Robert Freund an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Budapest · vmtl. 25. Oktober 1912

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Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1728
Mus.ep. R. Freund 39 (Busoni-Nachl. B II)
[1]

25/10  [1913 od. 14] Der Brief stammt mit großer Sicherheit aus dem Jahr 1912. (vgl. dritte Anmerkung)

Lieber Freund! Ihre reiche
Sendung Es ist nicht überliefert, welche Beilagen dieser Brief hatte. Vmtl. handelte es sich um die nachfolgend kommentierten Werke, also Erstausgaben der Sonatina seconda (Busoni hatte die 2. , entgültige Fassung am 08.07.1912 fertiggestellt), der Edizione minore der Fantasia contrappuntistica und Busonis Vervollständigung der Lisztschen Figaro-Fantasie (Komposition beendet am 11.07.1912). Alle drei Werke sind 1912 als Einzelausgaben bei Breitkopf & Härtel im Druck erschienen. (Kindermann 1980, S. 250 f., 286 ff. und 440) die mich freudigst
überraschte, wurde mir
hieher nachgeschickt. Ende
September verliess ich nämlich
Zürich u. wohne jetzt hier
mit meinen Schwestern.
Wieso das kam, erzähle ich
Ihnen ein andermal. Busoni zitiert diesen Satz in einem Brief vom 07.11.1912 an seine Frau Gerda und kommentiert weiter: „Also ist er weg von seiner Frau. Mit 60 Jahren solche Entschlüße; es muss schon ein starker Grund dazu sein!“ (Busoni/Weindel 2015, Bd. 1, Br. 644, S. 575)

Die Sonatine hat mich sofort
gefangen genom̅en. Die so
ungewöhnliche Harmonik
passt eben zu dem fantastisch-
mystischen Charakter des
Stückes u. macht den Eindruck
des Natürlichen, Spontan-
Intuitiven. Dieser Eindruck, auch in Bezug auf die später erwähnte Fantasia contrappuntistica, war äußerst nachhaltig. Freund bestätigt ihn noch 10 Jahre später. (vgl. Brief vom 04.08.1922) Ich frage mich

25. Oktober Der Brief stammt mit großer Sicherheit aus dem Jahr 1912. (vgl. dritte Anmerkung)

Lieber Freund!

Ihre reiche Sendung, Es ist nicht überliefert, welche Beilagen dieser Brief hatte. Vmtl. handelte es sich um die nachfolgend kommentierten Werke, also Erstausgaben der Sonatina seconda (Busoni hatte die 2. , entgültige Fassung am 08.07.1912 fertiggestellt), der Edizione minore der Fantasia contrappuntistica und Busonis Vervollständigung der Lisztschen Figaro-Fantasie (Komposition beendet am 11.07.1912). Alle drei Werke sind 1912 als Einzelausgaben bei Breitkopf & Härtel im Druck erschienen. (Kindermann 1980, S. 250 f., 286 ff. und 440) die mich freudigst überraschte, wurde mir hieher nachgeschickt. Ende September verließ ich nämlich Zürich und wohne jetzt hier mit meinen Schwestern. Wieso das kam, erzähle ich Ihnen ein andermal. Busoni zitiert diesen Satz in einem Brief vom 07.11.1912 an seine Frau Gerda und kommentiert weiter: „Also ist er weg von seiner Frau. Mit 60 Jahren solche Entschlüße; es muss schon ein starker Grund dazu sein!“ (Busoni/Weindel 2015, Bd. 1, Br. 644, S. 575)

