Mus.ep. R. Freund 22 (Busoni-Nachl. B II) Mus. Nachl. F. Busoni B II, 1711
[1]
Lieber Freund! Herzlichen Dank
für Ihre Sendung. Diese enthält
des Anregenden, theilweise
auch des Bedeutenden so viel,
dass es nicht möglich
ist in einem simplen
Brief sich einigermassen
eingehend darüber zu unterhal_ ten.
Zuerst dzu den Operndichtungen.
No 1 scheint für Musik
wie geschaffen u. ich hörte
sie manches mal “klingen”.
Die Brautwahl gefiel mir
weniger (ich meine als
musikalischer Vorwurf). Äussert
gespan̅t bin ich auf den
Styl (leggiero e grazioso)
in dem Sie den Text wohl
Lieber Freund!
Herzlichen Dank
für Ihre Sendung. Diese enthält
des Anregenden, teilweise
auch des Bedeutenden so viel,
dass es nicht möglich
ist, in einem simplen
Brief sich einigermaßen
eingehend darüber zu unterhalten.
Zuerst zu den Operndichtungen.
Nr. 1 scheint für Musik
wie geschaffen, und ich hörte
sie manches Mal „klingen“.
Die Brautwahl gefiel mir
weniger (ich meine als
musikalischer Vorwurf). Äußert
gespannt bin ich auf den
Stil (leggiero e grazioso),
in dem Sie den Text wohl
„vertonen“ werden. Etwas störend ist mir aber
die Zerlegung der beiden mittleren Akte in
je zwei Hälften: für mich ein Zeugnis der
Ungeschicklichkeit des Dramatikers. Es
kommt dadurch etwas Kleinlich-Zerrissenes
in den Gang der Handlung. Sie nehmen
mir doch meine Aufrichtigkeit nicht übel?
Ich versprach Ihnen vor Jahren, immer
offen zu reden, und Sie sehen, ich halte
Wort.
Die Aphorismen sind für mich der bedeutendste Teil des Buches und viele derselben
von großer sprachlicher Schönheit. Sind es
die kurzen Sätze, oder hielten Sie hie und da
mit Ihrer Meinung etwas
zurück, kurz, ich hatte
häufig den Eindruck des
Dunklen, Unbestimmten.
Wenn ich Sie nicht missverstanden habe, so halten
Sie Bach und Beethoven nur
als relativ Große, denn
das eigentliche Reich der
Musik wird erst kommen.
Mir sind diese Beiden (und auch
einige Kleinere) allerdings
absolute Größen, und die schönsten
Prophezeiungen über die herrliche
kommende Kunst können mir
nicht die Ergriffenheit geben,
die mir unsere „Großen“ bisher
gaben.
Auch verstehe ich nicht recht
Ihren Eifer über „Form“. Ich
habe den Eindruck, als ob Sie
„Form“ und „Schema“ verwechselten. Brahms pflegte zu
sagen: Ein Stück in „Sonatenform“ ist noch lange keine
„Sonate“. „Form“ ist doch kein
Gesetz, das keine Ausnahme
duldet, ist sie doch nur das
In-die-Erscheinung-(Wahrnehmung-)Treten der Idee. Und
gerade ein so formvollendeter
Künstler wie Sie kann doch
auf straffe, konzise Architektur
nicht mit Verachtung herabsehen. Von der praktischen
Seite (der Erziehung der Jungen
zum „Können“) schweige ich,
denn da ist zuerst das „Schema“
wohl notwendig. Aber das
hat doch nichts mit dem
Schaffen des „Künstlers“
zu tun. „Ihr stellt die
Regel und folgt ihr
dann“, und kein Künstler
hat wohl anders produziert.
Haben Sie die Briefe von
Friedrich Hebbel angesehen?
(Briefe und Tagebücher.)
Für mich das Beste und
Tiefste, was je über
„Form“ gesagt wurde.
Das Interessanteste ist aber
doch der Schluss mit
seinem Ausblick auf neue
Tonarten und Harmonien.Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, S. 42.
Ich werde wohl den Meister
nicht mehr erleben, der
mit diesem Material schaffen
wird, ja mir ist es ganz
unmöglich, in Drittel-Tönen zu denken,Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, S. 43.
ja auch nur „innerlich“ zu singen. Aber
was den Alten unmöglich, könnte doch
einer künftigen Generation natürlich werden.
