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Mus. ep. F. Busoni 665 (Busoni-Nachl. B I)Mus. Nachl: F. Busoni BI, 774
[Nach einer beglaubigten Abschrift]
[Adresse:] Frau Professor Kwast-Hodapp
Dörnbergstrasse 1.
Berlin. W.
III. Epistel
betreffend die Chopin Variationen.
Hierbei handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Überschrift die bei der Transkription hinzugefügt wurde.
Jegliche andere Briefe, die sich um die Chopin-Variationen drehen, haben diese Überschrift nicht.
Verehrliche Frau,ich habe Ihren guten Brief mit vielem
Vergnügen erhalten: er ist gedacht, gefühlt und geschrieben! -
Jean Paul Friedrich Reiichters "Titan" habe ich nicht gelesen.
Aber ich liebe den Autor, und neige mich vor seinem geistreichen
Gedanken Kontrapunkt. – Leider kann ich die Beziehungen meiner
Jugendvariationen zu dem Bilde eines Lago Maggiore nicht erken-
nen. Ich empfinde sie als stark germanisch, (d.i. der Abkunft,
der ich mich in der Vollendung des Kreises stets wieder mehr
nähere, abgewandt) und mehr trocken als romantisch. – Ich beob-
achte überhaupt, dass man in Deutschland trockene Musik als ro-
mantisch ansieht, und romantische als trocken; Beispiele wären
fürs erste: Schumann, fürs zweite: Berlioz. (Auch Beethoven er-
scheint mir romantisch. Aber man hat ihm hier die Gebärde eines
"Tiefsinnigen" angedichtet.
- So sehr ich bedauere, Ihnen widersprechen zu müssen, so
muss ich doch ehrlich sagen, (die Freiheit meiner Meinungs Äusse-
rung habe ich mir schwer errungen!)
Ddass mir Beethoven’s C moll-Konzert durch jenes Mozart’s in
den Hintergrund gerückt wurde! Auch dieses Stück [Beethovens
cmoll-Konzert] muthet mich (gegen seinen Vorgänger) "trocken"
und kurzathmig an, von der vermissten Schönheit und Kunst des
Orchester Satzes zu schweigen.
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An Frieda Kwast-Hodapp,
[Nach einer beglaubigten Abschrift]
[Adresse:] Frau Professor Kwast-Hodapp
Dörnbergstrasse 1.
Berlin. W.
III. Epistel
betreffend die Chopin Variationen.
Hierbei handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Überschrift die bei der Transkription hinzugefügt wurde.
Jegliche andere Briefe, die sich um die Chopin-Variationen drehen, haben diese Überschrift nicht.
Verehrliche Frau,ich habe Ihren guten Brief mit vielem
Vergnügen erhalten: er ist gedacht, gefühlt und geschrieben! -
Jean Paul Friedrich Rhters "Titan" habe ich nicht gelesen.
Aber ich liebe den Autor, und neige mich vor seinem geistreichen
Gedanken Kontrapunkt. – Leider kann ich die Beziehungen meiner
Jugendvariationen zu dem Bilde eines Lago Maggiore nicht erken-
nen. Ich empfinde sie als stark germanisch, (d.i. der Abkunft,
der ich mich in der Vollendung des Kreises stets wieder mehr
nähere, abgewandt) und mehr trocken als romantisch. – Ich beob-
achte überhaupt, dass man in Deutschland trockene Musik als ro-
mantisch ansieht, und romantische als trocken; Beispiele wären
fürs erste: Schumann, fürs zweite: Berlioz. (Auch Beethoven er-
scheint mir romantisch. Aber man hat ihm hier die Gebärde eines
"Tiefsinnigen" angedichtet.
- So sehr ich bedauere, Ihnen widersprechen zu müssen, so
muss ich doch ehrlich sagen, (die Freiheit meiner Meinungs Äusse-
rung habe ich mir schwer errungen!)
dass mir Beethoven’s C moll-Konzert durch jenes Mozart’s in
den Hintergrund gerückt wurde! Auch dieses Stück [Beethovens
cmoll-Konzert] mutet mich (gegen seinen Vorgänger) "trocken"
und kurzathmig an, von der vermissten Schönheit und Kust des
Orchester Satzes zu schweigen.
An Frieda Kwast-Hodapp, III. Epistel betr. die Chopin-Var.
Aber ..... zu Mozart ist der steilste Weg. Er wahrt seine
aristokratische Distanz, wie Rom’s Paläste; trotz alle Anmut
der Verhältnisse. -
Meine Umarbeitung des fraglichen Stückes hat ihre zehnte
Seite erreicht. Ich bringe sechs Mollvariationen ununterbrochen
verkettet, die sich in der Bewegung beschleunigen, und ein einziges Stück, (den ersten Teil) bilden. – Dann folgt (als Inter-Mezzo) die Fantasie
Nach Veröffentlichung der neuen Fassung seiner Chopin-Variationen, entschied sich Busoni diese in den Jahren bis zu seinem Tod (1923/24) nochmals zu überarbeiten und entschloss sich letzten Endes die Fantasia auch noch zu streichen.
Diese neue Fassung wurde 1925 als Teil der Klavierübung in zehn Büchern veröffentlicht., (S. 11.) darauf die Fuge, die ich gestalten
will. – Es ist eine vollständig abweichende Anlage, aber sie entspricht eher meinen Anforderungen der Form. – Denn, sehen Sie,
Einfälle sind Talent, aber erst die Form macht sie zum Kunstwerk.
Dank für Ihre liebe Gesinnung
Ihr herzlich ergebener
F. Busoni
25. April 1922
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<lb/>nen. Ich empfinde sie als stark germanisch, (d.i. der Abkunft,
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BI, 774 [2]
An Frieda Kwast-Hodapp, III. Epistel betr. die Chopin-Var.
Aber ..... zu Mozart ist der steilste Weg. Er wahrt seine
aristokratische Distanz, wie Rom’s Paläste; trotz allesr Anmuth
der Verhältnisse. -
Meine Umarbeitung des fraglichen Stückes hat ihre zehnte
Seite erreicht. Ich bringe sechs Mollvariationen ununterbrochen
verkettet, die sich in der Bewegung beschleunigen, und ein ein- ziges Stück, (den ersten Teil) bilden. – Dann folgt (als Inter-
Mezzo) die Fantasie
Nach Veröffentlichung der neuen Fassung seiner Chopin-Variationen, entschied sich Busoni diese in den Jahren bis zu seinem Tod (1923/24) nochmals zu überarbeiten und entschloss sich letzten Endes die Fantasia auch noch zu streichen.
Diese neue Fassung wurde 1925 als Teil der Klavierübung in zehn Büchern veröffentlicht., (S. 11.) darauf die Fuge, die ich gestalten
will. – Es ist eine vollständig abweichende Anlage, aber sie ent- spricht eher meinen Anforderungen der Form. – Denn, sehen Sie,
Einfälle sind Talent, aber erst die Form macht sie zum Kunstwerk.
Dank für Ihre liebe Gesinnung
Ihr herzlich ergebener
F. Busoni
25. April 1922
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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