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                                                         Faksimile 
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                                                         Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
                                                         Lesefassung 
                                                     | 
                                                    
                                                         XML 
                                                     | 
                                                
                                                
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                    Mus.ep.L.Rubiner 19
                             (Busoni-Nachl.  B II)Mus. Nachl. F. Busoni B II, 4278
                 
                
                     Donnerstag, d. 
                        17.IV.  ,  
                     Muralto-Locarno, Villa Rossa .  [1]
                     Carissimo Amico,  Carino! 
                
                Wäre ich recht briefschreibe- fähig, so hätte ich längst geschrie- ben. Ihr gestriger Brief
                                                                 Dieser Brief ist nicht überliefert. war
                     mir – wie seltsamerweise 
                     immer und immer – ein mächtiges
                     Sprungbrett, um aus tiefen 
                     Depressionen (die übrigens mich
                     eigentümlicherweise garnicht 
                     in der Arbeit stören) zu etwas
                     menschlicheren Empfindungen 
                     zu kommen. [Meine Arbeit
                                                                Vermutlich handelt es sich
                        hierbei um das Drama Die Gewaltlosen, welches
                        1917-1918 entstand. 
                     lässt mich in der Tat das 
                     Ende schon sehen. Die grössten
                     selbst geschaffenen Schwierigkeiten
                        Deutsche
                             Staatsbibliothek
                             Berlin
                        
                    
                    
                     
                                                         
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                     Donnerstag, d. 
                        17.IV.  ,  
                     Muralto-Locarno, Villa Rossa .
                      Carissimo Amico,  Carino! 
                
                Wäre ich recht briefschreibefähig, so hätte ich längst geschrieben. Ihr gestriger Brief
                                                                 Dieser Brief ist nicht überliefert. war
                     mir – wie seltsamerweise 
                     immer und immer – ein mächtiges
                     Sprungbrett, um aus tiefen 
                     Depressionen (die übrigens mich
                     eigentümlicherweise gar nicht 
                     in der Arbeit stören) zu etwas
                     menschlicheren Empfindungen 
                     zu kommen. [Meine Arbeit
                                                                Vermutlich handelt es sich
                        hierbei um das Drama Die Gewaltlosen, welches
                        1917-1918 entstand. 
                     lässt mich in der Tat das 
                     Ende schon sehen. Die größten
                     selbst geschaffenen Schwierigkeiten
                    
                    
                    sind überwunden – so oder so.
                     Das Ende seh ich, doch ist es
                     noch nicht da. Manchmal
                     recht verzweifelt, dass es mir
                     nicht mehr möglich sein wird,
                     den Abschluss hier zu machen.
                     Doch muss ich mich abfinden. 
                     Das Werk wird entweder 
                     nach fünfzig Jahren etwa
                     seine Geltung und
                     seinen vollen Glanz haben,
                     oder es ist es der größte Dreck,  den je einer geschrieben hat.] 
                     Was täte ich, wenn ich Sie
                     nicht hätte! Der einzige Trost, 
                     der einzige wirkliche Menschenblick
                     unter all den männlichen Kitschgesichtern, unter Tigern oder
                     Affen, die heute die Erde
                     bevölkern. Was täte ich?
                     Ich müsste völlig hilflos
                     umherschreien. Ach, noch nie
                     hat mir jemand so in
                     meinen wichtigsten Angelegenheiten geholfen wie 
                     Sie – mit unmerklichem Rat, 
                     Andeutung, Zurückhalten, Antreiben – tiefstem Verständnis
                     aus eigenster, kostbarer Erfahrung,
                     die Sie mir einfach – und so
                     gütig –zur Verfügung stellen!(!)
                     Wo ist das schon dagewesen?! — 
                
                Lieder. Zwei Dinge
                     gibt es von denen ich von
                     früh auf einen natürlichen,
                     fast unüberwindlichen Abscheu
                     hatte und habe: Lieder und Reliefs.
                     Sollten Sie mich bekehren? Ich wäre
                     über diese Bereicherung nur froh! 
                     Aber angesehen von dieser so 
                     persönlich-privaten Einstellung: 
                     Ich begrüße, dass Sie denGoetheschen Text komponiert haben. 
                     (Der "Schweizer Hugo Wolf" ist
                     gewiss einer, von den 60 auf ein
                     Schoeck
                                                                Beziehung Schoeck-Busoni-Wolf: Ferruccio Busoni: Briefe und Widmungen an Othmar Schoeck. In: Schweizerische
                        Musikzeitung, Nr. 106, 1966, S. 132–135.  gehen.)
                    
                    
                    Nichts fände ich klüger und
                     richtiger, als Ihren Faust
                     sobald als möglich in Buchform erscheinen zu lassen!
                     Sorgfältigst durchgesehener
                     und überprüfter Text vorausgesetzt. Aber dann, so bald
                     es geht. Aber doch nicht etwa
                     bei Breitkopf und H.?!!!
                     Nein!
                                                                Das Libretto des Doktor Faust wurde erstmals 1924 in den "Weißen Blättern"
                        gedruckt, der Klavierauszug der Oper erschien erstmals 1926, herausgegeben von Busonis Schüler Philipp Jarnach, bei Breitkopf und Härtel.
                    Inselverlag oder Kurt
                        Wolff.
                     (Oder Cassirer.)– (Ich würde
                     allzugerne mit Ihnen über
                     die Stelle sprechen, wo Faust
                     die Natur anruft. Hier darf
                     in der Buchausgabe kein
                     Ton aus dem 18. Jahrhundert sein. 
                     Ich bin so vermessen, diesen
                     "Vorschlag" zu machen, weil
                     die Anrufung der Natur, als
                     ich sie hörte, noch nicht ganz
                     ausgeführt war. Meine
                    
                    
                    Frage hierbei war innerlich:
                     Meinen Sie wirklich die Natur"
                     – oder meinen Sie nicht vielmehr die unsterbliche
                     Schöpferkraft und Lebensbildekraft des Menschen? Meinen
                     Sie – fragte ich mich – nicht
                     genau ausgedrückt – "den
                     Menschen"(und sogar gar nicht
                     die "Natur"!)? So verstand ich
                     diesen Monolog (auch im inneren
                     Zusammenhang mit der letzten
                     Szene, dem Jüngling). Und ich
                     nahm an, dass "Natur" für Sie,
                     in der Schnelligkeit mit der
                     Sie gerade diese wichtige und
                     schöne Szene nachträglich ausgearbeitet hatten, nur ein
                     Verständigungswort sei, und
                     den Sie in Wahrheit anderes meinten.
                    
                    
                    Habe ich mich völlig geirrt?)
                     Ihr Faustbuch erscheinen zu
                     sehen, nicht für Subscribenten,
                     sondern für Viele, würde ja
                     nicht nur mir die größte Freude
                     machen, sondern auch dem großen,
                     großen Kreise von Menschen, 
                     die genau und in Beherzigung,
                     auf Ihre geschriebenen und
                     gedruckten Worte warten!
                     Erschiene nur diese herrliche,
                     metaphysische Musikdichtung
                     doch bald! Und Sie ahnen
                     vielleicht gar nicht, wie wunderbar das auf die Leser wirken
                     wird! — 
                
                 Polemisches Musiklexikon
                                                                Das polemische Musiklexikon wurde nie fertiggestellt; einige Entwürfe befinden sich im
                        Busoni-Nachlass in der Staatsbibliothek Berlin.
                     ist ein ganz, ganz ausgezeichneter Gedanke. Ich
                     rufe Bravo! Umso mehr, als ich schon seit
                     langem den Plan hatte, über
                     die wichtigsten Dinge des geistigen
                     Lebens ein "Neues Wörterbuch"
                                                                Es sind keine Quellen zu diesem Projekt
                        überliefert. 
                     herauszugeben. Dass nun Sie
                     mir von Ihrem Plan schreiben,
                     beweist, dass diese Dinge
                     heute Bedürfnis sind; und
                     zwar nicht grobes. Und da
                     es bei allen diesen Dingen ganz
                     außerordentlich drauf ankommt, wer sie macht, und
                     wer sie erlebt hat, so rufe
                     ich bei Ihnen: Bravo, bravissimo! 
                 Dass Ihres ein polemisches
                     Musiklexikon ist: bravissimo!!!
                     (Früher hieß es beim Musiklexikon
                     immer: Händel suche man in diesem
                     friedlichen Buche nicht!
                    
                     — 
                                                                — 
                
                In der Tat haben Sie es
                    
                    
                    ganz genau ausgesprochen:
                     Van de Velde, Maeterlinck,
                     Debussy: Style floréal! 
                     Von diesem scheint mir, obwohl
                     er das schlimmste gemacht hat,
                     Van de Velde am wertvollsten
                     zu sein. Weil er – ja weil er
                     unbescheiden immer nach
                     dem Höchsten griff. Ich glaube,
                     der Mann ist ein reinlicher
                     Charakter (Kenne ihn nicht persönlich). Mir heute völlig unerträglich: Maeterlinck. Mir
                     völlig, völlig widerwärtig wie
                     Honigersatz mit :
                     Debussy. Es stimmt. Alle drei
                     Jugendstil. Und beim Fall
                     Debussy etwas Komisches. Der
                     Mann hat doch die Franzosen
                     vonWagner befreien wollen.
                     Dabei hat er Ihnen den
                    
                    
                    richtigen, französischen Wagner
                     gemacht. Genau das Wagnerischte, was man sich denken
                     kann, nur in französischer
                     Sprache. Denn beim Wagnerianertum kommt es ja gar nicht 
                     auf das Leitmotiv und dergleichen
                     Äußerlichkeit an, sondern 
                     auf die entsetzliche Vernünftigkeit, die, statt zu produzieren
                     und zu erfinden, nur erklärt. 
                 Übrigens rechne ich zum
                     Jugendstil unbedingt R. Strauss.
                     Und, ohne dass ich gerade style
                     floréal zu sagen wage, gehört
                     (für mein Empfinden) zu den
                     Maeterlinck-Debussy-Uner
                     träglichen auch der so sehr viel bedeutendere
                     Rodin. Und noch einiges
                     aus neuerer – und älterer Zeit. 
                                                            — 
                 Nein, die Leute, die ich hier
                    
                    
                    sehe, lenken mich nicht
                     mehr ab, schon lange nicht
                     mehr. Es sind alles nur
                     Kitsch- Tiger- oder Affengesichter.
                     Dächte ich, allen Ernstes
                     gesagt, nicht oft an Sie,
                     müsste ich verzweifeln.
                     Diese Stimmung wird
                     verstärkt durch die Nachricht von zwei Selbstmorden,
                     die mir zukam. Der eine Fall
                     in München , eine Person, die
                     ich sehr hoch schätzte. Der
                     andere Fall  , mir näher, einer
                     meiner wenigen Freunde, in
                     Zürich; der sandte mir seinen
                     letzten Brief, bevor er den
                     Gashahn aufdrehte, und ich
                     bekam diesen Brief beinahe
                     eine Woche nach seinem
                    
                    
                    Tode in die Hände, mit schrecklichen
                     Witzen drin. Das war vor
                     ca. 14 Tagen. (Eigentümlicherweise lief daneben meine
                     Arbeit weiter. Nur, wenn ich
                     vom Schreibtisch aufstand,
                     zerrte es an mir entsetzlich,
                     Tag und Nacht. Es ist aber
                     schrecklich, wie man dann
                     mit den Gedanken über
                     Selbstmord Zwiesprache hält,
                     als ob der Tote noch lebe und
                     die andere Person wäre. Ich
                     wehre mich ja außerordentlich
                     gegen diese Zumutung, gehe
                     ihr nur manchmal hypothetisch nach, wenn mir der
                     Ausdruck in der Arbeit stockt
                     und ich retrospektiv alles schlecht
                     finde, und mich wertlos. Bin ich mit dieser
                     Arbeit einmal (wann?) fertig
                     und lebe noch, so möchte
                    
                    
                    ich dann doch gern etwas Neues
                     schreiben, das gar nicht mehr
                     schwebt, sondern ganz und
                     gar auf der Erde steht.
                     Vielleicht schützt das auch
                     etwas gegen das Böse.) — 
                
                Sehr lange sah ich den Dr. H. Huber
                     nicht. (Den ich ja auch sonst nur
                     maximal 4 3/7 Minuten vorbeiplaudern
                     sah.) Wenn Gott die Erde noch
                     einmal macht und den Menschen
                     die Berufe nach ihrem innersten
                     Charakter zuerteilt, dann möchte
                     ich mich wohl an einem schwer
                     erträglichen Tage von Dr. Huber einseifen
                     und rasieren lassen. Erfrischt ginge
                     man unter seiner flinken Hand
                     ins Paradies. — 
                
                Hier, wie in Genf und in Zürich:
                     Nebel, Regen, Kälte. Nur die
                     Arbeit hält mich zurück,
                     aber das muss, leider auch
                     bald sein Ende nehmen, aus
                    
                    
                    normalen Gründen. — 
                
                Mit Stefan Zweig stand ich
                     nicht
                    besonders gut, weil ich
                     ihn für einen AllerweltsLauwarmen hielt. Nun las 
                     ich aber in der Frankfurter
                         Zeitung eine Kritik über ihn,
                     die das Gemeinste an Beschimpfung (außerhalb der Künstlerischen Grenzen)  und an
                     persönlicher Verdächtigung
                     war.  Dies bewog mich, ihm
                     zu schreiben, und ihm meine
                     Parteinahme und Achtung für
                     seine Person auszudrücken, und
                     er antwortete mir in einem sehr
                     anständigen Brief. 
                                                                Auch Busoni korrespondierte mit Stefan Zweig; Teile dieses Briefwechsels werden im Busoni-Nachlass in der Staatsbibliothek Berlin verwahrt.
                    (Die "Neue
                         freie Presse" habe ich nicht
                     gelesen.) —  
                
                Ich las einen Dichter, von
                     dem ich aus meiner
                    
                    
                    Jugend außerordentliche
                     Erinnerungen an gedrängte
                     Formkunst hatte:
                    Corneille.
                     Höchste Enttäuschung. Ich
                     fand nur eine sehr stark
                     entwickelte Willenskraft,
                     die sich aber an zeitlich sehr 
                     vergangen, menschlich nicht
                     wichtigen und aufgeblasenen
                     Dingen betätigt. Schlief
                     mehrmals dabei ein. Zweimal
                     bei dem berühmten "Cid". Man
                     denkt an.... nun an allerlei
                     Schönes, Phantastisches, feuerluftig
                     Erfundenes. Und dann?Gar nicht!
                     Ein Hofduell._ Etc. — 
                     Während der letzten Wochen
                     wieder Faust II ganz gelesen.
                     Sorgfältig. Stück für Stück.
                      Von höchstem Wert wäre
                     für mich, was Sie  für Ihre
                        
                        
                        eigene Person vom  Faust II
                     denken und empfinden, zu
                     kommen. Ich möchte diesmal
                     nur fragen. Aber diese Frage darf
                     ich einmal stellen, nicht wahr? — 
                
                 Lieber Ferruccio, mein
                     einziger Helfer in den
                     paar Dingen, die ein Mensch
                     in seinem Leben zu vollbringen
                     hat, Freund, Berater, gütig
                     Abwartender – und Helfer
                     einzig schon durch Ihre Anwesenheit auf der Erde. 
                
                
             
                                                     | 
                                                    
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
                <note type="shelfmark" resp="#archive" place="top-left">
                    <subst><del rend="strikethrough">Mus.ep.L.Rubiner 19
                            <lb/>(Busoni-Nachl. <handShift new="#archive_red"/> B II<handShift new="#archive"/>)</del><add place="margin-left" rend="rotate(-90)">Mus. Nachl. F. Busoni B II, 4278</add></subst>
                </note>
                <opener>
                    <dateline> Donnerstag, d. <date rend="align(right)" when-iso="1918-04-17">
                        17.IV. </date> , </dateline>
                    <placeName rend="align(right)" key="E0500447"> Muralto-Locarno, Villa Rossa </placeName>.
                    <note type="pagination" place="margin-right" resp="#archive"><lb/>[1]</note>
                    <salute> Carissimo Amico, <lb/>Carino!</salute>
                </opener>
                <p type="pre-split">Wäre ich recht briefschreibe 
                    <lb break="no"/>fähig, so hätte ich längst geschrie
                    <lb break="no"/>ben. Ihr gestriger Brief
                    <note type="commentary" resp="#E0300410"> Dieser Brief ist nicht überliefert.</note> war
                    <lb/>mir – wie seltsamerweise 
                    <lb/>immer und immer – ein mächtiges
                    <lb/>Sprungbrett, um aus tiefen 
                    <lb/>Depressionen (die übrigens mich
                    <lb/>eigentümlicherweise <choice><orig>garnicht</orig><reg>gar nicht</reg></choice> 
                    <lb/>in der Arbeit stören) zu etwas
                    <lb/>menschlicheren Empfindungen 
                    <lb/>zu kommen. [Meine Arbeit <note type="commentary" resp="#E0300411">Vermutlich handelt es sich
                        hierbei um das Drama <title key="E0400316">Die Gewaltlosen</title>, welches
                        1917-1918 entstand. </note>
                    <lb/>lässt mich in der Tat das 
                    <lb/>Ende schon sehen. Die grö<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ten
                    <lb/>selbst geschaffenen Schwierigkeiten
                    <note type="stamp" place="center" resp="#dsb_st_red">
                        <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                            <lb/>Staatsbibliothek
                            <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
                        </stamp>
                    </note>
                    
                    </p></div> 
                                                             | 
                                                
                                                
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                                                          2Faksimile 
                                                     | 
                                                    
                                                          2Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                                                            2
                    sind überwunden – so oder so.
                     Das Ende seh ich, doch ist es
                     noch nicht da. Manchmal
                     recht verzweifelt, dass es mir
                     nicht mehr möglich sein wird,
                     den Abschluss hier zu machen.
                     Doch muss ich mich abfinden. 
                     Das Werk wird entweder 
                     nach fünfzig Jahren etwa
                     seine Geltung u.
                     seinen vollen Glanz haben,
                     oder es ist es der grösste Dreck,  den je einer geschrieben hat.] 
                     Was täte ich, wenn ich Sie
                     nicht hätte! Der einzige Trost, 
                     der einzige wirkliche Menschenblick
                     unter all den männlichen Kitsch- gesichtern, unter Tigern oder
                     Affen, die heute die Erde
                     bevölkern. Was täte ich?
                     ich müsste völlig hilflos
                     umherschreien. Ach, noch nie
                     hat mir jemand so in
                     meinen wichtigsten Angele- 
                                                         
                                                     | 
                                                    
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"><note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">2</note>
                    sind überwunden – so oder so.
                    <lb/>Das Ende seh ich, doch ist es
                    <lb/>noch nicht da. Manchmal
                    <lb/>recht verzweifelt, dass es mir
                    <lb/>nicht mehr möglich sein wird,
                    <lb/>den Abschluss hier zu machen.
                    <lb/>Doch muss ich mich abfinden. 
                    <lb/>Das Werk wird entweder 
                    <lb/>nach fünfzig Jahren etwa
                    <lb/><seg rend="align(left) underline">seine Geltung <choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice></seg>
                    <lb/>seinen vollen Glanz haben,
                    <lb/>oder es ist es der grö<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>te Dreck, <lb/>den je einer geschrieben hat.] 
                    <lb/>Was täte ich, wenn ich <hi rend="underline">Sie</hi>
                    <lb/>nicht hätte! Der einzige Trost, 
                    <lb/><seg rend="align(left) underline">der einzige wirkliche Menschenblick</seg>
                    <lb/>unter <hi rend="sub">all</hi> den männlichen Kitsch
                    <lb break="no"/>gesichtern, unter Tigern oder
                    <lb/>Affen, die heute die Erde
                    <lb/>bevölkern. Was täte ich?
                    <lb/><choice><orig>i</orig><reg>I</reg></choice>ch müsste völlig hilflos
                    <lb/>umherschreien. Ach, noch nie
                    <lb/>hat mir jemand so in
                    <lb/>meinen wichtigsten Angele
                    
                    </p></div> 
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                                                          3Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                                                            3
                    genheiten geholfen wie 
                     Sie – mit unmerklichem Rat, 
                     Andeutung, Zurückhalten, An- treiben – tiefstem Verständnis
                     aus eigenster, kostbarer Erfahrung,
                     die Sie mir einfach – und so
                     gütig –zur Verfügung stellen!(!)
                     Wo ist das schon dagewesen?!—
                 
                Lieder. Zwei Dinge
                     giebt es von denen ich von
                     früh auf einen natürlichen,
                     fast unüberwindlichen Abscheu
                     hatte und habe: Lieder und Reliefs.
                     Sollten Sie mich bekehren? Ich wäre
                     über diese Bereicherung nur froh! 
                     Aber angesehen von dieser so 
                     persönlich-privaten Einstellung: 
                     Ich begrüße, dass Sie denGoethe- schen Text komponiert haben. 
                     (Der "Schweizer Hugo Wolff" ist
                     gewiss einer, von den 60 auf ein
                     Schoeck
                                                                Beziehung Schoeck-Busoni-Wolf: Ferruccio Busoni: Briefe und Widmungen an Othmar Schoeck. In: Schweizerische
                        Musikzeitung, Nr. 106, 1966, S. 132–135.  gehen.)
                    
                     
                                                         
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                    genheiten geholfen wie 
                    <lb/>Sie – mit unmerklichem Rat, 
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                    <lb break="no"/>treiben – tiefstem Verständnis
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                </p>
                <p type="pre-split" rend="indent-first">Lieder. Zwei Dinge
                    <lb/><choice><orig>giebt</orig><reg>gibt</reg></choice> es von denen ich von
                    <lb/>früh auf einen natürlichen,
                    <lb/>fast unüberwindlichen Abscheu
                    <lb/>hatte und habe: Lieder und Reliefs.
                    <lb/>Sollten Sie mich bekehren? Ich wäre
                    <lb/>über diese Bereicherung nur froh! 
                    <lb/>Aber angesehen von dieser so 
                    <lb/>persönlich-privaten Einstellung: 
                    <lb/>Ich begrüße, dass <hi rend="underline">Sie</hi> den<persName key="E0300124">Goethe 
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                    <lb/>(Der "Schweizer <persName key="E0300498">Hugo Wol<choice><sic>ff</sic><corr>f</corr></choice></persName>" ist
                    <lb/>gewiss einer, von den 60 auf ein
                    <lb/><persName key="E0300141">Schoeck</persName>
                    <note type="commentary" resp="#E0300410">Beziehung <persName key="E0300141" type="automated" nymRef="Othmar Schoeck">Schoeck</persName>-<persName key="E0300017" type="automated" nymRef="Ferruccio Busoni">Busoni</persName>-<persName key="E0300498" type="automated" nymRef="Hugo Wolf">Wolf</persName>: <persName key="E0300017" type="automated" nymRef="Ferruccio Busoni">Ferruccio Busoni</persName>: Briefe und Widmungen an <persName key="E0300141" type="automated" nymRef="Othmar Schoeck">Othmar Schoeck</persName>. In: Schweizerische
                        Musikzeitung, Nr. 106, 1966, S. 132–135. </note> gehen.)
                    
                    </p></div> 
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                                                          4Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                    Nichts fände ich klüger und
                     richtiger, als Ihren Faust
                     sobald als möglich in Buch- form erscheinen zu lassen!
                     Sorgfältigst durchgesehener
                     und überprüfter Text voraus- gesetzt. Aber dann, so bald
                     es geht. Aber doch nicht etwa
                     bei Breitkopf und H.?!!!
                     Nein!
                                                                Das Libretto des Doktor Faust wurde erstmals 1924 in den "Weißen Blättern"
                        gedruckt, der Klavierauszug der Oper erschien erstmals 1926, herausgegeben von Busonis Schüler Philipp Jarnach, bei Breitkopf und Härtel.
                    Inselverlag oder Kurt
                        Wolff.
                     (Oder Cassirer.)– (Ich würde
                     allzugerne mit Ihnen über
                     die Stelle sprechen, wo Faust
                     die Natur anruft. Hier darf
                     in der Buchausgabe kein
                     Ton aus dem 18. Jhrhdrt. sein. 
                     Ich bin so vermessen, diesen
                     "Vorschlag" zu machen, weil
                     die Anrufung der Natur, als
                     ich sie hörte, noch nicht ganz
                     ausgeführt war. Meine
                    
                     
                                                         
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                    Nichts fände ich klüger und
                    <lb/>richtiger, als Ihren <title key="E0400218" rend="underline">Faust</title>
                    <lb/>sobald als möglich in Buch
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                    <lb/>Sorgfältigst durchgesehener
                    <lb/>und überprüfter Text voraus
                    <lb break="no"/>gesetzt. Aber dann, so bald
                    <lb/>es geht. Aber doch nicht etwa
                    <lb/>bei <orgName key="E0600002">Breitkopf und H.</orgName>?!!!
                    <lb/>Nein! <note type="commentary" resp="#E0300410">Das Libretto des <title key="E0400218">Doktor Faust</title> wurde erstmals 1924 in den <orgName key="E0600069">"Weißen Blättern"</orgName>
                        gedruckt, der Klavierauszug der Oper erschien erstmals 1926, herausgegeben von <persName key="E0300017" type="automated" nymRef="Ferruccio Busoni">Busonis</persName> Schüler <persName key="E0300376">Philipp Jarnach</persName>, bei <orgName key="E0600002">Breitkopf und Härtel</orgName>.</note>
                    <orgName key="E0600018">Inselverlag</orgName> oder <orgName key="E0600081"><persName key="E0300415">Kurt
                        Wolff</persName></orgName>.
                    <lb/>(Oder <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName>.)– (Ich würde
                    <lb/>allzugerne mit Ihnen über
                    <lb/>die Stelle sprechen, wo Faust
                    <lb/>die Natur anruft. Hier darf
                    <lb/>in der Buchausgabe kein
                    <lb/>Ton aus dem 18. <choice><orig>Jhrhdrt.</orig><reg>Jahrhundert</reg></choice> sein. 
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                    <lb/>ich sie hörte, noch nicht ganz
                    <lb/>ausgeführt war. Meine
                    
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                                                          5Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                                                                 B II, 4278 5
                    Frage hierbei war innerlich:
                     Meinen Sie wirklich die  Natur"
                    – oder meinen Sie nicht viel- mehr die unsterbliche
                     Schöpferkraft und Lebensbilde- kraft des  Menschen? Meinen
                     Sie – fragte ich mich – nicht
                     genau ausgedrückt –  "den
                    Menschen"(und sogar garnicht
                     die "Natur"!)? So verstand ich
                     diesen Monolog (auch im inneren
                     Zusammenhang mit der letzten
                     Scene, dem Jüngling). Und ich
                     nahm an, dass "Natur" für Sie,
                     in der Schnelligkeit mit der
                     Sie gerade diese wichtige und
                     schöne Scene nachträglich aus- gearbeitet hatten, nur ein
                     Verständigungswort sei, und
                     den Sie in Wahrheit anderes meinten.
                    
                    
                                                          
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"><note type="shelfmark" resp="#archive" place="left">B II, 4278</note>
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                                                          6Diplomatische Umschrift 
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                                                            6
                    Habe ich mich völlig geirrt?)
                     Ihr Faustbuch erscheinen zu
                     sehen, nicht für Subscribenten,
                     sondern für Viele, würde ja
                     nicht nur mir die grösste Freude
                     machen, sondern auch dem grossen,
                     grossen Kreise von Menschen, 
                     die genau und in Beherzigung,
                     auf Ihre geschriebenen und
                     gedruckten Worte warten!
                     Erschiene nur diese herrliche,
                     metaphysische Musikdichtung
                     doch bald! Und Sie ahnen
                     vielleicht garnicht, wie wunder- bar das auf die Leser wirken
                     wird!—
                 
                                                            
                                                                
                    Deutsche
                         Staatsbibliothek
                         Berlin
                    
                 
                                                             
                 Polemisches Musiklexikon
                                                                Das polemische Musiklexikon wurde nie fertiggestellt; einige Entwürfe befinden sich im
                        Busoni-Nachlass in der Staatsbibliothek Berlin.
                     ist ein ganz, ganz ausge- zeichneter Gedanke. Ich
                     rufe Bravo! Umso- 
                                                         
                                                     | 
                                                    
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"><note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">6</note>
                    Habe ich mich völlig geirrt?)
                    <lb/>Ihr Faustbuch erscheinen zu
                    <lb/>sehen, nicht für Subscribenten,
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                    <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
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                <p type="pre-split" rend="indent-first"><lb/><title key="E0400343">Polemisches Musiklexikon</title>
                    <note type="commentary" resp="#E0300411">Das polemische Musiklexikon wurde nie fertiggestellt; einige Entwürfe befinden sich im
                        <persName key="E0300017" type="automated" nymRef="Ferruccio Busoni">Busoni</persName>-Nachlass in der Staatsbibliothek Berlin.</note>
                    <lb/>ist ein ganz, ganz ausge
                    <lb break="no"/>zeichneter Gedanke. Ich
                    <lb/>rufe Bravo! Umso
                    
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                                                          7Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                    mehr, als ich schon seit
                     langem den Plan hatte, über
                     die wichtigsten Dinge des geistigen
                     Lebens ein "Neues Wörterbuch"
                                                                Es sind keine Quellen zu diesem Projekt
                        überliefert. 
                     herauszugeben. Dass nun Sie
                     mir von Ihrem Plan schreiben,
                     beweist, dass diese Dinge
                     heute Bedürfnis sind; und
                     zwar nicht grobes. Und da
                     es bei allen diesen Dingen ganz
                     ausserordentlich drauf an- kommt, wer sie macht, und
                     wer sie erlebt hat, so rufe
                     ich bei Ihnen: Bravo, bravissimo! 
                 Dass Ihres ein polemisches
                     Musiklexikon ist: bravissimo!!!
                     (Früher hiess es beim Musiklexikon
                     immer: Händel suche man in diesem
                     friedlichen Buche nicht!
                    
                    ——
                 
                In der Tat haben Sie es
                    
                     
                                                         
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                    <lb/>herauszugeben. Dass nun Sie
                    <lb/>mir von Ihrem Plan schreiben,
                    <lb/>beweist, dass diese Dinge
                    <lb/>heute Bedürfnis sind; und
                    <lb/>zwar nicht grobes. Und da
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                    <lb/>au<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erordentlich drauf an
                    <lb break="no"/>kommt, wer sie macht, und
                    <lb/>wer sie <hi rend="underline">erlebt</hi> hat, so rufe
                    <lb/>ich bei Ihnen: Bravo, bravissimo!</p>
                <p rend="indent-first"><lb/>Dass Ihres ein <title key="E0400343"><hi rend="underline">polemisches</hi>
                    <lb/>Musiklexikon</title> ist: bravissimo!!!
                    <lb/>(Früher hie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> es beim Musiklexikon
                    <lb/>immer: <persName key="E0300302">Händel</persName> suche man in diesem
                    <lb/>friedlichen Buche nicht!
                    <!-- Händel in Musiklexika d. 19. Jhdt? -->
                    <milestone unit="section" style="—" rend="inline"/><milestone unit="section" style="—" rend="inline"/>
                </p>
                <p type="pre-split" rend="indent-first">In der Tat haben Sie es
                    
                    </p></div> 
                                                             | 
                                                
                                                
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                                                          8Diplomatische Umschrift 
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                    ganz genau ausgesprochen:
                     Van de Velde, Maeterlinck,
                     Debussy: Style floréal! 
                     Von diesem scheint mir, obwohl
                     er das schlimmste gemacht hat,
                     Van de Velde am wertvollsten
                     zu sein. Weil er – ja weil er
                     unbescheiden immer nach
                     dem Höchsten griff. Ich glaube,
                     der Mann ist ein reinlicher
                     Charakter (Kenne ihn nicht per- sönlich). Mir heute völlig uner- träglich: Maeterlinck. Mir
                     völlig, völlig widerwärtig wie
                     Honigersatz mit :
                     Debussy. Es stimmt. Alle drei
                     Jugendstil. Und beim Fall
                     Debussy etwas Komisches. Der
                     Mann hat doch die Franzosen
                     vonWagner befreien wollen.
                     Dabei hat er Ihnen den
                    
                     
                                                         
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"><note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">8</note>
                    ganz genau ausgesprochen:
                    <lb/><persName key="E0300413">Van de Velde</persName>, <persName key="E0300027">Maeterlinck</persName>,
                    <lb/><persName key="E0300021">Debussy</persName>: Style floréal! 
                    <lb/>Von diesem scheint mir, obwohl
                    <lb/>er das <hi rend="underline">schlimmste</hi> gemacht hat,
                    <lb/><persName key="E0300413">Van de Velde</persName> am <hi rend="underline">wertvollsten</hi>
                    <lb/>zu sein. Weil er – ja weil er
                    <lb/>unbescheiden immer nach
                    <lb/>dem Höchsten griff. Ich glaube,
                    <lb/>der Mann ist ein reinlicher
                    <lb/>Charakter (Kenne ihn nicht per
                    <lb break="no"/>sönlich). Mir heute völlig uner
                    <lb break="no"/>träglich: <persName key="E0300027">Maeterlinck</persName>. Mir
                    <lb/>völlig, völlig widerwärtig wie
                    <lb/>Honigersatz mit :
                    <lb/><persName key="E0300021">Debussy</persName>. Es stimmt. Alle drei
                    <lb/>Jugendstil. Und beim Fall
                    <lb/><persName key="E0300021">Debussy</persName> etwas Komisches. Der
                    <lb/>Mann hat doch die Franzosen
                    <lb/>von<persName key="E0300006">Wagner</persName> befreien wollen.
                    <lb/>Dabei hat er Ihnen den
                    
                    </p></div> 
                                                             | 
                                                
                                                
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                                                          9Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                                                                 B II, 4278 9
                    richtigen, französischen  Wagner
                    gemacht. Genau das  Wagneri- schte, was man sich denken
                     kann, nur in französischer
                     Sprache. Denn beim  Wagnerianer- tum kommt es ja garnicht 
                     auf das Leitmotiv und dergleichen
                     Äusserlichkeit an, sondern 
                     auf die entsetzliche Vernünftig- keit, die, statt zu produzieren
                     und zu erfinden, nur erklärt.
                  Übrigens rechne ich zum
                     Jugendstil unbedingt R. Strauss.
                     Und, ohne dass ich gerade style
                     floréal zu sagen wage, gehört
                     (für mein Empfinden) zu den
                     Maeterlinck-Debussy-Uner
                     träglichen auch der so sehr viel bedeutendere
                     Rodin. Und noch einiges
                     aus neuerer – und älterer Zeit. 
                                                            — 
                                                            
                                                                
                    Deutsche
                         Staatsbibliothek
                         Berlin
                    
                 
                                                             
                 Nein, die Leute, die ich hier
                    
                     
                                                         
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"><note type="shelfmark" resp="#archive" place="left">B II, 4278</note>
                    <note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">9</note>
                    richtigen, französischen <persName key="E0300006">Wagner</persName>
                    <lb/>gemacht. Genau das <persName key="E0300006" type="automated" nymRef="Richard Wagner">Wagner</persName>i
                    <lb break="no"/>schte, was man sich denken
                    <lb/>kann, nur in französischer
                    <lb/>Sprache. Denn beim <persName key="E0300006" type="automated" nymRef="Richard Wagner">Wagner</persName>ianer
                    <lb break="no"/>tum kommt es ja <choice><orig>garnicht</orig><reg>gar nicht</reg></choice> 
                    <lb/>auf das Leitmotiv und dergleichen
                    <lb/>Äu<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erlichkeit an, sondern 
                    <lb/>auf die entsetzliche Vernünftig
                    <lb break="no"/>keit, die, statt zu produzieren
                    <lb/>und zu erfinden, nur erklärt.</p>
                <p rend="indent-first"><lb/>Übrigens rechne ich zum
                    <lb/>Jugendstil unbedingt <persName key="E0300022">R. Strauss</persName>.
                    <lb/>Und, ohne dass ich gerade style
                    <lb/>floréal zu sagen wage, gehört
                    <lb/>(für mein Empfinden) zu den
                    <lb/><persName key="E0300027">Maeterlinck</persName>-<persName key="E0300021">Debussy</persName>-Uner
                    <lb/>träglichen auch der <hi rend="sup">so sehr viel</hi> bedeutendere
                    <lb/><persName key="E0300409">Rodin</persName>. Und noch einiges
                    <lb/>aus neuerer – und älterer Zeit.</p><milestone unit="section" style="—" rend="align(center)" n="2"/>
                <note type="stamp" place="inline" resp="#dsb_st_red">
                    <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                        <lb/>Staatsbibliothek
                        <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
                    </stamp>
                </note>
                <p type="pre-split" rend="indent-first"><lb/>Nein, die Leute, die ich hier
                    
                    </p></div> 
                                                             | 
                                                
                                                
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                                                          10Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                    sehe, lenken mich nicht
                     mehr ab, schon lange nicht
                     mehr. Es sind alles nur
                     Kitsch- Tiger- oder Affengesichter.
                     Dächte ich, allen Ernstes
                     gesagt, nicht oft an Sie,
                     müsste ich verzweifeln.
                     Diese Stimmung wird
                     verstärkt durch die Nach- richt von zwei Selbstmorden,
                     die mir zukam. Der eine Fall
                     in München , eine Person, die
                     ich sehr hoch schätzte. Der
                     andere Fall  , mir näher, einer
                     meiner wenigen Freunde, in
                     Zürich; der sandte mir seinen
                     letzten Brief, bevor er den
                     Gashahn aufdrehte, und ich
                     bekam diesen Brief beinahe
                     eine Woche nach seinem
                    