Doch zum Schluss; denn Klarheit könnten
Sie mir doch nur in mündlicher
Unterhaltung über verschiedene Punkte geben.
Von Andreae erhalten Sie wohl
schon nächstens definitive Nachricht. Suter
ist seit einiger Zeit leidend. Als
ich ihn zum letzten Mal sah, hatte
ich den Eindruck, als ob die Konzertkommission
nicht auf seinen Vorschlag eingehen wollte.
Tant pis pour eux.
Grüßen Sie bitte Ihre Frau
recht herzlich, und seien
Sie stets gut
Gehen Sie wirklich nach
Wien? Mir eine sehr
angenehme Perspektive,
denn ich hätte dann Hoffnung,
Sie häufiger zu sehen.
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2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
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“vertonen” werden. Etwas störend ist mir auchber
die Zerlegung der beiden mittleren inActe in
je 2 Hälften: für mich ein Zeugniss der
Ungeschicklickhkeit des Drammatikers. […]1 Zeichen: unleserlich.
Es
kom̅t dadurch etwas Kleinlich-Zerrissenes
in den Gang der Handlung. Sie nehmen
mir doch meine Aufrichtigkeit nicht übel?
Ich versprach Ihnen vor Jahren im̅er
offen zu reden u. Sie sehen, ich halte
Wort. –
Die Aphorismen sind für mich der bedeu_ tendste Theil des Buches u. viele derselben
von grosser sprachlicher Schönheit. IstSind es
die kurzen Sätze oder hielten Sie manhie u. da
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3Faksimile
3Diplomatische Umschrift
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mit Ihrer Meinung etwas
zurück, kurz ich hatte
häufig den Eindruck aldes
Dunklen, Unbestim̅ten.
Wen̅ ich Sie nicht missver_ standen habe, so halten
Sie Bach u. Beethoven nur
als relativ–Grosse, den̅
das eigentlich[e] Reich der
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Mir sind diese Beiden (u. auch
einige Kleinere) allerdings
absolute Grössen u. die schönsten
Prophezeiungen über die herrliche
kom̅ende Kunst, kön̅en mir
nicht die Ergriffenheit geben,
die mir unsere “Grossen” bisher
gaben.
Auch verstehe ich nicht recht
Ihren Eifer über “Form”. Ich
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
[]
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mit Ihrer Meinung etwas
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4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
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[2]
habe den Eindruck als ob Sie
“Form” u. “Schema” verwechsel_ ten. Brahms pflegte zu
sagen: ein Stück imn “Sonaten_ form” ist noch lange keine
“Sonate”. “Form” ist doch kein
Gesetz das keine Ausnahme
duldet, ist sie doch nur das
in die Erscheinung-(Warhrnemung) Treten der Idee. Und
gerade iein so formvollendeter
Künstler wie Sie, kan̅ doch
auf straffe, concise Architectur
nicht mit Verachtung herab_ sehen. Von der praktischen
Seite (der Erziehung der Jungen
zum “Kön̅en”) schweige ich,
den̅ da ist zuerst das “Schema” wohl nothwendig. Aber das
hat doch nichts mit dem
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
[]
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5Faksimile
5Diplomatische Umschrift
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[4]2,
Schaffen des “Künstlers” zu thun. “Ihr stellt die
Regel u. folgt ihr
dan̅” u. kein Künstler
hat wohl anders producirt.
Haben Sie die Briefe von
Friedrich Hebbel angesehen?
(Briefe u. Tagebücher) Für mich das Beste u.
Tiefste was je über
“Form” gesagt wurde. _
Das Interessanteste ist aber
doch der Schluss mit
seinem Ausblick auf neue
Tonarten u. Harmonien.Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, S. 42. Ich werde wohl den Meister
nicht mehr erleben der
mit diesem Material schaffen
wird, ja mir ist es ganz
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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6Diplomatische Umschrift
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Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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unmöglich in Drittel-Tönen zu denkenEntwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, S. 43. ja auch nur “in̅erlich” zu singen. Aber
was den Alten unmöglich, kön̅te doch
einer künftigen Generation natürlich werden.
Doch zum Schluss; den̅ Klarheit kön̅ten
Sie mir doch nur in einer mündlichenr
Unterhaltung über verschiedene Punkte geben.
– Von Andreae erhalten Sie wohl
schon nächstens definitive Nachricht. Suter ist schon seit einiger Zeit leidend. Als
ich ihn zum letztenmal sah, hatte
ich den Eindruck als ob die Concertcomission
nicht auf seinen Vorschlag eingehen wollte.
Tant pis pour eux. –
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7Faksimile
7Diplomatische Umschrift
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Grüssen Sie bitte Ihre Frau recht herzlich u. seien
Sie stets gut
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1711 | olim:
Mus.ep. R. Freund 22 (Busoni-Nachl. B II)
|
Freund äußert sich umfangreich zum von Busoni erhaltenen Sammeldruck; hält Busonis Kritik am Begriff der „Form“ für eine Verwechslung mit „Schema“; empfiehlt hierzu Hebbel-Lektüre; erkundigt sich nach Busonis möglichem Engagement in Wien.
Brief von Robert Freund an Ferruccio Busoni (Zürich, 23. April 1907), bearbeitet von Wantana Tancharoenpol, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Robert Freund, hrsg. von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Januar 2018: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0100527 (6. April 2018: in Korrekturphase)
Download der bereinigten Lesefassung im PDF-Dateiformat (.pdf)
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<title xml:lang="de">Brief von Robert Freund an Ferruccio Busoni (Zürich, 23. April 1907)</title>
<title xml:lang="en">Letter by Robert Freund to Ferruccio Busoni (Zurich, 23 April 1907)</title>
<author key="E0300208">Robert Freund</author>
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<resp>Prepared by</resp>
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<forename>Wantana</forename>
<surname>Tancharoenpol</surname>
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<resp>Digitization by</resp>
<orgName key="D-B">Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz</orgName>
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<publisher>Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin</publisher>
<pubPlace>Berlin</pubPlace>
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<title type="main">Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften</title>
<title type="genre">Briefe</title>
<title type="subseries" key="E010007">Briefwechsel Ferruccio Busoni – Robert Freund</title>
<editor key="E0300314">Christian Schaper</editor>
<editor key="E0300313">Ullrich Scheideler</editor>
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<collection>Nachlass Ferruccio Busoni</collection>
<idno>Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1711</idno>
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<summary><persName key="E0300208">Freund</persName> äußert sich umfangreich zum von <persName key="E0300017">Busoni</persName> erhaltenen <rs key="E0800228">Sammeldruck</rs>; hält <persName key="E0300017">Busonis</persName> Kritik am Begriff der <mentioned>Form</mentioned> für eine Verwechslung mit <mentioned>Schema</mentioned>; empfiehlt hierzu <persName key="E0300445">Hebbel</persName>-Lektüre; erkundigt sich nach <persName key="E0300017">Busonis</persName> möglichem Engagement in <placeName key="E0500002">Wien</placeName>.</summary>
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<docDate resp="#archive" sameAs="#arch_date"><date when-iso="1907"/></docDate>
<incipit>Herzlichen Dank für <rs key="E0800228">Ihre Sendung</rs></incipit>
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<measure type="folio">4 Bogen</measure>
<measure type="pages">7 beschriebene Seiten </measure>
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<collation>Seitenfolge 1, 4, 2, 3, 7, 6, 8 (4, 6 im Querformat)</collation>
<condition>Der Brief ist gut erhalten.</condition>
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<handDesc><!-- Beschreibung der beteiligten Hände, reduzieren und/oder ergänzen -->
<handNote xml:id="major_hand" scope="major" medium="black_ink" scribe="author" scribeRef="#E0300208">Hand des Absenders Robert Freund, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.</handNote>
<handNote xml:id="archive" scope="minor" medium="pencil" scribe="archivist">Hand des Archivars, der die Signaturen mit Bleistift eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat.</handNote>
<handNote xml:id="archive_red" scope="minor" medium="red_pen" scribe="archivist">Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat</handNote>
<handNote xml:id="dsb_st_red" scope="minor" medium="red_ink" scribe="archivist">Bibliotheksstempel (rote Tinte)</handNote>
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<p>Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.</p>
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<p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit Unterstrichen (_).</p>
</hyphenation>
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<p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p>
</punctuation>
<quotation marks="none">
<p>Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut <att>rend</att> der entsprechenden Elemente codiert.</p>
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<p>Die Übertragung folgt den Editionsrichtlinien des Projekts. <ptr target="http://www.busoni-nachlass.org/E1000003"/></p>
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<persName ref="http://d-nb.info/gnd/116781718" key="E0300208">Freund, Robert</persName>
<date when="1907-04-23"/>
<placeName ref="http://www.geonames.org/2657896" key="E0500132">Zürich</placeName>
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<persName ref="http://d-nb.info/gnd/118518011" key="E0300017">Busoni, Ferruccio</persName>
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<del rend="strikethrough" xml:id="delSig">Mus.ep. R. Freund 22 (Busoni-Nachl. <handShift new="#archive_red"/>B II<handShift new="#archive"/>)</del>
<lb/><add xml:id="addSig">Mus. Nachl. F. Busoni B II, 1711</add>
</note>
<note type="foliation" resp="#archive" place="top-right" rend="space-below">[1]</note>
<p rend="space-above"><seg type="opener" subtype="salute">Lieber Freund!</seg> Herzlichen Dank
<lb/>für <rs key="E0800228">Ihre Sendung</rs>. Diese enthält
<lb/>des Anregenden, t<orig>h</orig>eilweise
<lb/>auch des Bedeutenden so viel,
<lb/>dass es nicht möglich
<lb/>ist<reg>,</reg> in einem simplen
<lb/>Brief sich einigerma<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en
<lb/>eingehend darüber zu unterhal
<lb break="no"/>ten.</p>
<p>Zuerst <subst><del rend="overwritten">d</del><add place="across">z</add></subst>u <rs type="works" key="E0400048 E0400138">den Operndichtungen</rs>.
<lb/><rs key="E0400048"><choice><orig>N<seg rend="sup underline2">o</seg></orig><reg>Nr.</reg></choice> 1</rs> scheint für Musik
<lb/>wie geschaffen<reg>,</reg> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> ich hörte
<lb/>sie manches <choice><sic>m</sic><corr>M</corr></choice>al <soCalled rend="dq-uu">klingen</soCalled>.
<lb/><title key="E0400138">Die Brautwahl</title> gefiel mir
<lb/>weniger (ich meine als
<lb/>musikalischer Vorwurf). Äu<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ert
<lb/>gespa<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>t bin ich auf den
<lb/>St<choice><orig>y</orig><reg>i</reg></choice>l (leggiero e grazioso)<reg>,</reg>
<lb/>in dem Sie den Text wohl
<pb n="2"/>
<soCalled rend="dq-uu">vertonen</soCalled> werden. Etwas störend ist mir a<subst><del rend="overwritten">uch</del><add place="across">ber</add></subst>
<lb/>die Zerlegung der beiden mittleren <subst><del rend="overwritten">in</del><add place="across">A</add></subst><choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>te in
<lb/>je <choice><orig>2</orig><reg>zwei</reg></choice> Hälften: für mich ein Zeugnis<orig>s</orig> der
<lb/>Ungeschicklic<subst><del rend="overwritten">k</del><add place="across">h</add></subst>keit des Dram<orig>m</orig>atikers. <subst><del rend="overwritten"><gap reason="illegible" unit="char" extent="1"/></del><add place="across">E</add></subst>s
<lb/>ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t dadurch etwas Kleinlich-Zerrissenes
<lb/>in den Gang der Handlung. Sie nehmen
<lb/>mir doch meine Aufrichtigkeit nicht übel?
<lb/>Ich versprach Ihnen vor Jahren<reg>,</reg> i<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>er
<lb/>offen zu reden<reg>,</reg> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Sie sehen, ich halte
<lb/>Wort.<orig> –</orig></p>
<p><rs key="E0400043">Die Aphorismen</rs> sind für mich der bedeu
<lb break="no"/>tendste T<orig>h</orig>eil <rs key="E0800228">des Buches</rs> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> viele derselben
<lb/>von gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>er sprachlicher Schönheit. <subst><del rend="strikethrough">Ist</del><add place="above">Sind</add></subst> es
<lb/>die kurzen Sätze<reg>,</reg> oder hielten Sie <subst><del rend="overwritten">man</del><add place="across">hie</add></subst> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> da
<pb n="3"/>
mit Ihrer Meinung etwas
<lb/>zurück, kurz<reg>,</reg> ich hatte
<lb/>häufig den Eindruck <subst><del rend="overwritten">al</del><add place="across">de</add></subst>s
<lb/>Dunklen, Unbesti<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>ten.
<lb/>We<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> ich Sie nicht missver
<lb break="no"/>standen habe, so halten
<lb/>Sie <persName key="E0300012">Bach</persName> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <persName key="E0300001">Beethoven</persName> nur
<lb/>als <hi rend="underline">relativ</hi><choice><orig>–</orig><reg> </reg></choice>Gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e, de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>
<lb/>das eigentlich<supplied reason="omitted">e</supplied> Reich der
<lb/>Musik wird erst ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>en.
<lb/>Mir sind diese Beiden (<choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> auch
<lb/>einige Kleinere) allerdings
<lb/>absolute Grö<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en<reg>,</reg> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> die schönsten
<lb/>Prophezeiungen über die herrliche
<lb/>ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>ende Kunst<orig>,</orig> kö<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>en mir
<lb/>nicht die Ergriffenheit geben,
<lb/>die mir unsere <soCalled rend="dq-uu">Gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en</soCalled> bisher
<lb/>gaben.</p>
<p>Auch verstehe ich nicht recht
<lb/>Ihren Eifer über <soCalled rend="dq-uu">Form</soCalled>. Ich
<note type="stamp" place="bottom-right" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
<supplied reason="incomplete"/>
</stamp>
</note>
<pb n="4"/>
<note type="foliation" resp="#archive" place="top-right">[2]</note>
habe den Eindruck<reg>,</reg> als ob Sie
<lb/><soCalled rend="dq-uu">Form</soCalled> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <soCalled rend="dq-uu">Schema</soCalled> verwechsel
<lb break="no"/>ten. <persName key="E0300009">Brahms</persName> pflegte zu
<lb/>sagen: <choice><orig>e</orig><reg>E</reg></choice>in Stück i<subst><del rend="overwritten">m</del><add place="across">n</add></subst> <soCalled rend="dq-uu">Sonaten
<lb break="no"/>form</soCalled> ist noch lange keine
<lb/><soCalled rend="dq-uu">Sonate</soCalled>. <soCalled rend="dq-uu">Form</soCalled> ist doch kein
<lb/>Gesetz<reg>,</reg> das keine Ausnahme
<lb/>duldet, ist sie doch nur das
<lb/><choice><orig>in die </orig><reg>In-die-</reg></choice>Erscheinung-(Wa<subst><del rend="overwritten">r</del><add place="across">h</add></subst>rne<reg>h</reg>mung<choice>
<orig>)<lb/></orig>
<reg>-)<lb break="no"/></reg>
</choice>Treten der Idee. Und
<lb/>gerade <subst><del rend="overwritten">i</del><add place="across">e</add></subst>in so formvollendeter
<lb/>Künstler wie Sie<orig>,</orig> ka<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> doch
<lb/>auf straffe, <choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>on<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>ise Archite<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>tur
<lb/>nicht mit Verachtung herab
<lb break="no"/>sehen. Von der praktischen
<lb/>Seite (der Erziehung der Jungen
<lb/>zum <soCalled rend="dq-uu">Kö<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>en</soCalled>) schweige ich,
<lb/>de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> da ist zuerst das <soCalled rend="dq-uu">Schema</soCalled>
<lb/>wohl not<orig>h</orig>wendig. Aber das
<lb/>hat doch nichts mit dem
<note type="stamp" place="bottom-left" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
<supplied reason="incomplete"/>
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</note>
<pb n="5"/>
<note type="foliation" resp="#archive" place="top-right">[4]</note>
<note type="pagination" resp="#major_hand" place="top-right">2,</note>
Schaffen des <soCalled rend="dq-uu">Künstlers</soCalled>
<lb/>zu t<orig>h</orig>un. <soCalled rend="dq-uu">Ihr stellt die
<lb/>Regel <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> folgt ihr
<lb/>da<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice></soCalled><reg>,</reg> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> kein Künstler
<lb/>hat wohl anders produ<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>i<reg>e</reg>rt.
<lb/>Haben Sie die Briefe von
<lb/><persName key="E0300445">Friedrich Hebbel</persName> angesehen?
<lb/><bibl>(Briefe <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Tagebücher<reg>.</reg>)</bibl>
<lb/>Für mich das Beste <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<lb/>Tiefste<reg>,</reg> was je über
<lb/><soCalled rend="dq-uu">Form</soCalled> gesagt wurde.<orig> _</orig></p>
<p>Das Interessanteste ist aber
<lb/>doch der Schluss mit
<lb/>seinem Ausblick auf neue
<lb/>Tonarten <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Harmonien.
<note type="commentary" resp="#E0300364"><bibl><ref target="#D0200002" n="42">Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst</ref>, S. 42.</bibl></note>
<lb/>Ich werde wohl den Meister
<lb/>nicht mehr erleben<reg>,</reg> der
<lb/>mit diesem Material schaffen
<lb/>wird, ja mir ist es ganz
<note type="stamp" place="bottom-left" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
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</note>
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<stamp rend="round border align(center) small rotate(-90)">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
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</stamp>
</note>
unmöglich<reg>,</reg> in Drittel-Tönen zu denken<reg>,</reg> <note type="commentary" resp="#E0300364"><bibl><ref target="#D0200002" n="43">Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst</ref>, S. 43.</bibl></note>
<lb/>ja auch nur <soCalled rend="dq-uu">i<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>erlich</soCalled> zu singen. Aber
<lb/>was den Alten unmöglich, kö<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>te doch
<lb/>einer künftigen Generation natürlich werden.
<lb/>Doch zum Schluss; de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> Klarheit kö<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>ten
<lb/>Sie mir doch nur in <del rend="strikethrough">einer</del> mündliche<subst><del rend="overwritten">n</del><add place="across">r</add></subst>
<lb/>Unterhaltung über verschiedene Punkte geben.</p>
<p><orig>– </orig>Von <persName key="E0300129">Andreae</persName> erhalten Sie wohl
<lb/>schon nächstens definitive Nachricht. <persName key="E0300132">Suter</persName>
<lb/>ist <del rend="strikethrough">schon</del> seit einiger Zeit leidend. Als
<lb/>ich ihn zum letzten<choice><orig>m</orig><reg> M</reg></choice>al sah, hatte
<lb/>ich den Eindruck<reg>,</reg> als ob die <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>on<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>ert<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>om<reg>m</reg>ission
<lb/>nicht auf seinen Vorschlag eingehen wollte.
<lb/><foreign xml:lang="fr">Tant pis pour eux.</foreign><orig> –</orig></p>
<pb n="7"/>
<p>Grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Sie bitte <rs key="E0300059">Ihre Frau</rs>
<lb/>recht herzlich<reg>,</reg> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> seien
<lb/>Sie stets gut</p>
<closer><salute rend="align(right)">Ihrem alt ergebenen</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300208">R. Freund</persName></signed>
</closer>
<dateline>
<date when-iso="1907-04-23"><seg rend="sup">23</seg><choice><orig>/</orig><reg>.</reg></choice><seg rend="sub">4</seg><reg>.</reg>
<lb/><note type="dating" place="left" resp="#archive" xml:id="arch_date">[<date when-iso="1907">1907</date>]</note></date>
</dateline>
<postscript>
<p>Gehen Sie wirklich nach
<lb/><placeName key="E0500002">Wien</placeName>? Mir eine sehr
<lb/>angenehme Perspe<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>tive<reg>,</reg>
<lb/>de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> ich hätte dann Hoffnung<reg>,</reg>
<lb/>Sie häufiger zu sehen.</p></postscript>
<pb n="8"/>
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">B II, 1711</note>
<note type="foliation" resp="#archive" place="top-right">[3]</note>
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<del rend="strikethrough" sameAs="#delSig">ep. 22 </del>
</note>
<lb/>
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<date when-iso="1907">[1907]</date>
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