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N.Mus.Nachl. 30,54 1
Bei seinen London-Aufenthalten residierte Busoni regelmäßig in der am Regent’s Park gelegenen luxuriösen Privatwohnung der Tänzerin Maud Allan – so auch zum Zeitpunkt dieses Briefes (vgl. Couling 2005, S. 255 und 314, siehe auch die scherzhafte Absendeadresse „Maudeville Hôtel“ in einem Brief an Gerda Busoni, London, 8.7.1920, in: Busoni/Weindel 2015, Bd. 1, Nr. 821, S. 729). Die in Kanada geborene, aber in den USA aufgewachsene Allan hatte zunächst in San Francisco und ab 1895 in Berlin an der Königlichen Akademischen Hochschule für Musik Klavier studiert. 1901 gehörte sie zum ausgewählten Kreis der Teilnehmenden an Busonis Meisterklasse für Klavier in Weimar (vgl. Allan 1908, S. 67). Es war Busoni, der dort ihr tänzerisches Potenzial erkannte und ihr nahelegte, den Tanz zum Beruf zu machen (vgl. Dent 1974, S. 128). Zwei Jahre später gab sie in Wien ihr Debüt als Tänzerin, dem weitere Auftritte in anderen europäischen Städten folgten; das Klavierstudium hat sie letztlich nicht zu Ende geführt. Bekannt wurde sie vor allem durch die exotisch-erotische tänzerische Darbietung der von ihrem Mentor Marcel Rémy vertonten Vision of Salome. Die Performance erregte u. a. 1908/1909 in London großes Aufsehen und erwies sich mit über 250 Vorstellungen in einem anderthalbjährigem Gastspiel am Palace Theatre als fulminanter Erfolg. Es gibt Hinweise auf eine mögliche Affäre zwischen Busoni und Allan (vgl. Couling 2005, S. 255).
L Ph J hoffentlich bin
ich Ihnen nicht
aufdringlich u. geschwätzig,
welches ein Zeichen des Alterns
wäre (es muss wohl so sein,
dass das Alter meint, es hätte
noch so viel zu sagen u. keine
viele Zeit mehr dazu)
Bemerkung in Klammern bei Beaumont 1987 (301) übersetzt mit „it must be so, for old people think they still have so much to say […]“ (dt.: es muss wohl so sein, denn das Alter meint […]), wodurch sich der Kommentar unmittelbar auf Busoni bezieht, während er im Original eher allgemeiner Natur ist.
– –
– ich wollte zur Vervoll- ständigung meines gestrigen Briefes noch das folgende
schreiben: ich benutzte den
gestrigen RuheTag,
Bei Beaumont 1987 (301) übersetzt mit „free time“, treffender wäre vermutlich „day off“.
um für
Freundin Maud eine
unveröffentlichte Partitur
von Debussy durchzunehmen,
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Bei seinen London-Aufenthalten residierte Busoni regelmäßig in der am Regent’s Park gelegenen luxuriösen Privatwohnung der Tänzerin Maud Allan – so auch zum Zeitpunkt dieses Briefes (vgl. Couling 2005, S. 255 und 314, siehe auch die scherzhafte Absendeadresse „Maudeville Hôtel“ in einem Brief an Gerda Busoni, London, 8.7.1920, in: Busoni/Weindel 2015, Bd. 1, Nr. 821, S. 729). Die in Kanada geborene, aber in den USA aufgewachsene Allan hatte zunächst in San Francisco und ab 1895 in Berlin an der Königlichen Akademischen Hochschule für Musik Klavier studiert. 1901 gehörte sie zum ausgewählten Kreis der Teilnehmenden an Busonis Meisterklasse für Klavier in Weimar (vgl. Allan 1908, S. 67). Es war Busoni, der dort ihr tänzerisches Potenzial erkannte und ihr nahelegte, den Tanz zum Beruf zu machen (vgl. Dent 1974, S. 128). Zwei Jahre später gab sie in Wien ihr Debüt als Tänzerin, dem weitere Auftritte in anderen europäischen Städten folgten; das Klavierstudium hat sie letztlich nicht zu Ende geführt. Bekannt wurde sie vor allem durch die exotisch-erotische tänzerische Darbietung der von ihrem Mentor Marcel Rémy vertonten Vision of Salome. Die Performance erregte u. a. 1908/1909 in London großes Aufsehen und erwies sich mit über 250 Vorstellungen in einem anderthalbjährigem Gastspiel am Palace Theatre als fulminanter Erfolg. Es gibt Hinweise auf eine mögliche Affäre zwischen Busoni und Allan (vgl. Couling 2005, S. 255).
L Ph J,
hoffentlich bin
ich Ihnen nicht
aufdringlich und geschwätzig,
welches ein Zeichen des Alterns
wäre (es muss wohl so sein,
dass das Alter meint, es hätte
noch so viel zu sagen und keine
viele Zeit mehr dazu)
–
Ich wollte zur Vervollständigung meines gestrigen Briefes noch das Folgende
schreiben: Ich benutzte den
December 1, 1919gestrigen Ruhetag,
um für
Freundin Maud eine
unveröffentlichte Partitur
von Debussy durchzunehmen,
die er in Mauds Auftrag fabrizierte, verfertigte,
zurechtzimmerte und zusammenstellte.
Bereits im Herbst 1910 hatte Maud Allan bei Claude Debussy die Musik für das Ballett Khamma in Auftrag gegeben, auf Basis eines von William Leonard Courtney und ihr selbst verfassten exotischen Szenariums mit Schauplatz im Alten Ägypten. Allans Honorarangebot belief sich auf 20.000 Franc, die Hälfte davon zahlbar im Voraus (vgl. Jensen 2014, S. 100). Debussy sah sich aufgrund hoher privater Schulden außerstande, das Angebot abzulehnen. Den Pariser Verlag Durand, bei dem Debussy seit 1905 exklusiv unter Vertrag stand, setzte er nicht über den neuen Auftrag in Kenntnis, wohl in der Hoffnung auf diese Weise der Zahlung einer Beteiligung an den Verlag zu entgehen. Aufgrund der mangelnden professionellen Unterstützung wies der zwischen Allan und Debussy abgeschlossene Vertrag allerdings einige empfindliche inhaltliche Lücken auf: So enthielt die Vereinbarung u. a. keine Angaben über die Dauer des zu komponierenden Stückes und auch keine Details zur Besetzung des Orchesters, weshalb es über diese Punkte zum Streit kam (vgl. ibid.). Der Verlag wurde nun doch eingeschaltet und der Vertrag konkretisiert. Es half nichts: 1912, nachdem Debussy das Werk im Klavierauszug fertiggestellt hatte, wünschte Allan plötzlich sechs oder sieben Tänze im Stück anstelle der von Debussy gelieferten drei. Die Stückdauer sollte damit auf etwa 40 Minuten verdoppelt werden. Im Sommer 1916 forderte Allan gar eine ganz neue Partitur für eine Reihe von Vorstellungen in New York mit einer deutlich reduzierten Orchesterbesetzung von nur 40 anstelle von 90 Musikerinnen und Musikern, um auch in kleineren Theatern auftreten zu können (vgl. Orledge 1982, S. 128). Debussy kam keinem der Wünsche nach und blieb bei dem, was er Maud Allan bereits 1912 geschrieben hatte: „Telle que je l’ai composée, / Telle elle restera“ (Brief von Debussy an Allan, 16.7.1912, in: Debussy/Lesure 1993, S. 308). Welche Art von redaktionellen Eingriffen in die Partitur Busoni vorgenommenen hat, konnte nicht ermittelt werden.
Maud brauchte mehr
Bewegungsraum (das heißt „Zeit“)
als die Komposition zulässt,
und ich lud auf mich die
Mühe, eine Redaktion vorzunehmen. – Dabei kam ich
zur Wahrnehmung, dass
Debussys Instrumentation
im letzten Grunde eine
Fortsetzung der Wagner’schen
ist, anstatt – wie er glaubte –
eine Reaktion dagegen zu sein.
Busoni war offenkundig nicht darüber informiert, dass Charles Koechlin den Großteil der Orchestrierung von Debussys Klavierauszug für das Ballett Khamma übernommen hatte. Lediglich die ersten zehn Seiten des Partiturautographs von insgesamt 80 wurden von Debussy verfasst (begonnen im April 1912), den großen Rest der Orchestrierung besorgte Koechlin auf Basis des Klavierauszugs und nach Debussys Anweisungen in der Zeit von Dezember 1912 bis Januar 1913 (vgl. Orledge 1986, S. 137).
Debussys Verhältnis zu Richard Wagner war ambivalent. Viele Komponisten in Debussys Generation wuchsen in Wagners Schatten auf und sahen sich beispielsweise in Paris noch immer einem Konzertpublikum gegenüber, das Wagners Musik liebte, obwohl der französische Wagnérisme seinen Zenit zum Zeitpunkt dieses Briefes schon seit Dekaden überschritten hatte. Debussy pilgerte 1888 und 1889 nach Bayreuth und besuchte später Vorstellungen von Lohengrin und Die Walküre in Paris, in welchem Zusammenhang er sogar monierte, dass Wagners Ring-Zyklus nicht als Ganzes gegeben wurde. Andererseits sah er keine Zukunft für Wagners musikalischen Stil und negierte vehement jedweden Einfluss auf eigene Werke, wie etwa im Fall seiner 1902 uraufgeführten Oper Pelléas et Mélisande. Er wandte sich entschieden gegen Wagners plakative Leitmotiv-Technik, stattdessen kreierte er kurze Motive, die auf eher subtile und indirekte Weise den Charakteren oder bestimmten wiederkehrenden Symbolen der Oper entsprechen. Auch in puncto Instrumentierung suchte Debussy nach einem eigenen Weg: Für Pelléas manifestierte sich dieser in der geradezu kammermusikalischen Qualität des Orchesters, die ungewöhnliche Klänge und musikalische Texturen ermöglichte, welche in starkem Kontrast zum oft überbordenden Orchestrationsstil Wagners standen (vgl. Donnellon 2003, S. 46 f.). Wie stark der Einfluss Wagners im Fall von Debussys bzw. Koechlins Khamma-Orchestrierung gewesen sein mag, wäre in einer separaten Studie noch zu analysieren.
Ich gestehe, dass ich auf
Ihre (Ph. J.s) Partituren
zu denken kam und darum
diese heutigen Zeilen.
Es ist – so glaube ich – eine
historische Feststellung, die
man schon „anjetzo“ formulieren
kann, dass die Musik von
Wagners Tod an (1883–?)
bis
sicherlich etwa 1923
schlechtweg
die Post-Wagnerianische
oder
Neo-Wagnerianische genannt
werden wird, Stravinsky und
Schönberg eingerechnet; als wie
Tintoretto und Tiepolo noch
zur Tizianischen Kunst gehören.
Hier gilt es, alte Quellen wieder
aufzusuchen, so nicht einer
eine noch unbekannte entdeckt.
Es ist keine postkriegerische
Äußerung, die ich tue, wenn
ich wirklich meine, dass
der Moment gekommen ist,
das deutsche 19. Jahrhundert
abzuschütteln. Und seien Sie
nicht entrüstet, wenn ich
– nur in diesem einzigen Sinne –
Beethoven mit Wagner zugleich
nenne.
Alles dieses ist nicht „national“
gemeint, sondern rein künstlerisch.
Mit „alten Quellen“ meine ich
Die Unterscheidung Klassik–Romantik
fällt von selbst: Die beiden
sollen – wie Helena und Faust –
einen Euphorion zeugen,
der kräftig genug ist, um
nicht als Adoleszent zu enden.
Die Gestalt des Euphorion benutzt Busoni im Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, um eine Analagie herzustellen zwischen dem lebenden Euphorion und seinen Gedanken (= „Geist, Empfindung, […] Individualität“ in der Musik) und den nach seinem Ableben „auf der Erde zurückgebliebene[n] Gewänder[n]“ (= die äußere Hülle bzw. Form der Musik, die zurückbleibt, nachdem ihr Schöpfer wieder entschwebt ist, eifrig gehütet von den „Gesetzgebern“) (vgl. Busoni, digitale Edition des Entwurfs, zweite, erweiterte Ausgabe, 1916, S. 10). Übertragen auf diese Textstelle bedeutete das, dass Busoni sich eine Musik wünscht, die individuelle Empfindung und äußere Form auf lange Zeit vereint, und die in verschiedenen Epochen bzw. Ideenwelten gleichermaßen stark verwurzelt ist.
Dieses mit Euphorion verknüpfte Bild findet seine Übertragung auch in Busonis Musik. Das Motiv des schwebenden Knaben am Schluss der Oper Doktor Faust – das gemeinsame Kind der Herzogin und Faust – lässt sich auf Goethes Euphorion-Figur zurückführen. „‚Das Kind‘ wird zum Symbol, das eine fast versöhnende und über den Rahmen des Spiels hinausdeutende Lösung veranlaßt und ermöglicht“, schreibt Busoni im Mai 1920 an Gisella Selden-Goth, das „Wesen begründet das geistige Fortleben des Individuums, des ‚Willens‘, wie F. selbst sich zuletzt nennt“ (Brief an Selden-Goth, Zürich, 14.5.1920, in: Busoni/Selden-Goth 1937, Nr. V, S. 28). Einige Quellen stellen sogar Parallelen zwischen Euphorion und Busoni selbst her: „Die Kunst Busonis hat etwas von Euphorion, und er selbst, Sohn der südlichen Erde und des nordischen Gedankens, gleicht er nicht Euphorion, dem Sohne Helenas und Dr. Fausts?“ (Chantavoine 1921, S. 10)
Wir müssen dem kommenden
Genie (es kommt eines immer)
den Weg ausjäten, den es beschreiten wird.
Und das können
wir, mit Einsicht und klarem
Willen. – Schließlich ist das
Ihnen von meiner Seite nicht
neu noch unerwartet – und
ich glaube zu beobachten, dass
die Deutschen unter 30 Jahren
dumpf etwas Ähnliches zu
empfinden beginnen: Sie
möchten aus sich – womöglich
über sich selbst – hinaus.
Goethen gelang es als
Dichter, was die Deutschen
als Musiker benötigen.
Das war möglich, weil die
Dichtkunst um so vieles älter ist
als die Musik.
Um auf die Debussy’sche
Partitur zurückzugreifen,
so ist die heillose „Sicherungs❊-Manie“ (durch Unterstreichen
und Verdoppeln) und vor allem
das Ewig-Illustrative
Wortspielerei mit den Schlussversen aus Goethes Faust. Der Tragödie zweiter Teil, worin ein Chorus mysticus das Werk mit den Worten endet: „Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan.“
noch
vollkommen wagnerisch. Debussy
und Richard Strauss haben die
Lage (la „Tessitura“) des
Orchesters nach der Höhe
gerückt – wo Wagner charakteristisch tief liegt.
Sie würden den Anfang
des Rheingolds vier Oktaven
höher komponiert haben.
Aber die Idee einer
monotonen, „fließenden“
Bewegung würden sie ebenso
empfinden und äußern.
Wagner – wie die beiden
Späteren
– hätte der
„Feuer- und Wasserprüfung“ in der
Zauberflöte nicht widerstanden.
Der Wasserfall in der Alpensymphonie
„Am Wasserfall“ lautet der Titel des sechsten Abschnitts in Richard Strauss’ Symphonischer Dichtung.
ist das Gegenstück
zum Feuerzauber.
Populärer Beiname der letzten Passage im Finale von Richard Wagners Oper Die Walküre (Dritter Aufzug, 3. Szene).
Mozart
allein tut hier das Gebotene.
Das unterscheidet die Zauberflöte vom Idomeneo. – Idomeneo
ist fast wagnerisch zu nennen:
Die Idee genügt sich selbst
noch nicht – sie wird
äußerlich ausgeschmückt.
Zu viel Illustrierung bzw. generell einer plakativen musikalischen Textausdeutung mittels Leitmotivtechnik oder Tonmalerei, wo sich die Musik in Formelhaftigkeit und Nachahmung verliert, stand Busoni kritisch gegenüber. Ihm zufolge war es nicht nötig, Inhalte, die mithilfe von Text bereits erklärt wurden, noch mal musikalisch illustrativ zu wiederholen (vgl.Weindel 1996a, S. 58). Mozart brauchte keine Ausschmückung der Feuer- und Wasserprobe in der Zauberflöte und Busoni war froh, wenn Augen und Ohren der Zuschauer/Zuhörer ihren jeweils separaten Funktionen nachgehen konnten (vgl. Beaumont 1985, S. 317). Viele der hier und im vorherigen Brief geäußerten Gedanken zu Themen wie Orchestrierung, Lagen, Verdopplungen, Illustrierung/Textausschmückung oder Überlegungen zu Komponisten wie Wagner und Mozart waren zweifelsohne auch Gegenstand von ausführlichen mündlichen Diskursen – oder vielleicht waren es eher Lektionen von Busoni. Unter dem Titel „Aesthetik des Orchesters“ hat Jarnach in einer Einleitung und zwei Kapiteln (danach bricht die Mitschrift ab) Notizen dazu festgehalten. Manches davon hat schon fast Bonmot-Charakter, wie etwa Folgendes: „Orchestration ist Komposition, nicht ‚Instrumentierung‘“, oder: „Zehn Klarinetten wenn nötig für einen 10-stimmigen Akkord, aber nicht als dreissigfache Verdoppelung von zwanzig Oboen und Trompeten“, und ganz am Schluss: „Und was man vom Umfang eines Werkes sagen kann, gilt auch für deren Mitteilungsform: das Dicke ist nicht immer das Grosse“ (Jarnach, „Aesthetik des Orchesters“, vmtl. Mitschrift von Gedanken Busonis, [o. O.], [o. D.], D-B, Busoni-Nachlass C I, 135).
