Ferruccio Busoni an Jella Oppenheimer arrow_backarrow_forward

Zürich · 5. Dezember 1918

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Mus.Nachl. F. Busoni B I, 901
Mus.ep. F. Busoni 754 (Busoni-Nachl. B I)
[1]
Zürich den 5. Dez. 1918.

Hochverehrte Freundin,
liebe Frau Jella.

Ich bin nicht ganz ruhig, bis ich
von Ihnen nicht Etwas erfahre.
Es ist schon lange her, dasseit es nichtzuletzt
geschah, und inzwischen hat sich
Ausserordentliches vollzogen. – Ich
erhoffte von Woche zu Woche Ihre
Nachrichten: nun bitte ich Sie
instaendig, mir einmal schreiben
zu wollen.

Meine Söhne haben den kritischen
Augenblick überstanden, nun darf
ich es ziemlich sicher glauben!
Das ist ein reiner Trost, mitten im
Untröstlichen. Ich selbst habe mich
– auch dieses darf ich sagen – tapfer
gehalten. Allerdings bin ich dafür
jetzt erschöpft: – und zwar nach
mancher Richtung! – Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Zürich, den 5. Dez. 1918.

Hochverehrte Freundin, liebe Frau Jella.

Ich bin nicht ganz ruhig, bis ich von Ihnen nicht etwas erfahre. Es ist schon lange her, seit es zuletzt geschah, und inzwischen hat sich Außerordentliches vollzogen. – Ich erhoffte von Woche zu Woche Ihre Nachrichten: Nun bitte ich Sie inständig, mir einmal schreiben zu wollen.

Meine Söhne haben den kritischen Augenblick überstanden, nun darf ich es ziemlich sicher glauben! Das ist ein reiner Trost, mitten im Untröstlichen. Ich selbst habe mich – auch dieses darf ich sagen – tapfer gehalten. Allerdings bin ich dafür jetzt erschöpft: und zwar nach mancher Richtung!

Meine letzte gute Tat war die Veröffentlichung meines „Doktor Faust“ in den „Weißen Blättern“ vom Oktober. – Sobald ich von Ihnen weiß, werde ich mir die Freude verschaffen, Ihnen das Heft zuzuschicken.

Was ich nun beschließen werde, ist noch nicht klar. Die Enge dieses Landes beginnt schwer zu drücken, und überdies muss ich (mit 53 Jahren) wirtschaftlich von vorne anfangen. Mittlerweile ist die Komposition des Faust nahehin zur Hälfte gediehen, sie stockt aber seit mehreren Wochen.

Im Ganzen dürfte das Schlimmste überwunden – dafür aber auch das Beste vorbei sein!

Mein lieber Kapff leidet nicht mehr. Ich danke Ihnen von Herzen, dass Sie so gütig für ihn gesorgt haben. Ich danke Ihnen überhaupt und stets. Frau Gerda ist gottlob wohl und von prächtiger Haltung. – Ich küsse Ihre Hände.

Ihr getreuer

Ferruccio B

                                                                
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[2]

Meine letzte gute That war
die Veröffentlichung meines “Doktor
Faust”
in den „Weissen Blättern“ vom
Oktober. – Sobald ich von Ihnen weiss,
werde ich mir die Freude verschaffen,
Ihnen das Heft zuzuschicken.

Was ich nun beschliessen werde,
ist noch nicht klar. Die Enge dieses
Landes
beginnt schwer zu drücken,
und überdies muss ich (mit 53
Jahren) wirthschaftlich von vorne
anfangen. Mittlerweile ist die
Komposition des Faust nahehin zur
Hälfte gediehen, sie stockt aber seit
mehreren Wochen. –

Im Ganzen dürfte das Schlimmste
überwunden – dafür aber auch das
Beste vorbei sein! –

Mein lieber Kapff leidet nicht
mehr. Ich danke Ihnen von Herzen,
dass Sie so gütig für ihn gesorgt haben.
Ich danke Ihnen überhaupt u. stets.
Frau Gerda ist gottlob wohl und von
prächtiger Haltung. – Ich küsse Ihre Hände.

Ihr getreuer

Ferruccio B
                                                                
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[Seite 4 des Bogens]
[…] 1 Zeichen: unleserlich.
Busoni
durchg 1927
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
1918
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 901 | olim: Mus.ep. F. Busoni 754 |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Recto-Seiten sind beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Vmtl. Hand Gerda Busonis, die mit Bleistift eine Jahresangabe und (versehentlich von überlagerndem Papier aus?) einen Buchstaben notiert hat
  • Unbekannte Hand, die auf dem Umschlag mit Bleistift ein Kürzel notiert hat
  • Unbekannte Hand, die auf dem Umschlag mit Bleistift die Durchsicht 1927 vermerkt hat
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Busoni erhofft Nachricht Oppenheimers zur Nachkriegssituation; glaubt seine Söhne nun in Sicherheit; hat das Libretto zu Doktor Faust veröffentlicht, ist mit der Komposition „nahehin zur Hälfte“ gelangt; bedauert, „mit 53 Jahren“ nun „wirtschaftlich von vorne anfangen“ zu müssen; dankt für die Unterstützung des inzwischen verstorbenen Otto von Kapff.
Incipit
Ich bin nicht ganz ruhig, bis ich

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
unter Mitarbeit von
Stand
8. Oktober 2025: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition