Ferruccio Busoni an Jella Oppenheimer arrow_backarrow_forward

Zürich · 7. April 1916

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Mus.ep. F. Busoni 747 (Busoni-Nachl. B I)
Mus.Nachl. F. Busoni B I, 894
[1]
Zürich, 7. Apr 1916

Veehrteste liebe Frau u. Freundin,

Ihr schöner Brief war mir ein
wirkliches Festgeschenk, ein Trost für den
nun vollzogenen Abschied von der Jugend.
Dieser Tag erschien mir – aus der Weite
– wie ein Schlagbaume, der die
Menschen nur nach einer Richtung
hin durchlässt, so dass Sie ihn
nie wieder zurückpassieren. Mit
illusorischen Gewichten beschweren wir
selbst unsere Vorstellungen. Und ich
fand den Weg offen, u. nichts, das
einen Übergang andeutete. Ohne
Kalender u. Geburtsschein waere doch
niemand im Stande, die Zahl der
eigenen Lebensjahre anzugeben, u.
das sich - aelter - u. - jünger - fühlen
richtet sich nach ganz anderen Dingen.
Jetzt, wo ich im Begriff stehe
ein neues – und frisches – Werk
zu vollenden, empfinde ich zum
so vielten Male als wie ein
Debütant. Wann wird es fertig?
Wie wird es klingen, wirken – wo
sich ereignen? Das sind recht
jugendliche Gemüths-Momente.

Zürich, 7. Apr 1916

Veehrteste liebe Frau und Freundin,

Ihr schöner Brief war mir ein wirkliches Festgeschenk, ein Trost für den nun vollzogenen Abschied von der Jugend. Dieser Tag erschien mir – aus der Weite – wie ein Schlagbaume, der die Menschen nur nach einer Richtung hin durchlässt, so dass Sie ihn nie wieder zurückpassieren. Mit illusorischen Gewichten beschweren wir selbst unsere Vorstellungen. Und ich fand den Weg offen, und nichts, das einen Übergang andeutete. Ohne Kalender und Geburtsschein wäre doch niemand im Stande, die Zahl der eigenen Lebensjahre anzugeben, und das sich älter und jünger fühlen richtet sich nach ganz anderen Dingen. Jetzt, wo ich im Begriff stehe ein neues – und frisches – Werk zu vollenden, empfinde ich zum so vielten Male als wie ein Debütant. Wann wird es fertig? Wie wird es klingen, wirken – wo sich ereignen? Das sind recht jugendliche Gemüts-Momente.

An meinem Geburtstage erfreuten mich viele Kundgebungen alter österreichischer Sympathien. Der von Ihnen angeführte Ausdruck Hofmannsthals erhöht noch den Wert seines Glückwunsch Telegrammes, für das ich Sie bitte ihm gelegentlich wärmstens zu danken. Auch Wassermann vergaß mich nicht. (Gott vergelt's ihm!) Und heute beglückte mich ein Schreiben aus Frau Carolinas Feder und Herz. Noch mit dieser Post erwiedere ich es, was indessen meine lange Versäumnis nicht wird ausgleichen können. –

Ich stehe notgedrungen vor einem neuen Entschlusse, den zu fassen deswegen schwer wird, weil dabei so viel unbestimmtes, unbestimmbares hineinrechnet. – Mit fünf Klavierabenden und vier Orchesterkonzerten habe ich in Zürich eine angenehme, ausgiebige und prächtig entgegengenommene Tätigkeit geübt. Im Programm der Konzertabende am 14. und 18. März 1916 standen Sibelius Symphonie Nr. 2 in D-Dur, Mozarts Mentre ti lascio, o figlia und Wagners Walküre. Die Züricher Klavierabende Busonis starteten am 23. März 1916 im Konzertsaal der Tonhalle Zürich. Das Programm des ersten Abends bestand aus Bachs Präludium und Fuge Es-Dur, drei Choralvorspielen, Capriccio in E-Dur, Chromatische Fantasie und Fuge und den Goldberg-Variationen. Das Programm des zweiten Abends beinhaltete Beethovens Klaviersonate op.106 oder auch Hammerklaviersonate, das des dritten Chopins Etüden op.25 und die Polonaise As-Dur op. 53 und das des vierten Liszts Suisse aus den Années de pèlerinage. Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Nummer 416, 16. März 1916, Ausgabe 4, Seite 1; Neue Zürcher Nachrichten, Band 12, Nummer 84, 25. März 1916; Neue Zürcher Zeitung, Nummer 430, 18. März 1916 Ausgabe 05, Seite 1

Gott erhalte Sie, und seien sie gesegnet.

Ich küsse Ihre Hände als ihr tief ergebener

Ferruccio B

                                                                
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2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
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An meinem Geburtstage erfreuten
mich viele Kundgebungen alter
oesterreichischer Sympathieen.
Der von Ihnen angeführte Aus-
druck Hofmannsthal's erhöht
noch den Werth seines Glück-
wunsch Telegrammes, für das
ich Sie bitte ihm gelegentlich
waermstens zu danken. Auch
Wassermann vergass mich nicht.
(Gott vergelt's ihm!) Und heute
beglückte mich ein Schreiben aus
Frau Carolina's Feder u. Herz.
Noch mit dieser Post erwiedere
ich's, was indessen meine lange
Versäumnis nicht wird ausgleichen
können. –

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Ich stehe nothgedrungen vor
einem neuen Entschlusse, den zu fassen
deswegen schwer wird, weil dabei
so viel unbestimmtes, unbestimmbares 1916
hineinrechnet. – Mit 5 Clavierabdn-
u. 4 Orchesterconcerten habe ich in Zürich
eine angenehme, ausgiebige u. prächtig
an entgegengenommene Thätigkeit geübt. Im Programm der Konzertabende am 14. und 18. März 1916 standen Sibelius Symphonie Nr. 2 in D-Dur, Mozarts Mentre ti lascio, o figlia und Wagners Walküre. Die Züricher Klavierabende Busonis starteten am 23. März 1916 im Konzertsaal der Tonhalle Zürich. Das Programm des ersten Abends bestand aus Bachs Präludium und Fuge Es-Dur, drei Choralvorspielen, Capriccio in E-Dur, Chromatische Fantasie und Fuge und den Goldberg-Variationen. Das Programm des zweiten Abends beinhaltete Beethovens Klaviersonate op.106 oder auch Hammerklaviersonate, das des dritten Chopins Etüden op.25 und die Polonaise As-Dur op. 53 und das des vierten Liszts Suisse aus den Années de pèlerinage. Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Nummer 416, 16. März 1916, Ausgabe 4, Seite 1; Neue Zürcher Nachrichten, Band 12, Nummer 84, 25. März 1916; Neue Zürcher Zeitung, Nummer 430, 18. März 1916 Ausgabe 05, Seite 1

Gott erhalte Sie, u. seien sie gesegnet.

Ich küsse Ihre Hände
als ihr tief ergebener

Ferruccio B

                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 894+894a+894b | olim: Mus.ep. F. Busoni 747+747a.b |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Kollation
1
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Jahreszahl eingetragen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 12

Zusammenfassung
Busoni bedankt sich für Oppenheimers Brief und berichtet vom Schaffensprozess von Doktor Faust
Incipit
Ihr schöner Brief war mir ein wirkliches Festgeschenk

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
3. September 2024: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition