Arnold Schönberg an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Steinakirchen am Forst · 13. Juli 1909

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13.7. 1909
Arnold Schönberg
– – – Wien – – –
IX. Liechtensteinstraße 68/70
derzeit: Steinakirchen am Forst, Nieder Oesterr.

Sehr geehrter Herr, ich hatte öfters das
Vergnügen zu erfahren, daß Sie sich über meine
Compositionen günstig geäußert hatten. Ich hoffe
deshalb mich nicht vergebens an Sie zu
wenden, wenn ich Sie frage, ob Sie nicht
geneigt wären, etwas von mir aufzuführen.
Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Orchester=Abende
noch weiter führen. Orchesterwerke, die nur
in solchen Konzerten auf ein geeignetes
Publikum rechnen können hätte ich ja einige. Zu diesem Zeitpunkt lagen neben Pelleas und Melisande (vgl. die Briefe vom 10. und 20. September 1903) an Orchesterwerken bereits vor: Kammersymphonie op. 9 in der Originalfassung für 15 Solo-Instrumente (1906), Sechs Lieder für Gesang und Orchester op. 8 (1903–1905) und die zwischen Mai und Anfang Juli 1909 fertiggestellten ersten drei der Fünf Orchesterstücke op. 16.
Aber ich denke weniger daran, als an etwas
wesentlich leichter Realisierbares. Ich habe
zwei Klavierstücke Das dritte der Drei Klavierstücke op. 11 von Schönberg entstand erst im August 1909. (mehrere andere sind ange⸗
fangen, Neben den Drei Klavierstücken op. 11 lassen sich mindestens drei weitere Fragmente dem Jahr 1909 zuordnen; vgl. Schönberg/Brinkmann 1975, S. 116–118. ihre Fertigstellung wurde durch eine
andere Arbeit
An den Fünf Orchesterstücken op. 16 arbeitete Schönberg von Mai bis August 1909. unterbrochen) die nur jemand
spielen kann, der wie Sie mit seinen
Sympathien auf der Seite aller jener ist, die
suchen. Also nur Jemand, dessen Phantasie[1]

13.7.1909
derzeit: Steinakirchen am Forst, Nieder-Österreich

Sehr geehrter Herr,

ich hatte öfters das Vergnügen zu erfahren, dass Sie sich über meine Kompositionen günstig geäußert hatten. Ich hoffe deshalb, mich nicht vergebens an Sie zu wenden, wenn ich Sie frage, ob Sie nicht geneigt wären, etwas von mir aufzuführen. Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Orchesterabende noch weiterführen. Orchesterwerke, die nur in solchen Konzerten auf ein geeignetes Publikum rechnen können, hätte ich ja einige. Zu diesem Zeitpunkt lagen neben Pelleas und Melisande (vgl. die Briefe vom 10. und 20. September 1903) an Orchesterwerken bereits vor: Kammersymphonie op. 9 in der Originalfassung für 15 Solo-Instrumente (1906), Sechs Lieder für Gesang und Orchester op. 8 (1903–1905) und die zwischen Mai und Anfang Juli 1909 fertiggestellten ersten drei der Fünf Orchesterstücke op. 16. Aber ich denke weniger daran als an etwas wesentlich leichter Realisierbares. Ich habe zwei Klavierstücke Das dritte der Drei Klavierstücke op. 11 von Schönberg entstand erst im August 1909. (mehrere andere sind angefangen, Neben den Drei Klavierstücken op. 11 lassen sich mindestens drei weitere Fragmente dem Jahr 1909 zuordnen; vgl. Schönberg/Brinkmann 1975, S. 116–118. ihre Fertigstellung wurde durch eine andere Arbeit An den Fünf Orchesterstücken op. 16 arbeitete Schönberg von Mai bis August 1909. unterbrochen), die nur jemand spielen kann, der wie Sie mit seinen Sympathien auf der Seite aller jener ist, die suchen. Also nur jemand, dessen Phantasie dort schon Erfüllung zu sehen vermag, wo die Ledernheit noch nicht einmal Versprechungen ahnt. Jemand, der eben aus seiner eigenen Phantasie so viel an die Werke der anderen abzugeben vermag, dass jene Vollkommenheit entsteht, die ja nur im Vorgestellten, im Eingebildeten, niemals aber im Tatsächlichen, in der realen Erscheinung vorkommen kann. – Es scheint, ich habe damit eigentlich das Wesen des Reproduzierenden, des Publikums und des Künstlers als Genießenden dargestellt. Der Anlass scheint geringfügig – zwei Klavierstücke –, aber es geschah unwillkürlich, so mag’s also dort stehen, auf die Gefahr hin, ein Verhältnisgefühl einen Augenblick zu verletzen. Sie nehmen es hoffentlich nicht übel.

Nun zu den beiden Stücken: sie sind ja technisch kaum von besonderer Schwierigkeit. Aber ihr Vortrag erfordert Glauben und Überzeugung. Deshalb wende ich mich an Sie – das andere bringt ja bald wer auf – und bitte Sie, mir freundlichst mitzuteilen, ob ich Ihnen die Noten schicken darf.

