Faksimile
|
Diplomatische Umschrift
|
Lesefassung
|
XML
|
|
Berlin W
Dörnbergstr. I
30/5.22.
Hochverehrter und lieber Meister,
Herz und Kopf sind so voll von dem
Eindruck Ihres Spieles, dass ich nicht an⸗ ders kann, als mich auszusprechen. Und
wem sollte ich das alles sagen, wenn nicht
Ihnen? Sind wir „Unvollkommene“ ⸗
Künstler doch arm daran, dass wir Nie⸗ mand haben wo wir unsere künstleri⸗ schen Schmerzen niederlegen können
und uns Rath und Muth holen. Sie
sind der Einzige der ein aufmerksames
Ohr hat für diejenige Künstler die streben
und wirken wollen. So müssen Sie
es auch ertragen, dass damit Ihnen
manche Stunde des eigenen Schreibens
verloren geht, aber seien Sie über⸗
|
Berlin West
Dörnbergstr. 1,
30. Mai 1922
Hochverehrter und lieber Meister,
Herz und Kopf sind so voll von dem
Eindruck Ihres Spieles, dass ich nicht anders kann, als mich auszusprechen. Und
wem sollte ich das alles sagen, wenn nicht
Ihnen? Sind wir „Unvollkommene“
doch arm daran, dass wir Niemand haben, wo wir unsere künstlerischen Schmerzen niederlegen können
und uns Rat und Mut holen. Sie
sind der Einzige, der ein aufmerksames
Ohr hat für diejenige Künstler, die streben
und wirken wollen. So müssen Sie
es auch ertragen, dass damit Ihnen
manche Stunde des eigenen Schreibens
verloren geht, aber seien Sie überzeugt, dass es oft auf fruchtbaren Boden
fällt und dass Werk und Tat lebendig
bleiben. Nie war ich bei Ihnen, ohne dass
ich reich beschenkt nach Hause kam. Ein
Wort, ein Ausspruch genügte, um mich
wochenlang innerlich damit zu beschäftigen.
So habe ich nicht nur die Verehrung und
Bewunderung für Sie, sondern auch die
innige, tiefe Liebe, die in Ihnen das
Kostbare, das unendlich Schöne und Hohe
sieht.
Ich weiß nicht, ob ich vor einigen
Jahren schon im Stande war, Ihrem Spiel
so zu folgen wie gestern.
Busoni spielt am 29. Mai 1922 als Solist im Rahmen des Beethoven-Abends des Philharmonischen Orchesters Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur. Es handelt sich hierbei um das letzte öffentliche Konzert Busonis. (Dent 1974, S. 271; vgl. zusätzlich Beaumont 1987 S. 353 und Bleistiftanmerkung in N. N. 1922g)
Ich glaube
nicht. Manches Wort aus Ihrem Munde
machte es mir leichter, und auch wohl
das eigene Streben nach Kultur und
Vergeistigung ließ mein Ohr schärfer
werden und feiner. Ich selbst habe das
Es-Dur-Konzert nie gespielt, zog die anderen Konzerte immer mehr vor, warum
weiß ich eigentlich nicht, und ich war es
im Allgemeinen gewöhnt, dieses Werk
prächtig, glänzend und in einem gewissen Pomp zu hören. Nun können
Sie sich denken, wie es mich erstaunen
musste und erschüttern über dem Werk
etwas Geisterhaftes, Visionäres zu hören.
Nie werde ich vergessen die Akkorde, vor
dem ersten großen Tutti im ersten Satz
der Schluss vom zweiten, unerhört schön
der Übergang zum dritten und der
Paukenstelle am Schluss des dritten
Satzes. Das war eine solche Spannung und
etwas so Trauriges im Unterton, dass
ich glaubte, ich müsste mein Herz festhalten. Wie könnte ich Ihnen all die
tausend Dinge sagen, die mich bewegen?
Keine Begleitungsstelle, die nicht belebt
gewesen wäre, kein Takt, dem man nicht
gebannt gelauscht. Das Scharf-Rhythmische
im ersten Satz, die merkwürdige Pedalisierung (wundervoll im Klang und Absicht),
die kristallene Triller, die wunderbare
Weichheit und Schlichtheit in der 2 gegen 3
Stelle. Herrlich auch die einzelnen Gruppen
der technischen Figuren, dass sie nicht ineinanderliefen, sondern plastisch sich abheben.
Die Zärtlichkeit (ich meine Sie im höheren
Sinne) des zweiten Satzes. Unendlich, wo das
Klavier in 4/16tel begleitet und überraschend im dritten Satz, erstes Thema, das
Ritterliche, das Aristokratische, was man
so oft so bärenmäßig hört. Das sind Einzelheiten, aber über dem Ganzen diese
unerhörte Stimmung, die sich gar nicht ausdrücken lässt.
Dent 1974 beschreibt Busonis Interpretation S. 271 als „Überraschung“ und „Skandal“. In der Vorwärts vom 31. Mai 1922 liest man: „Er versucht, eine klassische Linie zu verwischen und ihre Seitenlinien bloßzulegen.[…] Eigentümliche Phrasierungen hemmen den Lauf des Werkes, stimmen die Rhythmik um. Es ist nicht leicht, diesem selbstsicheren und originellen Mann zu folgen […]. Dennoch gelingt der Zusammenklang, der Zusammenprall.“ Der Erfolg des Konzerts wird Busonis Persönlichkeit und Begeisterung zugeschrieben. Ähnlich steht in der Berliner Tageblatt und Handelszeitung, Morgenausgabe vom 01. Juni 1922 S. 2: „Trotz des üblichen frenetischen Beifalls darf man sich nicht darüber täuschen, daß die Art. in der er es zu spielen beliebte, von vielen als wenig geschmackvoll empsunden wurde.“ Der Hannoverscher Kurier, Hannoversches Tageblatt, Morgenzeitung für Niedersachsen vom 18. Juni 1922 geht S. 2 differenzierter auf das Spiel ein. Dabei überschneiden sich einige Charakterbeschreibungen mit dem Eindruck Kwast-Hodapps. Nach einer Zusammenfassung negativer Kritiken liest man: „Es ist leicht und bequem, dies Verfahren willkürlichund stillos zu nennen. Fruchtbarer wäre es, darüber nachzudenken, was einen so tiefer Einsichten vollen Geist wie Busoni dazu bewegt, der herrschenden Meinung sich so entschieden entgegenzustellen. Fehlen in seiner Darstellung manche der gewohnten (freilich schon bis zum Ueberdruß vertrauten und abgenutzten) Reize, so setzt er an deren Stelle doch neue Schönheiten hohen Ranges, eine Art olympischer Klarheit, eine entzückende spirituelle Feinheit, eine Entmaterialisierung des Klanges, einen schwebenden den Rhythmus, wie man ihn kaum von einem anderen Spieler jemals hört.“
Und soll ich Ihnen noch sagen,
dass Sie der Einzige sind, der so spielen
kann, wie er denkt? Bei allen anderen
gibt es viel zu viel Zufälligkeiten,
Verlegenheitsnüancen und Ungewolltes.
So sind Sie auch der Einzige, der die Vollendung erreicht hat. – Gott sei Dank
kennt meine Natur kein Neid und
Eifersucht. So bin ich im Stande, aus ganzer Seele in Glücklichkeit zuzuhören,
ohne unglücklich zu sein, dass es so etwas
überhaupt gibt. Man müsste Sie hassen,
wenn man Sie nicht so liebte.
Da ich nun bei Beethoven bin, möchte
ich Ihnen noch sagen, dass ich vorgestern
von Oldenburg zurückkam, wo ich wieder
bei der 9. denselben Eindruck hatte,
wie schon oft, dass eigentlich der letzte
Satz mir barbarisch vorkommt.
Frieda Kwast-Hodapp spielt 27. Mai 1922 beim zweiten Konzert des Landestheaters im Rahmen der Oldenburger Woche gemeinsam mit ihrem Ehemann James Kwast Mozarts Konzert für zwei Klaviere in Es-Dur. Im gleichen Konzert wird Beethovens 9. Symphonie aufgeführt. In der Oldenburger Zeitung für Volk und Heimat vom 29. Mai 1922 S. 2 bestätigt eine Rezension möglicherweise Kwast-Hodapps Eindruck des letzten Symphoniesatzes, welcher, wie auch der erste, „im Vergleich zu den Mittelsätzen besser behandelt [hätte] werden können“. Außerdem habe der Chor unter der Aufstellung gelitten und die Balance zwischen den Solist*innen nicht ganz funktioniert. Das Konzert wurde jedoch allgemein – sowohl Symphonie als auch Klavierkonzert – als äußerst positiv aufgenommen.
Ich fürchte mich beinah, so etwas auszusprechen,
aber ich komme nicht darüber hinweg. Für
mich ist der erste Satz unerhört schön,
auch Scherzo und langsame Satz und dann
hört es auf. Vielleicht müsste es einmal
anders aufgeführt werden, die hässlichen
Chorstimmen tun mir weh, das Gejage
von Tempo und ff auch. Liegt es daran,
dass es kaum aufzuführen ist, der Schwierigkeiten wegen, oder stört es mich, dass
die absolute Musik verlassen wird oder
ist es die Unruh der mangelnden Form?
Sagen Sie mir einmal ein Wort, wenn ich
wieder zu Ihnen komme. Wenn ich auf
falschem Wege bin, dann helfen Sie
mir bitte.
Und nun habe ich Sie lange genug gestört. Nehmen Sie die Zeilen gut auf.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">Mus. Nachl. <persName key="E0300017">F. Busoni</persName> BII, 2695</note>
<lb/>
<opener>
<dateline rend="align(left)"><placeName key="E0500778">Berlin <choice><abbr>W</abbr><expan>West</expan></choice></placeName></dateline>
<dateline rend="align(right)"><placeName key="E0501083">Dörnbergstr. <choice><orig>I</orig><reg>1,</reg></choice></placeName>
<lb/><date when-iso="1922-05-30" rend="underline">30<choice><orig>/5.22.</orig><reg>. Mai 1922</reg></choice></date>
</dateline>
<salute rend="space-above space-below"><rs key="E0300017">Hochverehrter und lieber Meister</rs>,</salute>
</opener>
<p type="pre-split">Herz und Kopf sind so voll von dem
<lb/>Eindruck Ihres Spieles, dass ich nicht an
<lb break="no"/>ders kann, als mich auszusprechen. Und
<lb/>wem sollte ich das alles sagen, wenn nicht
<lb/>Ihnen? Sind wir <soCalled rend="dq-du">Unvollkommene</soCalled> <orig><pc>⸗</pc></orig>
<lb/><del rend="strikethrough">Künstler</del> doch arm daran, dass wir Nie
<lb break="no"/>mand haben<reg>,</reg> wo wir unsere künstleri
<lb break="no"/>schen Schmerzen niederlegen können
<lb/>und uns Rat<orig>h</orig> und Mut<orig>h</orig> holen. Sie
<lb/>sind der Einzige<reg>,</reg> der ein aufmerksames
<lb/>Ohr hat für diejenige <add place="above">Künstler<reg>,</reg></add> die streben
<lb/>und wirken wollen. So müssen Sie
<lb/>es auch ertragen, dass damit Ihnen
<lb/>manche Stunde des eigenen Schreibens
<lb/>verloren geht, aber seien Sie über
</p></div>
|
2Faksimile
|
2Diplomatische Umschrift
|
2XML
|
|
zeugt, dass es oft auf fruchtbaren Boden
fällt und dass Werk und That lebendig
bleiben. Nie war ich bei Ihnen, ohne dass
ich reich beschenkt nach hause kam. Ein
Wort, ein Ausspruch genügte, um mich
wochenlang innerlich damit zu beschäftigen.
So habe ich nicht nur die Verehrung und
Bewunderung für Sie, sondern auch die
innige, tiefe Liebe die in Ihnen das
Kostbare, das unendlich Schöne und Hohe
sieht. –
Ich weiss nicht, ob ich vor einigen
Jahren schon im Stande war, Ihrem Spiel
so zu folgen, wie gestern.
Busoni spielt am 29. Mai 1922 als Solist im Rahmen des Beethoven-Abends des Philharmonischen Orchesters Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur. Es handelt sich hierbei um das letzte öffentliche Konzert Busonis. (Dent 1974, S. 271; vgl. zusätzlich Beaumont 1987 S. 353 und Bleistiftanmerkung in N. N. 1922g)
Ich glaube
nicht. Manches Wort aus Ihrem Munde
machte es mir leichter, und auch wohl
das eigene Streben nach Kultur und
Vergeistigung, liess mein Ohr schärfer
werden und feiner. Ich selbst habe das
Es-Dur Conzert nie gespielt, zog die an⸗ deren Conzerte immer mehr vor, warum
weiss ich eigentlich nicht, und ich war es
im Allgemeinen gewöhnt, dieses Werk
prächtig, glänzend und in einem ge⸗
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
zeugt, dass es oft auf fruchtbaren Boden
<lb/>fällt und dass Werk und T<orig>h</orig>at lebendig
<lb/>bleiben. Nie war ich bei Ihnen, ohne dass
<lb/>ich reich beschenkt nach <choice><orig>h</orig><reg>H</reg></choice>ause kam. Ein
<lb/>Wort, ein Ausspruch genügte, um mich
<lb/>wochenlang innerlich damit zu beschäftigen.
<lb/>So habe ich nicht nur die Verehrung und
<lb/>Bewunderung für Sie, sondern auch die
<lb/>innige, tiefe Liebe<reg>,</reg> die in Ihnen das
<lb/>Kostbare, das unendlich Schöne und Hohe
<lb/>sieht. <orig>–</orig>
</p>
<p type="pre-split" rend="inline">Ich wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> nicht, ob ich vor einigen
<lb/>Jahren schon im Stande war, Ihrem Spiel
<lb/>so zu folgen<orig>,</orig> wie gestern.
<note type="commentary" resp="#E0301031"><persName key="E0300017">Busoni</persName> spielt am <date when-iso="1922-05-29">29. Mai 1922</date> als Solist im Rahmen des <persName key="E0300001">Beethoven</persName>-Abends des <orgName key="E0600007">Philharmonischen Orchesters</orgName> <persName key="E0300001">Beethovens</persName> <title key="E0400108">Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur</title>. Es handelt sich hierbei um das letzte öffentliche Konzert <persName key="E0300017">Busonis</persName>. <bibl>(<ref target="#E0800218"/>, S. 271; vgl. zusätzlich <ref target="#E0800060"/> S. 353 und Bleistiftanmerkung in <ref target="#E0800574"/>)</bibl></note>
Ich glaube
<lb/>nicht. Manches Wort aus Ihrem Munde
<lb/>machte es mir leichter, und auch wohl
<lb/>das eigene Streben nach Kultur und
<lb/>Vergeistigung<orig>,</orig> lie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> mein Ohr schärfer
<lb/>werden und feiner. Ich selbst habe das
<lb/><title key="E0400108">Es-Dur<choice><orig> C</orig><reg>-K</reg></choice>onzert</title> nie gespielt, zog die an
<lb break="no"/>deren <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>onzerte immer mehr vor, warum
<lb/>wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> ich eigentlich nicht, und ich war es
<lb/>im Allgemeinen gewöhnt, <rs key="E0400108">dieses Werk</rs>
<lb/>prächtig, glänzend und in einem ge
<note type="stamp" place="bottom-center" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/>
<placeName key="E0500029">
<hi rend="spaced-out">Berlin</hi>
</placeName>
</stamp>
</note>
</p></div>
|
3Faksimile
|
3Diplomatische Umschrift
|
3XML
|
|
BII, 2695 2/wissen Pomp zu hören, nNun können
Sie Sich denken, wie es mich erstaunen
musste und erschüttern über dem Werk
etwas geisterhaftes, visionäres zu hören.
Nie werde ich vergessen die Akkorde, vor
dem ersten grossen Tutti im ersten Satz
der Schluss vom zweiten, unerhört schön
der Übergang zum dritten und der
Pauken schlagstelle am Schluss des dritten
Satzes. Das war eine solche Spannung und
etwas so trauriges im Unterton, dass
ich glaubte, ich müsste mein Herz fest halten. Wie könnte ich Ihnen all die
tausend Dinge sagen, die mich bewegen?
Keine Begleitungsstelle die nicht belebt
gewesen wäre, kein Takt, dem man nicht
gebannt gelauscht. Das Scharf -rythmische
im ersten Satz, die merkwürdige Pedali⸗ sierung (wundervoll im Klang und Absicht)
die kristallene Triller, die wunderbare
Weichheit und Schlichtheit in der 2 gegen 3
Stelle. Herrlich auch die einzelnen Gruppen
der technischen Figuren, dass sie nicht in⸗ einanderliefen, sondern plastisch sich abheben.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="inline" type="split">
<note type="shelfmark" place="top-left" rend="indent-2" resp="#archive">BII, 2695</note>
<lb break="no" rend="nh"/><note type="foliation" place="top-left" rend="indent-neg" resp="#major_hand">2/</note>
<lb break="no" rend="nh"/>wissen Pomp zu hören<choice><orig>,</orig><reg>.</reg></choice> <subst><del rend="overwritten">n</del><add place="across">N</add></subst>un können
<lb/>Sie <choice><orig>S</orig><reg>s</reg></choice>ich denken, wie es mich erstaunen
<lb/>musste und erschüttern über <rs key="E0400108">dem Werk</rs>
<lb/>etwas <choice><orig>g</orig><reg>G</reg></choice>eisterhaftes, <choice><orig>v</orig><reg>V</reg></choice>isionäres zu hören.
<lb/>Nie werde ich vergessen die Akkorde, vor
<lb/>dem ersten gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Tutti im <rs key="E0400108">ersten Satz</rs>
<lb/>der Schluss vom <rs key="E0400108">zweiten</rs>, unerhört schön
<lb/>der Übergang zum <rs key="E0400108">dritten</rs> und der
<lb/>Pauken<subst><del rend="strikethrough">schlag</del><add place="inline" rend="normal">stelle</add></subst> am Schluss des <rs key="E0400108">dritten
<lb/>Satzes</rs>. Das war eine solche Spannung und
<lb/>etwas so <choice><orig>t</orig><reg>T</reg></choice>rauriges im Unterton, dass
<lb/>ich glaubte, ich müsste mein Herz fest
<lb break="no" rend="nh"/>halten. Wie könnte ich Ihnen all die
<lb/>tausend Dinge sagen, die mich bewegen?
<lb/>Keine Begleitungsstelle<reg>,</reg> die nicht belebt
<lb/>gewesen wäre, kein Takt, dem man nicht
<lb/>gebannt gelauscht. Das Scharf<subst><del rend="overwritten strikethrough"><unclear cert="low" reason="illegible">r</unclear> </del><add place="across">-</add></subst><choice><orig>r</orig><reg>R</reg></choice><reg>h</reg>ythmische
<lb/>im <rs key="E0400108">ersten Satz</rs>, die merkwürdige Pedali
<lb break="no"/>sierung (wundervoll im Klang und Absicht)<reg>,</reg>
<lb/>die kristallene Triller, die wunderbare
<lb/>Weichheit und Schlichtheit in der 2 gegen 3
<lb/>Stelle. Herrlich auch die einzelnen Gruppen
<lb/>der technischen Figuren, dass sie nicht in
<lb break="no"/>einanderliefen, <add place="above">sondern</add> plastisch sich abheben.
</p></div>
|
4Faksimile
|
4Diplomatische Umschrift
|
4XML
|
|
Die Zärtlichkeit, (ich meine Sie im höheren
Sinne) des zweiten Satzes. Unendlich, wo das
Clavier in 4/16tel begleitet und überra⸗ schend im dritten Satz, erstes Thema, das
Ritterliche, das Aristokratische, was man
so oft so bärenmässig hört. Das sind Ein⸗ zelheiten, aber über dem Ganzen diese
unerhörte Stimmung, die sich gar nicht aus⸗ drücken lässt.
Dent 1974 beschreibt Busonis Interpretation S. 271 als „Überraschung“ und „Skandal“. In der Vorwärts vom 31. Mai 1922 liest man: „Er versucht, eine klassische Linie zu verwischen und ihre Seitenlinien bloßzulegen.[…] Eigentümliche Phrasierungen hemmen den Lauf des Werkes, stimmen die Rhythmik um. Es ist nicht leicht, diesem selbstsicheren und originellen Mann zu folgen […]. Dennoch gelingt der Zusammenklang, der Zusammenprall.“ Der Erfolg des Konzerts wird Busonis Persönlichkeit und Begeisterung zugeschrieben. Ähnlich steht in der Berliner Tageblatt und Handelszeitung, Morgenausgabe vom 01. Juni 1922 S. 2: „Trotz des üblichen frenetischen Beifalls darf man sich nicht darüber täuschen, daß die Art. in der er es zu spielen beliebte, von vielen als wenig geschmackvoll empsunden wurde.“ Der Hannoverscher Kurier, Hannoversches Tageblatt, Morgenzeitung für Niedersachsen vom 18. Juni 1922 geht S. 2 differenzierter auf das Spiel ein. Dabei überschneiden sich einige Charakterbeschreibungen mit dem Eindruck Kwast-Hodapps. Nach einer Zusammenfassung negativer Kritiken liest man: „Es ist leicht und bequem, dies Verfahren willkürlichund stillos zu nennen. Fruchtbarer wäre es, darüber nachzudenken, was einen so tiefer Einsichten vollen Geist wie Busoni dazu bewegt, der herrschenden Meinung sich so entschieden entgegenzustellen. Fehlen in seiner Darstellung manche der gewohnten (freilich schon bis zum Ueberdruß vertrauten und abgenutzten) Reize, so setzt er an deren Stelle doch neue Schönheiten hohen Ranges, eine Art olympischer Klarheit, eine entzückende spirituelle Feinheit, eine Entmaterialisierung des Klanges, einen schwebenden den Rhythmus, wie man ihn kaum von einem anderen Spieler jemals hört.“
Und soll ich Ihnen noch sagen,
dass Sie der Einzige sind, der so spielen
kann, wie er denkt? Bei allen Anderen
giebt es viel zu viel Zufälligkeiten,
Verlegenheitsnüansen und Ungewolltes.
So sind Sie auch der Einzige, der die Vol⸗ lendung erreicht hat. – Gott sei Dank,
kennt meine Natur kein Neid und
Eifersucht. So bin ich im Stande, aus gan⸗ zer Seele in Glücklichkeit zuzuhören,
ohne unglücklich zu sein, dass es so etwas
überhaupt giebt. Man müsste Sie hassen,
wenn man Sie nicht so liebte. –
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Da ich nun bei Beethoven bin möchte
ich Ihnen noch sagen, dass ich vorgestern
von Oldenburg zurückkam, wo ich wieder
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="inline" type="split">
Die Zärtlichkeit<orig>,</orig> (ich meine Sie im höheren
<lb/>Sinne) des <rs key="E0400108">zweiten Satzes</rs>. Unendlich, wo das
<lb/><choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>lavier in 4/16tel begleitet und überra
<lb break="no"/>schend im <rs key="E0400108">dritten Satz, erstes Thema</rs>, das
<lb/>Ritterliche, das Aristokratische, was man
<lb/>so oft so bärenmä<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ig hört. Das sind Ein
<lb break="no"/>zelheiten, aber über dem Ganzen diese
<lb/>unerhörte Stimmung, die sich gar nicht aus
<lb break="no"/>drücken lässt.
<note type="commentary" resp="#E0301031"><bibl><ref target="#E0800218"/></bibl> beschreibt <persName key="E0300017">Busonis</persName> Interpretation S. 271 als <q rend="dq-du">Überraschung</q> und <q rend="dq-du">Skandal</q>. In der <ref type="ext" target="https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/R7IQCGQWQZ4DSAUK4PNA4ECQE6SQ6KSP?issuepage=3">Vorwärts vom 31. Mai 1922</ref> liest man: <q rend="dq-du">Er versucht, eine klassische Linie zu verwischen und ihre Seitenlinien bloßzulegen.[…] Eigentümliche Phrasierungen hemmen den Lauf des Werkes, stimmen die Rhythmik um. Es ist nicht leicht, diesem selbstsicheren und originellen Mann zu folgen […]. Dennoch gelingt der Zusammenklang, der Zusammenprall.</q> Der Erfolg des Konzerts wird <persName key="E0300017">Busonis</persName> Persönlichkeit und Begeisterung zugeschrieben. Ähnlich steht in der <ref type="ext" target="https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/TUOII27W6AH3ZJFNYZGK7M7CF33HZ4NG?issuepage=2">Berliner Tageblatt und Handelszeitung, Morgenausgabe vom 01. Juni 1922 S. 2</ref>: <q rend="dq-du">Trotz des üblichen frenetischen Beifalls darf man sich nicht darüber täuschen, daß die Art. in der er es zu spielen beliebte, von vielen als wenig geschmackvoll empsunden wurde.</q> Der <ref type="ext" target="https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/PLHZQ4VSNI5W7BCJ2VWRO26GEZP7QDPL?issuepage=2">Hannoverscher Kurier, Hannoversches Tageblatt, Morgenzeitung für Niedersachsen vom 18. Juni 1922</ref> geht S. 2 differenzierter auf das Spiel ein. Dabei überschneiden sich einige Charakterbeschreibungen mit dem Eindruck <persName key="E0300701">Kwast-Hodapps</persName>. Nach einer Zusammenfassung negativer Kritiken liest man: <q rend="dq-du">Es ist leicht und bequem, dies Verfahren willkürlichund stillos zu nennen. Fruchtbarer wäre es, darüber nachzudenken, was einen so tiefer Einsichten vollen Geist wie Busoni dazu bewegt, der herrschenden Meinung sich so entschieden entgegenzustellen. Fehlen in seiner Darstellung manche der gewohnten (freilich schon bis zum Ueberdruß vertrauten und abgenutzten) Reize, so setzt er an deren Stelle doch neue Schönheiten hohen Ranges, eine Art olympischer Klarheit, eine entzückende spirituelle Feinheit, eine Entmaterialisierung des Klanges, einen schwebenden den Rhythmus, wie man ihn kaum von einem anderen Spieler jemals hört.</q></note>
Und soll ich Ihnen noch sagen,
<lb/>dass Sie der Einzige sind, der so spielen
<lb/>kann, wie er denkt? Bei allen <choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>nderen
<lb/>gi<orig>e</orig>bt es viel zu viel Zufälligkeiten,
<lb/>Verlegenheitsnüan<choice><orig>s</orig><reg>c</reg></choice>en und Ungewolltes.
<lb/>So sind Sie auch der Einzige, der die Vol
<lb break="no"/>lendung erreicht hat. – Gott sei Dank<orig>,</orig>
<lb/>kennt meine Natur kein Neid und
<lb/>Eifersucht. So bin ich im Stande, aus gan
<lb break="no"/>zer Seele in Glücklichkeit zuzuhören,
<lb/>ohne unglücklich zu sein, dass es so etwas
<lb/>überhaupt gi<orig>e</orig>bt. Man müsste Sie hassen,
<lb/>wenn man Sie nicht so liebte. <orig>–</orig>
<note type="stamp" place="inline" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/>
<placeName key="E0500029">
<hi rend="spaced-out">Berlin</hi>
</placeName>
</stamp>
</note>
</p>
<p type="pre-split">
Da ich nun bei <persName key="E0300001">Beethoven</persName> bin<reg>,</reg> möchte
<lb/>ich Ihnen noch sagen, dass ich vorgestern
<lb/>von <placeName key="E0501121">Oldenburg</placeName> zurückkam, wo ich wieder
</p></div>
|
5Faksimile
|
5Diplomatische Umschrift
|
5XML
|
|
BII, 2695
3/
bei der 9ten denselben Eindruck hatte,
wie schon oft, dass eigentlich der letzte
Satz mir barbarisch vorkommt.
Frieda Kwast-Hodapp spielt 27. Mai 1922 beim zweiten Konzert des Landestheaters im Rahmen der Oldenburger Woche gemeinsam mit ihrem Ehemann James Kwast Mozarts Konzert für zwei Klaviere in Es-Dur. Im gleichen Konzert wird Beethovens 9. Symphonie aufgeführt. In der Oldenburger Zeitung für Volk und Heimat vom 29. Mai 1922 S. 2 bestätigt eine Rezension möglicherweise Kwast-Hodapps Eindruck des letzten Symphoniesatzes, welcher, wie auch der erste, „im Vergleich zu den Mittelsätzen besser behandelt [hätte] werden können“. Außerdem habe der Chor unter der Aufstellung gelitten und die Balance zwischen den Solist*innen nicht ganz funktioniert. Das Konzert wurde jedoch allgemein – sowohl Symphonie als auch Klavierkonzert – als äußerst positiv aufgenommen.
Ich fürch⸗ te mich beinah, so etwas auszusprechen,
aber ich komme nicht darüber hinweg. Für
mich ist der erste Satz unerhört schön,
auch Scherzo und langsame Satz und dann
hört es auf. Vielleicht müsste es einmal
anders aufgeführt werden, die hässlichen
Chorstimmen thun mir weh, das gejage
von Tempo und ff auch. Liegt es daran,
dass es kaum aufzuführen ist, der Schwie⸗ rigkeiten wegen, oder stört es mich, dass
die absolute Musik verlassen wird oder
ist es die Unruh der mangelnden Form?
Sagen Sie mir einmal ein Wort, wenn ich
wieder zu Ihnen komme. Wenn ich auf
falschem Wege bin, dann helfen Sie
mir bitte. –
Und nun habe ich Sie lange genug ge⸗ stört. Nehmen Sie die Zeilen gut auf.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="shelfmark" place="top-left" rend="indent-2" resp="#archive">BII, 2695</note>
<lb/><note type="foliation" place="top-left" rend="indent-neg" resp="#major_hand">3/</note>
<lb/>bei der <rs key="E0400001"><choice><orig>9ten</orig><reg>9.</reg></choice></rs> denselben Eindruck hatte,
<lb/>wie schon oft, dass eigentlich der <rs key="E0400001">letzte
<lb/>Satz</rs> mir barbarisch vorkommt.
<note type="commentary" resp="#E0301031"><persName key="E0300701">Frieda Kwast-Hodapp</persName> spielt <date when-iso="1922-05-27">27. Mai 1922</date> beim zweiten Konzert des Landestheaters im Rahmen der <placeName key="E0501121">Oldenburger</placeName> Woche gemeinsam mit ihrem Ehemann <persName key="E0300536">James Kwast</persName> <persName key="E0300010">Mozarts</persName> <title key="E0400794">Konzert für zwei Klaviere in Es-Dur</title>. Im gleichen Konzert wird <persName key="E0300001">Beethovens</persName> <title key="E0400001">9. Symphonie</title> aufgeführt. In der <ref type="ext" target="https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/DFKMLZ72IAQJ5PWB7AVNNLLYEWTZWXW3?issuepage=2">Oldenburger Zeitung für Volk und Heimat vom 29. Mai 1922 S. 2</ref> bestätigt eine Rezension möglicherweise <persName key="E0300701">Kwast-Hodapps</persName> Eindruck des letzten Symphoniesatzes, welcher, wie auch der erste, <q rend="dp-du">im Vergleich zu den Mittelsätzen besser behandelt [hätte] werden können</q>. Außerdem habe der Chor unter der Aufstellung gelitten und die Balance zwischen den Solist*innen nicht ganz funktioniert. Das Konzert wurde jedoch allgemein – sowohl Symphonie als auch Klavierkonzert – als äußerst positiv aufgenommen.</note>
Ich fürch
<lb break="no"/>te mich beinah, so etwas auszusprechen,
<lb/>aber ich komme nicht darüber <add place="above">hin</add>weg. Für
<lb/>mich ist der <rs key="E0400001">erste Satz</rs> unerhört schön,
<lb/>auch <rs key="E0400001">Scherzo</rs> und <rs key="E0400001">langsame Satz</rs> und dann
<lb/>hört es auf. Vielleicht müsste es einmal
<lb/>anders aufgeführt werden, die hässlichen
<lb/>Chorstimmen t<orig>h</orig>un mir weh, das <choice><orig>g</orig><reg>G</reg></choice>ejage
<lb/>von Tempo und ff auch. Liegt es daran,
<lb/>dass es kaum aufzuführen ist, der Schwie
<lb break="no"/>rigkeiten wegen, oder stört es mich, dass
<lb/>die absolute Musik verlassen wird oder
<lb/>ist es die Unruh der mangelnden Form?
<lb/>Sagen Sie mir einmal ein Wort, wenn ich
<lb/>wieder zu Ihnen komme. Wenn ich auf
<lb/>falschem Wege bin, dann helfen Sie
<lb/>mir bitte. <orig>–</orig>
</p>
<p>
Und nun habe ich Sie lange genug ge
<lb break="no"/>stört. Nehmen Sie die Zeilen gut auf.</p>
<closer>
<salute>Grüßen Sie <rs key="E0300059">Ihre liebe, gute Frau</rs>
<lb/>herzlich von mir und nehmen Sie selbst meine
<lb/>Liebe und Anhänglichkeit.
<seg rend="align(right)">Ihre</seg>
</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300701">Frieda Kwast</persName>.</signed>
</closer>
</div>
|
6Faksimile
|
6Diplomatische Umschrift
|
6XML
|
|
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="stamp" place="center" rend="center" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/>
<placeName key="E0500029">
<hi rend="spaced-out">Berlin</hi>
</placeName>
</stamp>
</note>
</div>
|