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N. Mus. Nachl. 30, 53 1
LJ. Haben Sie jemals wieder an
„unsere“ Aesthetik der Orchestration
gedacht? Machen Sie, wenn
Ihnen Etwas darüber ein= (oder
beim Hören oder Sehen auf=)fällt, eine
Notiz.
Weitere Ausführungen Busonis hierzu in den folgenden Briefen (z.B. vom 2.12.1919), Ergänzungen Jarnachs im Brief vom 4.1.1920.
– Ich habe das Finale eines
Es dur Konzertes von Mozart etwas
frei (als „Rondo Concertante“)
bearbeitet
– ein leicht wiegendes,
aber sehr spielbares Stück; namentlich
ein künftiger Liebling der „Concours
de Piano“
Frz.: Klavierwettbewerbe.
– u. habe die Instrumentation
bei der Gelegenheit genauer beobachtet.
Eines von Mozart’s Geheimnissen liegt
darin, dass er jedes Instrument in
der ihm am natürlichsten liegenden
Höhe verwendet – z. B. dass er bei
Verdopplungen im Tutti mehr
auf diesen Umstand achtet, als darauf,
dass jede Oktave gleich stark besetzt
sei. So entwickelt jedes Instrument
die für es möglichste Stärke.
Hier ist die oberste
Oktave einfach, die
nächste doppelt, die
dritte dreifach, die
letzte wieder einzeln.
Und doch ist es so
am besten; anstatt
– wie uns Wagner lehrt –, auf jede
Oktave drei unisone Stimmen zu setzen;
was insofern wieder illusorisch wird,
als verschiedene Instrumente auf dem- -selben Ton verschiedene Stärke haben;
eine tiefe Hoboe übermässig laut,
ein hohes Fagott schwach
klingt.
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Lieber Jarnach.
Haben Sie jemals wieder an
„unsere“ Ästhetik der Orchestration
gedacht? Machen Sie, wenn
Ihnen etwas darüber ein- (oder
beim Hören oder Sehen auf-) fällt, eine
Notiz.
Weitere Ausführungen Busonis hierzu in den folgenden Briefen (z.B. vom 2.12.1919), Ergänzungen Jarnachs im Brief vom 4.1.1920.
– Ich habe das Finale eines
Es-Dur-Konzertes von Mozart etwas
frei (als „Rondo concertante“)
bearbeitet
– ein leicht wiegendes,
aber sehr spielbares Stück; namentlich
ein künftiger Liebling der „Concours
de Piano“
Frz.: Klavierwettbewerbe.
– und habe die Instrumentation
bei der Gelegenheit genauer beobachtet.
Eines von Mozarts Geheimnissen liegt
darin, dass er jedes Instrument in
der ihm am natürlichsten liegenden
Höhe verwendet – z. B. dass er bei
Verdopplungen im Tutti mehr
auf diesen Umstand achtet als darauf,
dass jede Oktave gleich stark besetzt
sei. So entwickelt jedes Instrument
die für es möglichste Stärke.
Hier ist die oberste
Oktave einfach, die
nächste doppelt, die
dritte dreifach, die
letzte wieder einzeln.
Und doch ist es so
am besten; anstatt
– wie uns Wagner lehrt –, auf jede
Oktave drei unisone Stimmen zu setzen;
was insofern wieder illusorisch wird,
als verschiedene Instrumente auf demselben Ton verschiedene Stärke haben;
eine tiefe Hoboe übermäßig laut,
ein hohes Fagott schwach
klingt.
Beim Studium Mozarts werde ich immer
mehr darin bestätigt, dass eine beschränkte
Zahl und Wahl von Instrumenten neue
Möglichkeiten erzwingt; indem damit
die Routine der vollen Partitur einfach
undurchführbar wird. Im Übrigen –
wie einst Flaubert seinen Schüler
Maupassant lehrte, eine zwei Seiten
lange Beschreibung in einem einzigen
Satz zu sagen
Vgl. Moore 1918, S. 144 ff.
– so müsste man den
Kompositionsschüler dahin führen,
eine 30-zeilige Partitur auf 18
(und selbst wenigere) zu bringen.
(Das Nämliche gälte – übertragen –
für lange Durchführungen, Modulationen
und Übergänge – worinnen Wagner
jedes Maß verlor …)
Lange könnten
wir darüber sprechen und, hoffentlich
bald, werden wir es tun.
Dass Sie am 10. Dezember (wenn ich
leider noch nicht bei Ihnen sein
kann) meine Improvisation
mit Lochbrunner spielen wollen,
macht mich innig froh und dankbar.
„Wer ist Jarnach?“ frägt jeder,
der die Klavierauszüge sieht.
Nun, es wird eine Weile dauern,
aber dann wird man es wissen …
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<note type="shelfmark" resp="#archive" place="top-left">N. Mus. Nachl. 30, 53</note>
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<p>
<seg type="opener" subtype="salute" rend="huge"><choice><abbr>L<persName key="E0300376">J</persName>.</abbr><expan>Lieber Jarnach.</expan></choice></seg> Haben Sie jemals wieder an
<lb/><seg rend="indent-2"><soCalled rend="dq-du">unsere</soCalled> <choice><orig>Ae</orig><reg>Ä</reg></choice>sthetik der Orchestration
<lb/>gedacht? Machen Sie, wenn</seg>
<lb/>Ihnen <choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>twas darüber ein<pc>=</pc> (oder
<lb/>beim Hören oder Sehen auf<pc>=</pc>)<reg> </reg>fällt, eine
<lb/><hi rend="underline">Notiz</hi>.
<note type="commentary" resp="#E0300738">Weitere Ausführungen <persName key="E0300017">Busonis</persName> hierzu in den folgenden Briefen (z.B. <ref target="#D0101678">vom <date when-iso="1919-12-02">2.12.1919</date></ref>), Ergänzungen <persName key="E0300376">Jarnachs</persName> im <ref target="#D0101680">Brief vom <date when-iso="1920-01-04">4.1.1920</date></ref>.</note>
– Ich habe das Finale <rs key="E0400573">eines
<lb/>Es<choice><orig> dur </orig><reg>-Dur-</reg></choice>Konzertes</rs> von <persName key="E0300010">Mozart</persName> etwas
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<lb/>bearbeitet
<!--<note type="commentary" resp="#E0300738">Kindermanns Busoni-Werkverzeichnis B 87</note>-->
<!-- geht aus dem Entitäten-Eintrag hervor -->
– ein leicht wiegendes,
<lb/>aber sehr spielbares Stück; namentlich
<lb/>ein künftiger Liebling der <soCalled rend="dq-du" xml:lang="fr">Concours
<lb/>de Piano</soCalled>
<note type="commentary" resp="#E0300738">Frz.: Klavierwettbewerbe.</note>
– <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> habe die Instrumentation
<lb/>bei der Gelegenheit genauer beobachtet.
<lb/>Eines von <persName key="E0300010">Mozart<orig>’</orig>s</persName> Geheimnissen liegt
<lb/>darin, dass er jedes Instrument in
<lb/>der ihm am natürlichsten liegenden
<lb/>Höhe verwendet – z. B. dass er bei
<lb/>Verdopplungen im Tutti mehr
<lb/>auf diesen Umstand achtet<orig>,</orig> als darauf,
<lb/>dass jede Oktave gleich stark besetzt
<lb/>sei. So entwickelt jedes Instrument
<lb/>die für es möglichste Stärke.
</p>
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<graphic height="150px" url="D0101677_ex_1.png"/>
<desc><persName key="E0300010">W. A. Mozart</persName>, <title key="E0400573">Klavierkonzert Es-Dur KV 482</title>, 3. Satz, Takt 8 f.</desc>
</notatedMusic>
<p>
Hier ist die oberste
<lb/>Oktave <hi rend="underline">einfach</hi>, die
<lb/>nächste <hi rend="underline">doppelt</hi>, die
<lb/>dritte <hi rend="underline">dreifach</hi>, die
<lb/>letzte wieder <hi rend="underline">einzeln</hi>.
<lb/>Und doch ist es so
<lb/>am besten; anstatt
<lb/>– wie uns <persName key="E0300006">Wagner</persName> lehrt –, auf jede
<lb/>Oktave drei unisone Stimmen zu setzen;
<lb/>was insofern wieder illusorisch wird,
<lb/>als verschiedene Instrumente auf dem
<lb break="no" rend="after:-"/>selben Ton verschiedene Stärke haben;
<lb/><seg rend="indent">eine tiefe Hoboe übermä<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ig laut,</seg>
<lb/><seg rend="align(right)">ein hohes Fagott schwach
<lb/>klingt.</seg>
</p>
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N. Mus. Nachl. 30, 53 2
Beim Studium Mozart’s werde ich im̅er
mehr darin bestätigt, dass eine beschränkte
Zahl und Wahl von Instrumenten neue
Möglichkeiten erzwingt; indem damit
die Routine der vollen Partitur einfach
undurchführbar wird. Im Übrigen –
wie einst Flaubert seinen Schüler
Maupassant lehrte, eine zwei Seiten
lange Beschreibung in einem einzigen
Satz zu sagen
Vgl. Moore 1918, S. 144 ff.
– so müsste man den
Compositions Schüler dahin führen,
eine 30 zeilige Partitur auf 18
(u. selbst wenigere) zu bringen.
(Das nämliche gälte – übertragen –
für lange Durchführungen, Modulationen
und Übergänge – worinnen Wagner
jedes Maas verlor ….)
Bei Beaumont 1987 (300) ist hier irrtümlich eine Auslassung angezeigt, während die Wiedergabe tatsächlich ungekürzt erfolgt (offenbar wurde das originale Ellipsenzeichen redaktionell falsch aufgefasst).
Lange könnten
wir darüber sprechen u., hoffentlich
bald, werden wir es thun.
Dass Sie am 10. Dez. (wenn ich
leider noch nicht bei Ihnen sein
kann) meine Improvvisation
mit Lochbrunner spielen wollen,
macht mich innig froh u. dankbar.
– “Wer ist Jarnach”? frägt Jeder,
der die Klavierauszüge sieht.
Nun, es wird eine Weile dauern,
aber dann wird man es wissen .....
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<note type="shelfmark" resp="#archive" place="top-left">N. Mus. Nachl. 30, 53</note>
<note type="foliation" resp="#archive" place="top-right">2</note>
<p>
Beim Studium <persName key="E0300010">Mozart<orig>’</orig>s</persName> werde ich i<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>er
<lb/>mehr darin bestätigt, dass eine <hi rend="underline">beschränkte</hi>
<lb/>Zahl und Wahl von Instrumenten neue
<lb/>Möglichkeiten <hi rend="underline">erzwingt</hi>; indem damit
<lb/>die <hi rend="underline">Routine der vollen Partitur</hi> einfach
<lb/>undurchführbar wird. Im Übrigen –
<lb/>wie einst <persName key="E0300179">Flaubert</persName> seinen Schüler
<lb/><persName key="E0300758">Maupassant</persName> lehrte, eine zwei Seiten
<lb/>lange Beschreibung in einem einzigen
<lb/>Satz zu sagen
<note type="commentary" resp="#E0300738">Vgl. <bibl><ref target="#E0800386"/>, S. 144 ff.</bibl></note>
<!-- Gab es entsprechende Flaubert-Titel auch in Busonis Bibliothek? Moore offenbar nicht -->
– so müsste man den
<lb/><choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>ompositions<choice><orig> S</orig><reg>s</reg></choice>chüler dahin führen,
<lb/>eine 30<choice><orig> </orig><reg>-</reg></choice>zeilige Partitur auf 18
<lb/>(<choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice> selbst wenigere) zu bringen.
<lb/>(Das <choice><orig>n</orig><reg>N</reg></choice>ämliche gälte – übertragen –
<lb/>für lange Durchführungen, Modulationen
<lb/>und Übergänge – worinnen <persName key="E0300006">Wagner</persName>
<lb/>jedes Ma<choice><orig>as</orig><reg>ß</reg></choice> verlor …<orig>.</orig>)
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300314">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (300)</bibl> ist hier irrtümlich eine Auslassung angezeigt, während die Wiedergabe tatsächlich ungekürzt erfolgt (offenbar wurde das originale Ellipsenzeichen redaktionell falsch aufgefasst).</note>
Lange könnten
<lb/>wir darüber sprechen <choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice>, hoffentlich
<lb/>bald, werden wir es t<orig>h</orig>un.
