|
15 Juni 1921
Hochverehrter Herr Paul Bekker,
ich erhielt Ihre Aufsätze, mit denen
Sie mir viel Anregung schufen.
Vgl. die entsprechende Bitte um Zusendung von Artikeln aus der Frankfurter Zeitung im vorangegangenen Brief.
In
der Besprechung von Wellesz’ Oper
Wellesz’ Oper Die Prinzessin Girnara wurde am 14. Mai 1921 in Hannover und Frankfurt uraufgeführt; Bekkers Kritik der Frankfurter Premiere erschien am 17. Mai 1921 in der Frankfurter Zeitung.
sprechen Sie einige allgemeine Wahr- heiten aus, für die ich Ihnen dank- bar bin. Namentlich für den Satz,
der "von der Angst, unmodern zu
sein" handelt.
Busoni paraphrasiert hier aus Bekkers Rezension. Dort heißt es wörtlich: „Ist die Angst, für nicht modern gehalten zu werden, so weit gestiegen, daß man das Armselige und Klägliche nicht beim Namen zu nennen wagt, weil es sich modernistisch gebärdet?“ (Bekker 1921, S. 1).
Dieser Satz sollte
das Thema zu einem ganzen
Feuilleton abgeben, denn er be- rührt etwas sehr Wichtiges, das
in unseren Tagen viel Verwirrung
u. Verzögerung schafft. – Auch
die Zuschauer sind von diesem
Übel erfasst u. trauen sich nicht
Etwas zu abzulehnen, das ihnen
kein Vergnügen bereitet, in der
Befürchtung für altmodisch
angesehen zu werden. – In meiner
Jugend brauchte Etwas nur
"modern" zu sein um abgeschossen
|
15. Juni 1921
Hochverehrter Herr Paul Bekker,
ich erhielt Ihre Aufsätze, mit denen
Sie mir viel Anregung schufen.
Vgl. die entsprechende Bitte um Zusendung von Artikeln aus der Frankfurter Zeitung im vorangegangenen Brief.
In
der Besprechung von Wellesz’ Oper
Wellesz’ Oper Die Prinzessin Girnara wurde am 14. Mai 1921 in Hannover und Frankfurt uraufgeführt; Bekkers Kritik der Frankfurter Premiere erschien am 17. Mai 1921 in der Frankfurter Zeitung.
sprechen Sie einige allgemeine Wahrheiten aus, für die ich Ihnen dankbar bin. Namentlich für den Satz,
der „von der Angst, unmodern zu
sein“ handelt.
Busoni paraphrasiert hier aus Bekkers Rezension. Dort heißt es wörtlich: „Ist die Angst, für nicht modern gehalten zu werden, so weit gestiegen, dass man das Armselige und Klägliche nicht beim Namen zu nennen wagt, weil es sich modernistisch gebärdet?“ (Bekker 1921, S. 1).
Dieser Satz sollte
das Thema zu einem ganzen
Feuilleton abgeben, denn er berührt etwas sehr Wichtiges, das
in unseren Tagen viel Verwirrung
und Verzögerung schafft. – Auch
die Zuschauer sind von diesem
Übel erfasst und trauen sich nicht
etwas abzulehnen, das ihnen
kein Vergnügen bereitet, in der
Befürchtung, für altmodisch
angesehen zu werden. – In meiner
Jugend brauchte etwas nur
„modern“ zu sein, um abgeschossen
zu werden; es wurde erstickt; der junge
Schöpfer schritt von Demütigung zu
Entmutigung. – Hand in Hand mit dieser
heutigen Erscheinung geht aber auch der
Hang, Gediegenes und Wohlgefügtes
geringzuschätzen: als ob unter den Anders-Seitigen
eine stille Verabredung geschlossen wäre,
das Tüchtige als etwas Verächtliches hinzustellen, um so die eigene Untüchtigkeit zu
retten. – Ich meine: Das sollte einmal
als Dokument, als Warnung, als Erziehung des Breiteren gesagt werden.
– Zuletzt erhielt ich Ihren schönen
Artikel über die Bach-Ausgabe,
Bekkers Artikel über die Bach-Ausgabe (Bekker 1921a) erschien am 11. Juni 1921 in der Frankfurter Zeitung im ersten Morgenblatt.
der
mich recht stolz macht. (Leider
ist aus dem Ausschnitt nicht das
Datum zu ersehen: das ich erfahren
möchte, um ein Dutzend Exemplare
oder mehr zu bestellen). Großen Dank!