Die Sonatine hat mich sofort gefangen genommen. Die so ungewöhnliche Harmonik passt eben zu dem fantastisch-mystischen Charakter des Stückes und macht den Eindruck des Natürlichen, Spontan-Intuitiven. Dieser Eindruck, auch in Bezug auf die später erwähnte Fantasia contrappuntistica, war äußerst nachhaltig. Freund bestätigt ihn noch 10 Jahre später. (vgl. Brief vom 04.08.1922) Ich frage mich, weshalb ich zu Schönberg kein Verhältnis finden kann, während mir bei Ihnen auch das Kühnste (wenn auch nicht immer sogleich wie bei der Sonatine, so doch bei häufigerem Durchspielen) als natürlich erscheint. Ist es bei ihm das Formal-Unvollendete und die Kurzatmigkeit und Interesselosigkeit der Motive? Sie sind der wahre Futurist Die „Futuristen“ waren eine Bewegung von Künstlern (vorwiegend Schriftsteller, bildende Künstler) im europäischen Raum (Ausgangspunkt Italien) zu Beginn des 20. Jh. (v. a. etwa 1909–1914), die sich de facto die Zukunft selbst auf die Fahnen geschrieben hatten. Sie verstanden sich als Verfechter des Fortschritts und wandten sich gegen überlieferte Tradition. (vgl. Scherliess 1999, S. 244 f.) Der „Futurismus“ entzieht sich einer allgemeinen Definition oder inhaltlichen Abgrenzung und ist vielfach von Widersprüchen geprägt. (vgl. etwa Nicolodi 1999, S. 47) Der von Marinetti geprägte Neologismus mutierte zum Schlagwort, das stellvertretend für alles absolut Neue, Moderne und Avantgardistische eingesetzt wurde. Busoni stand den Futuristen bzw. ihren Ideen (also dem Streben nach Neuem) durchaus nahe – auch wenn er deren Begriffe nie für sich beanspruchte –, lehnte aber den totalen Bruch mit der Tradition ab. Bereits in seinem ersten Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst brachte er seine Vision einer zukünftigen Musik und Ideen in Bezug auf neue Ausdrucksmöglichkeiten zu Papier. (vgl. etwa die Abschnitte zu einer Neuordnung der Notation sowie des Tonsystems oder – noch wichtiger – zur Entwicklung von neuen Instrumenten) Es verwundert also kaum, dass er ein am 1. März 1912 anonym veröffentlichtes Manifest (die beliebteste Kommunikationsform der Futuristen), welches den Futurismus in der Musik verkündete, als Irritation, wenn nicht als Affront auffassen musste. Denn darin heißt es u. a.: „Die Komponisten von heute […] verdienen lediglich unsere Verachtung, insofern als sie vergeblich originale Werke mit abgestandenen Mitteln zimmern […]“. (zit. nach Busonis Reaktion auf das Manifest; Busoni/Weindel 2006, S. 67; ursprüngl. veröffentlicht in: Pan, Heft 1 vom 03.10.1912 unter dem Titel „Futurismus der Tonkunst“) Unter diesen Vorbedingungen lässt sich Freunds Aussage als Zeichen der Rückendeckung, ggf. auch als kleinen Trost interpretieren.
NB: Ein charakteristisches Merkmal, das den Futurismus von anderen avantgardistischen Kunstströmungen abhob, war eine Faszination für Maschinen und moderne Technik in jeder Form. Mechanisierung, Bewegung und Tempo sind weitere wichtige Schlüsselbegriffe, die das Leben und die Sicht auf Kunst prägten. (vgl.Scherliess 1999, S. 244) Doch gerade im Hinblick auf technische Errungenschaften attestierte Gerda Busoni ihrem Mann rückblickend ein recht ambivalentes Verhältnis zum Neuen: Ferruccio hat nie eine Schreibmaschine benutzt und höchstens 2–3mal in seinem Leben telefoniert. […] Er, der verrufene Futurist, war in den meisten Sachen altmodisch.“ (Busoni/Schnapp 1958, S. 23)
in dem Sinne, dass Sie in die Zukunft hineinwirken und (wenn auch wider Willen) zeigen, dass unser Tonsystem noch immer geeignet ist, Neues zu sagen. –

Die neuen Teile oder vielmehr der neue Teil der Bach-Fantasie (das Choralvorspiel) hat mir auch gut gefallen und ich begreife, dass Sie sich bewogen fanden, die gekürzte Ausgabe – in usum Delphini „ad usum Delphini“ (orthograph. Variante: „in usum...“) [neulat.]: „zum Gebrauch des Dauphins“ (des frz. Kronprinzen), für dessen Unterricht Ausgaben antiker Klassiker hergestellt wurden, die in moralischer und politischer Hinsicht gerreinigt und kommentiert waren. Ursprünglich Terminus aus dem Buchwesen; im erweiterten Sinn (v. a. 19. Jh.): „zum Gebrauch für Schüler“ bzw. für sie bearbeitet. (Dose/Folz/Mang/Schrupp/Tauchmann/Thyen/Trunk-Nußbaumer 1993, S. 119)
Die erstmals im Jahr 1910 veröffentlichte Edizione definitiva der Fantasia contrappuntistica ist klaviertechnisch anspruchsvoll und sehr umfangreich. Busoni selbst bezeichnete sie als „monumental“ und „Monstre-Fuge [sic]“ (Busoni/Weindel 2015, Bd. 1, Br. 520 und 523, S. 470 f.) und vermerkt im Vorwort der zwei Jahre später erschienenen Edizione minore: „Das vorliegende, kleinere [Werk], ist mehr auf die Klavierübung, als auf den Konzertvortrag gerichtet.“ Auch Freund betrachtet dies offenbar als sinnvolle Ergänzung für alle Lernenden, die (noch) nicht auf Virtuosenniveau spielen.
– erscheinen zu lassen. Ich persönlich halte mich aber an die Fantasia contrappuntistica. – An der Figaro-Fantasie kann ich, offen gestanden, nicht viel finden. Natürlich interessiert mich alles, was Liszt schrieb, aber diese Fantasie gehört doch wohl zu den Schwachen. (Opern-)Paraphrasen, zu denen auch Liszts Figaro-Fantasie gehört, waren bis zum Ende des 19. Jh. (speziell in den Jahren 1830 bis 1850) beim Publikum äußerst beliebt und gehörten als Bravourstücke in das Repertoire jedes erfolgreichen Pianisten. Diese Wahrnehmung wandelte sich mit der Jahrhundertwende. Ab da bis in die 1980er Jahre hinein war es en vogue, diese Werke als „oberflächlich“ und „von zweitrangigem künstlerischen Wert zu betrachten“. (Gut/Altenburg 2009, S. 413 f.) Noch 1968 lässt sich in einschlägiger Literatur nachlesen, dass „die Opernfantasie […] sich nun einmal als edlere Kunstform nicht durchgesetzt [hat]“ und konkret mit Bezug auf Liszt heißt es an gleicher Stelle: „Es sind ganz schwache [Opernfantasien] darunter...“ (Raabe 1968, Bd. 2, S. 31) Freunds Bemerkung, dass Liszts Fantasie „doch wohl zu den Schwachen“ im Hinblick auf sein Gesamtwerk gehört, könnte also eine persönliche Präferenz ausdrücken – oder, zumindest teilweise, auch den Zeitgeist widerspiegeln. Für Busoni war die Opernparaphrase im Übrigen nicht „das ordinäre, exhibitionistische Virtuosenstück […] sondern eine psychologische Verdichtung der Oper und ihrer Handlung im Medium Klavier“. (Sitsky 1986, S. 228) Das Allegro hat aber Leben und die Coda (alla Marcia) wirkt ausgezeichnet. Diese „Ergänzung“ ist doch nicht von Ihnen? – Aus unbekannten Gründen hat Liszt seine Figaro-Fantasie nie ganz zu Ende komponiert, obwohl er sie 1843 sogar selbst in Berlin