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Berlin, d. 15. März 1919
Mus.ep. L. Rubiner 30
(Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4289
Lieber!
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Dieser Brief wartet mit einigen Überraschungen
auf.
Die erste ist, dass meine Adresse nun lautet:
Berlin W.30. Viktoria Luiseplatz 11 IV.
Dass ich in Ihrem grossen Zimmer bei der Arbeit
sitze, und dass Emma Fital soeben im Nebenzimmer
denkbar peinlich rein macht. —
Bald nachdem ich Rita wieder gesehen hatte, schien
es dieser (ernstlich ganz ausserordentlichen) Ver- walterin Ihres Haushaltes während Ihrer Abwesen- heit
Angesichts der immer bedrohlicheren internationalen Lage floh Busoni im Oktober 1915 in die Schweiz, genauer gesagt in die Züricher Scheuchzerstraße. Nachdem der Krieg im November 1918 beendet war, nahm Busoni seine internationale Konzerttätigkeit wieder auf. Erst im September 1920 kam er zurück an den Viktoria-Luise-Platz, um eine Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste zu unterrichten.
– und schien es auch mir – aus mehreren
Gründen am besten zu sein, wenn ich in Ihre
Wohnung zöge, bis auf Weiteres, das heisst: bis
auf Ihre hoffentlich baldige Wiederkunft, oder
bis auf Ihr Veto. – Ich tat dies zunächst ohne
Bedenken, weil Sie selbst mir in Zürich die Schwierig- keiten als mehr berlinischer Art und vor allem
durch Rita zu entscheiden dargelegt hatten. Die
drei Gründe waren: 1.) der persönliche Grund:
Dass Ihre Wohnung der herrlichste Arbeits- platz von der Welt ist, voll von Wundern,
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Lieber!
Dieser Brief wartet mit einigen Überraschungen
auf.
Die erste ist, dass meine Adresse nun lautet:
Berlin W.30. Viktoria Luiseplatz 11 IV.
Dass ich in Ihrem großen Zimmer bei der Arbeit
sitze, und dass Emma Fital soeben im Nebenzimmer
denkbar peinlich rein macht. —
Bald nachdem ich Rita wieder gesehen hatte, schien
es dieser (ernstlich ganz außerordentlichen) Verwalterin Ihres Haushaltes während Ihrer Abwesenheit
Angesichts der immer bedrohlicheren internationalen Lage floh Busoni im Oktober 1915 in die Schweiz, genauer gesagt in die Züricher Scheuchzerstraße. Nachdem der Krieg im November 1918 beendet war, nahm Busoni seine internationale Konzerttätigkeit wieder auf. Erst im September 1920 kam er zurück an den Viktoria-Luise-Platz, um eine Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste zu unterrichten.
– und schien es auch mir – aus mehreren
Gründen am besten zu sein, wenn ich in Ihre
Wohnung zöge, bis auf Weiteres, das heißt: bis
auf Ihre hoffentlich baldige Wiederkunft, oder
bis auf Ihr Veto. – Ich tat dies zunächst ohne
Bedenken, weil Sie selbst mir in Zürich die Schwierigkeiten als mehr berlinischer Art und vor allem
durch Rita zu entscheiden dargelegt hatten. Die
drei Gründe waren: Erstens, der persönliche Grund:
Dass Ihre Wohnung der herrlichste Arbeitsplatz von der Welt ist, voll von Wundern,
draußen vor den Fenstern, wobei immer wieder
das Merkwürdigste von allen die Kuppel der
peterskirchlichen Gasanstalt der Augsburger Straße
1895 wurde im östlichen Abschnitt der Augsburger Straße (heute Fuggerstraße) ein 81.000 Kubikmeter umfassender Gasbehälter errichtet. Dieser wurde 1944 im Zweiten Weltkrieg zerstört und Anfang der 1950er Jahre abgerissen.
ist. Die Wohnung ist überhaupt merkwürdig. Ich
wohnte erst im Hotel, dann bei Bekannten, äußerst
traurig, so dass es nichts mit der Arbeit war
und ich krank wurde. Kaum zog ich endlich
(nach sorgfältigster Vorbereitung durch
Rita
und Emma) in Ihre Wohnung, wurde ich gesund
und arbeitete drauf los. – Der zweite Grund: Im Hause
(wie auch in Ihrer Wohnung, dort glücklicherweise
ergebnislos) war mehrmals eingebrochen worden.
Alle Beteiligten atmeten auf, als sie hörten, es
bestehe die Möglichkeit, dass ein (zuverlässiges) männliches Individuum sich in der Wohnung
aufhalten werde. Drittens: Es besteht die Möglichkeit,
sogar die Wahrscheinlichkeit, dass in nächster
Zeit schon große Wohnungen, vor allem solche,
von denen mehrere Räume leer stehen, an
obdachlose Familien aufgeteilt werden.
Das Deutsche Reich sah sich bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert mit einem zunehmenden Wohnungsnotstand konfrontiert. Mit der Weimarer Republik setzte ein grundlegendes Verständnis der Notwendigkeit staatlicher Interventionen hinsichtlich des Wohnungsmarktes ein, weshalb Maßnahmen im Bereich Mieterschutz, Mietpreisregelung und öffentliche Wohnraumbewirtschaftung getroffen wurden. Im Artikel 155 der Weimarer Verfassung heißt es beispielsweise: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Art und Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern.“
Und so
halte ich die jetzige Kombination (wie Rita
auch) für eine ausgezeichnete Fürsorge – da man
ja nicht wissen kann, ob nicht der gerade
zufällige Dezernent über das betroffene Viertel
böswillig ist, oder schlecht geschlafen hat, oder
irgendetwas dergleichen, z. B. nationalwahnsinnig.
Ich jedenfalls glaube, die Dinge sichern zu können. —
In Zürich haben Sie mir merkwürdig richtig prophezeit.
Abgeraten vom Journalismus und angedeutet eine Existenz,
die nicht von der Produktion des Talents abhänge. Ich, sonst
ein sehr schlechter Boden für Lebensregeln, bin doch diesem
Rat, der starken Eindruck auf mich machte, gefolgt. Ich fand,
dass meine Angelegenheiten sich so wendeten, dass ich als geistiger Leiter in einem großen Verlag eintrat, und zwar mit einem
so hohen Honorar, wie es wohl selten ein deutscher Schriftsteller für eine solche freie Tätigkeit je bekommen hat. Materiell geht es mir
also gut! (Ich hoffe, dass Sie ein solches Wort
in allen Briefen, die Freunde von irgendeinem
Punkte der Welt an Sie schreiben, antreffen
könnten!) Ich schreibe Ihnen das – so unwichtig es für die Hauptdinge
ist – weil ich weiß, dass es Sie erfreuen wird. —
Die Geschichte, wie ich Leiter dieses Verlages wurde,
ist aber wiederum seltsam. Ich suchte den
Verlag Cassirer auf. Und da erlebte ich den
aller, aller allerschlechtesten Eindruck, den ein
Mensch in der Welt bekommen kann. Mir
wurde sofort klar, dass wir in der Schweiz
alle ganz ungenügend unterrichtet waren.
Erstens ist der Verlag
Cassirer ein politischer
Verlag. Er bekommt seine Druckaufträge zum Teil von
der Regierung, die sie nur des Buchhandels wegen
mit der Marke dieses Verlages herausgeben ließ.
Zweitens aber ist er ein noch politischerer
Verlag insofern, als er auch noch der
geistige Unterstützungsverlag der sogenannten
„Unabhängigen sozialistischen Partei“
Gemeint ist die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD), die in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs aus der Spaltung der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (SPD) aufgrund von Meinungsunterschieden hinsichtlich der Kriegskredite hervorging. Um die Abgrenzung von der USPD zu betonen, bezeichnete sich die SPD als „Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands“ (MSPD).
ist, und er ist also
ein politischer Parteiverlag, dermaßen, dass alles
was heute (wo die Regierung die diesbezüglichen Druckaufträge voraussichtlich nicht mehr geben
wird, d.h. die mehrheitssozialistische Regierung)
im Verlage Cassirer erscheint, automatisch als
zugehörig zur „U.S.P.“ (unabhängigen sozialistischen Partei)
gerechnet wird. So blüte mir die unerbetene
Überraschung, gerade an dem Tage, als ich nach
Berlin kam,
Am 30. Januar 1918 kehrt Rubiner über München zurück nach Berlin, nachdem der gebürtige Berliner 1915 als radikaler Kriegsgegner in die Schweiz geflüchtet ist.
große Teile meines Voltaire-Aufsatzes
aus den „Weißen Blättern“
Rubiners Artikel Der Dichter Voltaire erschien 1919 in den Weißen Blättern. Diesen wird er im gleichen Jahr noch im ersten Band seiner und Frida Ichaks Übersetzungen von Voltaires Romanen und Erzählungen als Vorwort veröffentlichen.
ohne meine Erlaubnis
abgedruckt zu finden in der Tageszeitung „Freiheit“,
dem Partei-Organ der Unabhängigen Sozialisten.
Die Tageszeitung Die Freiheit trug den Zusatz „Berliner Organ der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands“, und erschien von 1918 bis 1922 sowie erneut von 1928 bis 1931 (die USPD bestand ebenfalls bis 1931).
Mein Einspruch
wurde mit Befremden abgewiesen. Die „Weißen Blätter“
erschienen im Verlag Cassirer;
Von Februar 1919 bis Dezember 1920 wurden die Weißen Blätter vom Paul Cassirer Verlag in Berlin herausgegeben.
der Verlag Cassirer
sei Parteiverlag, und was da erschiene, könne
abgedruckt werden. – Nun gehöre ich erstens
dieser Partei nicht an (wie keiner Partei!), und zweitens, selbst wenn
ich ihr angehören wollte, müsste ich mir doch
das Recht wahren, dies nach meinem eigenen Willen
tun zu können, nicht aber auf Grund eines
schlechten und ausbeuterischen Verlagsvertrages
mechanisch als Glied dieser Partei zu gelten!
Dies war das eine im Verlage Cassirer. Das andere
aber war mein wiederholter Eindruck, dass
ein Autor, der im Verlage Cassirer erscheint,
zwar gelegentlich ein Honorar bekommt, aber
in der Tat zum Vergessen verurteilt ist. In
diesem Verlage ist keine Person, die etwas
von Büchern versteht, oder sich dafür interessiert. Cassirer ist politisch interessiert,
Paul Cassirer war bis 1915 überzeugt davon, dass der Krieg zur Verteidigung der deutschen Unabhängigkeit notwendig sei. So gründete er die wöchentlich erscheinende Zeitschrift Kriegszeit. Im darauffolgenden Jahr veränderte sich Cassirers Einstellung, sodass die Kriegszeit 1916 durch die neue Zeitschrift Der Bildermann, an der Leo Kestenberg beteiligt war, ersetzt wurde. Seit der Novemberrevolution gab Cassirer als Mitglied der USPD Schriften sozialistischer Politiker und marxistischer Theoretiker heraus.
er ist
seinem Talent nach ein Bilderhändler ersten
Ranges und beschäftigt sich mit dem Verlag
überhaupt nicht, er schiebt alles auf Kestenberg ab. Kestenberg ist lediglich für seine
Person interessiert, er gibt Musikunterricht,
er sitzt in der Volksbühne, er sitzt täglich
im Kultusministerium, und er macht auch
Fettflecke im Verlag Cassirer –
Leo Kestenberg war als überzeugter Sozialdemokrat vor allem kulturpolitisch engagiert. Er war musikalischer Leiter der Berliner Freien Volksbühne. Er setzte sich für die Demokratisierung der Künste ein und organisierte in diesem Rahmen zahlreiche künstlerische Veranstaltungen, beispielsweise Mittagskonzerte für die Arbeiterschaft. Seit 1916 war er durch die Kunstzeitschrift Der Bildermann mit dem Cassirer Verlag verbunden. Ab 1918 war er zudem als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Preußischen Kultusministerium aktiv. 1920 wurde er zum Referenten der Kunstabteilung berufen und leitete die Musikabteilung für Erziehung und Unterricht.
aber seine Tätigkeit besteht darin, seine Person möglichst gut
zu sichern. Er tut nichts und schiebt wiederum
alles ab auf einen Herrn Reif, den
engagierten Buchhändler des Verlages, der jung,
langsam, untätig und ungebildet ist wie alle
neueren Buchhändler. So kommt es, dass Sie in
den Buchhandlungen nur jene vier politischen
Schriften aus dem Verlag Cassirer sehen, die in
der Novemberrevolution
Die Novemberrevolution, die sich in der Endphase des Ersten Weltkriegs ereignete, führte das Deutsche Reich von einer konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarisch-demokratische Republik, genauer gesagt die Weimarer Republik.
die Regierung dort
herstellen ließ, und für deren Vertrieb und Propaganda wohl auch die Regierung selbst sorgte.