Ich hatte Gelegenheit, einen
intimeren Angestellten des Drei-Masken-Verlages zurechtzuweisen, der
in Beschämung das Verkehrte
der auf mich beschworenen Situation
einsah und zugab! –
Ich grüße Sie in vollkommener
Achtung, als ihr herzlich
ergebener
F. Busoni
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<opener>
<dateline rend="align(right)"><date when-iso="1921-06-15">15<reg>.</reg> Juni 1921</date></dateline>
<salute rend="align(left)">Hochverehrter Herr <persName key="E0300111">Paul Bekker</persName>,</salute>
</opener>
<p type="pre-split">ich erhielt Ihre Aufsätze, mit denen
<lb/>Sie mir viel Anregung schufen.
<note type="commentary" resp="#E0300388">Vgl. die entsprechende Bitte um Zusendung von Artikeln aus der <orgName key="E0600070">Frankfurter Zeitung</orgName> im <ref target="#D0100414" n="3">vorangegangenen Brief</ref>.</note>
In
<lb/>der Besprechung von <persName key="E0300403">Wellesz’</persName> <rs key="E0400329">Oper</rs>
<note type="commentary" resp="#E0300388"><persName key="E0300403">Wellesz’</persName> Oper <title key="E0400329">Die Prinzessin Girnara</title> wurde am <date when-iso="1921-05-14">14. Mai 1921</date> in <placeName key="E0500041">Hannover</placeName> und <placeName key="E0500153">Frankfurt</placeName> uraufgeführt; <persName key="E0300111">Bekkers</persName> Kritik der <placeName key="E0500153">Frankfurter</placeName> Premiere erschien am <date when-iso="1921-05-17">17. Mai 1921</date> in der <orgName key="E0600070">Frankfurter Zeitung</orgName>.</note>
<lb/>sprechen Sie einige allgemeine Wahr
<lb break="no"/>heiten aus, für die ich Ihnen dank
<lb break="no"/>bar bin. Namentlich für den Satz,
<lb/>der <q rend="dq-uu-straight">von der Angst, unmodern zu
<lb/>sein</q> handelt.
<note type="commentary" resp="#E0300388"><persName key="E0300017">Busoni</persName> paraphrasiert hier aus <persName key="E0300111">Bekkers</persName> Rezension. Dort heißt es wörtlich: <q rend="dq-du">Ist die Angst, für nicht modern gehalten zu werden, so weit gestiegen, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> man das Armselige und Klägliche nicht beim Namen zu nennen wagt, weil es sich modernistisch gebärdet?</q> (<bibl><ref target="#E0800176"/>, S. 1</bibl>).</note>
Dieser Satz sollte
<lb/>das Thema zu einem ganzen
<lb/>Feuilleton abgeben, denn er be
<lb break="no"/>rührt etwas sehr Wichtiges, das
<lb/>in unseren Tagen viel Verwirrung
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Verzögerung schafft. – Auch
<lb/>die Zuschauer sind von diesem
<lb/>Übel erfasst <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> trauen sich nicht
<lb/><choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>twas <del rend="strikethrough">zu</del> abzulehnen, das ihnen
<lb/>kein Vergnügen bereitet, in der
<lb/>Befürchtung<reg>,</reg> für altmodisch
<lb/>angesehen zu werden. – In meiner
<lb/>Jugend brauchte <choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>twas nur
<lb/><soCalled rend="dq-uu-straight">modern</soCalled> zu sein<reg>,</reg> um abgeschossen
</p></div>
|
2Facsimile
|
2Diplomatic transcription
|
2XML
|
|
zu werden; es wurde erstickt; der junge
Schöpfer schritt von Demüthigung zu
Entmuthigung. – Hand in Hand mit dieser
heutigen Erscheinung geht aber auch der
Hang, Gediegenes u. wohlgefügtes zu
verachtengeringschätzen: als ob unter den Anders-Seitigen
eine stille Verabredung geschlossen waere,
das Tüchtige als etwas Verächtliches hinzu- stellen, um so die eigene Untüchtigkeit zu
retten. – Ich meine: Das sollte einmal
als Dokument, als Warnung, als Er- ziehung des Breiteren gesagt werden. X-X
– Zuletzt erhielt ich Ihren schönen
Artikel über die Bach-Ausgabe,
Bekkers Artikel über die Bach-Ausgabe (Bekker 1921a) erschien am 11. Juni 1921 in der Frankfurter Zeitung im ersten Morgenblatt.
der
mich recht stolz macht. (Leider
ist aus dem Ausschnitt nicht das
Datum zu ersehen: das ich erfahren
möchte, um ein Dutzend Exemplare
oder mehr zu bestellen). Grossen Dank!
Ich hatte Gelegenheit, einem
intimeren Angestellten des 3-Masken-
Verlages zurechtzuweisen, der
sich
transcription uncertain:
cancelled.
in Beschämung das Verkehrte
der auf mich beschworenen Situation
einsah und zugab! –
Ich grüsse Sie in vollkomm[e]ner
Achtung, als ihr herzlich
ergebener
F. Busoni
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
zu werden; es wurde erstickt; der junge
<lb/>Schöpfer schritt von Demüt<orig>h</orig>igung zu
<lb/>Entmut<orig>h</orig>igung. – Hand in Hand mit dieser
<lb/>heutigen Erscheinung geht aber auch der
<lb/>Hang, Gediegenes <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <choice><orig>w</orig><reg>W</reg></choice>ohlgefügtes <orig>zu</orig>
<lb/><subst><del rend="strikethrough">verachten</del><add place="above">gering<reg>zu</reg>schätzen</add></subst>: als ob unter den Anders-Seitigen
<lb/>eine stille Verabredung geschlossen w<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>re,
<lb/>das Tüchtige als etwas Verächtliches hinzu
<lb break="no"/>stellen, um so die eigene Untüchtigkeit zu
<lb/>retten. – Ich meine: Das sollte einmal
<lb/>als Dokument, als Warnung, als Er
<lb break="no"/>ziehung des Breiteren gesagt werden.</p>
<note type="annotation" resp="#recipient" place="margin-left" rend="large">X-X</note>
<p>– Zuletzt erhielt ich Ihren schönen
<lb/>Artikel über die <persName key="E0300012">Bach</persName>-Ausgabe,
<note type="commentary" resp="#E0300388"><persName key="E0300111">Bekkers</persName> Artikel über die <persName key="E0300012">Bach</persName>-Ausgabe (<bibl><ref target="#E0800174"/></bibl>) erschien am <date when-iso="1921-06-11">11. Juni 1921</date> in der <orgName key="E0600070">Frankfurter Zeitung</orgName> im ersten Morgenblatt.</note>
der
<lb/>mich recht stolz macht. (Leider
<lb/>ist aus dem Ausschnitt nicht das
<lb/><hi rend="underline">Datum</hi> zu ersehen: das ich erfahren
<lb/>möchte, um ein Dutzend Exemplare
<lb/>oder mehr zu bestellen). Gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Dank!</p>
<p rend="indent-first">Ich hatte Gelegenheit, eine<choice><orig>m</orig><reg>n</reg></choice>
<lb/>intimeren Angestellten des <orgName key="E0600102"><choice><orig>3</orig><reg>Drei</reg></choice>-Masken-
<lb break="no"/>Verlages</orgName> zurechtzuweisen, der
<lb/><unclear reason="strikethrough" cert="high"><del rend="strikethrough">sich</del></unclear> in Beschämung das Verkehrte
<lb/>der auf mich beschworenen Situation
<lb/>einsah und zugab! –</p>
<closer>
<salute rend="indent-first">Ich grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Sie in vollkomm<supplied reason="omitted">e</supplied>ner
<lb/>Achtung, als ihr herzlich
<lb/><seg rend="align(right)">ergebener</seg></salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName></signed>
</closer>
</div>
|
3Facsimile
|
3Diplomatic transcription
|
3XML
|
|
|
<address xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0">
<addrLine rend="underline">Dr. <persName key="E0300017">Busoni</persName> W 30.</addrLine>
</address>
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="top-right" resp="#post">
<stamp xml:id="post_abs" rend="round border majuscule align(center)">
<placeName key="E0500029">Ber<supplied reason="incomplete">li</supplied>n</placeName> W
<lb/><date when-iso="1921-06-15">15.6.21</date> 7–8<supplied reason="incomplete" cert="high">N</supplied>
<lb/>30
</stamp>
</note>
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="top-right" resp="#post">
<stamp sameAs="post_abs" rend="round border majuscule align(center)">
<placeName key="E0500029">Ber<supplied reason="incomplete">lin</supplied></placeName> W
<lb/><date when-iso="1921-06-15">15.6.21</date> 7–<supplied reason="ink-blot" cert="high">8N</supplied>
<lb/>30
</stamp>
</note>
<address xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0">
<addrLine rend="align(right)">Herrn <persName key="E0300111">Paul Bekker</persName></addrLine>
<addrLine rend="align(right)"><placeName key="E0500462">Hofheim im Taunus</placeName></addrLine>
<addrLine rend="align(right)"><placeName key="E0500470">Kapellen<choice><abbr>str.</abbr><expan>straße</expan></choice> 2</placeName>.</addrLine>
</address>
|
4Facsimile
|
4Diplomatic transcription
|
4XML
|
|
[Rückseite des Briefumschlags, vacat]
|
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="objdesc" resp="#E0300388">[Rückseite des Briefumschlags, vacat]</note>
|