Martin Wegelius to Ferruccio Busoni arrow_forward

Helsinki · June 6, 1888

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Mus.ep. M. Wegelius 1 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5314
Helsingfors, Wegelius und Busoni benutzen durchgehend den schwedischen Namen Helsingfors statt des heute gebräuchlicheren finnisierten Namens Helsinki. den 6 Juni 1888.

Hochgeehrter Herr!

Im Auftrag der Direction des Musikver⸗
eins in Helsingfors
habe ich hiermit
die Ehre Ihnen die Stellung anzubie⸗
ten, zu der Sie sich vor 8 Tagen gemel⸗
det haben. Für Ihre diessbezügliche Draht⸗
depesche danke ich freundlichst; Hugo Riemann hatte sich im Juni 1888 mit einem Brief an Busoni gewandt und diesen auf eine Stelle als Klavierlehrer am Musikinstitut Helsinki (seit 1939 Sibelius-Akademie“) aufmerksam gemacht. Wegelius – Gründer und Direktor des Musikinstituts – kannte Riemann von einer Deutschlandreise im Sommer 1886, auf welcher er den Unterricht an deutschen Konservatorien studierte (vgl. Flodin 1922, S. 418). Wegelius hatte sich höchstwahrscheinlich im Frühjahr mit der Bitte an Riemann gewandt, ihm einen geeigneten Nachfolger vorzuschlagen. Weder eine Korrespondenz zwischen Wegelius und Riemann noch das hier erwähnte Telegramm Busonis scheinen überliefert zu sein. ich konn⸗
te Ihnen keine Antwort senden ehe
die Direction die Sache entschieden
hatte, und die Sitzung konnte erst ge⸗
stern stattfinden. Übrigens traf das
Schreiben meines Freundes Riemann,
das uns über die Sache aufklärte,
erst mehrere Tage später ein.

Wegelius

Aus dem beigelegten Contract werden
Sie die Bedingungen ersehen. Die darin[1]

Helsingfors, Wegelius und Busoni benutzen durchgehend den schwedischen Namen Helsingfors statt des heute gebräuchlicheren finnisierten Namens Helsinki. den 6. Juni 1888.

Hochgeehrter Herr!

Im Auftrag der Direktion des Musikvereins in Helsingfors habe ich hiermit die Ehre, Ihnen die Stellung anzubieten, zu der Sie sich vor 8 Tagen gemeldet haben. Für Ihre diesbezügliche Drahtdepesche danke ich freundlichst; Hugo Riemann hatte sich im Juni 1888 mit einem Brief an Busoni gewandt und diesen auf eine Stelle als Klavierlehrer am Musikinstitut Helsinki (seit 1939 Sibelius-Akademie“) aufmerksam gemacht. Wegelius – Gründer und Direktor des Musikinstituts – kannte Riemann von einer Deutschlandreise im Sommer 1886, auf welcher er den Unterricht an deutschen Konservatorien studierte (vgl. Flodin 1922, S. 418). Wegelius hatte sich höchstwahrscheinlich im Frühjahr mit der Bitte an Riemann gewandt, ihm einen geeigneten Nachfolger vorzuschlagen. Weder eine Korrespondenz zwischen Wegelius und Riemann noch das hier erwähnte Telegramm Busonis scheinen überliefert zu sein. ich konnte Ihnen keine Antwort senden, ehe die Direktion die Sache entschieden hatte, und die Sitzung konnte erst gestern stattfinden. Übrigens traf das Schreiben meines Freundes Riemann, das uns über die Sache aufklärte, erst mehrere Tage später ein.

Aus dem beigelegten Kontrakt werden Sie die Bedingungen ersehen. Die darin zitierten Ordnungsregeln und Statuten sind ganz allgemeiner Natur und können Sie in keiner Weise genieren; gehen übrigens mehr die Schüler als die Lehrer an.

Die Weihnachtsferien dauern einen Monat, die Osterferien 6–10 Tage. Den Sommer (1. Juni – 15. September) ist frei.

Bei den 14 Musikabenden beteiligen sich sowohl Lehrer als Schüler.

Als Mitspieler werden Sie einen vorzüglichen Geiger, Herrn Csillag, und einen sehr gewandten Cellisten, Herrn Renck, vorfinden. Zweiter Klavierlehrer ist Herr Heinrich Wefing, Schüler von Scharwenka.

Im Institut sind alle gewöhnlichen Fächer vertreten, außer Holzbläser und Kontrabass. Letztgenanntes Instrument wird vielleicht schon im Herbst eingeführt. Kontrabass wurde als Unterrichtsfach erst 1911 eingeführt (vgl. Dahlström 1982, S. 336).

Über unsere Schülerinnen und Schüler kann ich in der Hauptsache nur Gutes sagen; es herrscht in der Anstalt ein guter Geist; es wird ernstlich gearbeitet, das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler ist immer ein freundliches und zwangloses gewesen; Talente kommen nicht selten vor.

Für Privatstunden bekam der erste Pianist bis jetzt gewöhnlich 8 mf (1 Mark = 1 Franc) zu Hause, bei dem Schüler 9–10 mf. Obwohl die offizielle Währung des Großfürstentums Finnland als Teil des Russischen Reiches der Rubel war, wurde 1860 auch die finnische Markka (Finnmark) zugelassen, die einem viertel Rubel oder einem Franc entsprach (vgl. Hjelm/Maude 2021, S. 79 f.). Statt den gebräuchlichen Abkürzungen „mk“ oder „FIM“ benutzt Wegelius neben „mf“ auch „Fm“ oder „Fmark“.

Die meisten gebildeten Leute bei uns sprechen entweder deutsch oder französisch; für Deutschsprechende ist übrigens die schwedische Sprache leicht zu erlernen. Schwedisch war durch die jahrhundertelange Zugehörigkeit Finnlands zu Schweden bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1917 alleinige Amtssprache und Bildungssprache Finnlands (vgl. von Bonsdorff 2019, S. 48).

Einen genialen Spieler wird unser Publikum immer dankbar finden. Als junger Mann und Junggeselle werden Sie sich leicht assimilieren; als hervorragender Künstler werden Sie in die besten Gesellschaften überall Zutritt finden. Dass Sie Italiener sind, wird die Sache nicht schlechter machen, im Gegenteil!

Die Zeit drängt, und ich muss für heute schließen. Später werde ich Ihnen mit eingehenderen Nachrichten dienen können; fragen Sie nur, so bekommen Sie gleich Antwort. Sobald Sie den von Ihnen unterzeichneten Kontrakt retourniert haben, wird Ihnen ein zweites Exemplar mit den Unterschriften der Direktion zugesandt. Bitte den Kontrakt ebenso wie Briefe sicherheitshalber einschreiben zu lassen. Jetzt auf Wiedersehen! Seien Sie uns herzlichst willkommen, Herr Benvenuto Busoni. Ich bin überzeugt, dass wir uns gut verstehen werden.

Hochachtungsvoll und ergebenst

                                                                
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citirten Ordnungsregeln und Statu⸗
ten sind ganz allgemeiner Natur, und
können Sie in keiner Weise geniren;
gehen übrigens mehr die Schüler als
die Lehrer an.

Die Weihnachtsferien dauern ei⸗
nen Monat, die Osterferien 6–10 Tage.
Den Sommer (1 Juni – 15 September) ist
frei.

Bei den 14 Musikabenden bethei⸗
ligen sich sowohl Lehrer als Schü⸗
ler.

Als Mitspieler werden Sie einen
vorzüglichen Geiger, Herrn Csillag,
und einen sehr gewandten Cellisten,
Herrn Renck, vorfinden. Zweiter
Clavierlehrer ist Herr H. Wefing,
Schüler von Scharwenka.

Im Institut sind alle gewöhn⸗
lichen Fächer vertreten, ausser Holz⸗
bläser und Kontrabass. Letztgenann⸗
tes Instrument wird vielleicht schon Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
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im Herbst eingeführt. Kontrabass wurde als Unterrichtsfach erst 1911 eingeführt (vgl. Dahlström 1982, S. 336).

Über unsere Schülerinnen und
Schüler kann ich in der Hauptsache
nur Gutes sagen; es herrscht in
der Anstalt ein guter Geist; es wird
ernstlich gearbeitet, das Verhältniss
zwischen Lehrer und Schüler ist im⸗
mer ein freundliches und zwang⸗
loses gewesen; Talente kommen nicht
selten vor.

Für Privatstunden bekam der
erste Pianist bis jetzt gewöhnlich
8 mf (1 Mark = 1 Franc) zu Hause, bei
dem Schüler 9–10 mf. Obwohl die offizielle Währung des Großfürstentums Finnland als Teil des Russischen Reiches der Rubel war, wurde 1860 auch die finnische Markka (Finnmark) zugelassen, die einem viertel Rubel oder einem Franc entsprach (vgl. Hjelm/Maude 2021, S. 79 f.). Statt den gebräuchlichen Abkürzungen „mk“ oder „FIM“ benutzt Wegelius neben „mf“ auch „Fm“ oder „Fmark“.

Die meisten gebildeten Leute bei
uns sprechen entweder deutsch
oder französisch; für deutsch Sprechen⸗
de ist übrigens die schwedische Spra⸗
che leicht zu erlernen. Schwedisch war durch die jahrhundertelange Zugehörigkeit Finnlands zu Schweden bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1917 alleinige Amtssprache und Bildungssprache Finnlands (vgl. von Bonsdorff 2019, S. 48).

Ein genialer Spieler wird unser
Publicum immer dankbar finden.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
[2]

                                                                
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werden Sie sich leicht assimiliren;
als hervorragender Künstler werden
Sie [in] die besten Gesellschaften überall
Zutritt finden. Dass Sie Italiener
sind, wird die Sache nicht schlechter
machen, im Gegentheil!

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Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5314 | olim: Mus.ep. M. Wegelius 1 |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Martin Wegelius, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Paginierung vorgenommen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Hand Gerda Busonis, die auf der ersten Seite den Absendernamen vermerkt hat
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Summary
Wegelius bietet Busoni die Stelle des ersten Klavierlehrers am Musikinstitut Helsinki an, um die Busoni sich auf Empfehlung Hugo Riemanns telegrafisch beworben hatte; fasst die Bedingungen des beigelegten Vertrags zusammen; stellt das Institut sowie die Lehrer Hermann Csillag (Violine), Wilhelm Renck (Cello) und Heinrich Wefing (zweiter Klavierlehrer) vor.
Incipit
Im Auftrag der Direktion des Musikvereins in Helsingfors

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
March 19, 2024: proposed (transcription and coding done, awaiting proofreading)
Direct context
Following
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