Ferruccio Busoni to Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · February 14, 1916

Facsimile
Diplomatic transcription
Reading version
XML
15. 14 Febr. 1916

Verehrtester Freund,

letzthin schrieb ich zu kurz,
von der Schwäche des kleinen Verdrusses
bemeistert, die mich (entgegen einer
50-jährigen Weisheit) überfiel. Inzwischen
erwiederte Herr Boller befriedigend. Hingegen
Ihr Brief war herzlichst erfreuend u.
wohlthuend. – Ihr Nietzsche-Zitat
veranlasst mich Ihnen zwei Druckbögelchen
zu schicken, die etwas über Bach geäußertes
enthalten. –

Noch habe ich nicht erschöpfend
über Ihr Werk gesprochen. Es war mehr
die Scheu einem Meister gegenüber (ob
Sie’s zugeben, oder nicht) überhaupt von
ihm zu reden. Ein Lob ist nicht weniger
die Anmaassung eines Urtheils, als ein
Tadel. "Sie loben mich, also kritisieren Sie"
– so habe ich oft empfunden. –

In der That aber habe ich mit
zunehmender künstlerischen Freude das
Quintett studiert, obwohl ich es – zum
ersten Male – nicht so spielen konnte, als
wenn es ein mein Blut gedrungen waere.
Auch fehlte mir die Freiheit. Aber ich
genoss den Zug, die Frische, den Klang

Verehrtester Freund,

letzthin schrieb ich zu kurz, von der Schwäche des kleinen Verdrusses bemeistert, die mich (entgegen einer 50-jährigen Weisheit) überfiel. Inzwischen erwiderte Herr Boller befriedigend. Hingegen Ihr Brief war herzlichst erfreuend und wohltuend. – Ihr Nietzsche-Zitat veranlasst mich Ihnen zwei Druckbögelchen zu schicken, die etwas über Bach Geäußertes enthalten. –

Noch habe ich nicht erschöpfend über Ihr Werk gesprochen. Es war mehr die Scheu, einem Meister gegenüber (ob Sie’s zugeben oder nicht) überhaupt von ihm zu reden. Ein Lob ist nicht weniger die Anmaßung eines Urteils als ein Tadel. „Sie loben mich, also kritisieren Sie“ – so habe ich oft empfunden. –

In der Tat aber habe ich mit zunehmender künstlerischen Freude das Quintett studiert, obwohl ich es – zum ersten Male – nicht so spielen konnte, als wenn es ein mein Blut gedrungen wäre. Auch fehlte mir die Freiheit. Aber ich genoss den Zug, die Frische, den Klang und das Lebendige in Ihrem Werke, das zu der blühenden Art der Kammermusik gehört. – Wenn Sie nur selber ein bisschen froh gewesen, – dies wäre das beste Ergebnis für die kleine, willigste Mühe!

Dass Sie beim Liszt-Abend zugegen sein wollen, beglückt mich. Ich bräche ungern so unvermittelt mit Basel ab, wo ich schon zwei erinnerungswerte Episoden erlebt. – Der 8. Februar war ein schöner (vorläufiger) Abschluss, und dafür möchte ich, dass Sie auch Ihrer verehrten Frau meinen Dank übermitteln. Grüßen Sie Richard Wagner, Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg von einem, der auch nach Rom geht, und seien Sie ebenso verehrungsvoll als herzlich gegrüßt von

Ihrem ganz ergebenen

Ferruccio Busoni

Zürich, den 14. Februar, 1916.–
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="numbering" place="top-right" resp="#archive2">15.</note> <note type="dating" place="right" resp="#archive"> <date when-iso="1915-02-14">14 Febr. 1916</date> </note> <opener> <salute rend="indent">Verehrtester Freund,</salute> </opener> <p rend="indent-first">letzthin schrieb ich zu kurz, <lb/>von der Schwäche des kleinen Verdrusses <lb/>bemeistert, die mich (entgegen einer <lb/>50-jährigen Weisheit) überfiel. Inzwischen <lb/>erwi<orig>e</orig>derte <persName key="E0300139">Herr Boller</persName> befriedigend. Hingegen <lb/>Ihr Brief war herzlichst erfreuend <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <lb/>wohlt<orig>h</orig>uend. – Ihr <persName key="E0300090">Nietzsche</persName>-Zitat <lb/>veranlasst mich Ihnen zwei Druckbögelchen <!--<note resp="#E0300333"> Begleitwort zur Bachausgabe (<q>Von der Einheit der Musik</q>, S. 220) </note>--> <lb/>zu schicken, die etwas über <persName key="E0300013">Bach</persName> <choice><orig>g</orig><reg>G</reg></choice>eäußertes <lb/>enthalten. –</p> <p rend="indent-first">Noch habe ich nicht erschöpfend <lb/>über <rs key="E0400232">Ihr Werk</rs> gesprochen. Es war mehr <lb/>die Scheu<reg>,</reg> einem Meister gegenüber (ob <lb/>Sie’s zugeben<orig>,</orig> oder nicht) überhaupt von <lb/>ihm zu reden. Ein Lob ist nicht weniger <lb/>die Anma<choice><orig>ass</orig><reg>ß</reg></choice>ung eines Urt<orig>h</orig>eils<orig>,</orig> als ein <lb/>Tadel. <q rend="dq-uu-straight">Sie loben mich, also kritisieren Sie</q> <lb/>– so habe ich oft empfunden. –</p> <p type="pre-split" rend="indent-first">In der T<orig>h</orig>at aber habe ich mit <lb/>zunehmender künstlerischen Freude das <lb/><title key="E0400232">Quintett</title> studiert, obwohl ich es – zum <lb/>ersten Male – nicht so spielen konnte, als <lb/>wenn es ein mein Blut gedrungen w<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>re. <lb/>Auch fehlte mir die Freiheit. Aber ich <lb/>genoss den Zug, die Frische, den Klang </p></div>
2Facsimile
2Diplomatic transcription
2XML

u. das Lebendige in Ihrem Werke,
das zu der blühenden Art der Kam̅ermusik
gehört. – Wenn Sie nur selber ein Bischen
froh gewesen, – dies waere das beste Er-
-gebnis für die kleine, willigste Mühe!

Dass Sie beim Liszt-Abend zugegen
sein wollen, beglückt mich. Ich bräche
ungern so unvermittelt mit Basel ab,
wo ich schon zwei erinnerungswerthe
Episoden erlebt. – Der 8. Februar war
ein schöner (vorläufiger) Abschluß und
dafür möchte ich, dass Sie auch Ihrer
verehrten Frau
meinen Dank übermitteln.
Grüßen Sie Richard Wagner, Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg von Einem,
der auch nach Rom geht, und
seien Sie ebenso verehrungsvoll als
herzlich gegrüßt von

Ihrem ganz ergebenen

Ferruccio Busoni

Zürich, den 14. Februar, 1916.–
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> das Lebendige in <rs key="E0400232">Ihrem Werke</rs>, <lb/>das zu der blühenden Art der Ka<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>ermusik <lb/>gehört. – Wenn Sie nur selber ein <choice><orig>Bischen</orig><reg>bisschen</reg></choice> <lb/>froh gewesen, – dies w<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>re das beste Er <lb break="no" rend="after:-"/>gebnis für die kleine, willigste Mühe!</p> <p rend="indent-first">Dass Sie beim <persName key="E0300013">Liszt</persName>-Abend zugegen <lb/>sein wollen, beglückt mich. Ich bräche <lb/>ungern so unvermittelt mit <placeName key="E0500097">Basel</placeName> ab, <lb/>wo ich schon zwei erinnerungswert<orig>h</orig>e <lb/>Episoden erlebt. – Der <date when-iso="1916-02-08">8. Februar</date> war <lb/>ein schöner (vorläufiger) Abschlu<choice><orig>ß</orig><reg>ss,</reg></choice> und <lb/>dafür möchte ich, dass Sie auch <rs key="E0300239">Ihrer <lb/>verehrten Frau</rs> meinen Dank übermitteln. <lb/>Grüßen Sie <persName key="E0300142"><notatedMusic place="inline"> <ptr target="nb/D0100119_nb1.xml"/> <graphic width="118px" height="59px" url="D0100119_ex_1.png"/> <desc><persName key="E0300006">Richard Wagner</persName>, <title key="E0400253">Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg</title></desc> </notatedMusic></persName> von <choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>inem, <lb/>der auch nach <placeName key="E0500020">Rom</placeName> geht, und <lb/>seien Sie ebenso verehrungsvoll als <lb/>herzlich gegrüßt von</p> <closer> <salute rend="align(right)">Ihrem ganz ergebenen</salute> <signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">Ferruccio Busoni</persName></signed> <dateline> <placeName key="E0500132">Zürich,</placeName> <date when-iso="1916-02-14">den 14. Februar, 1916.–</date> </dateline> </closer> </div>
3Facsimile
3Diplomatic transcription
3XML
[Rückseite von Textseite 1, vacat]
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0300333">[Rückseite von Textseite 1, vacat]</note> </div>
4Facsimile
4Diplomatic transcription
4XML
[Rückseite von Textseite 2, vacat]
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0300333">[Rückseite von Textseite 2, vacat]</note> </div>

Document

doneStatus: candidate XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Datierung mit Bleistift auf die erste Seite übertragen hat.
  • Hand des Archivars, der eine laufende Nummer mit Bleistift eingetragen hat.

Summary
Busoni betrachtet den „kleinen Verdruss[]“ mit der Basler Filiale von Musik Hug für erledigt; sendet Huber eine kleine Bach-Schrift zu; beurteilt Hubers Quintett op. 125; erwartet mit Freude Hubers Anwesenheit beim Liszt-Klavierabend in Zürich.
Incipit
letzthin schrieb ich zu kurz

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
June 20, 2017: candidate (coding checked, proofread)
Direct context
Preceding Following
Near in this edition
Previous editions
Refardt 1939, S. 13