</p>
<p>
<seg rend="indent">Dass Sie am <date when-iso="1919-12-10">10. <choice><abbr>Dez.</abbr><expan>Dezember</expan></choice></date> (wenn ich</seg>
<lb/>leider noch nicht bei Ihnen sein
<lb/>kann) meine <rs key="E0400286">Improv<orig>v</orig>isation</rs>
<lb/>mit <persName key="E0300184">Lochbrunner</persName> spielen wollen,
<lb/>macht mich innig froh <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> dankbar.</p>
<p><orig>– </orig><q rend="dq-uu">Wer ist <persName key="E0300376">Jarnach</persName><reg>?</reg></q><orig>?</orig> frägt <choice><orig>J</orig><reg>j</reg></choice>eder,
<lb/>der <rs type="works" key="E0400610 E0400611">die Klavierauszüge</rs> sieht.
<lb/>Nun, es wird eine Weile dauern,
<lb/>aber dann wird man es wissen <choice><orig>.....</orig><reg>…</reg></choice>
</p>
<closer>
<salute rend="indent">Grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Sie <rs key="E0300059">Ihre prächtige Frau</rs>.</salute>
<salute rend="indent">Es umarmt Sie</salute>
<signed rend="align(right)">Ihr <persName key="E0300017"><seg rend="huge">F. Busoni</seg></persName></signed>
<dateline><placeName key="E0500047">London</placeName><reg>,</reg> <date when-iso="1919-12-01">1. Dez. 1919</date>.</dateline>
</closer>
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<list rend="small">
<head rend="indent-neg">Neue Komponisten: </head>
<item rend="inline"><persName key="E0300077">Bernard van Dieren</persName>
<note type="commentary" resp="#E0300738"><persName key="E0300017">Busoni</persName> war allerdings bereits aus <placeName key="E0500029">Berliner</placeName> Zeiten eng bekannt mit <persName key="E0300077">Bernard van Dieren</persName>, der <date when-iso="1910">1910</date> die <persName key="E0300017">Busoni</persName>-Schülerin <persName key="E0300794">Frida Kindler</persName> geheiratet hatte.</note>
</item>
<item rend="indent-5"><persName key="E0300759">Kakhusru Sorobdschji</persName>
<note type="commentary" resp="#E0300738"><persName key="E0300759">Kaikhosru Shapurji Sorabji</persName> hatte <persName key="E0300017">Busoni</persName> Ende <date when-iso="1919-11">November 1919</date> seine <title key="E0400616">Klaviersonate Nr. 1</title> in <placeName key="E0500047">London</placeName> vorgespielt und daraufhin ein Empfehlungsschreiben erhalten (wiedergegeben u. a. bei <bibl><ref target="#E0800060"/>, S. 300</bibl> und <bibl><ref target="#E0800382"/>, S. 126</bibl>, im französischen Original bei <bibl><ref target="#E0800023"/>, S. 1116</bibl>), das dem Werk zum Druck verhalf (es ist nur im Manuskript <persName key="E0300017">Busoni</persName> gewidmet; <bibl>vgl. <ref target="#E0800382"/>, S. 128</bibl>). Vgl. auch <persName key="E0300017">Busonis</persName> Briefe an seine Frau <persName key="E0300059">Gerda</persName> vom <date when-iso="1919-11-09">9.11.</date> (<cit><bibl><ref target="#E0800023"/>, S. 706: <q>der einen blühenden Unsinn komponiert</q></bibl></cit>) und <date when-iso="1919-11-25">25.11.1919</date>.</note>
(<placeName key="E0500808">Indier</placeName>)</item>
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3Facsimile
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3Diplomatic transcription
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[Rückseite von Textseite 1]
Preußischer
Staats- bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
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4Facsimile
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4Diplomatic transcription
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Preußischer
Staats- bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
1 Dec 1919
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