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Mus. ep. F. Busoni 666 (Busoni-Nachl. BI) Mus. Nachl. F. Busoni B I, 775
[Nach einer begalaubigten Abschrift]
[Adresse:] Frau Professor Kwast-Hodapp
Dörnbergstrasse 1 Berlin W
Sehr verehrte Frau,
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
dieser wäre nun der vierte, und soll mein letzter Brief sein
über die Chopin-Geschichte. Ich habe sie mit Gottes Hilfe heute
zu Ende geschrieben und bin darauf gefasst, dass sie Ihren Bei- fall nicht finde.
Sie haben sich mit so viel Hingabe und Überzeugung in das
Jugendwerk
Busoni stellte die erste Fassung der Chopin-Variationen im Alter von 18 Jahren fertig (Brief vom 20. April 1922; Kindermann 1980, S. 174).
vertieft, dass es nicht zu erwarten stünde, dass das
Umgestaltete Ihnen vertraut klingen sollte. Dieses ist – so hoffe
ich – von Schwere befreit und auf die Form hin abgerundet. Es
heisst jetzt endgiltig und schlicht:
Zehn Variationen über ein Prld. von Chopin.
Das Werk ist unter diesem Titel noch im Jahr 1922 bei Breitkopf & Härtel erschienen (Kindermann 1980, S. 175).
Busoni hatte eine Vorliebe für Chopins Präludien und führte diese häufig auf. Er war für seine eher ernsten Chopin-Interpretationen bekannt, die Zeitgenossen mit einem sentimentalen Chopin-Verständnis ablehnten (Dent 1974, S. 108 f.).
Dazu passt auch Busonis Verständnis seiner ursprünglichen Variationen als „mehr trocken als romantisch“ (Brief vom 25. April 1922).
Der Form dienlich sieht er die einheitliche Verkettung von Mollvariationen sowie den Aufbau des Scherzo-Finales (Brief vom 25. April 1922, Brief vom 22. April 1922).
Sie haben, verehrteste Frau, meine Notenbeispiele bereits
durch Schweigen abgelehnt: diese haben aber ihren Platz in der
Umarbeitung eingenommen.
Vgl. Brief vom 20. April 1922
Sie besteht aus drei Teilen.
I. Einleitung, Präl. & sechs Variat. –
II. Fantasie. –
III. Scherzo Finale. –
(Sie sehen, ich ende mit einem Scherz.)
Das Scherzo-Finale stellt sich aus drei Variationen zusammen
a) Andeutung der Fuge
b) Trio („aus weiter Ferne“)
c) Stretta (neues Scherzo).
Die Veränderungen entsprechen weitestgehend den Beschreibungen der vorangegangenen Briefe:
Busoni stellt dem Präludium eine neue Einleitung voran,
überarbeitet die Variationen grundlegend durch Kürzungen von achtzehn auf sechs Variationen, die Herstellung von Übergängen zwischen ihnen sowie weitere Bearbeitungen
und ersetzt die Fuge durch ein dreiteiliges Scherzo-Finale (vgl. Briefe vom 20. April 1922, 22. April 1922 und 25. April 1922).
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Sehr verehrte Frau,
dieser wäre nun der vierte, und soll mein letzter Brief sein
über die Chopin-Geschichte. Ich habe sie mit Gottes Hilfe heute
zu Ende geschrieben und bin darauf gefasst, dass sie Ihren Beifall nicht findet.
Sie haben sich mit so viel Hingabe und Überzeugung in das
Jugendwerk
Busoni stellte die erste Fassung der Chopin-Variationen im Alter von 18 Jahren fertig (Brief vom 20. April 1922; Kindermann 1980, S. 174).
vertieft, dass es nicht zu erwarten stünde, dass das
Umgestaltete Ihnen vertraut klingen sollte. Dieses ist – so hoffe
ich – von Schwere befreit und auf die Form hin abgerundet. Es
heißt jetzt endgültig und schlicht:
Zehn Variationen über ein Präludium von Chopin.
Das Werk ist unter diesem Titel noch im Jahr 1922 bei Breitkopf & Härtel erschienen (Kindermann 1980, S. 175).
Busoni hatte eine Vorliebe für Chopins Präludien und führte diese häufig auf. Er war für seine eher ernsten Chopin-Interpretationen bekannt, die Zeitgenossen mit einem sentimentalen Chopin-Verständnis ablehnten (Dent 1974, S. 108 f.).
Dazu passt auch Busonis Verständnis seiner ursprünglichen Variationen als „mehr trocken als romantisch“ (Brief vom 25. April 1922).
Der Form dienlich sieht er die einheitliche Verkettung von Mollvariationen sowie den Aufbau des Scherzo-Finales (Brief vom 25. April 1922, Brief vom 22. April 1922).
Sie haben, verehrteste Frau, meine Notenbeispiele bereits
durch Schweigen abgelehnt: Diese haben aber ihren Platz in der
Umarbeitung eingenommen.
Vgl. Brief vom 20. April 1922
Sie besteht aus drei Teilen:
I. Einleitung, Präludium und sechs Variationen,
II. Fantasie,
III. Scherzo-Finale.
(Sie sehen, ich ende mit einem Scherz.)
Das Scherzo-Finale stellt sich aus drei Variationen zusammen:
a) Andeutung der Fuge,
b) Trio („aus weiter Ferne“),
c) Stretta (neues Scherzo).
Die Veränderungen entsprechen weitestgehend den Beschreibungen der vorangegangenen Briefe:
Busoni stellt dem Präludium eine neue Einleitung voran,
überarbeitet die Variationen grundlegend durch Kürzungen von achtzehn auf sechs Variationen, die Herstellung von Übergängen zwischen ihnen sowie weitere Bearbeitungen
und ersetzt die Fuge durch ein dreiteiliges Scherzo-Finale (vgl. Briefe vom 20. April 1922, 22. April 1922 und 25. April 1922).
Von „Tiefe“ und „Bedeutung“ kaum eine Spur. Jedoch hoffentlich
spielfreudig und unterhaltsam.
Da die Breitkopfs seit etwa einem Vierteljahr auf nichts antworten, so bleibt das Werkchen vorläufig liegen, Ihnen zur Ansicht
bereit, und gerne vorgelegt
von Ihrem herzlich und
achtungsvollst ergebenen
F. Busoni.
An Professor James beste Grüße.
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BI, 775 [2]
Von „Tiefe“ und „Bedeutung“ kaum eine Spur. Jedoch hoffentlich
spielfreudig und unterhaltsam. –
Da die Breitkopfs seit etwa einem Vierteljahr auf Nichts ant- worten, so bleibt das Werkchen vorläufig liegen, Ihnen zur Ansicht
bereit, und gerne vorgelegt
von Ihrem herzlich und
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achtungsvollst ergebenen
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