Ferruccio Busoni an Frieda Kwast-Hodapp arrow_backarrow_forward

Berlin · 28. April 1922

Faksimile
Diplomatische Umschrift
Lesefassung
XML
[1]
Mus. ep. F. Busoni 666 (Busoni-Nachl. BI)
Mus. Nachl. F. Busoni B I, 775

[Nach einer begalaubigten Abschrift]
[Adresse:] Frau Professor Kwast-Hodapp
Dörnbergstrasse 1 Berlin W
[Berlin,] 28. April 1922.

Sehr verehrte Frau,

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

dieser wäre nun der vierte, und soll mein letzter Brief sein
über die Chopin-Geschichte. Ich habe sie mit Gottes Hilfe heute
zu Ende geschrieben und bin darauf gefasst, dass sie Ihren Bei-
fall nicht finde.

Sie haben sich mit so viel Hingabe und Überzeugung in das
Jugendwerk Busoni stellte die erste Fassung der Chopin-Variationen im Alter von 18 Jahren fertig (Brief vom 20. April 1922; Kindermann 1980, S. 174). vertieft, dass es nicht zu erwarten stünde, dass das
Umgestaltete Ihnen vertraut klingen sollte. Dieses ist – so hoffe
ich – von Schwere befreit und auf die Form hin abgerundet. Es
heisst jetzt endgiltig und schlicht:
Zehn Variationen über ein Prld. von Chopin. Das Werk ist unter diesem Titel noch im Jahr 1922 bei Breitkopf & Härtel erschienen (Kindermann 1980, S. 175). Busoni hatte eine Vorliebe für Chopins Präludien und führte diese häufig auf. Er war für seine eher ernsten Chopin-Interpretationen bekannt, die Zeitgenossen mit einem sentimentalen Chopin-Verständnis ablehnten (Dent 1974, S. 108 f.). Dazu passt auch Busonis Verständnis seiner ursprünglichen Variationen als „mehr trocken als romantisch“ (Brief vom 25. April 1922). Der Form dienlich sieht er die einheitliche Verkettung von Mollvariationen sowie den Aufbau des Scherzo-Finales (Brief vom 25. April 1922, Brief vom 22. April 1922).

Sie haben, verehrteste Frau, meine Notenbeispiele bereits
durch Schweigen abgelehnt: diese haben aber ihren Platz in der
Umarbeitung eingenommen. Vgl. Brief vom 20. April 1922

Sie besteht aus drei Teilen.
I. Einleitung, Präl. & sechs Variat. –
II. Fantasie. –
III. Scherzo Finale. –

(Sie sehen, ich ende mit einem Scherz.)
Das Scherzo-Finale stellt sich aus drei Variationen zusammen
a) Andeutung der Fuge
b) Trio („aus weiter Ferne“)
c) Stretta (neues Scherzo). Die Veränderungen entsprechen weitestgehend den Beschreibungen der vorangegangenen Briefe: Busoni stellt dem Präludium eine neue Einleitung voran, überarbeitet die Variationen grundlegend durch Kürzungen von achtzehn auf sechs Variationen, die Herstellung von Übergängen zwischen ihnen sowie weitere Bearbeitungen und ersetzt die Fuge durch ein dreiteiliges Scherzo-Finale (vgl. Briefe vom 20. April 1922, 22. April 1922 und 25. April 1922).

[Berlin,] 28. April 1922

Sehr verehrte Frau,

dieser wäre nun der vierte, und soll mein letzter Brief sein über die Chopin-Geschichte. Ich habe sie mit Gottes Hilfe heute zu Ende geschrieben und bin darauf gefasst, dass sie Ihren Beifall nicht findet.

Sie haben sich mit so viel Hingabe und Überzeugung in das Jugendwerk Busoni stellte die erste Fassung der Chopin-Variationen im Alter von 18 Jahren fertig (Brief vom 20. April 1922; Kindermann 1980, S. 174). vertieft, dass es nicht zu erwarten stünde, dass das Umgestaltete Ihnen vertraut klingen sollte. Dieses ist – so hoffe ich – von Schwere befreit und auf die Form hin abgerundet. Es heißt jetzt endgültig und schlicht: Zehn Variationen über ein Präludium von Chopin. Das Werk ist unter diesem Titel noch im Jahr 1922 bei Breitkopf & Härtel erschienen (Kindermann 1980, S. 175). Busoni hatte eine Vorliebe für Chopins Präludien und führte diese häufig auf. Er war für seine eher ernsten Chopin-Interpretationen bekannt, die Zeitgenossen mit einem sentimentalen Chopin-Verständnis ablehnten (Dent 1974, S. 108 f.). Dazu passt auch Busonis Verständnis seiner ursprünglichen Variationen als „mehr trocken als romantisch“ (Brief vom 25. April 1922). Der Form dienlich sieht er die einheitliche Verkettung von Mollvariationen sowie den Aufbau des Scherzo-Finales (Brief vom 25. April 1922, Brief vom 22. April 1922).

Sie haben, verehrteste Frau, meine Notenbeispiele bereits durch Schweigen abgelehnt: Diese haben aber ihren Platz in der Umarbeitung eingenommen. Vgl. Brief vom 20. April 1922

Sie besteht aus drei Teilen: I. Einleitung, Präludium und sechs Variationen, II. Fantasie, III. Scherzo-Finale. (Sie sehen, ich ende mit einem Scherz.) Das Scherzo-Finale stellt sich aus drei Variationen zusammen: a) Andeutung der Fuge, b) Trio („aus weiter Ferne“), c) Stretta (neues Scherzo). Die Veränderungen entsprechen weitestgehend den Beschreibungen der vorangegangenen Briefe: Busoni stellt dem Präludium eine neue Einleitung voran, überarbeitet die Variationen grundlegend durch Kürzungen von achtzehn auf sechs Variationen, die Herstellung von Übergängen zwischen ihnen sowie weitere Bearbeitungen und ersetzt die Fuge durch ein dreiteiliges Scherzo-Finale (vgl. Briefe vom 20. April 1922, 22. April 1922 und 25. April 1922). Von „Tiefe“ und „Bedeutung“ kaum eine Spur. Jedoch hoffentlich spielfreudig und unterhaltsam.

Da die Breitkopfs seit etwa einem Vierteljahr auf nichts antworten, so bleibt das Werkchen vorläufig liegen, Ihnen zur Ansicht bereit, und gerne vorgelegt

von Ihrem herzlich und achtungsvollst ergebenen F. Busoni.

An Professor James beste Grüße.