Von den Dichtungen des Verlages sieht man nichts,
von ihnen singt kein Lied, kein Heldenbuch.
Den allerschlechtesten Eindruck machte mir aber
Kestenbergs Verhalten, als ich ihn über Ihren
„Faust“ interpellierte. Er tat, als wisse er nichts! Er grunzte erst „Das interessiert mich!“ (Wie gütig: das interessierte ihn!)
Als ich aber ernst wurde und den Schwindel mit
der angeblichen Bestellung neuer Typen festnagelte,
wurde er unruhig und musste sich plötzlich von
Professor Gaul verabschieden, der sich in irgendeinem
Raume des Hauses aufhielt.
Da ich nun sicher bin, dass sich in
ernsten Angelegenheiten stets ein Gaul oder
ein anderer Esel im Hause befinden wird,
der gerade im passenden Moment die Dinge
nicht zur Klarheit kommen lassen wird, so
verließ ich das Haus mit dem Entschluss,
meine Beziehungen zum Verlage Cassirer
zu lösen. Diesen Entschluss führte ich dieser
Tage auch aus, sandte Cassirer das Geld,
das ich plötzlich, nach Monaten, von ihm
erhielt, zurück, und war ihm nur noch eine
Summe schuldig, die ich in der Schweiz
von ihm erhalten hatte. Sie können sich denken,
dass mich diese ganze Sache recht deprimiert
hatte. In dieser Stimmung traf ich mit dem
Verleger Kiepenheuer zusammen, über den
wiederum ich nicht richtig informiert gewesen
war, trotzdem ich den Voltaire für ihn
gemacht hatte. Der Verlag Kiepenheuer
hat nämlich nicht allein eine sehr große
Menge ausgezeichneter Bücher erscheinen
lassen, sondern auch das kostspielige
„Kunstblatt“
Das Kunstblatt wurde von 1917 bis 1933 vom Gustav Kiepenheuer Verlag herausgegeben. Die Leitidee „Das Kunstblatt will der werdenden Kunst dienen“ legt die Programmatik der Zeitschrift offen: Sie dient allen voran als Sprachrohr der zeitgenössischen Kunstströmungen.
eine Zeitschrift, die in glanzvollen Reproduktionen sich mit ältester,
mit exotischer, indischer, ägyptischer und
neuester Kunst beschäftigt, und vor allem
auch eine Reihe von ganz kostbaren Luxusdrucken. Kiepenheuer empfing mich, wie
der Legende nach in alten Zeiten Verleger
Künstler empfangen haben sollen: Alles Pekuniäre
war ihm selbstverständliche Nebensache, die ebenso
schnell wie klar – nach dem Wunsche des Autors! –
verlegt wurde. Die Hauptsache war ihm
ein reizender Empfang nach dem anderen,
ausgezeichnete Bewirtung und leicht fantastische
Diners. Kurz, ich fühlte mich im Paris der
Goncourt-Zeit,
Gemeint sind die Brüder Edmund (1822-1896) und Jules de Goncourt (1830-1870), die im Bereich des Romans als Führer der naturalistischen Schule gelten. Sie, die durch ihren Urgroßvater in den Adelsstand erhoben wurden, vertraten, gemeinsam mit Gustave Flaubert, die rechte, aristokratische literarische Strömung und Lebensweise.
in der ein Verleger es als
eine menschlich interessante Ehre betrachtet,
mit dem Autor kostspielig speisen zu dürfen.
Dabei erzählte ich dem Kiepenheuer meine
Unzufriedenheit mit Cassirer, setzte ihm
auseinander, worin die Sünden solcher Dinge
bestehen, sprach auch über Unterlassungen
seines Verlages mit ihm, und der Schluss war seine
Idee: Kommen Sie in meinen Verlag. Das nahm
ich an, denn erstens war ich nach den Erfahrungen
des Hauses Cassirer aufgeputscht und ich fühlte
das Bedürfnis, dass nun endlich ein Verlag da sei, der über große
Mittel verfüge, auf den man wirklichen Einfluss hat,
so dass kein Unsinn geschehe, dass nur
künstlerisch wertvolle Werke mit internationalem Weltgesicht erschienen, und dass man
für diese Werke „etwas tut“ – wie der Ausdruck
heißt. Nämlich dies ist doch der Sinn! Auch wenn
in den kommenden Jahren in der Welt
überall alles drunter und drüber geht, mit Hilfe
dieses Verlages – unabhängig von jeder Konjunktur
die Werke zu halten und durchzusetzen. – Andererseits sah ich auch in dieser Möglichkeit die
Lösung meiner eigenen finanziellen Fragen, da ja
der Eintritt in den Verlag unabhängig von meinen
Produktionen ist, und so besprochen wurde, dass
ich reiche Zeit und Kraft zu meiner eigenen Arbeit
behalte. Wiederum mit meinen Vorstellungen von einem modernen Verlage
war Kiepenheuer völlig einverstanden. –
Ich komme nun zu einem sehr wesentlichen
Punkte, der Sie betrifft.
Ich habe mir erlaubt Kiepenheuer das
Kestenberg–Cassirersche Verbrechen gegen Ihren
„Faust“ zu berichten.
Kiepenheuer wäre sehr froh, ich darf
sagen: glücklich! – in seinem Verlage
dieses Werk als vorbildlichen
Luxusdruck erscheinen zu lassen.
Busonis Doktor Faust wurde im Jahr 1920 vom Gustav Kiepenheuer Verlag in Potsdam herausgegeben.
Er betrachtet
es als selbstverständlich, das Honorar, das sie eventuell mit ihm vereinbaren
würden, zu zahlen, und außerdem die
Ablösung jener Summe, die Cassirer Ihnen
dafür gab, zu übernehmen! (Rita sagte
mir etwas von 3000 Schweizer Franken
Die Abküzrung geht vermutlich auf die französische (Franc suisse) oder italienische (Franco svizzero) Schreibweise zurück.
betreffend
Cassirer. Wenn
Ihnen das irgendwie passte, bitte natürlich genaue
Angaben.)
Ich, Ludwig Rubiner, übernehme die
moralische Garantie, dass der Luxusdruck
nicht nur sofort in Angriff genommen
wird, sondern auch nach Ihren Wünschen
ausgeführt.
Weiter bitte ich Sie: Haben Sie Lust, und
haben Sie so viel Vertrauen zu mir, dass
Sie diesem Verlage – unter der Garantie der
Aufsicht durch meine Person – für eine
wundervolle, international hochstehende
und unnaturalistische dramatische
Bibliothek
Gemeint ist wahrscheinlich die 1936 entstandene Gustav-Kiepenheuer-Bücherei. Das Ziel dieser Buchreihe war die Publikation klassischer Literatur sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart, die „zum unverlierbaren Schatz der Weltliteratur gezählt werden dürfen.“
(die als einzelnes Buch schon
wunderbar wird) Ihren Arlecchino und
Arlecchino II und Ihren Parnass
Gemeint sind wahrscheinlich die ersten beiden Sätze von Busonis Arlecchino oder Die Fenster sowie sein Werk Turandot. Den Bezug zum Parnass, der in der griechischen Mythologie das Reich der Dichtkunst symbolisiert, stellt auch Hans Huber in einem Brief an Busoni vom 5. Dezember 1916 her. So gratuliert er diesem „zum Aufstieg auf die sonnigen Höhen des Parnass“; er bezieht sich auf ein Werk, das in Zürich aufgeführt werden soll. Es liegt nahe, dass er auf Turandot verweist, da dieses Werk gemeinsam mit Arlecchino oder Die Fenster am 11. Mai 1917 im Stadttheater Zürich uraufgeführt wurde.
zur
vorbildlichen Herausgabe anvertrauen
würden? Und ferner: Ihre literarischen
Schriften — — Alle in bleibenden
Ausgaben nach Ihrem Wunsch und
nach Ihren Honorarforderungen.
—
Ich wäre sehr froh, wenn Sie bald
Zeit fänden, mir darüber ein paar
Worte zu schreiben. Um Ihnen einen
Begriff vom Verlage Kiepenheuer zu
geben, wollte ich Ihnen erst die Luxusausgaben selbst senden lassen. Es stellte sich
heraus, dass sie vergriffen sind, und
so werden Sie sich mit einem Verlagsverzeichnis begnügen müssen.
Was meine eigenen Wünsche angeht, so will
ich, dass dieser Verlag der erste, anständige moderne
Verlag Deutschlands wird: Nicht so eisern langweilig und staubnaturalistisch wie S. Fischer;
nicht so liederlich und mit Amerikanismus
in der Reklame wie Kurt Wolff, und nicht
so indifferent und tatenlos wie Cassirer.
Und überdies hat er großes Kapital, und
der Verleger verspricht sich selbst nur etwas
davon, sein Geld in so etwas hineinzustecken.
Und noch eins: Würden
Sie selbst im Verlag Kiepenheuer eine Hoffmann-Ausgabe machen
wollen – Auswahl ihrer Lieblingsnovellen in einem (dicken) Band?
Busoni schrieb die Einführung zu E.T.A. Hoffmanns „Phantastische Geschichten“, die jedoch bereits 1914 erschienen ist. Ein weiterer direkter Zusammenhang zwischen einer Hoffmann-Ausgabe und Busoni war nicht auffindbar.
Nicht vergessen!
Als ich die deutsche Grenze überschritt, fiel
mir auf, dass alle Menschen so reines Deutsch
sprachen, selbst wenn es bayrisch war; dass
alle so freundlich und zuvorkommend
waren, selbst in der Eisenbahn. Manches,
vor allem Zeitungsberichte, hat uns eine
falsche Vorstellung vermittelt. Es gibt überall
Zigarren und Zigaretten, nur teuer. Es gibt
ein Bierli, das tausendmal besser ist als das
von Hürli. Es gibt, im Schleichhandel, „sogar“
Bohnenkaffee. – Die Menschen sind im
Ganzen und Großen williger als früher, nur
vollkommen uninformiert, über das was
sie erwartet, und zum Teil über das, was war. Sie
glauben heute noch genau wie früher ihrer
Lügenpresse. In
Berlin fällt einem zunächst
auf: Eine unwahrscheinlich große Zahl von
Autos; eine außerordentliche Großstadtzahl
von Menschen in den Straßen; eine wunderbare Schnelligkeit im Denken und Antworten
(z.B. auf der Straße). Die Verhältnisse sind
voll von Böswilligkeit. Was in diesen Wochen
an furchtbaren und grausamen Gemetzel vorgekommen ist, die entsetzlich, blutdürstige und
tierische Roheit gegen ahnungslose und dumpf,
unterernährt dahinlebende Unterdrückte,
Gemeint sind die sogenannten Märzkämpfe, die aufgrund der Enttäuschung über die politische Entwicklung der Revolution von 1918/1919 herbeigeführt wurden. Anfang März 1919 weiteten Anhänger der Kommunistischen Partei Deutschlands einen Generalstreik zu einem bewaffneten Aufstand aus, mit dem Ziel, die Reichsregierung zu stürzen.
das
lässt einem die so berühmte Bartholomäusnacht
Die Bartholomäusnacht bezeichnet ein Massaker an den Hugenotten in Frankreich, das in der Nacht zum 24. August 1572 begann.
als eine Lappalie der Weltgeschichte erscheinen.
Es scheint, man hat in den vergangenen vier
Jahren noch zu wenig gesiegt, und man
will durchaus weiter siegen. — Die wirtschaftlichen
Verhältnisse sehe ich für das kommende halbe
Jahr ohne Optimismus an. Wenn Sie im
Herbst kommen könnten, so, dass Sie
Ihre – für Ihre Lebensfreude – unumgänglichen Bedürfnisse befriedigen können,
ohne allzu wucherische Preise zu bezahlen,
Die Inflation des Deutschen Reichs, die durch die Ausweitung der Geldmenge zur Beseitigung von Staatsschulden in der Weimarer Republik sowie die Finanzierung des Ersten Weltkriegs herbeigeführt wurde, hat sich mit dem Ende des Krieges angebahnt und in der Hyperinflation von 1923 ihren Höhepunkt gefunden.
so würde ich mich sehr freuen. Ihrer
Aufnahme als geistigen und künstlerischen
Führers der Generation seien Sie sicher.
Das hat alles gestimmt, was
Rita davon
in Zürich sagte; noch mehr, Sie müssen
sich die Masse, in denen das geschehen wird,
noch viel, viel größer vorstellen, als man
es sich in der bescheidenen Zürcher Luft gewöhnt. In den nächsten Jahren wird wohl Berlin
doch der geistige und künstlerische Mittelpunkt von Europa werden, so wie es
in den sechziger bis achtziger Jahren Paris
war. Darauf deutet mir heute hier alles.
An Rita habe ich eine große Überraschung
erlebt. Sie bewegt sich in Berlin ganz
natürlich, ist nicht hysterisch, ist
nett und klug, hat ausgezeichnete und
sympathische Bekannte, sie ist in ihrer
natürlichen Luft und gar nicht mit der
Zürcher Rita zu vergleichen. Und zu allem
war Sie wirklich eine so ausgezeichnete
Verwalterin der tausend Dinge Ihrer
Wohnung, dass ich nur staunen kann.
Alles hängt hier nun von der
Entwicklung der Ereignisse im Sommer ab.
Vorläufig haben die Leute leider noch
ein zu großes Vertrauen zu… ja, Sie
werden das nicht für möglich halten,
zur Entente, obwohl sie an diesem Vertrauen
verhungern! Dieses Vertrauen wird, wie ich
vermute, von offizieller Seite zu parteipolitischen Zwecken geschürt; da es aber
noch eine Briefzensur gibt, kann ich mich
wohl über diese Dinge wie über einige andere
nicht auslassen. —
Noch eins: Dass ein Mensch wie Bruno
Goetz nicht in Berlin ist, ist verbrecherische, dumme Idylle. Er muss nicht verhungern, er würde genug verdienen, dafür
könnte ich, zum Teil, sorgen; und hier ist
sein Platz, hier hat er zu arbeiten, wenn er
nicht verkommen will. (Niemand muss verhungern: Selbst
Goetzens Familie, die sich von
lächerlich kleinen Summen erhält, isst mit ihren
vier Personen ganz ordentlich; ich besuchte sie.)
Jedenfalls ist höchste Zeit, dass er hier lebt.
Die Pumpstation Zürich ist Unsinn. —
Meine Frau war nur kurze Zeit in
Berlin. Sie fuhr auf ihr Besitztum, wo ihr
Vater starb, und von deessen Beschaffenheit – ganz?, zerschossen?, verkommen? oder blühend? –
wir uns keine Vorstellung machen konnten. Ich
erhielt eine, wie es scheint, nicht unerfreuliche
Nachricht von ihr. Sie wird in den nächsten
Wochen wieder eintreffen.
Und nun umarme ich Sie und die
liebe Frau Gerda und Lello und – vielleicht
ist er schon in Ihrer Nähe – Ihren Benni!
|
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draussen vor den Fenstern, wobei immer wieder
das merkwürdigste von allen die Kuppel der
peterskirchlichen Gasanstalt der Augsburgerstrasse
1895 wurde im östlichen Abschnitt der Augsburger Straße (heute Fuggerstraße) ein 81.000 Kubikmeter umfassender Gasbehälter errichtet. Dieser wurde 1944 im Zweiten Weltkrieg zerstört und Anfang der 1950er Jahre abgerissen.
ist. Die Wohnung ist überhaupt merkwürdig. Ich
wohnte erst im Hotel, dann bei Bekannten, äusserst
traurig, so dass es nichts mit der Arbeit war
und ich krank wurde. Kaum zog ich endlich
(nach sorgfältigster Vorbereitung durch
Rita
und Emma) in Ihre Wohnung, wurde ich gesund
und arbeitete drauf los. – Der 2.) Grund: Im Hause
(wie auch in Ihrer Wohnung, dort glücklicherweise
ergebnislos) war mehrmals eingebrochen worden.
Alle Beteiligten atmeten auf, als sie hörten, es
bestehe die Möglichkeit, dass ein (zuverlässiges) männliches Individuum sich in der Wohnung
aufhalten werde. 3.) Es besteht die Möglichkeit,
sogar die Wahrscheinlichkeit, dass in nächster
Zeit schon grosse Wohnungen, vor allem solche,
von denen mehrere Räume leerstehen an
obdachlose Familien aufgeteilt werden.
Das Deutsche Reich sah sich bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert mit einem zunehmenden Wohnungsnotstand konfrontiert. Mit der Weimarer Republik setzte ein grundlegendes Verständnis der Notwendigkeit staatlicher Interventionen hinsichtlich des Wohnungsmarktes ein, weshalb Maßnahmen im Bereich Mieterschutz, Mietpreisregelung und öffentliche Wohnraumbewirtschaftung getroffen wurden. Im Artikel 155 der Weimarer Verfassung heißt es beispielsweise: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Art und Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern.“
Und so
halte ich die jetzige Kombination (wie Rita
auch) für eine ausgezeichnete Fürsorge – da man
ja nicht wissen kann, ob nicht der gerade
zufällige Dezernent über das betr. Viertel
böswillig ist, oder schlecht geschlafen hat, oder
irgend etwas dergleichen, z. B. nationalwahnsinnig.
Ich jedenfalls glaube, die Dinge sichern zu können. —
In Zürich haben Sie mir merkwürdig richtig prophezeit.
Abgeraten vom Journalismus und angedeutet
Transkription unsicher:
überschrieben.
eine Existenz,
die nicht von der Produktion des Talents abhänge. Ich, sonst
ein sehr schlechter Boden für Lebensregeln, bin doch diesem
Rat, der starken Eindruck auf mich machte, gefolgt. Ich fand,
dass meine Angelegenheiten sich so wendeten, dass ich als geisti- ger Leiter in einem grossen Verlag eintrat, und zwar mit einem
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drau<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en vor den Fenstern, wobei immer wieder
<lb/>das <choice><orig>m</orig><reg>M</reg></choice>erkwürdigste von allen die Kuppel der
<lb/>peterskirchlichen Gasanstalt der <placeName key="E0500441"><choice><orig>Augsburgerstrasse</orig><reg>Augsburger Straße</reg></choice></placeName>
<note type="commentary" resp="#E0300391">1895 wurde im östlichen Abschnitt der <placeName key="E0500441">Augsburger Straße</placeName> (heute <placeName key="E0500443">Fuggerstraße</placeName>) ein 81.000 Kubikmeter umfassender Gasbehälter errichtet. Dieser wurde 1944 im Zweiten Weltkrieg zerstört und Anfang der 1950er Jahre abgerissen.</note>
<lb/>ist. Die Wohnung ist überhaupt merkwürdig. Ich
<lb/>wohnte erst im Hotel, dann bei Bekannten, äu<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erst
<lb/>traurig, so dass es nichts mit der Arbeit war
<lb/>und ich krank wurde. Kaum zog ich endlich
<lb/>(nach sorgfältigster Vorbereitung durch
<persName key="E0300351">Rita</persName>
<lb/>und <persName key="E0300502">Emma</persName>) in Ihre Wohnung, wurde ich gesund
<lb/>und arbeitete drauf los. – Der <choice><orig>2.)</orig><reg>zweite</reg></choice> Grund: Im Hause
<lb/>(wie auch in Ihrer Wohnung, dort glücklicherweise
<lb/>ergebnislos) war mehrmals eingebrochen worden.
<lb/>Alle Beteiligten atmeten auf, als sie hörten, es
<lb/>bestehe die Möglichkeit, dass ein (zuverlässiges) <lb/><hi rend="underline">männliches</hi> Individuum sich in der Wohnung
<lb/>aufhalten werde. <choice><orig>3.)</orig><reg>Drittens:</reg></choice> Es besteht die Möglichkeit,
<lb/>sogar die Wahrscheinlichkeit, dass in nächster
<lb/>Zeit schon gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Wohnungen, vor allem solche,
<lb/>von denen mehrere Räume <choice><orig>leerstehen</orig><reg>leer stehen</reg></choice><choice><orig> </orig><reg>, </reg></choice>an
<lb/>obdachlose Familien aufgeteilt werden.
<note type="commentary" resp="#E0300391">Das Deutsche Reich sah sich bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert mit einem zunehmenden Wohnungsnotstand konfrontiert. Mit der Weimarer Republik setzte ein grundlegendes Verständnis der Notwendigkeit staatlicher Interventionen hinsichtlich des Wohnungsmarktes ein, weshalb Maßnahmen im Bereich Mieterschutz, Mietpreisregelung und öffentliche Wohnraumbewirtschaftung getroffen wurden. Im Artikel 155 der Weimarer Verfassung heißt es beispielsweise: <q rend="dq-du">Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Art und Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern.</q></note>
Und so
<lb/>halte ich die jetzige Kombination (wie <persName key="E0300351">Rita</persName>
<lb/>auch) für eine ausgezeichnete Fürsorge – da man
<lb/>ja nicht wissen kann, ob nicht der gerade
<lb/>zufällige Dezernent über das <choice><abbr>betr.</abbr><expan>betroffene</expan></choice> Viertel
<lb/>böswillig ist, oder schlecht geschlafen hat, oder
<lb/><choice><orig>irgend etwas</orig><reg>irgendetwas</reg></choice> dergleichen, z. B. nationalwahnsinnig.
<lb/>Ich jedenfalls glaube, die Dinge sichern zu können. —</p>
<p type="pre-split">In <placeName key="E0500132">Zürich</placeName> haben Sie mir merkwürdig richtig prophezeit.
<lb/>Abgeraten vom Journalismus und <subst><del rend="overwritten"/><add place="across"><unclear reason="overwritten" cert="unknown">angedeutet</unclear></add></subst> eine Existenz,
<lb/>die nicht von der Produktion des Talents abhänge. Ich, sonst
<lb/>ein sehr schlechter Boden für Lebensregeln, bin doch diesem
<lb/>Rat, der starken Eindruck auf mich machte, gefolgt. Ich fand,
<lb/>dass meine Angelegenheiten sich so wendeten, dass ich als geisti
<lb break="no"/>ger Leiter in einem gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Verlag eintrat, und zwar mit einem
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3Faksimile
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3Diplomatische Umschrift
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B II, 4289
so hohen Honorar, wie es wohl selten ein deu- tscher Schriftsteller für eine solche-freie-Tätig- keit je bekommen hat. Materiell geht es mir
also gut! (Ich hoffe, dass Sie ein solches Wort
in allen Briefen, die Freunde von irgendeinem
Punkte der Welt an Sie schreiben, antreffen
könnten!) Ich schreibe Ihnen das – so unwichtig es für die Hauptdinge
ist – weil ich weiss, dass es Sie erfreuen wird. —
Die Geschichte, wie ich Leiter dieses Verlages wurde,
ist aber wiederum seltsam. Ich suchte den
Verlag Cassirer auf. Und da erlebte ich den
aller, aller allerschlechtesten Eindruck, den ein
Mensch in der Welt bekommen kann. Mir
wurde sofort klar, dass wir in der Schweiz
alle ganz ungenügend unterrichtet waren.
Erstens ist der Verlag
Cassirer ein politischer
Verlag. Er bekommt seine Druckaufträge z.T. von
der Regierung, die sie nur des Buchhandels wegen
mit der Marke dieses Verlages herausgeben liess.
Zweitens aber ist er ein noch mehr politischer
Verlag insofern, als er auch noch der geistige
geistige Unterstützungsverlag der sog.
„Unabhängi- gen socialistischen Partei“
Gemeint ist die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD), die in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs aus der Spaltung der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (SPD) aufgrund von Meinungsunterschieden hinsichtlich der Kriegskredite hervorging. Um die Abgrenzung von der USPD zu betonen, bezeichnete sich die SPD als „Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands“ (MSPD).
ist, und er ist also
ein politischer Parteiverlag, dermassen, dass alles
was heute (wo die Regierung die diesbezügl. Druck- aufträge voraussichtlich nicht mehr geben
wird, d.h. die mehrheitssozialistische Regierung)
im Verlage Cassirer erscheint, automatisch als
zugehörig zur „U.S.P.“ (unabhäng. soc. Part.)
gerechnet wird. So blüte mir die unerbetene
Überraschung, gerade an dem Tage, als ich nach
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<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="foliation" place="top-right" rend="underline" resp="#archive">3</note>
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive_sig">B II, 4289 </note>
so hohen Honorar, wie es wohl selten ein deu
<lb break="no"/>tscher Schriftsteller für eine <choice><orig>solche-freie-Tätig
<lb break="no"/>keit</orig><reg>solche freie Tätigkeit</reg></choice> je bekommen hat. Materiell geht es mir
<lb/>also gut! (Ich hoffe, dass Sie ein solches Wort
<lb/>in allen Briefen, die Freunde von irgendeinem
<lb/>Punkte der Welt an Sie schreiben, antreffen
<lb/>könnten!) Ich schreibe Ihnen das – so unwichtig es für die Hauptdinge
<lb/>ist – weil ich wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>, dass es Sie erfreuen wird. —</p>
<p type="pre-split">Die Geschichte, wie ich Leiter dieses Verlages wurde,
<lb/>ist aber wiederum seltsam. Ich suchte den
<lb/>Verlag <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName> auf. Und da erlebte ich den
<lb/>aller, aller allerschlechtesten Eindruck, den ein
<lb/>Mensch in der Welt bekommen kann. Mir
<lb/>wurde sofort klar, dass wir in der <placeName key="E0500092">Schweiz</placeName>
<lb/>alle ganz ungenügend unterrichtet waren.
<lb/>Erstens ist der Verlag
<orgName key="E0600074">Cassirer</orgName> ein <hi rend="underline">politischer</hi>
<lb/>Verlag. Er bekommt seine Druckaufträge <choice><abbr>z.T.</abbr><expan>zum Teil</expan></choice> von
<lb/>der Regierung, die sie nur des Buchhandels wegen
<lb/>mit der Marke dieses Verlages herausgeben lie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>.
<lb/>Zweitens aber ist er ein noch <choice><orig>mehr politischer</orig><reg>politischerer</reg></choice>
<lb/>Verlag insofern, als er auch noch der <del rend="strikethrough">geistige</del>
<lb/>geistige Unterstützungsverlag der <choice><abbr>sog.</abbr><expan>sogenannten</expan></choice>
<orgName key="E0600075" rend="dq-du">Unabhängi
<lb break="no"/>gen so<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>ialistischen Partei</orgName>
<note type="commentary" resp="#E0300391">Gemeint ist die <orgName key="E0600075"><soCalled rend="dq-du">Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands</soCalled></orgName> (<orgName key="E0600075">USPD</orgName>), die in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs aus der Spaltung der <orgName key="E0600084"><soCalled rend="dq-du">Sozialdemokratischen Partei Deutschlands</soCalled></orgName> (<orgName key="E0600084">SPD</orgName>) aufgrund von Meinungsunterschieden hinsichtlich der Kriegskredite hervorging. Um die Abgrenzung von der <orgName key="E0600075">USPD</orgName> zu betonen, bezeichnete sich die <orgName key="E0600084">SPD</orgName> als <orgName key="E0600084"><soCalled rend="dq-du">Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands</soCalled></orgName> (<orgName key="E0600084">MSPD</orgName>).</note>
ist, und er ist also
<lb/>ein politischer <hi rend="underline">Partei</hi>verlag, derma<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en, dass alles
<lb/>was heute (wo die Regierung die <choice><abbr>diesbezügl.</abbr><expan>diesbezüglichen</expan></choice> Druck
<lb break="no"/>aufträge voraussichtlich nicht mehr geben
<lb/>wird, d.h. die mehrheitssozialistische Regierung)
<lb/>im Verlage <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName> erscheint, automatisch als
<lb/>zugehörig zur <orgName key="E0600075" rend="dq-du">U.S.P.</orgName> (<orgName key="E0600075"><choice><abbr>unabhäng. so<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>. Part.</abbr><expan>unabhängigen sozialistischen Partei</expan></choice></orgName>)
<lb/>gerechnet wird. So blüte mir die unerbetene
<lb/>
Überraschung, gerade an dem Tage, als ich nach
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Berlin kam,
Am 30. Januar 1918 kehrt Rubiner über München zurück nach Berlin, nachdem der gebürtige Berliner 1915 als radikaler Kriegsgegner in die Schweiz geflüchtet ist.
grosse Teile meines Voltaire-Aufsatzes
aus den „Weissen Blättern“
Rubiners Artikel Der Dichter Voltaire erschien 1919 in den Weißen Blättern. Diesen wird er im gleichen Jahr noch im ersten Band seiner und Frida Ichaks Übersetzungen von Voltaires Romanen und Erzählungen als Vorwort veröffentlichen.
ohne meine Erlaubnis
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
abgedruckt zu finden in der Tageszeitung „Freiheit“,
dem Partei-Organ der Unabh. Soc..
Die Tageszeitung Die Freiheit trug den Zusatz „Berliner Organ der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands“, und erschien von 1918 bis 1922 sowie erneut von 1928 bis 1931 (die USPD bestand ebenfalls bis 1931).
Mein Einspruch
wurde mit Befremden abgewiesen. Die „Weissen Blä“
erschienen im Verlag Cassirer,
Von Februar 1919 bis Dezember 1920 wurden die Weißen Blätter vom Paul Cassirer Verlag in Berlin herausgegeben.
der Verlag Cassirer
sei Parteiverlag, und was da erschiene könne
abgedruckt werden. – Nun gehöre ich erstens
dieser Partei nicht an (wie keiner Partei!), und zweitens, selbst wenn
ich ihr angehören wollte, müsste ich mir doch
das Recht wahren, dies nach meinem eigenen Willen
tun zu können, nicht aber auf Grund eines
schlechten und ausbeuterischen Verlagsvertrages
mechanisch als Glied dieser Partei zu gelten!
Dies war das eine im Verlage Cassirer. Das andere
aber war mein wiederholter Eindruck, dass
ein Autor, der im Verlage Cassirer erscheint,
zwar gelegentlich ein Honorar bekommt, aber
in der Tat zum Vergessen verurteilt ist. In
diesem Verlage ist keine Person, die etwas
von Büchern versteht, oder sich dafür interes- siert. Cassirer ist politisch interessiert,
Paul Cassirer war bis 1915 überzeugt davon, dass der Krieg zur Verteidigung der deutschen Unabhängigkeit notwendig sei. So gründete er die wöchentlich erscheinende Zeitschrift Kriegszeit. Im darauffolgenden Jahr veränderte sich Cassirers Einstellung, sodass die Kriegszeit 1916 durch die neue Zeitschrift Der Bildermann, an der Leo Kestenberg beteiligt war, ersetzt wurde. Seit der Novemberrevolution gab Cassirer als Mitglied der USPD Schriften sozialistischer Politiker und marxistischer Theoretiker heraus.
er ist
seinem Talent nach ein Bilderhändler ersten
Ranges und beschäftigt sich mit dem Verlag
überhaupt nicht, er schiebt alles auf Kesten- berg ab. Kestenberg ist lediglich für seine
Person interessiert, er giebt Musikunterricht,
er sitzt in der Volksbühne, er sitzt täglich
im Kultusministerium, und er macht auch
Fettflecke im Verlag Cassirer –
Leo Kestenberg war als überzeugter Sozialdemokrat vor allem kulturpolitisch engagiert. Er war musikalischer Leiter der Berliner Freien Volksbühne. Er setzte sich für die Demokratisierung der Künste ein und organisierte in diesem Rahmen zahlreiche künstlerische Veranstaltungen, beispielsweise Mittagskonzerte für die Arbeiterschaft. Seit 1916 war er durch die Kunstzeitschrift Der Bildermann mit dem Cassirer Verlag verbunden. Ab 1918 war er zudem als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Preußischen Kultusministerium aktiv. 1920 wurde er zum Referenten der Kunstabteilung berufen und leitete die Musikabteilung für Erziehung und Unterricht.
aber seine Tätig- keit besteht darin, seine Person möglichst gut
zu sichern. Er tut nichts und schiebt wiederum
alles ab auf einen Herrn Reif, den
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="foliation" place="top-right" rend="underline" resp="#archive">4</note>
<placeName key="E0500029">Berlin</placeName> kam,
<note type="commentary" resp="#E0300391">Am 30. Januar 1918 kehrt <persName key="E0300126" type="automated" nymRef="Ludwig Rubiner">Rubiner</persName> über <placeName key="E0500034">München</placeName> zurück nach <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>, nachdem der gebürtige <placeName key="E0500029">Berliner</placeName> 1915 als radikaler Kriegsgegner in die <placeName key="E0500092">Schweiz</placeName> geflüchtet ist.</note>
gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Teile meines <rs key="E0800155"><persName key="E0300175">Voltaire</persName>-Aufsatzes</rs>
<lb/>aus den <orgName key="E0600069" rend="dq-du">Wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Blättern</orgName>
<note type="commentary" resp="#E0300391"><persName key="E0300126">Rubiners</persName> Artikel <title key="E0800155">Der Dichter <persName key="E0300175" type="automated" nymRef="Voltaire">Voltaire</persName></title> erschien 1919 in den <orgName key="E0600069">Weißen Blättern</orgName>. Diesen wird er im gleichen Jahr noch im ersten Band seiner und <persName key="E0300340">Frida Ichaks</persName> Übersetzungen von <persName key="E0300175">Voltaires</persName> <title key="E0800154">Romanen und Erzählungen</title> als Vorwort veröffentlichen.</note>
<hi rend="underline">ohne meine Erlaubnis</hi>
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<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
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<lb/>abgedruckt zu finden in der Tageszeitung <orgName key="E0600076" rend="dq-du">Freiheit</orgName>,
<lb/>dem Partei-Organ der <orgName key="E0600075"><choice><abbr>Unabh. So<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>.</abbr><expan>Unabhängigen Sozialisten</expan></choice></orgName>.
<note type="commentary" resp="#E0300391">Die Tageszeitung <orgName key="E0600076">Die Freiheit</orgName> trug den Zusatz <soCalled rend="dq-du"><placeName key="E0500029">Berliner</placeName> Organ der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands</soCalled>, und erschien von 1918 bis 1922 sowie erneut von 1928 bis 1931 (die <orgName key="E0600075">USPD</orgName> bestand ebenfalls bis 1931).</note>
Mein Einspruch
<lb/>wurde mit Befremden abgewiesen. Die <orgName key="E0600069" rend="dq-du"><choice><abbr>Wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Blä</abbr><expan>Weißen Blätter</expan></choice></orgName>
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<note type="commentary" resp="#E0300391">Von Februar 1919 bis Dezember 1920 wurden die <orgName key="E0600069">Weißen Blätter</orgName> vom <orgName key="E0600074">Paul Cassirer Verlag</orgName> in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> herausgegeben.</note>
der Verlag <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName>
<lb/>sei Parteiverlag, und was da erschiene<choice><orig> </orig><reg>, </reg></choice>könne
<lb/>abgedruckt werden. – Nun gehöre ich erstens
<lb/>dieser Partei nicht an <add place="above">(wie keiner Partei!)</add>, und zweitens, selbst wenn
<lb/>ich ihr angehören wollte, müsste ich mir doch
<lb/>das Recht wahren, dies nach meinem eigenen Willen
<lb/>tun zu können, nicht aber auf Grund eines
<lb/>schlechten und ausbeuterischen Verlagsvertrages
<lb/>mechanisch als Glied dieser Partei zu gelten!
<lb/>Dies war das eine im Verlage <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName>. Das andere
<lb/>aber war mein wiederholter Eindruck, dass
<lb/>ein Autor, der im Verlage <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName> erscheint,
<lb/>zwar gelegentlich ein Honorar bekommt, aber
<lb/>in der Tat zum Vergessen verurteilt ist. In
<lb/> diesem Verlage ist keine Person, die etwas
<lb/>von Büchern versteht, oder sich dafür interes
<lb break="no"/>siert. <persName key="E0300061">Cassirer</persName> ist politisch interessiert,
<note type="commentary" resp="#E0300391"><persName key="E0300061">Paul Cassirer</persName> war bis 1915 überzeugt davon, dass der Krieg zur Verteidigung der deutschen Unabhängigkeit notwendig sei. So gründete er die wöchentlich erscheinende Zeitschrift <orgName key="E0600086">Kriegszeit</orgName>. Im darauffolgenden Jahr veränderte sich <persName key="E0300061">Cassirers</persName> Einstellung, sodass die <orgName key="E0600086">Kriegszeit</orgName> 1916 durch die neue Zeitschrift <orgName key="E0600085">Der Bildermann</orgName>, an der <persName key="E0300155">Leo Kestenberg</persName> beteiligt war, ersetzt wurde. Seit der Novemberrevolution gab Cassirer als Mitglied der <orgName key="E0600075">USPD</orgName> Schriften sozialistischer Politiker und marxistischer Theoretiker heraus.</note>
er ist
<lb/>seinem Talent nach ein Bilderhändler ersten
<lb/>Ranges und beschäftigt sich mit dem Verlag
<lb/>überhaupt nicht, er schiebt alles auf <persName key="E0300155">Kesten
<lb break="no"/>berg</persName> ab. <persName key="E0300155">Kestenberg</persName> ist lediglich für seine
<lb/>Person interessiert, er g<choice><orig>ie</orig><reg>i</reg></choice>bt Musikunterricht,
<lb/>er sitzt in der <orgName key="E0600077">Volksbühne</orgName>, er sitzt täglich
<lb/>im <orgName key="E0600078">Kultusministerium</orgName>, und er macht auch
<lb/>Fettflecke im Verlag <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName> –
<note type="commentary" resp="#E0300391"><persName key="E0300155">Leo Kestenberg</persName> war als überzeugter Sozialdemokrat vor allem kulturpolitisch engagiert. Er war musikalischer Leiter der <placeName key="E0500029">Berliner</placeName> <orgName key="E0600077">Freien Volksbühne</orgName>. Er setzte sich für die Demokratisierung der Künste ein und organisierte in diesem Rahmen zahlreiche künstlerische Veranstaltungen, beispielsweise Mittagskonzerte für die Arbeiterschaft. Seit 1916 war er durch die Kunstzeitschrift <orgName key="E0600085">Der Bildermann</orgName> mit dem <orgName key="E0600074">Cassirer Verlag</orgName> verbunden. Ab 1918 war er zudem als wissenschaftlicher Mitarbeiter im <orgName key="E0600078">Preußischen Kultusministerium</orgName> aktiv. 1920 wurde er zum Referenten der Kunstabteilung berufen und leitete die Musikabteilung für Erziehung und Unterricht.</note>
aber seine Tätig
<lb break="no"/>keit besteht darin, seine Person möglichst gut
<lb/>zu sichern. Er tut nichts und schiebt wiederum
<lb/>alles ab auf einen <persName key="E0300503">Herrn Reif</persName>, den
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B II, 4289
engagierten Buchhändler des Verlages, der jung,
langsam, untätig und ungebildet ist wie alle
neueren Buchhändler. So kommt es, dass Sie in
den Buchhandlungen nur jene vier politischen
Schriften aus dem Verlag Cassirer sehen, die in
der Novemberrevolution
Die Novemberrevolution, die sich in der Endphase des Ersten Weltkriegs ereignete, führte das Deutsche Reich von einer konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarisch-demokratische Republik, genauer gesagt die Weimarer Republik.
die Regierung dort
herstellen liess, und für deren Vertrieb und Propa- ganda wohl auch die Regierung selbst sorgte.
Von den Dichtungen des Verlages sieht man nichts,
von ihnen singt kein Lied, kein Heldenbuch.
Den allerschlechtesten Eindruck machte mir aber
Kestenbergs Verhalten, als ich ihn über Ihren
„Faust“ interpellierte. Er tat, als wisse er nichts! Er grunzte erst „Das inte- ressiert mich![“] (Wie gütig: das interessierte ihn!)
Als ich aber ernst wurde und den Schwindel mit
der angeblichen Bestellung neuer Typen festnagelte,
wurde er unruhig und musste sich plötzlich von
Prof. Gaul verabschieden, der sich in irgendeinem
Raume des Hauses aufhielt.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Da ich nun sicher bin, dass sich in
ernsten Angelegenheiten stets ein Gaul oder
ein anderer Esel im Hause befinden wird,
der gerade im passenden Moment die Dinge
nicht zur Klarheit kommen lassen wird, so
verliess ich das Haus mit dem Entschluss,
meine Beziehungen zum Verlage Cassirer
zu lösen. Diesen Entschluss führte ich dieser
Tage auch aus, sandte Cassirer das Geld,
das ich plötzlich, nach Monaten, von ihm
erhielt, zurück, und war ihm nur noch eine
Summe schuldig, die ich in der Schweiz
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="foliation" place="top-right" rend="underline" resp="#archive">5</note>
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive_sig">B II, 4289 </note>
engagierten Buchhändler des Verlages, der jung,
<lb/>langsam, untätig und ungebildet ist wie alle
<lb/>neueren Buchhändler. So kommt es, dass Sie in
<lb/>den Buchhandlungen nur jene vier politischen
<lb/>Schriften aus dem Verlag <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName> sehen, die in
<lb/>der Novemberrevolution
<note type="commentary" resp="#E0300391">Die Novemberrevolution, die sich in der Endphase des Ersten Weltkriegs ereignete, führte das Deutsche Reich von einer konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarisch-demokratische Republik, genauer gesagt die Weimarer Republik.</note>
die Regierung dort
<lb/>herstellen lie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>, und für deren Vertrieb und Propa
<lb break="no"/>ganda wohl auch die Regierung selbst sorgte.
<lb/>Von den Dichtungen des Verlages sieht man nichts,
<lb/>von ihnen singt kein Lied, kein Heldenbuch.
<lb/>Den allerschlechtesten Eindruck machte mir aber
<lb/><persName key="E0300155">Kestenbergs</persName> Verhalten, als ich ihn über Ihren
<lb/><title key="E0400218" rend="dq-du">Faust</title> interpellierte. <add place="above">Er tat, als wisse er nichts!</add> Er grunzte erst <q rend="dq-du-oo">Das inte
<lb break="no"/>ressiert <subst><del rend="overwritten"/><add place="across">mich!</add></subst></q> (Wie gütig: das interessierte ihn!)
<lb/>Als ich aber ernst wurde und den Schwindel mit
<lb/>der angeblichen Bestellung neuer Typen festnagelte,
<lb/>wurde er unruhig und musste sich plötzlich von
<lb/><persName key="E0300367"><choice><abbr>Prof.</abbr><expan>Professor</expan></choice> Gaul</persName> verabschieden, der sich in irgendeinem
<lb/>Raume des Hauses aufhielt. <note type="stamp" place="right" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
</p>
<p type="pre-split" rend="indent-first">Da ich nun sicher bin, dass sich in
<lb/>ernsten Angelegenheiten stets ein Gaul oder
<lb/>ein anderer Esel im Hause befinden wird,
<lb/>der gerade im passenden Moment die Dinge
<lb/>nicht zur Klarheit kommen lassen wird, so
<lb/>verlie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> ich das Haus mit dem Entschluss,
<lb/>meine Beziehungen zum Verlage <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName>
<lb/>zu lösen. Diesen Entschluss führte ich dieser
<lb/>Tage auch aus, sandte <persName key="E0300061">Cassirer</persName> das Geld,
<lb/>das ich plötzlich, nach Monaten, von ihm
<lb/>erhielt, zurück, und war ihm nur noch eine
<lb/>Summe schuldig, die ich in der <placeName key="E0500092">Schweiz</placeName>
</p></div>
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von ihm erhalten hatte. Sie können sich denken,
dass mich diese ganze Sache recht deprimiert
hatte. In dieser Stimmung traf ich mit dem
Verleger Kiepenheuer zusammen, über den
wiederum ich nicht richtig informiert gewesen
war, trotzdem ich den Voltaire für ihn
gemacht hatte. Der Verlag Kiepenheuer
hat nämlich nicht allein eine sehr grosse
Menge ausgezeichneter Bücher erscheinen
lassen, sondern auch das kostspielige
„Kunstblatt“
Das Kunstblatt wurde von 1917 bis 1933 vom Gustav Kiepenheuer Verlag herausgegeben. Die Leitidee „Das Kunstblatt will der werdenden Kunst dienen“ legt die Programmatik der Zeitschrift offen: Sie dient allen voran als Sprachrohr der zeitgenössischen Kunstströmungen.
eine Zeitschrift, die in glanz- vollen Reproduktionen sich mit ältester,
mit exotischer, indischer, aegyptischer und
neuester Kunst beschäftigt, und vor allem
auch eine Reihe von ganz kostbaren Luxus- drucken. Kiepenheuer empfing mich, wie
der Legende nach in alten Zeiten Verleger
Künstler empfangen haben sollen: Alles Pecuniäre
war ihm selbstverständliche Nebensache, die ebenso
schnell wie klar – nach dem Wunsche des Autors! –
verlegt wurde. Die Hauptsache war ihm
ein reizender Empfang nach dem anderen,
ausgezeichnete Bewirtung und leicht phantastische
Diners. Kurz ich fühlte mich im Paris der
Goncourt-Zeit,
Gemeint sind die Brüder Edmund (1822-1896) und Jules de Goncourt (1830-1870), die im Bereich des Romans als Führer der naturalistischen Schule gelten. Sie, die durch ihren Urgroßvater in den Adelsstand erhoben wurden, vertraten, gemeinsam mit Gustave Flaubert, die rechte, aristokratische literarische Strömung und Lebensweise.
in der ein Verleger es als
eine menschlich interessante Ehre betrachtet,
mit dem Autor kostspielig speisen zu dürfen.
Dabei erzählte ich dem Kiepenheuer meine
Unzufriedenheit mit Cassirer, setzte ihm
auseinander, worin die Sünden solcher Dinge
bestehen, sprach auch über Unterlassungen
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" rend="underline" resp="#archive">6</note>
von ihm erhalten hatte. Sie können sich denken,
<lb/>dass mich diese ganze Sache recht deprimiert
<lb/>hatte. In dieser Stimmung traf ich mit dem
<lb/>Verleger <persName key="E0300368">Kiepenheuer</persName> zusammen, über den
<lb/>wiederum ich nicht richtig informiert gewesen
<lb/>war, trotzdem ich den <persName key="E0300175" type="automated" nymRef="Voltaire">Voltaire</persName> für ihn
<lb/>gemacht hatte. Der Verlag <orgName key="E0600079">Kiepenheuer</orgName>
<lb/>hat nämlich nicht allein eine <hi rend="underline">sehr</hi> gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e
<lb/>Menge ausgezeichneter Bücher erscheinen
<lb/>lassen, sondern auch das kostspielige
<lb/><orgName key="E0600080" rend="dq-du">Kunstblatt</orgName>
<note type="commentary" resp="#E0300391"><orgName key="E0600080">Das Kunstblatt</orgName> wurde von 1917 bis 1933 vom <orgName key="E0600079">Gustav Kiepenheuer Verlag</orgName> herausgegeben. Die Leitidee <q rend="dq-du">Das Kunstblatt will der werdenden Kunst dienen</q> legt die Programmatik der Zeitschrift offen: Sie dient allen voran als Sprachrohr der zeitgenössischen Kunstströmungen.</note>
eine Zeitschrift, die in glanz
<lb break="no"/>vollen Reproduktionen sich mit ältester,
<lb/>mit exotischer, <placeName key="E0500808">indischer</placeName>, <choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>gyptischer und
<lb/>neuester Kunst beschäftigt, und vor allem
<lb/>auch eine Reihe von ganz kostbaren Luxus
<lb break="no"/>drucken. <persName key="E0300368">Kiepenheuer</persName> empfing mich, wie
<lb/>der Legende nach in alten Zeiten Verleger
<lb/>Künstler empfangen haben sollen: Alles Pe<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>uniäre
<lb/>war ihm <hi rend="underline">selbstverständliche</hi> Nebensache, die ebenso
<lb/>schnell wie klar – nach dem Wunsche des Autors! –
<lb/>verlegt wurde. Die Hauptsache war ihm
<lb/>ein reizender Empfang nach dem anderen,
<lb/>ausgezeichnete Bewirtung und leicht <choice><orig>ph</orig><reg>f</reg></choice>antastische
<lb/>Diners. Kurz<choice><orig> </orig><reg>, </reg></choice>ich fühlte mich im <placeName key="E0500012">Paris</placeName> der
<lb/><rs type="persons" key="E0300384 E0300383">Goncourt</rs>-Zeit,
<note type="commentary" resp="#E0300391">Gemeint sind die Brüder Edmund (1822-1896) und Jules de Goncourt (1830-1870), die im Bereich des Romans als Führer der naturalistischen Schule gelten. Sie, die durch ihren Urgroßvater in den Adelsstand erhoben wurden, vertraten, gemeinsam mit <persName key="E0300179">Gustave Flaubert</persName>, die rechte, aristokratische literarische Strömung und Lebensweise.</note>
in der ein Verleger es als
<lb/>eine menschlich interessante Ehre betrachtet,
<lb/>mit dem Autor kostspielig speisen zu dürfen.
<lb/>Dabei erzählte ich dem <persName key="E0300368">Kiepenheuer</persName> meine
<lb/>Unzufriedenheit mit <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName>, setzte ihm
<lb/>auseinander, worin die Sünden solcher Dinge
<lb/>bestehen, sprach auch über Unterlassungen
</p></div>
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7Diplomatische Umschrift
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B II, 4289
seines Verlages mit ihm, und der Schluss war seine
Idee: Kommen Sie in meinen Verlag. Das nahm
ich an, denn erstens war ich nach den Erfahrungen
des Hauses Cass. aufgeputscht und ich fühlte
das Bedürfnis, dass nun endlich eineinen Verlag da sei, der über grosse
Mittel verfüg te, auf seine Schultern zu nehmen,auf den man wirklichen Einfluss hat,
so dass kein e Unsinn geschehe, dass nur
künstlerisch wertvolle Werke mit internatio- nalem Weltgesicht erschienen, und dass man
für diese Werke „etwas tut“ – wie der Ausdruck
heisst. Nämlich dies ist meine Absicht:doch der Sinn! Auch wenn
in den kommenden Jahren in der Welt
überall alles drunter und drüber geht, mit Hülfe
dieses Verlages – unabhängig von jeder Conjunctur
die Werke zu halten und durchzusetzen. – Ande- rerseits sah ich auch in dieser Möglichkeit die
Lösung meiner eigenen finanziellen Fragen, da ja
der Eintritt in den Verlag unabhängig von meinen
Produktionen ist, und so besprochen wurde, dass
ich reiche Zeit und Kraft zu meiner eigenen Arbeit
[…]
höchstens 2 Zeichen: unleserlich.
behalte. Wiederum mit meinen Vorstellungen von einem modernen Verlage
war Kiepenheuer völlig einverstanden. –
Ich komme nun zu einem sehr wesentlichen
Punkte, der Sie betrifft.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Ich habe mir erlaubt Kiepenheuer das
Kesten- berg–Cassirersche Verbrechen gegen Ihren
„Faust“ zu berichten.
Kiepenheuer wäre sehr froh, ich darf
sagen: glücklich! – in seinem Verlage
dieses Werk als vorbildlichen
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" rend="underline" resp="#archive">7</note>
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive_sig">B II, 4289 </note>
seines Verlages mit ihm, und der Schluss war seine
<lb/>Idee: Kommen Sie in meinen Verlag. Das nahm
<lb/>ich an, denn erstens war ich nach den Erfahrungen
<lb/>des Hauses <orgName key="E0600074"><choice><abbr>Cass.</abbr><expan>Cassirer</expan></choice></orgName> aufgeputscht und ich fühlte
<lb/>das Bedürfnis, <subst><add place="above">dass nun endlich ein</add><del rend="strikethrough">einen</del></subst> Verlag <add place="above">da sei</add>, der über gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e
<lb/>Mittel verfüg<subst><del rend="overwritten">t</del><add place="across">e</add></subst>, <subst><del rend="strikethrough">auf seine Schultern zu nehmen,</del><add place="above">auf den man wirklichen Einfluss hat,</add></subst>
<lb/>so dass kein<del rend="strikethrough">e</del> Unsinn geschehe, dass nur
<lb/>künstlerisch wertvolle Werke mit internatio
<lb break="no"/>nalem Weltgesicht erschienen, und dass man
<lb/>für diese Werke <mentioned rend="dq-du">etwas tut</mentioned> – wie der Ausdruck
<lb/>hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t. Nämlich dies ist <subst><del rend="strikethrough">meine Absicht:</del><add place="above">doch der Sinn!</add></subst> Auch wenn
<lb/>in den kommenden Jahren in der Welt
<lb/>überall alles drunter und drüber geht, mit H<choice><orig>ü</orig><reg>i</reg></choice>lfe
<lb/>dieses Verlages – unabhängig von jeder <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>onjun<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>tur
<lb/>die Werke zu halten und durchzusetzen. – Ande
<lb break="no"/>rerseits sah ich auch in dieser Möglichkeit die
<lb/>Lösung meiner eigenen finanziellen Fragen, da ja
<lb/>der Eintritt in den Verlag unabhängig von meinen
<lb/>Produktionen ist, und so besprochen wurde, dass
<lb/>ich reiche Zeit und Kraft zu meiner eigenen Arbeit
<lb/><del rend="strikethrough"><gap atMost="2" unit="char" reason="illegible"/></del> behalte. Wiederum mit meinen Vorstellungen von einem modernen Verlage
<lb/>war <persName key="E0300368">Kiepenheuer</persName> völlig einverstanden. –
<lb/>Ich komme nun zu einem sehr wesentlichen
<lb/>Punkte, der <hi rend="underline">Sie</hi> betrifft.</p>
<note type="stamp" place="right" rend="align(right)" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
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<p>Ich habe mir erlaubt <persName key="E0300368">Kiepenheuer</persName> das
<persName key="E0300155">Kesten
<lb break="no"/>berg</persName>–<persName key="E0300061">Cassirersche</persName> Verbrechen gegen Ihren
<lb/><title key="E0400218" rend="dq-du">Faust</title> zu berichten.</p>
<p type="pre-split"><persName key="E0300368">Kiepenheuer</persName> wäre sehr froh, ich darf
<lb/>sagen: glücklich! – in seinem Verlage
<lb/>dieses Werk als vorbildlichen
</p></div>
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8Faksimile
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8Diplomatische Umschrift
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Luxusdruck erscheinen zu lassen.
Busonis Doktor Faust wurde im Jahr 1920 vom Gustav Kiepenheuer Verlag in Potsdam herausgegeben.
Er betrachtet
es als selbstverständlich, Ihnen das Hono- rar, das sie eventuell mit ihm vereinbaren
würden, zu zahlen, und ausserdem die
Ablösung jener Summe, die Cassirer Ihnen
dafür gab, zu übernehmen! (Rita sagte
mir etwas von 3000 Frs
Die Abküzrung geht vermutlich auf die französische (Franc suisse) oder italienische (Franco svizzero) Schreibweise zurück.
betr.
Cassirer. Wenn
Ihnen das irgendwie passte, bitte natürlich genaue
Angaben.)
Ich, Ludwig Rubiner, übernehme die
moralische Garantie, dass der Luxusdruck
nicht nur sofort in Angriff genommen
wird, sondern auch nach Ihren Wünschen
ausgeführt.
Weiter bitte ich Sie: Haben Sie Lust, und
haben Sie soviel Vertrauen zu mir, dass
Sie diesem Verlage – unter der Garantie der
Aufsicht durch meine Person – für eine
wundervolle, international hochstehende
und unnaturalistische dramatische
Bibliothek
Gemeint ist wahrscheinlich die 1936 entstandene Gustav-Kiepenheuer-Bücherei. Das Ziel dieser Buchreihe war die Publikation klassischer Literatur sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart, die „zum unverlierbaren Schatz der Weltliteratur gezählt werden dürfen.“
(die als einzelnes Buch schon
wunderbar wird) Ihren Arlecchino und
Arlecchino II und Ihren Parnass
Gemeint sind wahrscheinlich die ersten beiden Sätze von Busonis Arlecchino oder Die Fenster sowie sein Werk Turandot. Den Bezug zum Parnass, der in der griechischen Mythologie das Reich der Dichtkunst symbolisiert, stellt auch Hans Huber in einem Brief an Busoni vom 5. Dezember 1916 her. So gratuliert er diesem „zum Aufstieg auf die sonnigen Höhen des Parnass“; er bezieht sich auf ein Werk, das in Zürich aufgeführt werden soll. Es liegt nahe, dass er auf Turandot verweist, da dieses Werk gemeinsam mit Arlecchino oder Die Fenster am 11. Mai 1917 im Stadttheater Zürich uraufgeführt wurde.
zur
vorbildlichen Herausgabe anvertrauen
würden? Und ferner: Ihre literarischen
Schriften — — Alle in bleibenden
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="foliation" place="top-right" rend="underline" resp="#archive">8</note>
Luxusdruck erscheinen zu lassen.
<note type="commentary" resp="#E0300391"><persName key="E0300017">Busonis</persName> <title key="E0400218">Doktor Faust</title> wurde im Jahr 1920 vom <orgName key="E0600079">Gustav Kiepenheuer Verlag</orgName> in <placeName key="E0500016">Potsdam</placeName> herausgegeben.</note>
Er betrachtet
<lb/>es als selbstverständlich, <del rend="strikethrough">Ihnen</del> das Hono
<lb break="no"/>rar, das sie eventuell mit ihm vereinbaren
<lb/>würden, zu zahlen, und au<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erdem die
<lb/><hi rend="underline">Ablösung</hi> jener Summe, die <persName key="E0300061">Cassirer</persName> Ihnen
<lb/>dafür gab, zu übernehmen! (<persName key="E0300351">Rita</persName> sagte
<lb/>mir etwas von 3000 <choice><orig>Frs</orig><reg>Schweizer Franken</reg></choice>
<note type="commentary" resp="#E0300391">Die Abküzrung geht vermutlich auf die französische (<foreign xml:lang="fr">Franc suisse</foreign>) oder italienische (<foreign xml:lang="it">Franco svizzero</foreign>) Schreibweise zurück.</note>
<choice><orig>betr.</orig><reg>betreffend</reg></choice>
<persName key="E0300061">Cassirer</persName>. Wenn
<lb/>Ihnen das irgendwie passte, bitte natürlich genaue
<lb/>Angaben.)</p>
<p>Ich, <persName key="E0300126">Ludwig Rubiner</persName>, übernehme die
<lb/>moralische Garantie, dass der Luxusdruck
<lb/>nicht nur sofort in Angriff genommen
<lb/>wird, sondern auch nach <hi rend="underline">Ihren</hi> Wünschen
<lb/>ausgeführt.</p>
<p type="pre-split">Weiter bitte ich Sie: Haben Sie Lust, und
<lb/>haben Sie <choice><orig>soviel</orig><reg>so viel</reg></choice> Vertrauen zu mir, dass
<lb/>Sie diesem Verlage – unter der Garantie der
<lb/>Aufsicht durch meine Person – für eine
<lb/>wundervolle, international hochstehende
<lb/>und unnaturalistische dramatische
<lb/>Bibliothek
<note type="commentary" resp="#E0300391">Gemeint ist wahrscheinlich die 1936 entstandene <orgName key="E0600087">Gustav-Kiepenheuer-Bücherei</orgName>. Das Ziel dieser Buchreihe war die Publikation klassischer Literatur sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart, die <q rend="dq-du">zum unverlierbaren Schatz der Weltliteratur gezählt werden dürfen.</q></note>
(die als einzelnes Buch schon
<lb/>wunderbar wird) Ihren <title key="E0400133">Arlecchino</title> und
<lb/><title key="E0400133">Arlecchino II</title> und Ihren <rs key="E0400153">Parnass</rs>
<note type="commentary" resp="#E0300391">Gemeint sind wahrscheinlich die ersten beiden Sätze von <persName key="E0300017">Busonis</persName> <title key="E0400133">Arlecchino oder Die Fenster</title> sowie sein Werk <title key="E0400153">Turandot</title>. Den Bezug zum <placeName key="E0500444">Parnass</placeName>, der in der griechischen Mythologie das Reich der Dichtkunst symbolisiert, stellt auch <persName key="E0300125">Hans Huber</persName> in einem <ref target="#D0100239">Brief</ref> an <persName key="E0300017">Busoni</persName> vom 5. Dezember 1916 her. So gratuliert er diesem <q rend="dq-du">zum Aufstieg auf die sonnigen Höhen des Parnass</q>; er bezieht sich auf ein Werk, das in Zürich aufgeführt werden soll. Es liegt nahe, dass er auf <title key="E0400153">Turandot</title> verweist, da dieses Werk gemeinsam mit <title key="E0400133">Arlecchino oder Die Fenster</title> am 11. Mai 1917 im <placeName key="E0500250">Stadttheater Zürich</placeName> uraufgeführt wurde.</note>
zur
<lb/>vorbildlichen Herausgabe anvertrauen
<lb/>würden? Und ferner: Ihre literarischen
<lb/>Schriften — — Alle in bleibenden
</p></div>
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B II, 4289
Ausgaben nach Ihrem Wunsch und
nach Ihren Honorarforderungen.
— [9]
Ich wäre sehr froh, wenn Sie bald
Zeit fänden, mir darüber ein paar
Worte zu schreiben. Um Ihnen einen
Begriff vom Verlage Kiepenheuer zu
geben, wollte ich Ihnen erst die Luxusaus- gaben selbst senden lassen. Es stellte sich
heraus, dass sie vergriffen sind, und
so werden Sie sich mit einem Verlags- verzeichnis begnügen müssen.
Was meine eigenen Wünsche angeht, so will
ich, dass dieser Verlag der erste, anständige moderne
Verlag Deutschlands wird: Nicht so eisern lang- weilig und staubnaturalistisch wie S. Fischer;
nicht so liederlich und mit Amerikanismus
in der Reklame wie Kurt Wolff, und nicht
so indifferent und tatenlos wie Cassirer.
Und überdies hat er grosses Kapital, und
der Verleger verspricht sich selbst nur etwas
davon, sein Geld in so etwas hineinzustecken.
Und noch eins: Würden
Sie selbst im Verlag K. eine Hoffmann-Ausgabe machen
wollen – Auswahl ihrer Lieblingsnovellen in einem (dicken) Band?
Busoni schrieb die Einführung zu E.T.A. Hoffmanns „Phantastische Geschichten“, die jedoch bereits 1914 erschienen ist. Ein weiterer direkter Zusammenhang zwischen einer Hoffmann-Ausgabe und Busoni war nicht auffindbar.
Nicht vergessen!
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Als ich die deutsche Grenze überschritt, fiel
mir auf, dass alle Menschen so reines Deutsch
sprachen, selbst wenn es bayrisch war; dass
alle so freundlich und zuvorkommend
waren, selbst in der Eisenbahn. Manches,
vor allem Zeitungsberichte, hat uns eine
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<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive_sig">B II, 4289 </note>
Ausgaben nach Ihrem Wunsch und
<lb/>nach Ihren Honorarforderungen.
— <note type="foliation" place="top-right" rend="align(right)" resp="#archive">[9]</note>
</p>
<p>Ich wäre sehr froh, wenn Sie bald
<lb/>Zeit fänden, mir darüber ein paar
<lb/>Worte zu schreiben. Um Ihnen einen
<lb/>Begriff vom Verlage <orgName key="E0600079">Kiepenheuer</orgName> zu
<lb/>geben, wollte ich Ihnen erst die Luxusaus
<lb break="no"/>gaben selbst senden lassen. Es stellte sich
<lb/>heraus, dass sie vergriffen sind, und
<lb/>so werden Sie sich mit einem Verlags
<lb break="no"/>verzeichnis begnügen müssen.</p>
<p>Was meine eigenen Wünsche angeht, so will
<lb/>ich, dass dieser Verlag der erste, anständige moderne
<lb/>Verlag <placeName key="E0500015">Deutschlands</placeName> wird: Nicht so eisern lang
<lb break="no"/>weilig und staubnaturalistisch wie <orgName key="E0600082">S. Fischer</orgName>;
<lb/>nicht so liederlich und mit <placeName key="E0500942">Amerika</placeName>nismus
<lb/>in der Reklame wie <orgName key="E0600081">Kurt Wolff</orgName>, und nicht
<lb/>so indifferent und tatenlos wie <orgName key="E0600074">Cassirer</orgName>. <!--Ein paar Werke bzw. Autoren den Verlagen zuordnen?-->
<lb/>Und überdies hat er gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>es Kapital, und
<lb/>der Verleger verspricht sich selbst nur etwas
<lb/>davon, sein Geld in so etwas hineinzustecken.
<lb/>Und noch eins: Würden
<hi rend="underline">Sie</hi> selbst im Verlag <orgName key="E0600079"><choice><abbr>K.</abbr><expan>Kiepenheuer</expan></choice></orgName> eine <hi rend="underline"><persName key="E0300019">Hoffmann</persName>-Ausgabe</hi> machen
<lb/>wollen – Auswahl ihrer Lieblingsnovellen in einem <add place="below">(dicken)</add> Band?
<note type="commentary" resp="#E0300391"><persName key="E0300017">Busoni</persName> schrieb die Einführung zu <persName key="E0300019">E.T.A. Hoffmanns</persName> <title>Phantastische Geschichten</title>, die jedoch bereits 1914 erschienen ist. Ein weiterer direkter Zusammenhang zwischen einer <persName key="E0300019">Hoffmann</persName>-Ausgabe und <persName key="E0300017">Busoni</persName> war nicht auffindbar.</note>
<!--Ansatzpunkt: Briefe zwischen Busoni und Volkmar Andreae. In Stuckenschmidt 1967, S. 125 Fußnoten-Hinweis: Busoni empfiehlt Kiepenheuer-Verlag seinen Sohn als Illustrator für eine geplante Hoffmann-Ausgabe.--> Nicht vergessen!</p>
<note type="stamp" place="right" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
<p type="pre-split" rend="space-above">Als ich die deutsche Grenze überschritt, fiel
<lb/>mir auf, dass alle Menschen so reines Deutsch
<lb/>sprachen, selbst wenn es bayrisch war; dass
<lb/>alle so freundlich und zuvorkommend
<lb/>waren, selbst in der Eisenbahn. Manches,
<lb/>vor allem Zeitungsberichte, hat uns eine
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10Faksimile
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10Diplomatische Umschrift
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10XML
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falsche Vorstellung vermittelt. Es giebt überall
Cigarren und Cigaretten, nur teuer. Es giebt
ein Bierli, das tausendmal besser ist als das
von Hürli. Es giebt, im Schleichhandel, „sogar“
Bohnenkaffee. – Die Menschen sind im
Ganzen und Grossen williger als früher, nur
vollkommen uninformiert, über das was
sie erwartet, und z.T. über das, was war. Sie
glauben heute noch genau wie früher, Ihr ihrer
Lügenpresse. In
Berlin fällt einem zunächst
auf: Eine unwahrscheinlich grosse Zahl von
Autos; eine ausserordentliche Gross-Stadtzahl
von Menschen in den Strassen; eine wunder- bare Schnelligkeit im Denken und Antworten
(z.B. auf der Strasse). Die Verhältnisse sind
voll von Böswilligkeit. Was in diesen Wochen
an furchtbaren und grausamen Gemetzel vor- gekommen ist, die entsetzlich, blutdürstige und
tierische Roheit gegen ahnungslose und dumpf,
unterernährt dahinlebende Unterdrückte,
Gemeint sind die sogenannten Märzkämpfe, die aufgrund der Enttäuschung über die politische Entwicklung der Revolution von 1918/1919 herbeigeführt wurden. Anfang März 1919 weiteten Anhänger der Kommunistischen Partei Deutschlands einen Generalstreik zu einem bewaffneten Aufstand aus, mit dem Ziel, die Reichsregierung zu stürzen.
das
lässt einem die so berühmte Bartholomäusnacht
Die Bartholomäusnacht bezeichnet ein Massaker an den Hugenotten in Frankreich, das in der Nacht zum 24. August 1572 begann.
als eine Lappalie der Weltgeschichte erscheinen.
Es scheint, man hat in den vergangenen vier
Jahren noch zu wenig gesiegt, und man
will durchaus weitersiegen. — Die wirtschaftlichen
Verhältnisse sehe ich für das kommende halbe
Jahr ohne Optimismus an. Wenn Sie im
Herbst kommen könnten, so, dass Sie
Ihre – für Ihre Lebensfreude – unumgäng- lichen Bedürfnisse befriedigen können,
ohne allzu wucherische Preise zu bezahlen,
Die Inflation des Deutschen Reichs, die durch die Ausweitung der Geldmenge zur Beseitigung von Staatsschulden in der Weimarer Republik sowie die Finanzierung des Ersten Weltkriegs herbeigeführt wurde, hat sich mit dem Ende des Krieges angebahnt und in der Hyperinflation von 1923 ihren Höhepunkt gefunden.
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<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="space-above" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" rend="underline" resp="#archive">10</note>
falsche Vorstellung vermittelt. Es g<choice><orig>ie</orig><reg>i</reg></choice>bt überall
<lb/><choice><orig>C</orig><reg>Z</reg></choice>igarren und <choice><orig>C</orig><reg>Z</reg></choice>igaretten, nur teuer. Es g<choice><orig>ie</orig><reg>i</reg></choice>bt
<lb/>ein Bierli, das tausendmal besser ist als das
<lb/>von Hürli. Es g<choice><orig>ie</orig><reg>i</reg></choice>bt, im Schleichhandel, <mentioned rend="dq-du">sogar</mentioned>
<lb/>Bohnenkaffee. – Die Menschen sind im
<lb/>Ganzen und Gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en williger als früher, nur
<lb/>vollkommen uninformiert, über das was
<lb/>sie erwartet, und <choice><abbr>z.T.</abbr><expan>zum Teil</expan></choice> über das, was war. Sie
<lb/>glauben heute noch genau wie früher<choice><orig>, </orig><reg> </reg></choice><del rend="strikethrough">Ihr</del> ihrer
<lb/>Lügenpresse. In
<placeName key="E0500029">Berlin</placeName> fällt einem zunächst
<lb/>auf: Eine unwahrscheinlich gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Zahl von
<lb/>Autos; eine au<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erordentliche <choice><orig>Gross-Stadtzahl</orig><reg>Großstadtzahl</reg></choice>
<lb/>von Menschen in den Stra<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en; eine wunder
<lb break="no"/>bare Schnelligkeit im Denken und Antworten
<lb/>(z.B. auf der Stra<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e). Die Verhältnisse sind
<lb/>voll von Böswilligkeit. Was in diesen Wochen
<lb/>an furchtbaren und grausamen Gemetzel vor
<lb break="no"/>gekommen ist, die entsetzlich, blutdürstige und
<lb/>tierische Roheit gegen ahnungslose und dumpf,
<lb/>unterernährt dahinlebende Unterdrückte,
<note type="commentary" resp="#E0300391">Gemeint sind die sogenannten Märzkämpfe, die aufgrund der Enttäuschung über die politische Entwicklung der Revolution von 1918/1919 herbeigeführt wurden. Anfang März 1919 weiteten Anhänger der <orgName key="E0600095">Kommunistischen Partei Deutschlands</orgName> einen Generalstreik zu einem bewaffneten Aufstand aus, mit dem Ziel, die Reichsregierung zu stürzen.</note>
das
<lb/>lässt einem die so berühmte Bartholomäusnacht
<note type="commentary" resp="#E0300391">Die Bartholomäusnacht bezeichnet ein Massaker an den Hugenotten in <placeName key="E0500014">Frankreich</placeName>, das in der Nacht zum 24. August 1572 begann.</note>
<lb/>als eine Lappalie der Weltgeschichte erscheinen.
<lb/>Es scheint, man hat in den vergangenen vier
<lb/>Jahren noch zu wenig gesiegt, und man
<lb/>will durchaus <choice><orig>weitersiegen</orig><reg>weiter siegen</reg></choice>. — Die wirtschaftlichen
<lb/>Verhältnisse sehe ich für das kommende halbe
<lb/>Jahr ohne Optimismus an. Wenn Sie im
<lb/>Herbst kommen könnten, so, dass Sie
<lb/>Ihre – für Ihre Lebensfreude – unumgäng
<lb break="no"/>lichen Bedürfnisse befriedigen können,
<lb/>ohne allzu wucherische Preise zu bezahlen,
<note type="commentary" resp="#E0300391">Die Inflation des Deutschen Reichs, die durch die Ausweitung der Geldmenge zur Beseitigung von Staatsschulden in der Weimarer Republik sowie die Finanzierung des Ersten Weltkriegs herbeigeführt wurde, hat sich mit dem Ende des Krieges angebahnt und in der Hyperinflation von 1923 ihren Höhepunkt gefunden.</note>
</p></div>
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B II, 4289
so würde ich mich sehr freuen. Ihrer
Aufnahme als geistigen und künstlerischen
Führers der Generation seien Sie sicher.
Das hat alles gestimmt, was
Rita davon
in Zürich sagte; noch mehr, Sie müssen
sich die Masse, in denen das geschehen wird,
noch viel, viel grösser vorstellen, als man
es sich in der bescheidenen Zürcher Luft gewöhnt. In den nächsten Jahren wird wohl Berlin
doch der geistige und künstlerische Mittel- punkt von Europa werden, so wie es
in den sechziger bis achziger Jahren Paris
war. Darauf deutet mir heute hier alles.
An Rita habe ich eine grosse Überraschung
erlebt. Sie bewegt sich in Berlin ganz
natürlich, ist nicht hysterisch, ist
nett und klug, hat ausgezeichnete und
sympathische Bekannte, sie ist in ihrer
natürlichen Luft und garnicht mit der
Zürcher Rita zu vergleichen. Und zu allem
war Sie wirklich eine so ausgezeichnete
Verwalterin der tausend Dinge Ihrer
Wohnung, dass ich nur staunen kann.
Alles hängt hier nun von der
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Entwicklung der Ereignisse im Sommer ab.
Vorläufig haben die Leute leider noch
ein zu grosses Vertrauen zu… ja, Sie
werden das nicht für möglich halten,
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<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="space-above" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" rend="underline" resp="#archive">11</note>
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive_sig">B II, 4289 </note>
so würde ich mich sehr freuen. Ihrer
<lb/>Aufnahme als geistigen und künstlerischen
<lb/>Führers der Generation seien Sie sicher.
<lb/>Das hat alles gestimmt, was
<persName key="E0300351">Rita</persName> davon
<lb/>in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName> sagte; noch mehr, Sie müssen
<lb/>sich die Masse, in denen das geschehen wird,
<lb/>noch <hi rend="underline">viel, viel grö<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>er</hi> vorstellen, als man
<lb/><add place="above">es</add> sich in der bescheidenen Zürcher Luft gewöhnt. <lb/>In den nächsten Jahren wird wohl <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
<lb/>doch der geistige und künstlerische Mittel
<lb break="no"/>punkt von <placeName key="E0500943">Europa</placeName> werden, so wie es
<lb/>in den sechziger bis <choice><orig>achziger</orig><reg>achtziger</reg></choice> Jahren <placeName key="E0500012">Paris</placeName>
<lb/>war. Darauf deutet mir heute hier alles.
<lb/>An <persName key="E0300351">Rita</persName> habe ich eine gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Überraschung
<lb/>erlebt. Sie bewegt sich in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> ganz
<lb/>natürlich, ist nicht hysterisch, ist
<lb/>nett und klug, hat ausgezeichnete und
<lb/>sympathische Bekannte, sie ist in ihrer
<lb/>natürlichen Luft und <choice><orig>garnicht</orig><reg>gar nicht</reg></choice> mit der
<lb/>Zürcher <persName key="E0300351">Rita</persName> zu vergleichen. Und zu allem
<lb/>war Sie wirklich eine so ausgezeichnete
<lb/>Verwalterin der tausend Dinge Ihrer
<lb/>Wohnung, dass ich nur staunen kann.</p>
<p type="pre-split" rend="indent-first">Alles hängt hier nun von der <note type="stamp" place="right" rend="align(right)" resp="#dsb_st_red">
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<lb/>Staatsbibliothek
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<lb/>Entwicklung der Ereignisse im Sommer ab.
<lb/>Vorläufig haben die Leute leider noch
<lb/>ein zu gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>es Vertrauen zu… ja, Sie
<lb/>werden das nicht für möglich halten,
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12Faksimile
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12Diplomatische Umschrift
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zur Entente, obwohl sie an diesem Vertrauen
verhungern! Dieses Vertrauen wird, wie ich
vermute, von offizieller Seite zu partei- politischen Zwecken geschürt; da es aber
noch eine Briefzensur giebt, kann ich mich
wohl über diese Dinge wie über einige andere
nicht auslassen. —
Noch eins: Dass ein Mensch wie Bruno
Goetz nicht in Berlin ist, ist verbreche- rische, dumme Idylle. Er muss nicht ver- hungern, er würde genug verdienen, dafür
könnte ich, zum Teil, sorgen; und hier ist
sein Platz, hier hat er zu arbeiten, wenn er
nicht verkommen will. (Niemand muss ver- hungern: Selbst
Goetzens Familie, die sich von
lächerlich kleinen Summen erhält, isst mit ihren
vier Personen ganz ordentlich; ich besuchte sie.)
Jedenfalls ist höchste Zeit, dass er hier lebt.
Die Pumpstation Zürich ist Unsinn. —
Meine Frau war nur kurze Zeit in
Berlin. Sie fuhr auf ihr Besitztum, wo ihr
Vater starb, und von demessen wir Beschaffen- heit – ganz?, zerschossen?, verkommen? oder blühend? –
wir uns keine Vorstellung machen konnten. Ich
erhielt eine, wie es scheint, nicht unerfreuliche
Nachricht von ihr. Sie wird in den nächsten
Wochen wieder eintreffen.
Und nun umarme ich Sie und die
liebe Frau Gerda und Lello und – vielleicht
ist er schon in Ihrer Nähe – Ihren Benni!
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zur Entente, obwohl sie an diesem Vertrauen
<lb/>verhungern! Dieses Vertrauen wird, wie ich
<lb/>vermute, von offizieller Seite zu partei
<lb break="no"/>politischen Zwecken geschürt; da es aber
<lb/>noch eine Briefzensur g<choice><orig>ie</orig><reg>i</reg></choice>bt, kann ich mich
<lb/>wohl über diese Dinge wie über einige andere
<lb/>nicht auslassen. —</p>
<p rend="indent-first">Noch eins: Dass ein Mensch wie <persName key="E0300192">Bruno
<lb/>Goetz</persName> nicht in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> ist, ist verbreche
<lb break="no"/>rische, dumme Idylle. Er muss nicht ver
<lb break="no"/>hungern, er würde genug verdienen, dafür
<lb/>könnte <hi rend="underline">ich</hi>, <hi rend="underline-wave">zum Teil</hi>, sorgen; und hier ist
<lb/>sein Platz, hier hat er zu arbeiten, wenn er
<lb/>nicht verkommen will. (Niemand muss ver
<lb break="no"/>hungern: Selbst
<persName key="E0300192">Goetzens</persName> Familie, die sich von
<lb/>lächerlich kleinen Summen erhält, isst mit ihren
<lb/>vier Personen ganz ordentlich; ich besuchte sie.)
<lb/>Jedenfalls ist höchste Zeit, dass er hier lebt.
<lb/>Die Pumpstation <placeName key="E0500132">Zürich</placeName> ist Unsinn. —</p>
<p rend="indent-first">Meine Frau war nur kurze Zeit in
<lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>. Sie fuhr auf ihr Besitztum, wo ihr <!--Welches Besitztum? Lage?-->
<lb/>Vater starb, und von de<subst><del rend="overwritten">m</del><add place="across">essen</add></subst> <del rend="strikethrough">wir</del> Beschaffen
<lb break="no"/>heit – ganz?, zerschossen?, verkommen? oder blühend? –
<lb/>wir uns keine Vorstellung machen konnten. Ich
<lb/>erhielt eine, wie es scheint, nicht unerfreuliche
<lb/>Nachricht von ihr. Sie wird in den nächsten
<lb/>Wochen wieder eintreffen.</p>
<p rend="indent-first">Und nun umarme ich Sie und die
<lb/>liebe <persName key="E0300059">Frau Gerda</persName> und <persName key="E0300153">Lello</persName> und – vielleicht
<lb/>ist er schon in Ihrer Nähe – Ihren <persName key="E0300060">Benni</persName>!</p>
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<signed> Der Ihre in Freundschaft und Dankbarkeit <persName key="E0300126">Ludwig Rubiner</persName>
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<placeName rend="indent" key="E0500029">Berlin</placeName> W.30.
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