Ihr Variationenwerk verfolgt mich Tag
und Nacht, und merkwürdiger Weise verbin⸗
de ich immer damit das erste Capitel aus
„Titan“ von Jean Paul. Das Bild des Lago
Maggiore mit seinen blühenden Inseln,
im Hintergrund die bewölkten Berge,
men mir nicht aus dem Sinn. Dazu das
entzückende Gemüt des jungen Helden
des Buches, (wohl eine der schönsten Ge⸗
stalten der Romantik) der mit vollem
Herzen, ganz Hingebung, ganz Schwärme⸗
rei mit seinem Lehrer nach der Isola bella
im Boote fährt und dort seinen Vater
begrüssen soll. Alles was ihn in seinem
jugendlichen Herzen bewegt, empfinde
ich bei Ihrem Werk und wenn ich ganz
in der Romantik anfing zu spielen, so
wuchs das Werk zur Pracht und Glanz,
dass ich selbst im Zweifel war, ob es
träumerisch ist, oder wirklich in den
Frieda Kwast-Hodapp an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward
Berlin · 23. April 1922
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Diplomatische Umschrift
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Lesefassung
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Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2694
Sonntag, den 23/4.1922.
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Sonntag, den 23.4.1922
Ihr Variationenwerk verfolgt mich Tag
und Nacht, und merkwürdigerweise verbinde ich immer damit das erste Kapitel aus
„Titan“ von Jean Paul. Das Bild des Lago
Maggiore mit seinen blühenden Inseln,
im Hintergrund die bewölkten Berge,
In drei Stunden spiele ich das c-Moll-Konzert Beethoven. Es ist das Stück, was ich wohl am besten kann. Ich liebe es unendlich. Alles ist so im Ebenmaß darin. Ich will es spielen, es in Gedanken Ihnen zu Füßen legen. Ich kann die Tage kaum erwarten, bis ich frei bin vom Podium, dann will ich mich in Gedanken ganz Ihren Variationen widmen. Es wird mir direkt schwer, mich auf anderes zu konzentrieren, möchte nur immer Ihre Werke spielen. Und nun halten Sie mich auf dem Laufenden mit einem hingestreuten Wort. Sagen Sie mir Ihre weiteren Ideen, und zürnen Sie mir nicht, wenn ich etwas nicht richtig empfand. Sie sind der Lago Maggiore selbst in diesem Werk, farbig und prächtig und voller Poesie. Wissen Sie, dass ich ein Gebirgskind bin, vom hohen Schwarzwald, wo alles dunkelgefärbt ist von den Tannen und herb? Nur im Winter in Schnee und Sonne strahlt es, daher auch vielleicht meine Liebe zu weiß und Klarheit. Grüßen Sie Ihre unendlich liebe, gütige Frau, und nehmen Sie selbst meine Liebe und Anhänglichkeit. Ihre Frieda Kwast-Hodapp. |
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blühendsten, glänzendsten Farben. Ich möchte
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B II, 2694 2/
wieder in die grosse Linie hineinfliesst.
Prachtvoll der Ubergang Variation Seite 21 zur Fuge. Diese selbst im glänzendsten Tempo, grossen Ton, nur Seite 26, Linie 5 zart, dann schwebend. Von Seite 27 letzte Linie an, Tempo verlangsamen. Bis zum Schluss immer breiter werdend, dass der wirkliche Schluss geradezu etwas sieghaf⸗ tes hat. So bewegte mich dieses Werk die letzten Tage und in diese Stimmungen hinein kamen Ihre beiden Briefe. Wen liebe ich nun am Meisten? Den 18 jährigen, den 50 jährigen oder Sie selbst? Wohl alle Drei, – aber wem folgen? Doch wohl Ihnen, der alle Drei in sich trägt. Nur nehmen Sie nicht die Var. Seite 22 weg. Diese Zärtlichkeit muss drin bleiben und sie gehört zum Ju- gendlichen und dem habe ich doch mein Herz gegeben. Nur wenn Sie eine neue Variation in derselben Stimmung schreiben dann will ich sie hergeben. Ja? – In drei Stunden spiele ich das C-moll
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Alles ist so im Ebenmass darin. Ich will es spielen, es in Gedanken Ihnen
Ich kann die Tage kaum erwarten bis ich
Und nun halten Sie mich auf dem Laufen- Sie sind der Lago Maggiore selbst in diesem
Grüssen Sie Ihre unendlich liebe gütige Frau
Ihre Frieda Kwast-Hodapp. |
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Dokument
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Quelle
- Überlieferung
- Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2694 | olim: |
- Zustand
- Der Brief ist gut erhalten.
- Umfang
- 2 Blatt, 4 beschriebene Seiten
- Hände/Stempel
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- Hand des Absenders Frieda Kwast-Hodapp, Brieftext in lila Tinte, in deutscher Kurrentschrift
- Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
- Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Bleistift vorgenommen hat
- Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Inhalt
- Zusammenfassung
- Frieda Kwast-Hodapp vergleicht Busonis Variationen und Fuge über das Prélude in c-Moll op. 28 Nr. 20 von Frédéric Chopin mit Jean Pauls Roman Titan; beschreibt, wie sie die Variationen spielt und gestaltet; spielt am Abend Beethovens 3. Klavierkonzert im Konzert; plant sich mit Busonis Varitaionen stärker auseinanderzusetzen; erzählt, dass sie aus dem Schwarzwald stammt.
- Incipit
- „Ihr Variationenwerk verfolgt mich Tag“
Edition
- Inhaltlich Verantwortliche
- Christian Schaper Ullrich Scheideler
- bearbeitet von
- Stand
- 28. Oktober 2025: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
- Stellung in diesem Briefwechsel
- Vorausgehend Folgend
- Benachbart in der Gesamtedition
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Vorausgehend Folgend
Erwähnte Entitäten
- Personen
- Werke
- Orte