemeinplätze,

                                                                
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[2] sie fliessen unwillkürlich in
die Feder. Also lassen
Sie uns nicht zu lange
warten, den̅ auch meine
Zeit ist kostbar, wen̅
auch imn anderem Sinne.
Nähert man sich den
Sechzigen, so hat man
nicht mehr viel Zeit
zu verlieren. –

Von meiner Frau Alles
Schöne u. ich bin u.
bleibe

Ihr herzlich ergebener

R. Freund

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
                                                                
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Zürich
11.V.08.-10
Brf. Exp.
Herrn Ferruccio Busoni
I, Wallfischgasse 4
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Wien
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Freund
Nachlaß Busoni B II
Mus.ep. R. Freund 26

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Document

doneStatus: candidate XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1715 | olim: Mus.ep. R. Freund 26 (Busoni-Nachl. B II) |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten; Umschlagaufriss rechts (Textverlust beim Poststempel), Briefmarke ausgerissen.
Extent
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Collation
Seitenfolge 1, 4, 2, 3 (4 im Querformat)
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Robert Freund, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mit Bleistift eingetragen sowie eine Foliierung und Datierung vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
  • Poststempel (grüne Tinte)
  • Unbekannte Hand, die auf der Umschlagrückseite die Zuordnung
  • Freund
  • mit Bleistift notiert hat.
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Summary
Freund vermutet hinter Busonis Abneigung gegenüber Brahms den „Inhalt […] und nicht die traditionelle ‚Form‘; betont das Primat des künstlerischen Schaffens gegenüber der Theorie.
Incipit
Ohne ein Wort der Erwiderung will ich Ihren Brief doch nicht lassen

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
December 12, 2018: candidate (coding checked, proofread)
Direct context
Preceding Following
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