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="foliation" place="top-right" resp="#archive">[1]</note> <note type="shelfmark" place="top across" resp="#archive"> <subst><del rend="strikethrough indent-2">Mus. ep. F. Busoni 666 (Busoni-Nachl. <handShift new="#archive_red"/>BI<handShift new="#archive"/>)</del><lb/><add rend="indent-2">Mus. Nachl. F. Busoni B I, 775</add></subst> </note> <note type="address"> <hi rend="underline indent-2">An <persName key="E0300701">Frieda Kwast-<seg rend="sup">H</seg>odapp</persName></hi> <lb/><seg rend="indent">[Nach einer beg<del rend="strikethrough">a</del>laubigten Abschrift]</seg> <lb/>[Adresse:] <persName key="E0300701">Frau Professor Kwast-Hodapp</persName> <lb/><seg rend="indent-3"><placeName key="E0501083">Dörnbergstrasse 1</placeName> <hi rend="underline"><placeName key="E0500029">Berlin</placeName> W</hi></seg> </note> <opener> <dateline rend="align(right) space-above space-below">[<placeName key="E0500029">Berlin</placeName>,] <date when-iso="1922-04-28">28. April 1922</date><orig>.</orig></dateline> <salute rend="indent-3 space-below"><persName key="E0300701">Sehr verehrte Frau</persName>,</salute> </opener> <note type="stamp" place="right" rend="inline" resp="#dsb_st_red"> <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche <lb/>Staatsbibliothek <lb/> <placeName key="E0500029"> <hi rend="spaced-out">Berlin</hi> </placeName> </stamp> </note> <p><seg rend="indent">dieser wäre nun der vierte, und soll mein letzter Brief sein</seg> <lb/>über die <persName key="E0300137">Chopin</persName>-Geschichte. Ich habe sie mit Gottes Hilfe heute <lb/>zu Ende geschrieben und bin darauf gefasst, dass sie Ihren Bei <lb break="no"/>fall <hi rend="underline">nicht</hi> finde<reg>t</reg>.</p> <p><seg rend="indent">Sie haben sich mit so viel Hingabe und Überzeugung in das</seg> <lb/>Jugendwerk <note type="commentary" resp="#E0301037"><persName key="E0300017">Busoni</persName> stellte die <title key="E0400764">erste Fassung der Chopin-Variationen</title> im Alter von 18 Jahren fertig <bibl>(<ref target="#D0102216">Brief vom 20. April 1922</ref>; <ref target="#E0800121"/>, S. 174).</bibl></note> vertieft, dass es nicht zu erwarten stünde, dass das <lb/>Umgestaltete Ihnen vertraut klingen sollte. Dieses ist – so hoffe <lb/>ich – von Schwere befreit und auf die Form hin abgerundet. Es <lb/>hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t jetzt endg<choice><orig>i</orig><reg>ü</reg></choice>ltig und schlicht: <lb/><seg rend="indent-2"><hi rend="underline"><title key="E0400789">Zehn Variationen über ein <choice><orig>Prld.</orig><reg>Präludium</reg></choice> von Chopin</title></hi>.</seg> <note type="commentary" resp="#E0301037"><title key="E0400789">Das Werk</title> ist unter diesem Titel noch <date when-iso="1922">im Jahr 1922</date> bei <orgName key="E0600002">Breitkopf &amp; Härtel</orgName> erschienen <bibl>(<ref target="#E0800121"/>, S. 175)</bibl>. <persName key="E0300017">Busoni</persName> hatte eine Vorliebe für <persName key="E0300137">Chopins</persName> <title key="E0400170">Präludien</title> und führte diese häufig auf. Er war für seine eher ernsten <persName key="E0300137">Chopin</persName>-Interpretationen bekannt, die Zeitgenossen mit einem sentimentalen <persName key="E0300137">Chopin</persName>-Verständnis ablehnten <bibl>(<ref target="#E0800218"/>, S. 108 f.)</bibl>. Dazu passt auch <persName key="E0300017">Busonis</persName> Verständnis seiner ursprünglichen Variationen als „mehr trocken als romantisch“ <bibl>(<ref target="#D0102218">Brief vom 25. April 1922</ref>)</bibl>. Der Form dienlich sieht er die einheitliche Verkettung von Mollvariationen sowie den Aufbau des Scherzo-Finales <bibl>(<ref target="#D0102218">Brief vom 25. April 1922</ref>, <ref target="#D0102217">Brief vom 22. April 1922</ref>)</bibl>. </note> </p> <p><seg rend="indent">Sie haben, <persName key="E0300701">verehrteste Frau</persName>, meine Notenbeispiele bereits</seg> <lb/>durch Schweigen abgelehnt: <choice><orig>d</orig><reg>D</reg></choice>iese haben aber ihren Platz in der <lb/>Umarbeitung eingenommen. <note type="commentary" resp="#E0301037"><bibl>Vgl. <ref target="#D0102216">Brief vom 20. April 1922</ref></bibl></note> </p> <p type="pre-split"><seg rend="indent">Sie besteht aus drei Teilen<choice><orig>.</orig><reg>:</reg></choice></seg> <lb/><seg rend="indent-2">I. Einleitung, Präl<choice><abbr>.</abbr><expan>udium</expan></choice> <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> <hi rend="underline">sechs Variat<choice><abbr/><expan>ionen</expan></choice></hi><choice><orig>. –</orig><reg>,</reg></choice> <lb/>II. Fantasie<choice><orig>. –</orig><reg>,</reg></choice> <lb/>III. Scherzo<choice><orig> </orig><reg>-</reg></choice>Finale<choice><orig>. –</orig><reg>.</reg></choice></seg> <lb/>(Sie sehen, ich ende mit einem Scherz.) <lb/>Das Scherzo-Finale stellt sich aus <hi rend="underline">drei</hi> Variationen zusammen<reg>:</reg> <lb/><seg rend="indent-2">a) Andeutung der Fuge<reg>,</reg> <lb/>b) Trio („aus weiter Ferne“)<reg>,</reg> <lb/>c) Stretta (neues Scherzo). <note type="commentary" resp="#E0301037">Die Veränderungen entsprechen weitestgehend den Beschreibungen der vorangegangenen Briefe: <persName key="E0300017">Busoni</persName> stellt dem Präludium eine neue Einleitung voran, überarbeitet die Variationen grundlegend durch Kürzungen von achtzehn auf sechs Variationen, die Herstellung von Übergängen zwischen ihnen sowie weitere Bearbeitungen und ersetzt die Fuge durch ein dreiteiliges Scherzo-Finale <bibl>(vgl. Briefe vom <ref target="#D0102216">20. April 1922</ref>, <ref target="#D0102217">22. April 1922</ref> und <ref target="#D0102218">25. April 1922</ref>)</bibl>.</note> </seg> </p></div>
2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
2XML