Was gibt es noch alles zu
tun! Und wie selbstverständlich wird es später erscheinen! „Von Mozart lernte
ich, Wichtiges in unangestrengter und unterhaltsamer
Form zu sagen“, sprach zu
mir Bernard Shaw. Er
schrieb mir überdies: „Wenn wir
uns nicht entschließen, einen
vulgären Appetit für diatonische Weisen in uns zu
züchten, so werden wir uns
in das ‚Nichts‘ verfeinern“.
Im Original heißt es bei Shaw: „[…] unless we cultivate a good vulgar appetite for solid distonic [sic] themes […] we shall refine ourselves into nothing“ (Brief von Shaw an Busoni, [London], 26.11.1919, Typoskript, D–B, Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4721, eine vollständige Transkription findet sich bei Busoni/Weindel 2015, Bd. 2, S. 1116 f., Anm. 448).
(Dieser letzte Satz
ist zum
Vordersatz nicht ganz logisch.)
Aber aus dem ganzen
Gerede werden Sie den
Kern meiner Anschauung
destillieren und – billigen?
Ich glaube es von Ihnen.
À propos „billigen“: Finden
Sie es billig, dass ich mein
„Wandbild“ nicht komponieren darf?! (So wird mir
aus Zürich wiederholt und
warnend versichert.)
Es ist unklar, auf wen genau in Zürich, der wiederholt warnt, sich Busoni hier bezieht. Hintergrund des erkennbaren Unmuts ist die Debatte zwischen ihm und Othmar Schoeck um die Frage, wer Busonis Wandbild-Libretto vertonen darf (für Näheres dazu siehe die Kommentierung in Busonis Brief vom 13.1.1920). Busoni hatte das Szenarium im Juni 1917 ursprünglich für Jarnach verfasst, basierend auf einer Erzählung aus einer Sammlung von Chinesischen Geister- und Liebesgeschichten, die ihm Jarnach zuvor geschenkt hatte. Jarnachs Versuch einer musikalischen Umsetzung des Textes ist Fragment geblieben, obwohl immerhin über 35 Partiturseiten überliefert sind – von der „Verwandlungsmusik“ (so bezeichnet in Jarnachs Brief vom 14.7.1917) bis zum ersten Einsatz des Mädchenchores („Du loses Kind, / Nun bist du Braut“) – und auf dem Titelblatt des unfertigen Manuskripts bereits eine Opuszahl (op. 26) vermerkt ist (vgl. Jarnach, Das Wandbild, Partiturautograph [Fragment], N.Mus.Depos. 56 [Nachlass Philipp Jarnach], Kasten 2, N.Mus.Depos. 56.17).
Da – so meine ich –
sträuben sich die Haare der
Gerechtigkeit …
Ich habe recht vieles
im Kopfe keimend (unter
den gesträubten Haaren)
und hoffe auf Ferienarbeit.
Auf Wiedersehen.
Ihr herzlichst
ergebener
F. Busoni
❊
Gegen die Sicherungs-Manie führe ich
folgendes Argument. Vorausgesetzt
Sie halten eine Stimme für zu
schwach besetzt: Lassen Sie dieselbe Stimme falsche Noten spielen,
und Sie werden merken, dass man sie
hört …
|
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2Facsimile
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2Diplomatic transcription
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2
die er in Maud’s Auf- -trag fabrizierte, verfertigte,
zurechtzimmerte und zusam̅en⸗ stellte.
Bereits im Herbst 1910 hatte Maud Allan bei Claude Debussy die Musik für das Ballett Khamma in Auftrag gegeben, auf Basis eines von William Leonard Courtney und ihr selbst verfassten exotischen Szenariums mit Schauplatz im Alten Ägypten. Allans Honorarangebot belief sich auf 20.000 Franc, die Hälfte davon zahlbar im Voraus (vgl. Jensen 2014, S. 100). Debussy sah sich aufgrund hoher privater Schulden außerstande, das Angebot abzulehnen. Den Pariser Verlag Durand, bei dem Debussy seit 1905 exklusiv unter Vertrag stand, setzte er nicht über den neuen Auftrag in Kenntnis, wohl in der Hoffnung auf diese Weise der Zahlung einer Beteiligung an den Verlag zu entgehen. Aufgrund der mangelnden professionellen Unterstützung wies der zwischen Allan und Debussy abgeschlossene Vertrag allerdings einige empfindliche inhaltliche Lücken auf: So enthielt die Vereinbarung u. a. keine Angaben über die Dauer des zu komponierenden Stückes und auch keine Details zur Besetzung des Orchesters, weshalb es über diese Punkte zum Streit kam (vgl. ibid.). Der Verlag wurde nun doch eingeschaltet und der Vertrag konkretisiert. Es half nichts: 1912, nachdem Debussy das Werk im Klavierauszug fertiggestellt hatte, wünschte Allan plötzlich sechs oder sieben Tänze im Stück anstelle der von Debussy gelieferten drei. Die Stückdauer sollte damit auf etwa 40 Minuten verdoppelt werden. Im Sommer 1916 forderte Allan gar eine ganz neue Partitur für eine Reihe von Vorstellungen in New York mit einer deutlich reduzierten Orchesterbesetzung von nur 40 anstelle von 90 Musikerinnen und Musikern, um auch in kleineren Theatern auftreten zu können (vgl. Orledge 1982, S. 128). Debussy kam keinem der Wünsche nach und blieb bei dem, was er Maud Allan bereits 1912 geschrieben hatte: „Telle que je l’ai composée, / Telle elle restera“ (Brief von Debussy an Allan, 16.7.1912, in: Debussy/Lesure 1993, S. 308). Welche Art von redaktionellen Eingriffen in die Partitur Busoni vorgenommenen hat, konnte nicht ermittelt werden.
Maud brauchte mehr
Bewegungsraum (d. h. “Zeit”)
als die Komposition zulässt,
u. […]
at least 1 char: cancelled.
ich lud auf mich die
Mühe, eine Redaktion vorzu- nehmen. – Dabei kam ich
zur Wahrnehmung, dass
Debussy’s Instrumentation
im letzten Grunde eine
Fortsetzung der Wagner’schen
ist, anstatt – wie er glaubte –
eine Reaktion dagegen zu sein.
Busoni war offenkundig nicht darüber informiert, dass Charles Koechlin den Großteil der Orchestrierung von Debussys Klavierauszug für das Ballett Khamma übernommen hatte. Lediglich die ersten zehn Seiten des Partiturautographs von insgesamt 80 wurden von Debussy verfasst (begonnen im April 1912), den großen Rest der Orchestrierung besorgte Koechlin auf Basis des Klavierauszugs und nach Debussys Anweisungen in der Zeit von Dezember 1912 bis Januar 1913 (vgl. Orledge 1986, S. 137).