                     
                                                         
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"><note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">10</note>
                    sehe, lenken mich nicht
                    <lb/>mehr ab, schon lange nicht
                    <lb/>mehr. Es sind alles nur
                    <lb/>Kitsch- Tiger- oder Affengesichter.
                    <lb/>Dächte ich, allen Ernstes
                    <lb/>gesagt, nicht oft an Sie,
                    <lb/>müsste ich verzweifeln.
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                    <lb/>andere Fall  , mir näher, einer
                    <lb/>meiner wenigen Freunde, in
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                    <lb/>bekam diesen Brief beinahe
                    <lb/>eine Woche nach seinem
                    
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                                                          11Diplomatische Umschrift 
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                                                            11
                    Tode in die Hände, mit schrecklichen
                     Witzen drin. Das war vor
                     ca. 14 Tagen. (Eigentümlicher- weise lief daneben meine
                     Arbeit weiter. Nur, wenn ich
                     vom Schreibtisch aufstand,
                     zerrte es an mir entsetzlich,
                     Tag und Nacht. Es ist aber
                     schrecklich, wie man dann
                     mit den Gedanken über
                     Selbstmord Zwiesprache hält,
                     als ob der Tote noch lebe und
                     die andere Person wäre. Ich
                     wehre mich ja ausserordentlich
                     gegen diese Zumutung, gehe
                     ihr nur manchmal hypo- thetisch nach, wenn mir der
                     Ausdruck in der Arbeit stockt
                     und ich retrospektiv alles schlecht
                     finde, und mich wertlos. Bin ich mit dieser
                     Arbeit einmal (wann?) fertig
                     und lebe noch, so möchte
                    
                     
                                                         
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"><note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">11</note>
                    Tode in die Hände, mit schrecklichen
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                                                          12Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                                                            12
                    ich dann doch gern etwas Neues
                     schreiben, das garnicht mehr
                     schwebt, sondern ganz und
                     gar auf der Erde steht.
                     Vielleicht schützt das auch
                     etwas gegen das Böse.)—
                 
                Sehr lange sah ich den Dr. H. Huber
                     nicht. (Den ich ja auch sonst nur
                     maximal 4 3/7 Minuten vorbeiplaudern
                     sah.) Wenn Gott die Erde noch
                     einmal macht und den Menschen
                     die Berufe nach ihrem innersten
                     Charakter zuerteilt, dann möchte
                     ich mich wohl an einem schwer
                     erträglichen Tage von Dr. Huber einseifen
                     und rasieren lassen. Erfrischt ginge
                     man unter seiner flinken Hand
                     ins Paradies.—
                 
                                                            
                                                                
                    Deutsche
                         Staatsbibliothek
                         Berlin
                    
                 
                                                             
                Hier, wie in Genf und in Zürich:
                     Nebel, Regen, Kälte. Nur die
                     Arbeit hält mich zurück,
                     aber das muss, leider auch
                     bald sein Ende nehmen, aus
                    
                     
                                                         
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                    ich dann doch gern etwas Neues
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                    <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                        <lb/>Staatsbibliothek
                        <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
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                                                          13Diplomatische Umschrift 
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                                                                 B II, 4278 13
                    normalen Gründen. —
                
                Mit Stefan Zweig stand ich
                     nicht
                    besonders gut, weil ich
                     ihn für einen Allerwelts- Lauwarmen hielt. Nun las 
                     ich aber in der Frankfurter
                         Zeitung eine Kritik über ihn,
                     die das Gemeinste an Beschim- pfung (ausserhalb der Künstle- rischen Grenzen)  und an
                     persönlicher Verdächtigung
                     war.  Dies bewog mich, ihm
                     zu schreiben, und ihm meine
                     Parteinahme und Achtung für
                     seine Person auszudrücken, und
                     er antwortete mir in einem sehr
                     anständigen Brief. 
                                                                Auch Busoni korrespondierte mit Stefan Zweig; Teile dieses Briefwechsels werden im Busoni-Nachlass in der Staatsbibliothek Berlin verwahrt.
                    (Die "Neue
                         freie Presse" habe ich nicht
                     gelesen.)— 
                 
                                                            
                                                                
                    Deutsche
                         Staatsbibliothek
                         Berlin
                    
                 
                                                             
                Ich las einen Dichter, von
                     dem ich aus meiner
                    
                     
                                                         
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"><note type="shelfmark" resp="#archive" place="left">B II, 4278</note>
                    <note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">13</note>
                    normalen Gründen.<milestone unit="section" style="—" rend="inline"/>
                </p>
                <p rend="indent-first">Mit <persName key="E0300204">Stefan Zweig</persName> stand ich
                    <lb/>nicht
                    besonders gut, weil ich
                    <lb/>ihn für einen Allerwelts
                    <lb break="no"/>Lauwarmen hielt. Nun las 
                    <lb/>ich aber in der <orgName key="E0600070">Frankfurter
                        <lb/>Zeitung</orgName> eine Kritik über ihn,
                    <lb/>die das Gemeinste an Beschim
                    <lb break="no"/>pfung (au<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erhalb der Künstle
                    <lb break="no"/>rischen Grenzen) <hi rend="strikethrough"/> und an
                    <lb/>persönlicher <hi rend="underline">Verdächtigung</hi>
                    <lb/>war. <!-- Findet man den Artikel? --> Dies bewog mich, ihm
                    <lb/>zu schreiben, und ihm meine
                    <lb/>Parteinahme und Achtung für
                    <lb/>seine Person auszudrücken, und
                    <lb/>er antwortete mir in einem sehr
                    <lb/>anständigen Brief. <!-- Briefwechsel Rubiner-Zweig?--> 
                    <note type="commentary" resp="#E0300411">Auch <persName key="E0300017" type="automated" nymRef="Ferruccio Busoni">Busoni</persName> korrespondierte mit <persName key="E0300204" type="automated" nymRef="Stefan Zweig">Stefan Zweig</persName>; Teile dieses Briefwechsels werden im <persName key="E0300017" type="automated" nymRef="Ferruccio Busoni">Busoni</persName>-Nachlass in der Staatsbibliothek Berlin verwahrt.</note>
                    (Die "<orgName key="E0600035">Neue
                        <lb/>freie Presse</orgName>" habe ich nicht
                    <lb/>gelesen.)<milestone unit="section" style="—" rend="inline"/> 
                </p>
                <note type="stamp" place="inline" resp="#dsb_st_red">
                    <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                        <lb/>Staatsbibliothek
                        <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
                    </stamp>
                </note>
                <p type="pre-split">Ich las einen Dichter, von
                    <lb/>dem ich aus meiner
                    