Sie sind wohl nicht böse, wegen einer solchen Kleinigkeit belästigt zu werden. Ich selbst wage es nur mit Rücksicht auf Ihre gute Meinung von meinen Sachen und in der Hoffnung, dass die Sachen, wenn man sich mit ihnen befasst hat, vielleicht doch der Mühe lohnen könnten.

Ich hoffe, recht bald eine freundliche Antwort zu erhalten,

und empfehle mich in vorzüglicher Hochachtung ergebenst

Arnold Schönberg

                                                                
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die Ledernheit noch nicht einmal Ver⸗
sprechungen ahnt. Jemand der eben aus
seiner eigenen Phantasie so viel Transkription unsicher. Alternative Lesart:
soviel
Theurich 1977 (164) und Theurich 1979 (148): „soviel“. an die
Werke der anderen abzugeben vermag,
daß jene Vollkommenheit entsteht,
die ja nur im Vorgestellten, im Einge⸗
bildeten, niemals aber im Thatsächlichen,
in der realen Erscheinung vorkommen
kann. – Es scheint, ich habe damit
eigentlich das Wesen des Reproduzierenden,
des Publikums und des GKünstlers als
Geniessenden Theurich 1977 (164) und Theurich 1979 (148): „Genießenden“ (trotz Schreibung mit ſſ). dargestellt. Der Anlaß scheint
geringfügig – zwei Klavierstücke – aber
es geschah unwillkürlich, so mags also dort
stehen, auf die Gefahr hin ein Verhältnis=Ge⸗
fühl einen Augenblick zu verletzen. Sie nehmen
es hoffentlich nicht übel.

Nun zu den beiden Stücken: sie Theurich 1977 (164): „Sie“. sind
ja technisch kaum von besonderer Schwierig⸗
keit. Aber ihr Vortrag erfordert Glauben und

                                                                
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3Diplomatische Umschrift
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Überzeugung. Deshalb wende ich mich
an Sie – das andere bringt ja bald
wer auf – und bitte Sie mir freundlichst
mitzuteilen, ob ich Ihnen die Noten
schicken darf.

Sie sind wohl nicht böse, wegen
einer solchen Kleinigkeit belästigt zu
werden. Ich selbst wage es nur mit
Rücksicht auf Ihre gute Meinung von
meinen Sachen und in der Hoffnung,
daß die Sachen, wenn man sich
mit ihnen befaßt hat, vielleicht doch dieer
Mühe lohnen könnten.

Ich hoffe recht bald eine freundliche
Antwort zu erhalten und empfehle
mich in vorzüglicher Hochachtung ergebenst
Arnold Schönberg

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Nachlaß Busoni
[2]
                                                                
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4Diplomatische Umschrift
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Mus.ep. A. Schönberg 6 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4545
[Rückseite von Textseite 3]
                                                                
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S[tei]nakir[chen]
14.VII.0[9] […] höchstens 2 Zeichen: unvollständig. –5
am For[st]
nachsenden
Herrn
Ferruccio Busoni
Konzertbureau Wolff mit der freundlichen Bitte
um Weiterbeförderung an die dem Absender unbekannte Adr[esse]

Berlin W 30
Flottwellstraße
                                                                <note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="margin-right" resp="#post">
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6Diplomatische Umschrift
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Arnold Schönberg
– – – Wien – – –
IX. Liechtensteinstraße 68/70
derzeit: Steinakirchen am Forst, Nied.Oesterr
W30 Viktoria Luiseplatz 11
[…] 1 Wort: unleserlich. 18/85
Steinakirc[hen]
1[4.]VII[.09][…] mindestens 2 Zeichen: unvollständig.
[am] For[st]
Mus.ep. A. Schönberg 6
Nachlaß Busoni B II
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2303-Beil.
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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4545 | olim: Mus.ep. A. Schönberg 6 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten; Briefumschlag auf der Vorderseite rechts unvollständig (infolge Aufriss), mit Textverlust.
Umfang
1 Bogen, 3 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Arnold Schönberg, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift
  • Adressstempel des Absenders Arnold Schönberg, mit violetter Tinte
  • Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
  • Hand eines Postbediensteten, der die Adresse mit Bleistift ergänzt hat
Foliierungen
  • Foliierung durch das Archiv, mit Bleistift unten rechts auf den Vorderseiten.
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Zusammenfassung
Schönberg bietet Zusendung von zwei Klavierstücken (op. 11,1–2) an, bittet um Aufführung durch Busoni; reflektiert „das Wesen des Reproduzierenden, des Publikums und des Künstlers als Genießenden“.
Incipit
ich hatte öfters das Vergnügen zu erfahren

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
27. Januar 2016: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Theurich 1977, S. 164 Theurich 1979, S. 147 f. (Brief), S. 63–65 (Kommentar) Beaumont 1987, S. 381 f.