Debussys Verhältnis zu Richard Wagner war ambivalent. Viele Komponisten in Debussys Generation wuchsen in Wagners Schatten auf und sahen sich beispielsweise in Paris noch immer einem Konzertpublikum gegenüber, das Wagners Musik liebte, obwohl der französische Wagnérisme seinen Zenit zum Zeitpunkt dieses Briefes schon seit Dekaden überschritten hatte. Debussy pilgerte 1888 und 1889 nach Bayreuth und besuchte später Vorstellungen von Lohengrin und Die Walküre in Paris, in welchem Zusammenhang er sogar monierte, dass Wagners Ring-Zyklus nicht als Ganzes gegeben wurde. Andererseits sah er keine Zukunft für Wagners musikalischen Stil und negierte vehement jedweden Einfluss auf eigene Werke, wie etwa im Fall seiner 1902 uraufgeführten Oper Pelléas et Mélisande. Er wandte sich entschieden gegen Wagners plakative Leitmotiv-Technik, stattdessen kreierte er kurze Motive, die auf eher subtile und indirekte Weise den Charakteren oder bestimmten wiederkehrenden Symbolen der Oper entsprechen. Auch in puncto Instrumentierung suchte Debussy nach einem eigenen Weg: Für Pelléas manifestierte sich dieser in der geradezu kammermusikalischen Qualität des Orchesters, die ungewöhnliche Klänge und musikalische Texturen ermöglichte, welche in starkem Kontrast zum oft überbordenden Orchestrationsstil Wagners standen (vgl. Donnellon 2003, S. 46 f.). Wie stark der Einfluss Wagners im Fall von Debussys bzw. Koechlins Khamma-Orchestrierung gewesen sein mag, wäre in einer separaten Studie noch zu analysieren.
Ich gestehe – dass ich auf
Ihre (Ph. J.s) Partituren
P[re]ußischer
Staats- bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
zu denken kam, und darum
diese heutigen Zeilen.
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<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="pagination" place="top-left" rend="tiny space-below" resp="#archive">2</note>
<lb/>die er in <persName key="E0300425">Maud</persName><orig>’</orig>s Auf
<lb break="no" rend="after:-"/>trag fabrizierte, verfertigte,
<lb/>zurechtzimmerte und zusa<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>en
<lb break="no" rend="dh"/>stellte.
<note type="commentary" resp="#E0300361">
Bereits im Herbst <date when-iso="1910">1910</date> hatte <persName key="E0300425">Maud Allan</persName> bei <persName key="E0300021">Claude Debussy</persName> die Musik für das Ballett <title key="E0400516">Khamma</title> in Auftrag gegeben, auf Basis eines von <persName key="E0300699">William Leonard Courtney</persName> und ihr selbst verfassten exotischen Szenariums mit Schauplatz im Alten <placeName key="E0500793">Ägypten</placeName>. <persName key="E0300425">Allans</persName> Honorarangebot belief sich auf 20.000 Franc, die Hälfte davon zahlbar im Voraus (vgl. <bibl><ref target="#E0800383"/>, S. 100</bibl>). <persName key="E0300021">Debussy</persName> sah sich aufgrund hoher privater Schulden außerstande, das Angebot abzulehnen. Den <placeName key="E0500012">Pariser</placeName> Verlag <orgName key="E0600185">Durand</orgName>, bei dem <persName key="E0300021">Debussy</persName> <date from-iso="1905">seit 1905</date> exklusiv unter Vertrag stand, setzte er nicht über den neuen Auftrag in Kenntnis, wohl in der Hoffnung auf diese Weise der Zahlung einer Beteiligung an den Verlag zu entgehen. Aufgrund der mangelnden professionellen Unterstützung wies der zwischen <persName key="E0300425">Allan</persName> und <persName key="E0300021">Debussy</persName> abgeschlossene Vertrag allerdings einige empfindliche inhaltliche Lücken auf: So enthielt die Vereinbarung u. a. keine Angaben über die Dauer des zu komponierenden Stückes und auch keine Details zur Besetzung des Orchesters, weshalb es über diese Punkte zum Streit kam (vgl. <bibl><ref target="#E0800383"/></bibl>). Der <rs key="E0600185">Verlag</rs> wurde nun doch eingeschaltet und der Vertrag konkretisiert. Es half nichts: <date when-iso="1912">1912</date>, nachdem <persName key="E0300021">Debussy</persName> das <rs key="E0400516">Werk</rs> im Klavierauszug fertiggestellt hatte, wünschte <persName key="E0300425">Allan</persName> plötzlich sechs oder sieben Tänze im Stück anstelle der von <persName key="E0300021">Debussy</persName> gelieferten drei. Die Stückdauer sollte damit auf etwa 40 Minuten verdoppelt werden. Im Sommer <date when-iso="1916">1916</date> forderte <persName key="E0300425">Allan</persName> gar eine ganz neue Partitur für eine Reihe von Vorstellungen in <placeName key="E0500031">New York</placeName> mit einer deutlich reduzierten Orchesterbesetzung von nur 40 anstelle von 90 Musikerinnen und Musikern, um auch in kleineren Theatern auftreten zu können (vgl. <bibl><ref target="#E0800394"/>, S. 128</bibl>). <persName key="E0300021">Debussy</persName> kam keinem der Wünsche nach und blieb bei dem, was er <persName key="E0300425">Maud Allan</persName> bereits <date when-iso="1912">1912</date> geschrieben hatte: <q xml:lang="fr">Telle que je l’ai composée, / Telle elle restera</q> (Brief von <persName key="E0300021">Debussy</persName> an <persName key="E0300425">Allan</persName>, <date when-iso="1912-07-16">16.7.1912</date>, in: <bibl><ref target="#E0800395"/>, S. 308</bibl>). Welche Art von redaktionellen Eingriffen in die Partitur <persName key="E0300317">Busoni</persName> vorgenommenen hat, konnte nicht ermittelt werden.
</note>
<persName key="E0300425">Maud</persName> brauchte mehr
<lb/>Bewegungsraum (<choice><abbr>d. h.</abbr><expan>das heißt</expan></choice> <soCalled rend="dq-uu">Zeit</soCalled>)
<lb/>als die <rs key="E0400535">Komposition</rs> zulässt,
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <del rend="strikethrough"><gap atLeast="1" unit="char" reason="strikethrough"/></del>ich lud auf mich die
<lb/>Mühe, eine Redaktion vorzu
<lb break="no"/>nehmen. – Dabei kam ich
<lb/>zur Wahrnehmung, dass
<lb/><persName key="E0300021">Debussy</persName><orig>’</orig>s Instrumentation
<lb/>im letzten Grunde eine
<lb/>Fortsetzung der <persName key="E0300006">Wagner</persName>’schen
<lb/>ist, anstatt – wie er glaubte –
<lb/>eine Reaktion dagegen zu sein.
<note type="commentary" resp="#E0300361">
<persName key="E0300017">Busoni</persName> war offenkundig nicht darüber informiert, dass <persName key="E0300698">Charles Koechlin</persName> den Großteil der Orchestrierung von <persName key="E0300021">Debussys</persName> <rs key="E0400535">Klavierauszug für das Ballett Khamma</rs> übernommen hatte. Lediglich die ersten zehn Seiten des Partiturautographs von insgesamt 80 wurden von <persName key="E0300021">Debussy</persName> verfasst (begonnen im <date when-iso="1912-04">April 1912</date>), den großen Rest der Orchestrierung besorgte <persName key="E0300698">Koechlin</persName> auf Basis des Klavierauszugs und nach <persName key="E0300021">Debussys</persName> Anweisungen in der Zeit von <date when-iso="1912-12/1913-01">Dezember 1912 bis Januar 1913</date> (vgl. <bibl><ref target="#E0800391"/>, S. 137</bibl>).<lb/>
<persName key="E0300021">Debussys</persName> Verhältnis zu <persName key="E0300006">Richard Wagner</persName> war ambivalent. Viele Komponisten in <persName key="E0300021">Debussys</persName> Generation wuchsen in <persName key="E0300006">Wagners</persName> Schatten auf und sahen sich beispielsweise in <placeName key="E0500012">Paris</placeName> noch immer einem Konzertpublikum gegenüber, das <persName key="E0300006">Wagners</persName> Musik liebte, obwohl der <placeName key="E0500014">französische</placeName> Wagnérisme seinen Zenit zum Zeitpunkt dieses Briefes schon seit Dekaden überschritten hatte. <persName key="E0300021">Debussy</persName> pilgerte <date when-iso="1888">1888</date> und <date when-iso="1889">1889</date> nach <placeName key="E0500027">Bayreuth</placeName> und besuchte später Vorstellungen von <title key="E0400160">Lohengrin</title> und <title key="E0400034">Die Walküre</title> in <placeName key="E0500012">Paris</placeName>, in welchem Zusammenhang er sogar monierte, dass <persName key="E0300006">Wagners</persName> <rs key="E0400428">Ring-Zyklus</rs> nicht als Ganzes gegeben wurde. Andererseits sah er keine Zukunft für <persName key="E0300006">Wagners</persName> musikalischen Stil und negierte vehement jedweden Einfluss auf eigene Werke, wie etwa im Fall seiner <date when-iso="1902">1902</date> uraufgeführten Oper <title key="E0400627">Pelléas et Mélisande</title>. Er wandte sich entschieden gegen <persName key="E0300006">Wagners</persName> plakative Leitmotiv-Technik, stattdessen kreierte er kurze Motive, die auf eher subtile und indirekte Weise den Charakteren oder bestimmten wiederkehrenden Symbolen der Oper entsprechen. Auch in puncto Instrumentierung suchte <persName key="E0300021">Debussy</persName> nach einem eigenen Weg: Für <rs key="E0400627">Pelléas</rs> manifestierte sich dieser in der geradezu kammermusikalischen Qualität des Orchesters, die ungewöhnliche Klänge und musikalische Texturen ermöglichte, welche in starkem Kontrast zum oft überbordenden Orchestrationsstil <persName key="E0300006">Wagners</persName> standen (vgl. <bibl><ref target="#E0800392"/>, S. 46 f.</bibl>). Wie stark der Einfluss <persName key="E0300006">Wagners</persName> im Fall von <persName key="E0300021">Debussys</persName> bzw. <persName key="E0300698">Koechlins</persName> <title key="E0400535">Khamma</title>-Orchestrierung gewesen sein mag, wäre in einer separaten Studie noch zu analysieren.<lb/>
</note>
<lb/>Ich gestehe<choice><orig> –</orig><reg>,</reg></choice> dass ich auf
<lb/>Ihre (<abbr><rs key="E0300376">Ph. J.</rs><seg rend="sup">s</seg></abbr>) Partituren
<note type="stamp" place="margin-left" resp="#sbb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) majuscule tiny">P<supplied reason="illegible">re</supplied>ußischer
<lb/>Staats
<lb break="no"/>bibliothek
<lb/>zu <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
<lb/>Kulturbesitz
</stamp>
</note>
<lb/>zu denken kam<orig>,</orig> und darum
<lb/>diese heutigen Zeilen.</p>
</div>
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3
Es ist – so glaube ich – eine
historische Feststellung, die
man schon “anjetzo” formulieren
kann, dass die Musik von
Wagner’[s] Tod an (1883–?)
Bei Beaumont 1987 (301) ohne Streckenstrich zwischen Jahreszahl und Fragezeichen.
bis
sicherlich etwa 1923
Bei Beaumont 1987 (301) übersetzt mit „until at least 1923“.
schlechtweg
die PostWagnerianische
Bei Beaumont 1987 (301) mit Bindestrich nach dem Präfix.
oder
Neo-Wagnerianische genannt
werden wird, Stravinsky und
Schoenberg eingerechnet; als wie
Tintoretto und Tiepolo noch
zur Tizianischen Kunst gehören.
_ Hier gilt es, alte Quellen wieder
aufzusuchen, so nicht Einer
eine noch unbekannte entdeckt.
Bei Beaumont 1987 (301) abweichend übersetzt mit „[…] seeking out older sources again, so that one alone does not conceal that which is less well known“.
_ Es ist keine Postkriegerische
Aüsserung die ich thue, wenn
ich wirklich meine, dass
der Moment gekommen ist,
das deutsche XIX Jahrhundert
Bei Beaumont 1987 (301) übersetzt mit „19th-century Germany“, wodurch inhaltlich eher auf „Deutschland“ als das „19. Jahrhundert“ fokussiert wird.
abzuschütteln. Und seien Sie
nicht entrüstet, wenn ich
– nur in diesem einzigen Sinne –
Beethoven mit Wagner zugleich
nenne.
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<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="pagination" place="top-right" rend="tiny" resp="#archive">3</note>
<p>Es ist – so glaube ich – eine
<lb/>historische Feststellung, die
<lb/>man schon <soCalled rend="dq-uu">anjetzo</soCalled> formulieren
<lb/>kann, dass die Musik von
<lb/><persName key="E0300006">Wagner</persName><orig>’</orig><supplied reason="omitted">s</supplied> Tod an (<date from-iso="1883">1883–?</date>)
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300361">
Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (301)</bibl> ohne Streckenstrich zwischen Jahreszahl und Fragezeichen.
</note>
bis
<lb/>sicherlich etwa <date to-iso="1923" cert="unknown">1923</date>
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300361">
Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (301)</bibl> übersetzt mit <q xml:lang="en">until at least <date when-iso="1923">1923</date></q>.
</note>
schlechtweg
<lb/>die <hi rend="underline">Post<reg>-</reg><persName key="E0300006">Wagner</persName>ianische</hi>
<note type="commentary" subtype="ed_diff_minor" resp="#E0300361">
Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (301)</bibl> mit Bindestrich nach dem Präfix.
</note>
oder
<lb/><hi rend="underline">Neo-<persName key="E0300006">Wagner</persName>ianische</hi> genannt
<lb/>werden wird, <persName key="E0300100">Stravinsky</persName> und
<lb/><persName key="E0300023">Sch<choice><orig>oe</orig><reg>ö</reg></choice>nberg</persName> eingerechnet; als wie
<lb/><persName key="E0300678">Tintoretto</persName> und <persName key="E0300676">Tiepolo</persName> noch
<lb/>zur <persName key="E0300677">Tizian</persName>ischen Kunst gehören.</p>
<p><orig>_ </orig>Hier gilt es, alte Quellen wieder
<lb/>aufzusuchen, so nicht <choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>iner
<lb/>eine noch unbekannte entdeckt.
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300361">
Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (301)</bibl> abweichend übersetzt mit <q xml:lang="en">[…] seeking out older sources again, so that one alone does not conceal that which is less well known</q>.
</note>
</p>
<p type="pre-split"><orig>_ </orig>Es ist keine <choice><orig>P</orig><reg>p</reg></choice>ostkriegerische
<lb/><choice><sic>Aü</sic><corr>Äu</corr></choice><choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>erung<reg>,</reg> die ich t<orig>h</orig>ue, wenn
<lb/>ich wirklich meine, dass
<lb/>der Moment gekommen ist,
<lb/>das <placeName key="E0500015">deutsche</placeName> <choice><orig>XIX</orig><reg>19.</reg></choice> Jahrhundert
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300361">
Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (301)</bibl> übersetzt mit <q xml:lang="en">19th-century <placeName key="E0500015">Germany</placeName></q>, wodurch inhaltlich eher auf <mentioned><placeName key="E0500015">Deutschland</placeName></mentioned> als das <mentioned>19. Jahrhundert</mentioned> fokussiert wird.
</note>
<lb/>abzuschütteln. Und seien Sie
<lb/>nicht entrüstet, wenn ich
<lb/>– nur in diesem einzigen Sinne –
<lb/><persName key="E0300001">Beethoven</persName> mit <persName key="E0300006">Wagner</persName> zugleich
<lb/><seg rend="align(right)">nenne.</seg>
</p></div>
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Alles dieses ist nicht „national“
gemeint, sondern rein künstlerisch.
Mit “alten Quellen” meine ich
Die Unterscheidung Klassik–Romantik
fällt von selbst: die beiden
sollen – wie Helena und Faust –
einen Euphorion zeugen,
de mr kräftig genug ist, um
nicht als Adoleszent zu enden.
Die Gestalt des Euphorion benutzt Busoni im Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, um eine Analagie herzustellen zwischen dem lebenden Euphorion und seinen Gedanken (= „Geist, Empfindung, […] Individualität“ in der Musik) und den nach seinem Ableben „auf der Erde zurückgebliebene[n] Gewänder[n]“ (= die äußere Hülle bzw. Form der Musik, die zurückbleibt, nachdem ihr Schöpfer wieder entschwebt ist, eifrig gehütet von den „Gesetzgebern“) (vgl. Busoni, digitale Edition des Entwurfs, zweite, erweiterte Ausgabe, 1916, S. 10). Übertragen auf diese Textstelle bedeutete das, dass Busoni sich eine Musik wünscht, die individuelle Empfindung und äußere Form auf lange Zeit vereint, und die in verschiedenen Epochen bzw. Ideenwelten gleichermaßen stark verwurzelt ist.
Dieses mit Euphorion verknüpfte Bild findet seine Übertragung auch in Busonis Musik. Das Motiv des schwebenden Knaben am Schluss der Oper Doktor Faust – das gemeinsame Kind der Herzogin und Faust – lässt sich auf Goethes Euphorion-Figur zurückführen. „‚Das Kind‘ wird zum Symbol, das eine fast versöhnende und über den Rahmen des Spiels hinausdeutende Lösung veranlaßt und ermöglicht“, schreibt Busoni im Mai 1920 an Gisella Selden-Goth, das „Wesen begründet das geistige Fortleben des Individuums, des ‚Willens‘, wie F. selbst sich zuletzt nennt“ (Brief an Selden-Goth, Zürich, 14.5.1920, in: Busoni/Selden-Goth 1937, Nr. V, S. 28). Einige Quellen stellen sogar Parallelen zwischen Euphorion und Busoni selbst her: „Die Kunst Busonis hat etwas von Euphorion, und er selbst, Sohn der südlichen Erde und des nordischen Gedankens, gleicht er nicht Euphorion, dem Sohne Helenas und Dr. Fausts?“ (Chantavoine 1921, S. 10)
Wir müssen, dem kommenden
Genie (es kommt Eines immer)
den Weg ausjäten, den Es be- schreiten wird.
Bei Beaumont 1987 (301) fehlt der letzte Halbsatz.
Und das können
wir, mit Einsicht u. klarem
Willen. – Schliesslich ist das
Ihnen von meiner Seite nicht
neu, noch unerwartet – und
ich glaube zu beobachten, dass
die Deutschen unter 30 Jahren
dumpf etwas Aehnliches zu
3 Dec 1919
empfinden beginnen: sie
möchten aus sich – womöglich
über sich selbst – hinaus.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="pagination" place="top-left" rend="tiny space-below" resp="#archive">4</note>
Alles dieses ist nicht <soCalled rend="dq-du">national</soCalled>
<lb/>gemeint, sondern rein künstlerisch.</p>
<p>Mit <mentioned rend="dq-uu">alten Quellen</mentioned> meine ich
<lg>
<l><persName key="E0300165">Palestrina</persName> – <persName key="E0300010">Mozart</persName> – <persName key="E0300005">Berlioz</persName></l>
<l>Linie – Form – Klang.
<note type="commentary" subtype="ed_diff_minor" resp="#E0300361">
Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (301)</bibl> in der zweiten Zeile dieser Gegenüberstellung ohne Gedankenstriche und ohne Punkt am Ende.
</note>
</l>
</lg>
Die Unterscheidung Klassik–Romantik
<lb/>fällt von selbst: <choice><orig>d</orig><reg>D</reg></choice>ie beiden
<lb/>sollen – wie Helena und Faust –
<lb/>einen Euphorion zeugen,
<lb/>de<subst><del rend="strikethrough-part">m</del><add place="remainder transformed">r</add></subst> kräftig genug ist, um
<lb/>nicht als Adoleszent zu enden.
<note type="commentary" resp="#E0300361">
Die Gestalt des Euphorion benutzt <persName key="E0300017">Busoni</persName> im <ref target="#D0200002">Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst</ref>, um eine Analagie herzustellen zwischen dem lebenden Euphorion und seinen Gedanken (= <q>Geist, Empfindung, […] Individualität</q> in der Musik) und den nach seinem Ableben <q>auf der Erde zurückgebliebene[n] Gewänder[n]</q> (= die äußere Hülle bzw. Form der Musik, die zurückbleibt, nachdem ihr Schöpfer wieder entschwebt ist, eifrig gehütet von den <q>Gesetzgebern</q>) (vgl. <persName key="E0300017">Busoni</persName>, digitale Edition des <ref target="#D0200002" n="10">Entwurfs</ref>, zweite, erweiterte Ausgabe, <date when-iso="1916">1916</date>, S. 10). Übertragen auf diese Textstelle bedeutete das, dass <persName key="E0300017">Busoni</persName> sich eine Musik wünscht, die individuelle Empfindung und äußere Form auf lange Zeit vereint, und die in verschiedenen Epochen bzw. Ideenwelten gleichermaßen stark verwurzelt ist.
<lb/>Dieses mit Euphorion verknüpfte Bild findet seine Übertragung auch in <persName key="E0300017">Busonis</persName> Musik. Das Motiv des schwebenden Knaben am Schluss der Oper <title key="E0400218">Doktor Faust</title> – das gemeinsame Kind der Herzogin und Faust – lässt sich auf <persName key="E0300124">Goethes</persName> Euphorion-Figur zurückführen. <q><mentioned rend="sq-du"><hi rend="spaced-out">Das Kind</hi></mentioned> wird zum Symbol, das eine fast versöhnende und über den Rahmen des Spiels hinausdeutende Lösung veranlaßt und ermöglicht</q>, schreibt <persName key="E0300017">Busoni</persName> im <date when-iso="1920-05">Mai 1920</date> an <persName key="E0300457">Gisella Selden-Goth</persName>, das <q>Wesen begründet das geistige Fortleben des Individuums, des <mentioned rend="sq-du">Willens</mentioned>, wie F. selbst sich zuletzt nennt</q> (Brief an <persName key="E0300457">Selden-Goth</persName>, <placeName key="E0500132">Zürich</placeName>, <date when-iso="1920-05-14">14.5.1920</date>, in: <bibl><ref target="#E0800396"/>, Nr. V, S. 28</bibl>). Einige Quellen stellen sogar Parallelen zwischen Euphorion und <persName key="E0300017">Busoni</persName> selbst her: <q>Die Kunst <persName key="E0300017">Busonis</persName> hat etwas von Euphorion, und er selbst, Sohn der südlichen Erde und des nordischen Gedankens, gleicht er nicht Euphorion, dem Sohne Helenas und Dr. Fausts?</q> (<bibl><ref target="#E0800397"/>, S. 10</bibl>)
</note>
<lb/>Wir müssen<orig>,</orig> dem kommenden
<lb/>Genie (es kommt <choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>ines immer)
<lb/>den Weg ausjäten, den <choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>s be
<lb break="no"/>schreiten wird.
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300361">
Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (301)</bibl> fehlt der letzte Halbsatz.
</note>
Und das können
<lb/>wir, mit Einsicht <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> klarem
<lb/>Willen. – Schlie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>lich ist das
<lb/>Ihnen von meiner Seite nicht
<lb/>neu<orig>,</orig> noch unerwartet – und
<lb/>ich glaube zu beobachten, dass
<lb/>die <placeName key="E0500015">Deutschen</placeName> unter 30 Jahren
<lb/>dumpf etwas <choice><orig>Ae</orig><reg>Ä</reg></choice>hnliches zu
<note xml:id="unkn_date" type="dating" place="bottom-left" rend="rotate(-90)" resp="#unknown_hand">
<date when-iso="1919-12-03">3 Dec 1919</date>
</note>
<lb/>empfinden beginnen: <choice><orig>s</orig><reg>S</reg></choice>ie
<lb/>möchten aus sich – womöglich
<lb/>über sich selbst – hinaus.</p>
</div>
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❊) gegen die SicherungsManie führe ich
folgendes Argument. Vorausgesetzt
Sie halten eine Stimme für zu
schwach besetzt: – Lassen Sie die- selbe Stimme falsche Noten spielen,
und Sie werden merken, dass man sie
hört ....
N.Mus.Nachl. 30,54
5
Goethen gelang es, als
Dichter, was die Deutschen
als Musiker benöthigen.
Das war möglich, weil die
Dichtkunst um so Vieles älter ist,
als die Musik.
Um auf die Debussy’sche
Partitur zurückzugreifen,
so ist die heillose „Sicherung’s ❊)-Manie“ (durch Unterstreichen
u. Verdoppeln) u. vor Allem
das Ewig-Illustrative,
Wortspielerei mit den Schlussversen aus Goethes Faust. Der Tragödie zweiter Teil, worin ein Chorus mysticus das Werk mit den Worten endet: „Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan.“
noch
vollkommen Wagnerisch. Debussy
u. Richard Strauss haben die
Lage (la “Tessitura”) des
Orchesters, nach der Höhe
gerückt – wo Wagner charak- teristisch=tief liegt.
Bei Beaumont 1987 (302) folgt Absatzwechsel.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="footnote" n="1" place="top">
<p rend="indent-first-neg indent small"><metamark>❊)</metamark> <choice><orig>g</orig><reg>G</reg></choice>egen die Sicherungs<reg>-</reg>Manie führe ich
<lb/>folgendes Argument. Vorausgesetzt
<lb/>Sie halten eine Stimme für zu
<lb/>schwach besetzt: <orig>– </orig>Lassen Sie die
<lb break="no"/>selbe Stimme <hi rend="underline">falsche Noten</hi> spielen,
<lb/>und Sie werden merken, dass man sie
<lb/>hört <choice><orig>....</orig><reg>…</reg></choice></p>
</note>
<note type="shelfmark" place="top-left" rend="rotate(-90) space-below" resp="#archive">N.Mus.Nachl. 30,54</note>
<fw place="margin-left" rend="caps tiny rotate(-45)">
Telephone, <placeName key="E0500718">Mayfair</placeName> 1108.
<lb/>Cable, Merveldene <placeName key="E0500047">London</placeName>.<lb/><lb/><lb/><lb/>
</fw>
<fw place="margin-right" rend="caps tiny">
<hi rend="bold">W</hi>est <hi rend="bold">W</hi>ing,
<lb/><seg rend="indent">Outer Circle,</seg>
<lb/><seg rend="indent-2"><placeName key="E0500509">Regent’s Park</placeName>.N.W.</seg>
</fw><lb/>
<note type="pagination" place="right" rend="tiny" resp="#archive">5</note><lb/>
<p><persName key="E0300124">Goethen</persName> gelang es<orig>,</orig> als
<lb/>Dichter, was die <placeName key="E0500015">Deutschen</placeName>
<lb/>als Musiker benöt<orig>h</orig>igen.
<lb/>Das war möglich, weil die
<lb/>Dichtkunst um so <choice><orig>V</orig><reg>v</reg></choice>ieles älter ist<orig>,</orig>
<lb/>als die Musik.</p>
<p type="pre-split" rend="indent-first">Um auf die <persName key="E0300021">Debussy</persName>’sche
<lb/><rs key="E0400535">Partitur</rs> zurückzugreifen,
<lb/>so ist die heillose <soCalled rend="dq-du">Sicherung<orig>’</orig>s
<lb break="no" rend="nh"/><metamark function="footnote" n="1">❊)</metamark>-Manie</soCalled> (durch Unterstreichen
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Verdoppeln) <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> vor <choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>llem
<lb/>das Ewig-Illustrative<del rend="strikethrough">,</del>
<note type="commentary" resp="#E0300361">
Wortspielerei mit den Schlussversen aus <persName key="E0300124">Goethes</persName> <title key="E0400107">Faust. Der Tragödie zweiter Teil</title>, worin ein Chorus mysticus das Werk mit den Worten endet: <q rend="dq-du">Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan.</q>
</note>
noch
<lb/>vollkommen <persName key="E0300006"><choice><orig>W</orig><reg>w</reg></choice>agner</persName>isch. <persName key="E0300021">Debussy</persName>
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <persName key="E0300022">Richard Strauss</persName> haben die
<lb/>Lage (<foreign xml:lang="it">la <soCalled rend="dq-uu">Tessitura</soCalled></foreign>) des
<lb/>Orchesters<orig>,</orig> nach der Höhe
<lb/>gerückt – wo <persName key="E0300006">Wagner</persName> charak
<lb break="no"/>teristisch<choice><orig><pc>=</pc></orig><reg> </reg></choice>tief liegt.
<note type="commentary" subtype="ed_diff_minor" resp="#E0300361">
Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (302)</bibl> folgt Absatzwechsel.
</note>
</p></div>
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Sie würden den Anfang
des Rheingolds vier Oktaven
höher komponiert haben.
Aber die Idee einer
Monotonen „fliessenden“
Bewegung würden sie ebenso
empfinden und aüssern.
Wagner – ebensowie die beiden
späteren
Bei Beaumont 1987 (302) sinnentsprechende Ergänzung der Übersetzung: „just like these two later composers“.
– hätten bei der
„Feuer u. WasserPrüfung“ in der
Zauberflöte nicht widerstanden.
Der Wasserfall in der Alpen- symphonie
„Am Wasserfall“ lautet der Titel des sechsten Abschnitts in Richard Strauss’ Symphonischer Dichtung.
ist das Gegenstück
zum Feuerzauber.
Populärer Beiname der letzten Passage im Finale von Richard Wagners Oper Die Walküre (Dritter Aufzug, 3. Szene).
Mozart
allein thut hier das Gebotene.
– Das Unterscheidet die Zauber- flöte vom Idomeneo. _ Idomeneo
ist fast Wagnerisch zu nennen:
die Idee genügt sich selbst
noch nicht – sie wird
aüsserlich ausgeschmückt.
Zu viel Illustrierung bzw. generell einer plakativen musikalischen Textausdeutung mittels Leitmotivtechnik oder Tonmalerei, wo sich die Musik in Formelhaftigkeit und Nachahmung verliert, stand Busoni kritisch gegenüber. Ihm zufolge war es nicht nötig, Inhalte, die mithilfe von Text bereits erklärt wurden, noch mal musikalisch illustrativ zu wiederholen (vgl.Weindel 1996a, S. 58). Mozart brauchte keine Ausschmückung der Feuer- und Wasserprobe in der Zauberflöte und Busoni war froh, wenn Augen und Ohren der Zuschauer/Zuhörer ihren jeweils separaten Funktionen nachgehen konnten (vgl. Beaumont 1985, S. 317). Viele der hier und im vorherigen Brief geäußerten Gedanken zu Themen wie Orchestrierung, Lagen, Verdopplungen, Illustrierung/Textausschmückung oder Überlegungen zu Komponisten wie Wagner und Mozart waren zweifelsohne auch Gegenstand von ausführlichen mündlichen Diskursen – oder vielleicht waren es eher Lektionen von Busoni. Unter dem Titel „Aesthetik des Orchesters“ hat Jarnach in einer Einleitung und zwei Kapiteln (danach bricht die Mitschrift ab) Notizen dazu festgehalten. Manches davon hat schon fast Bonmot-Charakter, wie etwa Folgendes: „Orchestration ist Komposition, nicht ‚Instrumentierung‘“, oder: „Zehn Klarinetten wenn nötig für einen 10-stimmigen Akkord, aber nicht als dreissigfache Verdoppelung von zwanzig Oboen und Trompeten“, und ganz am Schluss: „Und was man vom Umfang eines Werkes sagen kann, gilt auch für deren Mitteilungsform: das Dicke ist nicht immer das Grosse“ (Jarnach, „Aesthetik des Orchesters“, vmtl. Mitschrift von Gedanken Busonis, [o. O.], [o. D.], D-B, Busoni-Nachlass C I, 135).
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<lb/>Sie würden den Anfang
<lb/>des <title key="E0400501">Rheingolds</title> vier Oktaven
<lb/>höher komponiert haben.
<lb/>Aber die Idee einer
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<lb/>Bewegung würden sie ebenso
<lb/>empfinden und <choice><sic>aü</sic><corr>äu</corr></choice><choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ern.</p>
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ist das Gegenstück
<lb/>zum <title key="E0400651">Feuerzauber</title>.
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Populärer Beiname der letzten Passage im Finale von <persName key="E0300006">Richard Wagners</persName> Oper <title key="E0400034">Die Walküre</title> (Dritter Aufzug, 3. Szene).
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<persName key="E0300010">Mozart</persName>
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Zu viel Illustrierung bzw. generell einer plakativen musikalischen Textausdeutung mittels Leitmotivtechnik oder Tonmalerei, wo sich die Musik in Formelhaftigkeit und Nachahmung verliert, stand <persName key="E0300017">Busoni</persName> kritisch gegenüber. Ihm zufolge war es nicht nötig, Inhalte, die mithilfe von Text bereits erklärt wurden, noch mal musikalisch illustrativ zu wiederholen (vgl.<bibl><ref target="#E0800398"/>, S. 58</bibl>). <persName key="E0300010">Mozart</persName> brauchte keine Ausschmückung der Feuer- und Wasserprobe in der <title key="E0400053">Zauberflöte</title> und <persName key="E0300017">Busoni</persName> war froh, wenn Augen und Ohren der Zuschauer/Zuhörer ihren jeweils separaten Funktionen nachgehen konnten (vgl. <bibl><ref target="#E0800137"/>, S. 317</bibl>). Viele der hier und im <ref target="#D0101677">vorherigen Brief</ref> geäußerten Gedanken zu Themen wie Orchestrierung, Lagen, Verdopplungen, Illustrierung/Textausschmückung oder Überlegungen zu Komponisten wie <persName key="E0300006">Wagner</persName> und <persName key="E0300010">Mozart</persName> waren zweifelsohne auch Gegenstand von ausführlichen mündlichen Diskursen – oder vielleicht waren es eher Lektionen von <persName key="E0300017">Busoni</persName>. Unter dem Titel <title>Aesthetik des Orchesters</title> hat <persName key="E0300376">Jarnach</persName> in einer Einleitung und zwei Kapiteln (danach bricht die Mitschrift ab) Notizen dazu festgehalten. Manches davon hat schon fast Bonmot-Charakter, wie etwa Folgendes: <q>Orchestration ist Komposition, nicht <soCalled rend="sq-du">Instrumentierung</soCalled></q>, oder: <q>Zehn Klarinetten wenn nötig für einen 10-stimmigen Akkord, aber nicht als dreissigfache Verdoppelung von zwanzig Oboen und Trompeten</q>, und ganz am Schluss: <q>Und was man vom Umfang eines Werkes sagen kann, gilt auch für deren Mitteilungsform: das Dicke ist nicht immer das Grosse</q> (<persName key="E0300376">Jarnach</persName>, <title>Aesthetik des Orchesters</title>, vmtl. Mitschrift von Gedanken <persName key="E0300017">Busonis</persName>, [o. O.], [o. D.], <ref type="ext" subtype="kalliope" target="#DE-611-BF-7300"><idno>D-B, Busoni-Nachlass C I, 135</idno></ref>).
</note>
</p>
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Was gibt es noch Alles zu
thun! Und wie selbstver- -ständlich wird es später er- -scheinen! „Von Mozart lernte
ich, Wichtiges in unange- strengter u. unterhaltsamenr
Form zu sagen“ sprach zu
mir Bernard Shaw. – Er
[…]
1 char: cancelled.
[…]
1 char: overwritten.
schrieb mir überdies: [„]wenn wir
uns nicht entschliessen, einen
vulgären Appetit für diato- -nische Weisen in uns zu
züchten, so werden wir uns
in das “Nichts” verfeinern“.
Im Original heißt es bei Shaw: „[…] unless we cultivate a good vulgar appetite for solid distonic [sic] themes […] we shall refine ourselves into nothing“ (Brief von Shaw an Busoni, [London], 26.11.1919, Typoskript, D–B, Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4721, eine vollständige Transkription findet sich bei Busoni/Weindel 2015, Bd. 2, S. 1116 f., Anm. 448).
(Dieser letzte Satz
Bei Beaumont 1987 (302) übersetzt mit „[t]hese last words“.
ist zum
Vordersatz nicht ganz logisch[.])
– Aber aus dem ganzen
Gerede werden Sie den
Kern meiner Anschauung
destillieren und – billigen?
Bei Beaumont 1987 (302) folgt Absatzwechsel.
Ich glaube es von Ihnen.
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<lb/>uns nicht entschlie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en, einen
<lb/>vulgären Appetit für diato
<lb break="no" rend="after:-"/>nische Weisen in uns zu
<lb/>züchten, so werden wir uns
<lb/>in das <soCalled rend="dq-uu">Nichts</soCalled> verfeinern</q>.
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Im Original heißt es bei <persName key="E0300443">Shaw</persName>: <q xml:lang="en">[…] unless we cultivate a good vulgar appetite for solid distonic [sic] themes […] we shall refine ourselves into nothing</q> <bibl>(Brief von <persName key="E0300443">Shaw</persName> an <persName key="E0300017">Busoni</persName>, [<placeName key="E0500047">London</placeName>], <date when-iso="1919-11-26">26.11.1919</date>, Typoskript, <ref type="ext" subtype="kalliope" target="#DE-611-HS-745351"><idno>D–B, Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4721</idno></ref>, eine vollständige Transkription findet sich bei <ref target="#E0800023"/>, Bd. 2, S. 1116 f., Anm. 448)</bibl>.
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Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (302)</bibl> übersetzt mit <q xml:lang="en">[t]hese last words</q>.
</note>
ist zum
<lb/>Vordersatz nicht ganz logisch<supplied reason="omitted">.</supplied>)
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<lb/>Gerede werden Sie den
<lb/>Kern meiner Anschauung
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– À propos “billigen”. Finden
Sie es billig, dass ich mein
„Wandbild“ nicht kompo- nieren darf?! (So wird mir
aus Zürich wiederholt u.
warnend versichert.)
Es ist unklar, auf wen genau in Zürich, der wiederholt warnt, sich Busoni hier bezieht. Hintergrund des erkennbaren Unmuts ist die Debatte zwischen ihm und Othmar Schoeck um die Frage, wer Busonis Wandbild-Libretto vertonen darf (für Näheres dazu siehe die Kommentierung in Busonis Brief vom 13.1.1920). Busoni hatte das Szenarium im Juni 1917 ursprünglich für Jarnach verfasst, basierend auf einer Erzählung aus einer Sammlung von Chinesischen Geister- und Liebesgeschichten, die ihm Jarnach zuvor geschenkt hatte. Jarnachs Versuch einer musikalischen Umsetzung des Textes ist Fragment geblieben, obwohl immerhin über 35 Partiturseiten überliefert sind – von der „Verwandlungsmusik“ (so bezeichnet in Jarnachs Brief vom 14.7.1917) bis zum ersten Einsatz des Mädchenchores („Du loses Kind, / Nun bist du Braut“) – und auf dem Titelblatt des unfertigen Manuskripts bereits eine Opuszahl (op. 26) vermerkt ist (vgl. Jarnach, Das Wandbild, Partiturautograph [Fragment], N.Mus.Depos. 56 [Nachlass Philipp Jarnach], Kasten 2, N.Mus.Depos. 56.17).
Da – so meine ich –
straüben sich die Haare der
Gerechtigkeit ....
Bei Beaumont 1987 (302) folgt Absatzwechsel.
Ich habe recht Vieles
im Kopfe keimend (unter
den gestraübten Haaren)
u. hoffe auf FerienArbeit.
Bei Beaumont 1987 (302) leicht sinnentstellend übersetzt: „[…] and hope to be able to work in the holidays“.
Auf Wiedersehen.
Ihr herzlichst
ergebener
F. Busoni
Preußischer
Staats- bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
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<p rend="space-above"><orig>– </orig><foreign xml:lang="fr">À propos</foreign> <mentioned rend="dq-uu">billigen</mentioned><choice><orig>.</orig><reg>:</reg></choice> Finden
<lb/>Sie es billig, <hi rend="underline">dass ich mein
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<lb break="no"/>nieren darf</hi>?! (So wird mir
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<lb/>warnend versichert.)
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Es ist unklar, auf wen genau in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName>, der wiederholt warnt, sich <persName key="E0300017">Busoni</persName> hier bezieht. Hintergrund des erkennbaren Unmuts ist die Debatte zwischen ihm und <persName key="E0300141">Othmar Schoeck</persName> um die Frage, wer <persName key="E0300017">Busonis</persName> <title key="E0400481">Wandbild</title>-Libretto vertonen darf (für Näheres dazu siehe die Kommentierung in <persName key="E0300017">Busonis</persName> <ref target="#D0101681">Brief vom <date when-iso="1920-01-13">13.1.1920</date></ref>). <persName key="E0300017">Busoni</persName> hatte das Szenarium im <date when-iso="1917-06">Juni 1917</date> ursprünglich für <persName key="E0300376">Jarnach</persName> verfasst, basierend auf einer Erzählung aus einer Sammlung von <ref target="#E0800362"><placeName key="E0500253">Chinesischen</placeName> Geister- und Liebesgeschichten</ref>, die ihm <persName key="E0300376">Jarnach</persName> zuvor geschenkt hatte. <persName key="E0300376">Jarnachs</persName> Versuch einer musikalischen Umsetzung des <rs key="E0400481">Textes</rs> ist Fragment geblieben, obwohl immerhin über 35 Partiturseiten überliefert sind – von der <q>Verwandlungsmusik</q> (so bezeichnet in Jarnachs Brief vom 14.7.1917) bis zum ersten Einsatz des Mädchenchores (<q>Du loses Kind, / Nun bist du Braut</q>) – und auf dem Titelblatt des unfertigen Manuskripts bereits eine Opuszahl (op. 26) vermerkt ist (vgl. <persName key="E0300376">Jarnach</persName>, <title key="E0400612">Das Wandbild</title>, Partiturautograph [Fragment], <ref type="ext" subtype="kalliope" target="#DE-611-BF-5465"><idno>N.Mus.Depos. 56</idno> [Nachlass Philipp Jarnach]</ref>, Kasten 2, <idno>N.Mus.Depos. 56.17</idno>).
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<lb/>im Kopfe keimend (unter
<lb/>den gestr<choice><sic>aü</sic><corr>äu</corr></choice>bten Haaren)
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</p>
<closer>
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<lb/><seg rend="indent-2">Ihr herzlichst</seg>
<lb/><seg rend="align(right)">ergebener</seg></salute>
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<lb/>Staats
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<lb/>zu <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
<lb/>Kulturbesitz
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