                    </p></div> 
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                                                          14Diplomatische Umschrift 
                                                     | 
                                                    
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                                                            14
                    Jugend ausserordentliche
                     Erinnerungen an gedrängte
                     Formkunst hatte:
                    Corneille.
                     Höchste Enttäuschung. Ich
                     fand nur eine sehr stark
                     entwickelte Willenskraft,
                     die sich aber an zeitlich sehr 
                     vergangen, menschlich nicht
                     wichtigen und aufgeblasenen
                     Dingen betätigt. Schlief
                     mehrmals dabei ein. Zweimal
                     bei dem berühmten "Cid". Man
                     denkt an.... nun an allerlei
                     Schönes, Phantastisches, feuerluftig
                     Erfundenes. Und dann?Garnicht!
                     Ein Hofduell._ Etc.—
                     Während der letzten Wochen
                     wiederFaust II ganz gelesen.
                     Sorgfältig. Stück für Stück.
                     Von höchstem Wert wäre
                     für mich, was Sie für Ihre
                        
                         
                                                         
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"><note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">14</note>
                    Jugend au<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erordentliche
                    <lb/>Erinnerungen an gedrängte
                    <lb/>Formkunst hatte:
                    <persName key="E0300414">Corneille</persName>.
                    <lb/>Höchste Enttäuschung. Ich
                    <lb/>fand nur eine sehr stark
                    <lb/>entwickelte Willenskraft,
                    <lb/>die sich aber an zeitlich sehr 
                    <lb/>vergangen, menschlich nicht
                    <lb/>wichtigen und aufgeblasenen
                    <lb/>Dingen betätigt. Schlief
                    <lb/>mehrmals dabei ein. Zweimal
                    <lb/>bei dem berühmten <title key="E0400344">"Cid"</title>. Man
                    <lb/>denkt an.... nun an allerlei
                    <lb/>Schönes, Phantastisches, feuerluftig
                    <lb/>Erfundenes. Und dann?<choice><orig>Garnicht</orig><reg>Gar nicht</reg></choice>!
                    <lb/>Ein Hofduell._ Etc.<milestone unit="section" style="—" rend="inline"/>
                    <lb/>Während der letzten Wochen
                    <lb/>wieder<title key="E0400107">Faust II</title> ganz gelesen.
                    <lb/>Sorgfältig. Stück für Stück.
                    <lb/><seg rend="indent-first">Von höchstem Wert wäre</seg>
                    <lb/>für mich, was Sie <hi type="pre-split" rend="underline2">für Ihre
                        
                        </hi></p></div> 
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                                                          15Diplomatische Umschrift 
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                        eigene Person vom Faust II
                     denken und empfinden, zu
                     kommen. Ich möchte diesmal
                     nur fragen. Aber diese Frage darf
                     ich einmal stellen, nicht wahr?—
                 
                 Lieber Ferruccio, mein
                     einziger Helfer in den
                     paar Dingen, die ein Mensch
                     in seinem Leben zu vollbringen
                     hat, Freund, Berater, gütig
                     Abwartender – und Helfer
                     einzig schon durch Ihre An- wesenheit auf der Erde. 
                
                 
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"><hi rend="underline2" type="split"><note type="pagination" resp="#unknown_hand" place="top-right">15</note>
                        eigene</hi> Person vom <title key="E0400107">Faust II</title>
                    <lb/>denken und empfinden, zu
                    <lb/>kommen. Ich möchte diesmal
                    <lb/>nur fragen. Aber diese Frage darf
                    <lb/>ich einmal stellen, nicht wahr?<milestone unit="section" style="—" rend="inline"/>
                </p>
                <p rend="indent-first"><lb/>Lieber <persName key="E0300017">Ferruccio</persName>, mein
                    <lb/>einziger Helfer in den
                    <lb/>paar Dingen, die ein Mensch
                    <lb/>in seinem Leben zu vollbringen
                    <lb/>hat, Freund, Berater, gütig
                    <lb/>Abwartender – und Helfer
                    <lb/>einzig schon durch Ihre An
                    <lb break="no"/>wesenheit auf der Erde.</p>
                <closer>
                    <salute> Seien Sie umarmt von Ihrem </salute>
                    <signed rend="indent-first">
                        <persName key="E0300126">Ludwig Rubiner.</persName>
                    </signed>
                </closer>
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                                                          16Diplomatische Umschrift 
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                    Deutsche
                         Staatsbibliothek
                         Berlin
                    
                 
                                                             
             
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                    <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                        <lb/>Staatsbibliothek
                        <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
                    </stamp>
                </note>
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                                                          17Diplomatische Umschrift 
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                                <addrLine>Monsieur <persName key="E0300017">Ferruccio Busoni</persName></addrLine>
                                <addrLine>aux vous soins de <persName key="E0300412">Mmme Jeanne Blumer</persName></addrLine>
                                <addrLine rend="align(right)"><placeName key="E0500219">Genève</placeName></addrLine>
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                                                          18Diplomatische Umschrift 
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                                Deutsche
                                     Staatsbibliothek Berlin
                                
                             
                                                             
                                                            
                                
                                        Nachlaß Busoni B II 
                                         Mus.ep. L. Rubiner 19
                                    Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4264- Beil.
                             17 April 1918 
                                                     | 
                                                    
                                                            
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                                <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                                    <lb/>Staatsbibliothek<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
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                                                                <note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="shelfmark" place="right" resp="#archive">
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                                        <stamp resp="#sbb_st_blue">Nachlaß Busoni <handShift new="#archive_red"/>B II</stamp>
                                        <lb/><handShift new="#archive"/>Mus.ep. L. Rubiner 19
                                    </del><add place="below" rend="align(right)">Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4264-<lb/>Beil.</add></subst>
                            </note>
                                                                <note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="annotation" place="right" resp="#gerda.busoni"><date xml:id="gerda_date" when-iso="1918-04-17">17 April<lb/>1918</date></note>
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