aufführte (Searle 1966, S. 40). Die Lücken im Manuskript sind gering und von Liszt im Vortrag wahrscheinlich improvisiert worden. Sie betreffen das Ende einer kurzen Überleitung (drei leere Takte im Ms., T. 574–576) und den Schluss des Werkes (Komposition bricht nach T. 601 ab; (Liszt/Howard 1997, S. VI ff.). Liszt verarbeitete im Original musikalisches Material aus zwei Mozart-Opern: Le nozze di Figaro (Figaros Arie „Non più andrai“ aus Akt 1 und Cherubinos Arietta „Voi che sapete“ aus Akt 2) sowie Don Giovanni (Tanzszene – Menuett, Kontertanz und Walzer – aus dem Finale des 1. Akts; Searle 1966, S. 41 f.). Das bis dato ungedruckte Klavierwerk wurde von Busoni ergänzt und auf sein Bestreben hin im Rahmen der Liszt–Gesamtausgabe bei Breitkopf & Härtel 1912 erstmals veröffentlicht (Busoni / Breitkopf & Härtel / Hanau 2012, Bd. 1, Br. 654, S. 498). Laut Liszt/Howard 1997 handelt es sich bei dieser Erstausgabe allerdings um „eine stark verstümmelte Fassung“ (orig. engl.: „a greatly truncated version“). Howard moniert, dass Busoni in der Ausgabe verschweigt, wie groß eigentlich seine Zugabe war“ und „was und wieviel er […] weggelassen hatte“. Der direkte Vergleich zeigte, dass Busoni die Don-Giovanni-Abschnitte ganz ausließ und somit „gezwungen war, Liszts 597 Takte umfassendes Originalmanuskript um 245 Takte (!) zu reduzieren und 37 neue Takte selbst zu komponieren, um die übrig gebliebenen Abschnitte für die Aufführung geeignet zu machen“. (ibid., S. VII)
Das von Freund erwähnte Allegro und die Coda sind im Wesentlichen original Liszt. In Busonis Allegro fehlt T. 258 und bei Liszt folgen nach T. 335 noch 16 Takte, bevor der Don-Giovanni-Abschnitt beginnt; Busoni notiert 19 andere Takte nach T. 335 und springt dann direkt in die Coda (alla Marcia), die als einzige Abweichung vier zusätzliche Takte nach T. 587 aufweist. (Mangels Taktzahlen in der Liszt/Busoni-Ausgabe beziehen sich die Angaben hier auf ibid..)
Es bleibt unklar, weshalb Busoni das Werk nach eigener Aussage lediglich „diskret ergänzt“ haben will (Willimann 1994, Br. an Andreae vom 13.09.1912, S. 39), es de facto aber so drastisch gekürzt wurde. Vorstellbar wäre, das Busoni nicht das vollständige Ms. vorgelegen hat. Liszts Original ist auf losen Notenblättern notiert, die nicht nummeriert sind. Der Übergang in den Don Giovanni–Teil ist in C-Dur, wie auch das Ende dieses Abschnitts, bevor die Coda beginnt. Die betreffenden 15 Seiten könnten also weggelassen werden, ohne dass es zu harmonischen Komplikationen käme. Zudem beginnt der Don Giovanni-Abschnitt auf einer neuen Notenseite und an keiner Stelle im Ms. treten Motive aus beiden Mozart-Opern gleichzeitig in Erscheinung. Dies wirft auch die Frage auf, ob Liszt überhaupt intendierte, zwei Opern miteinander zu kombienieren – es wäre die einzige seiner zahlreichen Opernfantasien, wo dies der Fall ist – oder ob im Weimarer Archiv ggf. fälschlich zwei separate Werke zusammengelegt wurden (Sitsky 1986, S. 235 f.).