[Rückseite von Textseite 1, vacat]

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0301037">[Rückseite von Textseite 1, vacat]</note> </p></div>
3Faksimile
3Diplomatische Umschrift
3XML

BI, 775
[2]
An Frieda Kwast-Hodapp, Berlin 28. April 1922

Von „Tiefe“ und „Bedeutung“ kaum eine Spur. Jedoch hoffentlich
spielfreudig und unterhaltsam. –

Da die Breitkopfs seit etwa einem Vierteljahr auf Nichts ant-
worten, so bleibt das Werkchen vorläufig liegen, Ihnen zur Ansicht
bereit, und gerne vorgelegt

von Ihrem herzlich und
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

achtungsvollst ergebenen
F. Busoni.

An Professor James beste Grüsse.

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"> <note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">BI, 775</note> <note type="foliation" place="top-right" resp="#archive">[2]</note> <orig><note type="dateline" place="top" resp="#archive"><hi rend="underline indent-2 space-below">An <persName key="E0300701">Frieda Kwast-Hodapp</persName>, <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> 28. April 1922</hi></note></orig> <lb/>Von „Tiefe“ und „Bedeutung“ kaum eine Spur. Jedoch hoffentlich <lb/>spielfreudig und unterhaltsam.<orig> –</orig></p> <p><seg rend="indent">Da die <orgName key="E0600002">Breitkopfs</orgName> seit etwa einem Vierteljahr auf <choice><orig>N</orig><reg>n</reg></choice>ichts ant</seg> <lb break="no"/>worten, so bleibt das Werkchen vorläufig liegen, Ihnen zur Ansicht <lb/>bereit, und gerne vorgelegt</p> <closer><seg rend="indent-5">von Ihrem herzlich und</seg> <note type="stamp" place="right inline" resp="#dsb_st_red"> <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche <lb/>Staatsbibliothek <lb/> <placeName key="E0500029"> <hi rend="spaced-out">Berlin</hi> </placeName> </stamp> </note> <lb/><seg rend="indent-6">achtungsvollst ergebenen</seg> <lb/><seg rend="align (right)"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName>.</seg></closer> <postscript><p>An <persName key="E0300536">Professor James</persName> beste Grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e.</p></postscript> </div>
4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
4XML
[Rückseite von Textseite 2, vacat]
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0301037">[Rückseite von Textseite 2, vacat]</note> </div>

Dokument

warningStatus: in Bearbeitung XML Faksimile Download / Zitation

Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 775 | olim: Mus.ep. F. Busoni 666 |

Nachweis Kalliope

Zustand
Die Abschrift ist gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Seitenfolge: 1, 2, 3, 4; nur Vorderseite des Blatts beschrieben
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift, mit der Schreibmaschine abgetippt
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Busoni stellt Kwast-Hodapp Titel, Beschaffenheit und Aufbau der finalen Version seiner überarbeiteten Chopin-Variationen vor; sagt, dass Breitkopf & Härtel bisher nicht an einer Veröffentlichung interessiert gewesen seien.
Incipit
dieser wäre nun der vierte, und soll mein letzter Brief sein

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
1. Oktober 2025: in Bearbeitung (in der Erfassungs-/Codierungsphase)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition