25.3.21
Mein lieber Meister und Freund!
Ziemlich kleinlaut – weil im Bewusstsein
meines ungebührlich langen Schweigens – greife
ich heute zur Feder, um Ihnen endlich für
Ihren schönen, lieben Brief aus London herzlich
zu danken. Denken Sie bitte nicht, dass ich aus
Mangel an Stoff oder Lust so lange nichts von
mir hören ließ. – Seit Januar haben mich
Überlegungen darüber, ob wir jetzt der Schweiz
den Rücken kehren wollten, fortwährend beschäftigt, und ich wollte zu einem Entschluss
kommen, bevor ich Ihnen davon berichtete.
Nun ist die Sache entschieden; wir haben
uns bei der zürcherischen Obrigkeit bereits
abgemeldet, unsere Wohnung gekündigt und
gedenken nächste Woche zu reisen.
28. März. – D. h. diese Woche! Mein am
25. März 1921Karfreitag begonnener Brief musste zugunsten
allerhand widerwärtiger Umzugsgeschäfte
unterbrochen werden. Die Wiederholung dessen
befürchtend, fasse ich mich lieber kurz.
Benni war ein paar Mal bei uns, und
endlich konnte ich seine geistige Bekanntschaft
machen. Kann nicht genug bedauern, dass es
erst jetzt – wo wir Zürich verlassen – geschah.
Er gewann mich in der ersten halben Stunde,
ohne dass er es versucht oder gewollt hätte.
Ich hatte früher, glaube ich, irgendetwas wie
ein Vorurteil gegen ihn; meine Freude war
umso größer.
Ein „Vorurteil“ Jarnachs mag durch Äußerungen Busonis geprägt worden sein; vgl. den Brief vom 23.10.1920, wo Busoni vom „philosophischem Un-Ehrgeiz“ Bennis spricht, ihn einen „Bequemlichkeits-Liebhaber“ nennt und Sorge über Bennis „Geschlechtsleben“ bekundet.
Ich weiß nicht, welchen Eindruck er von mit hat; den meinigen kann
ich in einem Worte zusammenfassen: Wir
könnten Freunde werden.
Die Plauderei mit ihm war die einzige
Anregung des verflossenen Vierteljahres. Sonst
hatten wir hier die vollkommene Illusion
des Winterschlafes. Halte das ein andrer aus!
Die Festspielorganisation landet bei Wagner. (Sie
sahen es voraus.)
In Zürich fanden 1921 zum ersten Mal die Internationalen Festspiele und Konzerte statt. Ein Hauptprogrammpunkt war Richard Wagners Parsifal.
In den geistlichen Konzerten
ist Bach zugunsten Händel (dem „Ebenbürtigen“,
schreibt Gysi) abgesetzt worden. Messias, Landowska,
etc.
Andreae bedauert mein Weggehen.
Volkmar Andreae hatte Jarnach in dessen Zürcher Jahren unterstützt und ihm zu einer Stelle als Kompositionslehrer am Konservatorium für Musik verholfen. Sein Bedauern über den Wegzug von Jarnach, dem „lieben Freund und feinen Künstler“, bekundete Andreae auch gegenüber Busoni (Brief vom 5.5.1921, zit. nach Willimann 1994, S. 142).
Ich hörte, dass Sie nur für kurze Zeit
in Berlin sind und bald nach Italien fahren;
Im April fuhr Busoni auf Konzertreise nach Rom. Dort dirigierte er u. a. ein sehr gut besprochenes Orchesterkonzert, das ihm zu großer Beliebtheit in Italien verhalf (vgl. Busoni/Weindel 2015, S. 1136, Anm. 41).
wir reisen jetzt zunächst nach Polling und
denken gegen Mitte April in Berlin zu sein.
Werden wir Sie dort noch antreffen? Und wann
soll die „Commedia dell’arte“ kommen?
Die Berliner Erstaufführungen der Opern Turandot und Arlecchino fanden am 19. Mai 1921 als Doppelvorstellung in der Staatsoper statt. Insgesamt gab es fünf Vorstellungen im Mai und Juni 1921 (vgl. Beaumont 1987, S. 335, Anm. 4; Busoni/Weindel 2015, S. 1136, Anm. 41).
Bitte, vergelten Sie nicht Böses mit Bösem
und berichten Sie uns mit zwei Worten nach
Polling! So oder so hoffe ich Sie bald zu sehen
und freue mich im Herzen darauf. – Empfangen Sie unsere herzlichsten Glückwünsche zu
Ihrem
1. April 1921Geburtstag und verzeihen Sie das eilige
Gekritzel: Ich bin doch etwas aufgeregt in diesen
Tagen. Sieben Jahre – fast – saßen wir auf der
eidgenössischen Glücksinsel, und jetzt wird endlich
der Anker gelichtet.