So und nun lassen Sie mich Ihnen noch herzlichst danken für die Freude, die Sie mir gemacht. Vielleicht findet meine Schwester Irma Sie in Berlin und Sie erfahren dann von ihr, was Sie sonst interessiert zu hören.

In steter Anhänglichkeit

Ihr alt ergebener R. Freund

                                                                
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wesshalb ich zu Schönberg kein Verhältniss
finden kan̅, während mir bei Ihnen auch
das Kühnste (wen̅ auch nicht im̅er sogleich
wie bei der Sonatine, so doch bei häufige-
rem Durchspielen) als natürlich erscheint.
Ist es bei ihm das Formal-Unvollendete u. die
Kurzathmigkeit u. Interesselosigkeit der Motive?
Sie sind der wahre Futurist, Die „Futuristen“ waren eine Bewegung von Künstlern (vorwiegend Schriftsteller, bildende Künstler) im europäischen Raum (Ausgangspunkt Italien) zu Beginn des 20. Jh. (v. a. etwa 1909–1914), die sich de facto die Zukunft selbst auf die Fahnen geschrieben hatten. Sie verstanden sich als Verfechter des Fortschritts und wandten sich gegen überlieferte Tradition. (vgl. Scherliess 1999, S. 244 f.) Der „Futurismus“ entzieht sich einer allgemeinen Definition oder inhaltlichen Abgrenzung und ist vielfach von Widersprüchen geprägt. (vgl. etwa Nicolodi 1999, S. 47) Der von Marinetti geprägte Neologismus mutierte zum Schlagwort, das stellvertretend für alles absolut Neue, Moderne und Avantgardistische eingesetzt wurde. Busoni stand den Futuristen bzw. ihren Ideen (also dem Streben nach Neuem) durchaus nahe – auch wenn er deren Begriffe nie für sich beanspruchte –, lehnte aber den totalen Bruch mit der Tradition ab. Bereits in seinem ersten Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst brachte er seine Vision einer zukünftigen Musik und Ideen in Bezug auf neue Ausdrucksmöglichkeiten zu Papier. (vgl. etwa die Abschnitte zu einer Neuordnung der Notation sowie des Tonsystems oder – noch wichtiger – zur Entwicklung von neuen Instrumenten) Es verwundert also kaum, dass er ein am 1. März 1912 anonym veröffentlichtes Manifest (die beliebteste Kommunikationsform der Futuristen), welches den Futurismus in der Musik verkündete, als Irritation, wenn nicht als Affront auffassen musste. Denn darin heißt es u. a.: „Die Komponisten von heute […] verdienen lediglich unsere Verachtung, insofern als sie vergeblich originale Werke mit abgestandenen Mitteln zimmern […]“. (zit. nach Busonis Reaktion auf das Manifest; Busoni/Weindel 2006, S. 67; ursprüngl. veröffentlicht in: Pan, Heft 1 vom 03.10.1912 unter dem Titel „Futurismus der Tonkunst“) Unter diesen Vorbedingungen lässt sich Freunds Aussage als Zeichen der Rückendeckung, ggf. auch als kleinen Trost interpretieren.
NB: Ein charakteristisches Merkmal, das den Futurismus von anderen avantgardistischen Kunstströmungen abhob, war eine Faszination für Maschinen und moderne Technik in jeder Form. Mechanisierung, Bewegung und Tempo sind weitere wichtige Schlüsselbegriffe, die das Leben und die Sicht auf Kunst prägten. (vgl.Scherliess 1999, S. 244) Doch gerade im Hinblick auf technische Errungenschaften attestierte Gerda Busoni ihrem Mann rückblickend ein recht ambivalentes Verhältnis zum Neuen: Ferruccio hat nie eine Schreibmaschine benutzt und höchstens 2–3mal in seinem Leben telefoniert. […] Er, der verrufene Futurist, war in den meisten Sachen altmodisch.“ (Busoni/Schnapp 1958, S. 23)
in dem Sin̅e,
dass Sie in die Zukunft hinein wirken u.
(wen̅ auch wider Willen) zeigen, dass unser Tonsy-
stem noch im̅er geeignet ist Neues zu sagen. –

Die neuen Theile oder vielmehr der neue Theil
der Bach-Fantasie (das Choralvorspiel)
hat
mir auch gut gefallen u. ich begreife, dass

                                                                
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Sie sich bewogen fanden
die gekürzte Ausgabe, in
usum delphini „ad usum Delphini“ (orthograph. Variante: „in usum...“) [neulat.]: „zum Gebrauch des Dauphins“ (des frz. Kronprinzen), für dessen Unterricht Ausgaben antiker Klassiker hergestellt wurden, die in moralischer und politischer Hinsicht gerreinigt und kommentiert waren. Ursprünglich Terminus aus dem Buchwesen; im erweiterten Sinn (v. a. 19. Jh.): „zum Gebrauch für Schüler“ bzw. für sie bearbeitet. (Dose/Folz/Mang/Schrupp/Tauchmann/Thyen/Trunk-Nußbaumer 1993, S. 119)
Die erstmals im Jahr 1910 veröffentlichte Edizione definitiva der Fantasia contrappuntistica ist klaviertechnisch anspruchsvoll und sehr umfangreich. Busoni selbst bezeichnete sie als „monumental“ und „Monstre-Fuge [sic]“ (Busoni/Weindel 2015, Bd. 1, Br. 520 und 523, S. 470 f.) und vermerkt im Vorwort der zwei Jahre später erschienenen Edizione minore: „Das vorliegende, kleinere [Werk], ist mehr auf die Klavierübung, als auf den Konzertvortrag gerichtet.“ Auch Freund betrachtet dies offenbar als sinnvolle Ergänzung für alle Lernenden, die (noch) nicht auf Virtuosenniveau spielen.
– erscheinen
zu lassen. Ich persönlich
halte mich aber an die
Fantasia Contrappuntttistica. –
A[…] mindestens 1 Zeichen: überschrieben. n g[…] mindestens 1 Zeichen: überschrieben. der Figaro-Fantasie
kan̅ ich, offen gestanden,
nicht viel finden. Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Natürlich interessirt mich
Alles was Liszt schrieb,
aber diese Fantasie
gehört doch wohl zu
den Schwachen. (Opern-)Paraphrasen, zu denen auch Liszts Figaro-Fantasie gehört, waren bis zum Ende des 19. Jh. (speziell in den Jahren 1830 bis 1850) beim Publikum äußerst beliebt und gehörten als Bravourstücke in das Repertoire jedes erfolgreichen Pianisten. Diese Wahrnehmung wandelte sich mit der Jahrhundertwende. Ab da bis in die 1980er Jahre hinein war es en vogue, diese Werke als „oberflächlich“ und „von zweitrangigem künstlerischen Wert zu betrachten“. (Gut/Altenburg 2009, S. 413 f.) Noch 1968 lässt sich in einschlägiger Literatur nachlesen, dass „die Opernfantasie […] sich nun einmal als edlere Kunstform nicht durchgesetzt [hat]“ und konkret mit Bezug auf Liszt heißt es an gleicher Stelle: „Es sind ganz schwache [Opernfantasien] darunter...“ (Raabe 1968, Bd. 2, S. 31) Freunds Bemerkung, dass Liszts Fantasie „doch wohl zu den Schwachen“ im Hinblick auf sein Gesamtwerk gehört, könnte also eine persönliche Präferenz ausdrücken – oder, zumindest teilweise, auch den Zeitgeist widerspiegeln. Für Busoni war die Opernparaphrase im Übrigen nicht „das ordinäre, exhibitionistische Virtuosenstück […] sondern eine psychologische Verdichtung der Oper und ihrer Handlung im Medium Klavier“. (Sitsky 1986, S. 228) Das Allegro
hat aber Leben u. die
Coda (Allá Marcia) wirkt
ausgezeichnet. Diese
“Ergänzung” ist doch nicht
von Ihnen? – Aus unbekannten Gründen hat Liszt seine Figaro-Fantasie nie ganz zu Ende komponiert, obwohl er sie 1843 sogar selbst in Berlin aufführte (Searle 1966, S. 40). Die Lücken im Manuskript sind gering und von Liszt im Vortrag wahrscheinlich improvisiert worden. Sie betreffen das Ende einer kurzen Überleitung (drei leere Takte im Ms., T. 574–576) und den Schluss des Werkes (Komposition bricht nach T. 601 ab; (Liszt/Howard 1997, S. VI ff.). Liszt verarbeitete im Original musikalisches Material aus zwei Mozart-Opern: Le nozze di Figaro (Figaros Arie „Non più andrai“ aus Akt 1 und Cherubinos Arietta „Voi che sapete“ aus Akt 2) sowie Don Giovanni (Tanzszene – Menuett, Kontertanz und Walzer – aus dem Finale des 1. Akts; Searle 1966, S. 41 f.). Das bis dato ungedruckte Klavierwerk wurde von Busoni ergänzt und auf sein Bestreben hin im Rahmen der Liszt–Gesamtausgabe bei Breitkopf & Härtel 1912 erstmals veröffentlicht (Busoni / Breitkopf & Härtel / Hanau 2012, Bd. 1, Br. 654, S. 498). Laut Liszt/Howard 1997 handelt es sich bei dieser Erstausgabe allerdings um „eine stark verstümmelte Fassung“ (orig. engl.: „a greatly truncated version“). Howard moniert, dass Busoni in der Ausgabe verschweigt, wie groß eigentlich seine Zugabe war“ und „was und wieviel er […] weggelassen hatte“. Der direkte Vergleich zeigte, dass Busoni die Don-Giovanni-Abschnitte ganz ausließ und somit „gezwungen war, Liszts 597 Takte umfassendes Originalmanuskript um 245 Takte (!) zu reduzieren und 37 neue Takte selbst zu komponieren, um die übrig gebliebenen Abschnitte für die Aufführung geeignet zu machen“. (ibid., S. VII)
Das von Freund erwähnte Allegro und die Coda sind im Wesentlichen original Liszt. In Busonis Allegro fehlt T. 258 und bei Liszt folgen nach T. 335 noch 16 Takte, bevor der Don-Giovanni-Abschnitt beginnt; Busoni notiert 19 andere Takte nach T. 335 und springt dann direkt in die Coda (alla Marcia), die als einzige Abweichung vier zusätzliche Takte nach T. 587 aufweist. (Mangels Taktzahlen in der Liszt/Busoni-Ausgabe beziehen sich die Angaben hier auf ibid..)
Es bleibt unklar, weshalb Busoni das Werk nach eigener Aussage lediglich „diskret ergaenzt“ haben will (Willimann 1994, Br. an Andreae vom 13.09.1912, S. 39), es de facto aber so drastisch gekürzt wurde. Vorstellbar wäre, das Busoni nicht das vollständige Ms. vorgelegen hat. Liszts Original ist auf losen Notenblättern notiert, die nicht nummeriert sind. Der Übergang in den Don Giovanni–Teil ist in C-Dur, wie auch das Ende dieses Abschnitts, bevor die Coda beginnt. Die betreffenden 15 Seiten könnten also weggelassen werden, ohne dass es zu harmonischen Komplikationen käme. Zudem beginnt der Don Giovanni-Abschnitt auf einer neuen Notenseite und an keiner Stelle im Ms. treten Motive aus beiden Mozart-Opern gleichzeitig in Erscheinung. Dies wirft auch die Frage auf, ob Liszt überhaupt intendierte, zwei Opern miteinander zu kombienieren – es wäre die einzige seiner zahlreichen Opernfantasien, wo dies der Fall ist – oder ob im Weimarer Archiv ggf. fälschlich zwei separate Werke zusammengelegt wurden (Sitsky 1986, S. 235 f.).

So u. nun
lassen Sie mich Ihnen
noch herzlichst danken

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"> Sie sich bewogen fanden<reg>,</reg> <lb/>die <rs key="E0400395">gekürzte Ausgabe</rs><choice><orig>,</orig><reg> –</reg></choice> <foreign xml:lang="la">in <lb/>usum <choice><orig>d</orig><reg>D</reg></choice>elphini</foreign> <note type="commentary" resp="#E0300361"> <q><foreign xml:lang="la">ad usum Delphini</foreign></q> (orthograph. Variante: <q><foreign xml:lang="la">in usum</foreign>...</q>) [neulat.]: <q>zum Gebrauch des Dauphins</q> (des frz. Kronprinzen), für dessen Unterricht Ausgaben antiker Klassiker hergestellt wurden, die in moralischer und politischer Hinsicht gerreinigt und kommentiert waren. Ursprünglich Terminus aus dem Buchwesen; im erweiterten Sinn (v. a. <date when-iso="1800/1900">19. Jh.</date>): <q>zum Gebrauch für Schüler</q> bzw. für sie bearbeitet. (<bibl><ref target="#E0800177"/>, S. 119</bibl>) <lb/>Die erstmals im Jahr <date when-iso="1910">1910</date> veröffentlichte <rs key="E0400018"><foreign xml:lang="it">Edizione definitiva</foreign> der Fantasia contrappuntistica</rs> ist klaviertechnisch anspruchsvoll und sehr umfangreich. <persName key="E0300017">Busoni</persName> selbst bezeichnete sie als <q>monumental</q> und <q>Monstre-Fuge [sic]</q> (<bibl><ref target="#E0800023"/>, Bd. 1, Br. 520 und 523, S. 470 f.</bibl>) und vermerkt im Vorwort der <date when-iso="1912">zwei Jahre später</date> erschienenen <rs key="E0400395"><foreign xml:lang="it">Edizione minore</foreign></rs>: <q>Das vorliegende, kleinere [Werk], ist mehr auf die Klavierübung, als auf den Konzertvortrag gerichtet.</q> Auch <persName key="E0300208">Freund</persName> betrachtet dies offenbar als sinnvolle Ergänzung für alle Lernenden, die (noch) nicht auf Virtuosenniveau spielen. </note> – erscheinen <lb/>zu lassen. Ich persönlich <lb/>halte mich aber an die <lb/><title key="E0400018">Fantasia <choice><orig>C</orig><reg>c</reg></choice>ontrappun<subst><del rend="overwritten">tt</del><add place="across">t</add></subst>istica</title>. – <lb/>A<subst><del rend="overwritten"><gap atLeast="1" unit="char" reason="overwritten"/></del><add place="across">n</add></subst> <subst><del rend="overwritten">g<gap atLeast="1" unit="char" reason="overwritten"/></del><add place="across">d</add></subst>er <rs key="E0400371">Figaro-Fantasie</rs> <lb/>ka<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> ich, offen gestanden, <lb/>nicht viel finden. <note xml:id="dsb_p3" type="stamp" place="margin-left" rend="rotate(90)" resp="#dsb_st_red"> <stamp rend="round border align(center) tiny">Deutsche <lb/>Staatsbibliothek <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName> </stamp> </note> <lb/>Natürlich interessi<reg>e</reg>rt mich <lb/><choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>lles<reg>,</reg> was <persName key="E0300013">Liszt</persName> schrieb, <lb/>aber diese <rs key="E0400371">Fantasie</rs> <lb/>gehört doch wohl zu <lb/>den Schwachen. <note type="commentary" resp="#E0300361"> (Opern-)Paraphrasen, zu denen auch <persName key="E0300013">Liszts</persName> <rs key="E0400356">Figaro-Fantasie</rs> gehört, waren bis zum Ende des <date when-iso="1900">19. Jh.</date> (speziell in den Jahren <date when-iso="1830/1850">1830 bis 1850</date>) beim Publikum äußerst beliebt und gehörten als Bravourstücke in das Repertoire jedes erfolgreichen Pianisten. 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4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
4XML

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
für die Freude die Sie mir gemacht.
Vielleicht findet meine Schwester Irma
Sie in Berlin u. Sie erfahren dan̅ von
ihr was Sie sonst interessirt zu hören.

In steter Anhänglichkeit

Ihr alt ergebener
R. Freund
[2]
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1728 | olim: Mus.ep. R. Freund 39 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Kollation
Die vier Seiten des Bogens hat Freund in der Reihenfolge 1, 4, 2, 3 beschrieben; davon Seite 2 auf dem Kopf stehend und die Seiten 3, 4 im Querformat.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Robert Freund, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat.
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Freund bedankt sich für Busonis „reiche Sendung“; informiert über seine Rückkehr nach Budapest; äußert Gefallen an der Sonatina seconda; sinniert über mögliche Gründe für sein musikalisch schwieriges Verhältnis zu Schönberg; nennt Busoni den „wahre[n] Futurist[en]“; kann die Veröffentlichung der Bach-Fantasie in gekürzter Ausgabe nachvollziehen, äußert aber persönliche Vorliebe für die Fantasia contrappuntistica im Original; zählt Liszts Figaro-Fantasie zu dessen eher schwachen Werken; stellt den Besuch seiner Schwester Irma in Berlin in Aussicht
Incipit
Ihre reiche Sendung, die mich freudigst überraschte

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
13. April 2018: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition