Mit erstauntem Blick
wirst Du wohl diese Zeilen betrachten – u. mit
noch erstaunterem Blick die Sendung von kunterbunten
Notenköpfen, welche mit diesem Briefe an Dich abgehen.
Es ist keine „bessere“ Welt, aus der ich schreibe – vorläufig
fehlt auch die mir sehr notwendige „bessere“ Hälfte –
sondern eben nur aus jenen Landen kom̅t diese
Nachricht, wo nach der Bibel, welches Buch ich
wegen dem, „was schwarz auf weiß“ dasteht lese, also
ewige Finsternis, Heulen u. Zähneklappern herrscht
in Gestalt von bitterstem Mißmuth, Satire u.
Angeeckeltsein von dem Musikpanamaskandal,
wie er hier herrscht. Täglich 6–8 Stunden gehen im
Nachlaß Busoni
Mit erstauntem Blick
wirst Du wohl diese Zeilen betrachten – und mit
noch erstaunterem Blick die Sendung von kunterbunten
Notenköpfen, welche mit diesem Briefe an Dich abgehen.
Es ist keine „bessere“ Welt aus der ich schreibe – vorläufig
fehlt auch die mir sehr notwendige „bessere“ Hälfte –,
sondern eben nur aus jenen Landen kommt diese
Nachricht, wo nach der Bibel, welches Buch ich
wegen dem „was schwarz auf weiß“ dasteht lese, also
ewige Finsternis, Heulen und Zähneklappern herrscht
in Gestalt von bitterstem Missmut, Satire und
Angeeckeltsein von dem Musikpanamaskandal,
wie er hier herrscht. Täglich 6–8 Stunden gehen im
Klavierverstümmeln und dazu und dabei soll man als
vernunftbegabtes Wesen (nach der Bibel) noch einen freien
Ausblick haben. Die Regeln des strengen Kontrapunktes,
welche ich bis jetzt so sehr befolgt habe, dränen sich vor
mir auf wie allgewaltige Drachen und Einhörner und
dabei lacht man eben das Lachen der allgemein
bemitleideten „Geistesumnachteten“. Nun aber genug
von dieser Gallenseite.
Wie geht es Dir? Mit aufrichtigsterherzlichster
und teilnahmevollster Freude lese ich stets in unseren
Musikzeitungen von Deinen Triumphen. Also meinen
ebenso aufrichtigen und herzlichen Glückwunsch dazu.
Ich habe dich leider bis jetzt nur einmal spielen gehört –
und das eine weiß ich ganz genau jetzt schon, dass Dein Name
in der Geschichte des Klavierspiels mit eisernen Buchstaben
eingegraben ist. Was nun Deine Kompositionen betrifft,
so stelle ich dieselben auf dieselbe Höhe und ärgere mich bloß,
dass die Klavierstücke noch nicht erschienen.
Zugleich muss ich wegen eines scheinbaren „Plagiats“
um Verzeihung bitten. Am 1. Juni erscheint eine Bearbeitung
der D-Dur-Fuge sammt Präludium. Augener wollte noch so
einen „Bach“ haben; aber ich habe Dich nicht abgeschrieben.
Und so zürne also nicht; ich habe einige Stellen – vermessen genug –,
kann man da sagen – im entgegengesetzten Sinne bearbeitet.
Im übrigen mache ich ja Deiner Ausgabe schon aus dem Grunde
nicht im geringsten Konkurrenz, da meine ja überhaupt nie
bekannt wird, wie es mit all meinen Sachen so gehen
wird. Mir geht es eben so, dass mir nach gerade alles egal
wird; es kommt die sogenannte „Wurschtigkeit“ in beängstigendem
Maße. Meinetwegen kann man mich durchprügeln nach allen
Dimensionen; ich tröste mich mit dem Gedanken, dass Prügeln auch
schon in der Bibel vorkommt. Aus jeder Wohnung werde ich
rausgeschmissen, da ich zu viel Unordnung mache, die Gardinen
in 14 Tagen aus blendenstem Weiß in sonderbares Gelb verwandle
durch entsetzliches Qualmen; auf 20 Stück habe ichs schon
gebracht täglich. Was macht denn eigentlich der biedere, so waschechte
„Löwe“! Er schrieb mir letzthin mal einen furchtbar moralischen
Brief, vor dem er entschieden drei Tage sich aller alkoholischen
Getränke enthielt; schrieb vom Nüchternsein etc. etc.
Ich dachte immer: „um Gotteswillen jetzt fängt der gute Löwe an
sich an Absinth zu gewöhnen,“ so sehr pries er die Freuden der
Nüchternheit, und siehe es ward nicht so. Er beschrieb mir
die Folgen des Alkohols in so beängstigendem Maße, dass ich
seit der Zeit nur mehr „dunkles“Bier trinke aus Trauer
über meine Schlechtigkeit. Nein, aber jetzt ernst
gesprochen. Ich begreife nicht, was Löwe mit dieser Predigt
wollte. Ich frage doch mal, ob denn der Alkohol so eine
Herrschaft über mich hat. O Gott; jeden Tag 6–8 Stunden zu
geben; in der Frühe von 81/2–1 Uhr ohne Pause (Weg
höchstens)
Nachmittags von 2–7 Uhr. Wann bleibt da Zeit zu „saufen.“
Abends muss ich arbeiten, denn zu welcher Zeit könnte ich denn
meiner schriftlichen Arbeit nachgehen! Wann denn und
ich produziere doch gerade genug! Ich habe jeden Mittwoch
meinen Vereinsabend und da gehe ich hin von 10–1 oder 2 Uhr.
und dabei muss ich bemerken, dass ich Kognak oder sonstige
ähnliche Getränke nie habe; wenn Herr Löwe also in diesem
Falle von Alkoholismus schreibt, so sage ich ihm das Eine entgegen:
„Wie kommt es, dass ich nicht eine Spur nervös bin?“___!
Ich habe mir unterdessen hier viel, viel Mühe gegeben, die Leute
für deine Kompositionen zu interessieren. Aber es gibt eben
in Europa mehr Kaffern wie in Afrika. Wenn man diesen
Leuten noch so oft die Sachen vorspielt, dann machen „Sie“ (denn solche
Leute muss man groß schreiben) noch dieselben Gesichter.
Nun hoffentlich spielst Du nächsten Winter hier im Kurhause.
Kurdirektor F. Hey’l; Dein Agent soll jetzt schon die Sache
ordnen; Honorare gut. Nun leb wohl; lasse mich lasse mich balde
wieder mal ein Brief von Dir lesen.
[„Tod und Verklärung“ von R. Strauss
soll jetzt auch hier wieder
mal gemacht werden.
Ich bin kein großer
Verehrer von R. Str.]
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<subst><del rend="strikethrough">Mus. Ep. May Reger 91 (Busoni-Nachl. <handShift new="#archive_red" rend="stroke-red"/>B II<handShift new="#archive"/>)</del><!-- Unterschiedliche Archivarenhände? archive_old = archive_red hinzufügen? --><add place="below">
Mus. Nachl. F. Busoni
<lb/>B II, 4056
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<date when-iso="1896-05-27">27. Mai <choice><orig>96</orig><reg>1896</reg></choice></date>.
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<salute> Bester Freund!</salute>
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Mit erstauntem Blick
<lb/>wirst Du wohl diese Zeilen betrachten – <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> mit
<lb/>noch erstaunterem Blick die Sendung von kunterbunten
<lb/>Notenköpfen, welche mit diesem Briefe an Dich abgehen.
<lb/>Es ist keine <soCalled rend="dq-du">bessere</soCalled> Welt<orig>,</orig> aus der ich schreibe – vorläufig
<lb/>fehlt auch die mir <hi rend="underline">sehr</hi> notwendige <soCalled rend="dq-du"><hi rend="underline">bessere</hi></soCalled> Hälfte –<reg>,</reg>
<lb/>sondern eben nur aus jenen Landen ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t diese
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<lb/>ewige Finsternis, Heulen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Zähneklappern herrscht
<lb/>in Gestalt von bitterstem Mi<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>mut<orig>h</orig>, Satire <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<lb/>Angeeckeltsein von dem Musikpanamaskandal,
<lb/>wie er hier herrscht. Täglich 6–8 Stunden gehen im
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<stamp>Nachlaß Busoni</stamp>
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2Facsimile
2Diplomatic transcription
2XML
Klavierverstüm̅eln u. dazu u. dabei soll man als
vernunftbegabtes Wesen (nach der Bibel) noch einen freien
Ausblick haben. Die Regeln des strengen Kontrapunktes,
welche ich bis jetzt so sehr befolgt habe, dränen sich vor
mir auf wie allgewaltige Drachen u. Einhörner, u.
dabei lacht man eben das Lachen der allgemein
bemitleideten „Geistesumnachteten“. Nun aber genug
von dieser Gallenseite.
Wie geht es Dir? Mit aufrichtigsterherzlichster u. teilnahmevollster Freude lese ich stets in unseren
Musikzeitungen von Deinen Triumphen. Also meinen
ebenso aufrichtigen u. herzlichen Glückwunsch dazu.
Ich habe dich leider bis jetzt nur einmal spielen gehört –
u. das eine weiß ich ganz genau jetzt schon daß Dein Name
in der Geschichte des Klavierspiels mit eisernen Buchstaben
eingegraben ist. Was nun Deine Kompositionen betrifft,
so stelle ich Dieselben auf dieselbe Höhe u. ärgere mich bloß
dass die Klavierstücke noch nicht erschienen.
Zugleich muss ich wegen eines scheinbaren „Plagiats“ um Verzeihung bitten. Am 1. Juni erscheint eine Bearbeitung
der Ddur Fuge sam̅t Präludium. Augener wollte noch so
einen „Bach“ haben; aber ich habe Dich nicht abgeschrieben.
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Klavierverstü<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>eln <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> dazu <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> dabei soll man als
<lb/>vernunftbegabtes Wesen (nach der Bibel) noch einen freien
<lb/>Ausblick haben. Die Regeln des strengen Kontrapunktes,
<lb/>welche ich bis jetzt so sehr befolgt habe, dränen sich vor
<lb/>mir auf wie allgewaltige Drachen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Einhörner<orig>,</orig> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<lb/>dabei lacht man eben das Lachen der allgemein
<lb/>bemitleideten <soCalled rend="dq-du">Geistesumnachteten</soCalled>. Nun aber genug
<lb/>von dieser Gallenseite.
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Wie geht es Dir? Mit <hi rend="underline">aufrichtigster</hi> <hi rend="underline">herzlichster</hi>
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <hi rend="underline">teilnahmevollster</hi> Freude lese ich stets in unseren
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<lb/>Ich habe dich leider bis jetzt nur einmal spielen gehört –
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<lb/>eingegraben ist. Was nun Deine Kompositionen betrifft,
<lb/>so stelle ich <choice><orig>D</orig><reg>d</reg></choice>ieselben auf <hi rend="underline">dieselbe</hi> Höhe <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> ärgere mich bloß<reg>,</reg>
<lb/>dass die Klavierstücke noch nicht erschienen.
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Zugleich muss ich wegen eines scheinbaren <soCalled rend="dq-du">Plagiats</soCalled>
<lb/>um Verzeihung bitten. Am <date when-iso="1896-06-01">1. Juni</date> erscheint eine Bearbeitung
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<lb/>einen <soCalled rend="dq-du">Bach</soCalled> haben; aber ich habe Dich <hi rend="underline">nicht</hi> abgeschrieben.
</p></div>
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[2]
Und so zürne also nicht; ich habe einige Stellen – vermessen genug –,
kan̅ man da sagen – im entgegengesetzten Sin̅e bearbeitet.
Im übrigen mache ich ja Deiner Ausgabe schon aus dem Grunde
nicht im geringsten Konkurrenz, da meine ja überhaupt nie bekan̅t wird, wie es mit all meinen Sachen so gehen
wird. Mir geht es eben so, daß mir nach gerade alles egal
wird; es kom̅t die sogenan̅te „Wurschtigkeit“ in beängstigendem
Maße. Meinetwegen kan̅ man mich durchprügeln nach allen
Dim̅ensionen; ich tröste mich mit dem Gedanken, daß Prügeln auch
schon in der Bibel vorkom̅t. Aus jeder Wohnung werde ich
rausgeschmissen, da ich zu viel Unordnung mache, die Gardinen
in 14 Tagen aus blendenstem Weiß in sonderbares Gelb verwandle
durch entsetzliches Qualmen; auf 20 Stück habe ichs schon
gebracht täglich. Was macht den̅ eigentlich der biedere so waschechte
„Löwe“! Er schrieb mir letzthin mal einen furchtbar moralischen
Brief, vor dem er entschieden 3 Tage sich aller alkoholischen
Getränke enthielt; schrieb vom Nüchternsein etc. etc.
Ich dachte im̅er: „um Gotteswillen jetzt fängt der gute Löwe an
sich an Absinth zu gewöhnen,“ so sehr pries er die Freuden der
Nüchternheit, u. siehe es ward nicht so. Er beschrieb mir
die Folgen des Alkohols in so beängstigendem Maße, daß ich
seit der Zeit nur mehr „dunkles-“Bier trinke aus Trauer
über meine Schlechtigkeit. Nein, aber jetzt ernst
gesprochen. Ich begreife nicht, was Löwe mit dieser Predigt
wollte. Ich frage doch mal, ob den̅ der Alkohol so eine
Herrschaft über mich hat. O Gott; jeden Tag 6–8 Stunden zu
geben; in der Frühe von 81/2–1 Uhr ohne Pause (Weg höchstens)
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Und so zürne also nicht; ich habe einige Stellen – vermessen genug –,
<lb/>ka<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> man da sagen – im entgegengesetzten Si<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>e bearbeitet.
<lb/>Im übrigen mache ich ja Deiner Ausgabe schon aus dem Grunde
<lb/>nicht im geringsten Konkurrenz, da meine ja überhaupt <hi rend="underline">nie</hi>
<lb/>beka<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>t wird, wie es mit all meinen Sachen so gehen
<lb/>wird. Mir geht es eben so, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> mir nach gerade alles egal
<lb/>wird; es ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t die sogena<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>te <soCalled rend="dq-du">Wurschtigkeit</soCalled> in beängstigendem
<lb/>Maße. Meinetwegen ka<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> man mich durchprügeln nach allen
<lb/>Di<choice><orig>m̅</orig><reg>m</reg></choice>ensionen; ich tröste mich mit dem Gedanken, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> Prügeln auch
<lb/>schon in der Bibel vorko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t. Aus jeder Wohnung werde ich
<lb/>rausgeschmissen, da ich zu viel Unordnung mache, die Gardinen
<lb/>in 14 Tagen aus blendenstem Weiß in sonderbares Gelb verwandle
<lb/>durch entsetzliches Qualmen; auf 20 Stück habe ichs schon
<lb/>gebracht täglich. Was macht de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> eigentlich der biedere<reg>,</reg> so waschechte
<lb/><persName key="E0300236" rend="dq-du">Löwe</persName>! Er schrieb mir letzthin mal einen furchtbar moralischen
<lb/>Brief, vor dem er entschieden <choice><orig>3</orig><reg>drei</reg></choice> Tage sich aller alkoholischen
<lb/>Getränke enthielt; schrieb vom Nüchternsein etc. etc.
</p>
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Ich dachte i<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>er: <q rend="dq-du">um Gotteswillen jetzt fängt der gute <persName key="E0300236">Löwe</persName> an
<lb/>sich an Absinth zu gewöhnen,</q> so sehr pries er die Freuden der
<lb/>Nüchternheit, <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> siehe es ward nicht so. Er beschrieb mir
<lb/>die Folgen des Alkohols in so beängstigendem Maße, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> ich
<lb/>seit der Zeit nur mehr <mentioned rend="dq-du">dunkles<orig>-</orig></mentioned>Bier trinke aus Trauer
<lb/>über meine Schlechtigkeit. Nein, aber jetzt ernst
<lb/>gesprochen. Ich begreife nicht, was <persName key="E0300236">Löwe</persName> mit dieser Predigt
<lb/>wollte. Ich frage doch mal, ob de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> der Alkohol so eine
<lb/>Herrschaft über mich hat. O Gott; jeden Tag 6–8 Stunden zu
<lb/>geben; in der Frühe von <hi rend="underline">81/2–1 Uhr</hi> ohne Pause (<hi rend="underline">Weg</hi>
<lb/>höchstens)
</p></div>
4Facsimile
4Diplomatic transcription
4XML
Nachmittags von 2–7 Uhr. Wan̅ bleibt da Zeit zu „saufen.“ Abends muß ich arbeiten, den̅ zu welcher Zeit kön̅te ich den̅
meiner schriftlichen Arbeit nachgehen! Wan̅ den̅ u.
ich produziere doch gerade genug! Ich habe jeden Mittwoch
meinen Vereinsabend u. da gehe ich hin von 10–1 od. 2 Uhr.
und dabei muss ich bemerken, daß ich Cognak oder sonstige
ähnliche Getränke nie habe; wen̅ Herr Löwe also in diesem
Falle von Alkoholismus schreibt, so sage ich ihm das Eine entgegen:
„Wie kom̅t es, dass ich nicht eine Spur nervös bin?“___!
Ich habe mir unterdessen hier viel, viel Mühe gegeben, die Leute
für deine Compositionen zu interessieren. Aber es gibt eben
in Europa mehr Kaffern wie in Afrika. Wen̅ man diesen
Leuten noch so oft die Sachen vorspielt, dan̅ machen „Sie“ (den̅ solche
Leute muss man groß schreiben) noch dieselben Gesichter.
Nun hoffentlich spielst Du nächsten Winter hier im Kurhause.
Curdirektor F. Hey’l; Dein Agent soll jetzt schon die Sache
ordnen; Honorare gut. Nun leb wohl; lasse mich lasse mich balde
wieder mal ein Brief von Dir lese. lesen.
[„Tod u. Verklärung“ von R. Strauss soll jetzt auch hier wieder
mal gemacht werden.
Ich bin kein großer
Verehrer v. R. Str.]
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Nachmittags von 2–7 Uhr. Wa<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> bleibt da Zeit zu <mentioned rend="dq-du">saufen.</mentioned>
<lb/>Abends <hi rend="underline">mu<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice></hi> ich arbeiten, de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> zu welcher Zeit kö<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>te ich de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>
<lb/>meiner schriftlichen Arbeit nachgehen! Wa<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<lb/>ich produziere doch gerade genug! Ich habe jeden Mittwoch
<lb/>meinen Vereinsabend <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> da gehe ich hin von 10–1 <choice><abbr>od.</abbr><expan>oder</expan></choice> 2 Uhr.
<lb/>und dabei muss ich bemerken, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> ich <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>ognak oder sonstige
<lb/>ähnliche Getränke <hi rend="underline">nie</hi> habe; we<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> <persName key="E0300236">Herr Löwe</persName> also in diesem
<lb/>Falle von Alkoholismus schreibt, so sage ich ihm das Eine entgegen:
<lb/><q rend="dq-du">Wie ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t es, dass ich nicht eine Spur nervös bin?</q>___!
</p>
<p>
Ich habe mir unterdessen hier viel, viel Mühe gegeben, die Leute
<lb/>für deine <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>ompositionen zu interessieren. Aber es gibt eben
<lb/>in <placeName key="E0500943">Europa</placeName> mehr Kaffern wie in <placeName key="E0500945">Afrika</placeName>. We<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> man diesen
<lb/>Leuten noch so oft die Sachen vorspielt, da<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> machen <mentioned rend="dq-du">Sie</mentioned> (de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> solche
<lb/>Leute muss man <hi rend="underline">groß</hi> schreiben) noch dieselben Gesichter.
</p>
<p>
Nun hoffentlich spielst Du nächsten Winter hier im Kurhause. <!-- Kurhaus: Eintrag existiert noch nicht -->
<lb/><choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>urdirektor <persName key="E03XXXXX">F. Hey’l</persName>; Dein Agent soll <hi rend="underline">jetzt</hi> schon die Sache
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<salute>
Mit bestem Gru<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>
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Deutsche
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<lb/>Dein
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</salute>
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[<title key="E04XXXXX" rend="dq-du">Tod <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Verklärung</title> <!-- muss angelegt werden --> von <persName key="E0300022">R. Strauss</persName>
<lb/>soll jetzt auch hier wieder
<lb/>mal gemacht werden.
<lb/>Ich bin <hi rend="underline">kein</hi> großer
<lb/>Verehrer <choice><abbr>v.</abbr><expan>von</expan></choice> <persName key="E0300022">R. Str.</persName>]
</p>
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</div>
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4056+4056a | olim:
Mus.ep. M. Reger 91+91a
|
Reger ärgert sich über die Rezeption seiner Kompositionen, seine Wohnungssituation und Ferdinand Löwes Moralpredigt zu seinem Alkoholkonsum; versichert, dass es sich bei seiner Bearbeitung von BachsD-Dur-Fuge nicht um ein Plagiat handelt; hofft, dass Busoni im nächsten Winter in Wiesbaden ein Konzert gibt.
Letter by Max Reger to Ferruccio Busoni (Wiesbaden, 27 May 1896), prepared by Tilman Hinderling, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Max Reger, edited by Christian Schaper and Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, April 2025: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0102182 (April 21, 2025: todo)
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<title xml:lang="de">Brief von Max Reger an Ferruccio Busoni (Wiesbaden, 27. Mai 1896)</title>
<title xml:lang="en">Letter by Max Reger to Ferruccio Busoni (Wiesbaden, 27 May 1896)</title>
<author key="E0300097">Max Reger</author>
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<publisher>Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin</publisher>
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<title type="main">Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften</title>
<title type="genre">Briefe</title>
<title type="subseries" key="E010015">Briefwechsel Ferruccio Busoni – Max Reger</title>
<editor key="E0300314">Christian Schaper</editor>
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<handNote xml:id="major_hand" scope="major" medium="black_ink" scribe="author" scribeRef="#E0300097">Hand des Absenders Max Reger, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift</handNote><!-- oder in anderer Farbe? oder in deutscher Kurrentschrift? -->
<handNote xml:id="archive" scope="minor" medium="pencil" scribe="archivist">Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat</handNote>
<handNote xml:id="archive_red" scope="minor" medium="red_pen" scribe="archivist">Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat</handNote>
<handNote xml:id="sbb_st_red" scope="minor" medium="red_ink" scribe="archivist">Bibliotheksstempel (rote Tinte)</handNote>
<handNote xml:id="sbb_st_blue" scope="minor" medium="blue_ink" scribe="archivist">Bibliotheksstempel (blaue Tinte)</handNote>
<handNote xml:id="post" scope="minor" medium="black_ink" scribe="postoffice">Poststempel (schwarze Tinte)</handNote>
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<stamp rend="round border">
<placeName key="E0500061">Wiesbaden</placeName>
<lb/><date when-iso="1896-05-28">28.05.96</date>6-7V
<lb/>* 1 f
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</note>
<!--<note type="foliation" resp="#archive">9)</note> nicht wirklich folio-Zählung, eher Archivzählung-->
<address>
<addrLine>Herrn</addrLine>
<addrLine>B. <persName key="E0300017">F. Busoni</persName></addrLine>
<addrLine><placeName key="E0500029">Berlin</placeName> W</addrLine>
<addrLine><placeName key="E0500359">Tauenzienstr. 10</placeName></addrLine> <!-- Tatsächliche Addresse Busonis Tauentzienstr. 10a -->
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<address>
<addrLine>Ab. <persName key="E0300097">Max Reger</persName>, <placeName key="E0500061">Wiesbaden</placeName></addrLine>
<addrLine><placeName key="E05XXXXX">Richlstr. 6p</placeName></addrLine>
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50
<lb/>28/5
<lb/>IX
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Mus. Nachl. F. Busoni B II, 4056-Beil.
<del rend="strikethrough">Mus.ep.M.Reger 91</del>
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Nachlaß Busoni
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<del rend="strikethrough">B II</del>
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<origPlace key="E0500061">Wiesbaden</origPlace>;
<origDate when-iso="1896-05-27"/>
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<p>Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.</p>
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<p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit einfachen Bindestrichen.</p>
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<p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p>
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<quotation marks="none">
<p>Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut <att>rend</att> der entsprechenden Elemente codiert.</p>
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<p>Die Übertragung folgt den Editionsrichtlinien des Projekts. <ptr target="http://www.busoni-nachlass.org/E1000003"/>
</p>
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<persName ref="http://d-nb.info/gnd/18598988" key="E0300097">Reger, Max</persName>
<date when="1896-05-27"/>
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<persName ref="http://d-nb.info/gnd/118518011" key="E0300017">Busoni, Ferruccio</persName>
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<del rend="strikethrough">Mus. Ep. May Reger 91 (Busoni-Nachl. <handShift new="#archive_red" rend="stroke-red"/>B II<handShift new="#archive"/>)</del> <!-- Unterschiedliche Archivarenhände? archive_old = archive_red hinzufügen? -->
<add place="below">
Mus. Nachl. F. Busoni
<lb/>B II, 4056
</add>
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</note>
<note type="foliation" resp="#archive" place="top-right">[1]</note>
<opener>
<dateline rend="align(right) space-below">
<placeName key="E0500061">Wiesbaden</placeName><reg>, </reg>
<date when-iso="1896-05-27">27. Mai <choice><orig>96</orig><reg>1896</reg></choice></date>.
</dateline>
<salute> Bester Freund!</salute>
</opener>
<p>
Mit erstauntem Blick
<lb/>wirst Du wohl diese Zeilen betrachten – <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> mit
<lb/>noch erstaunterem Blick die Sendung von kunterbunten
<lb/>Notenköpfen, welche mit diesem Briefe an Dich abgehen.
<lb/>Es ist keine <soCalled rend="dq-du">bessere</soCalled> Welt<orig>,</orig> aus der ich schreibe – vorläufig
<lb/>fehlt auch die mir <hi rend="underline">sehr</hi> notwendige <soCalled rend="dq-du"><hi rend="underline">bessere</hi></soCalled> Hälfte –<reg>,</reg>
<lb/>sondern eben nur aus jenen Landen ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t diese
<lb/>Nachricht, wo nach der Bibel, welches Buch ich
<lb/>wegen dem<orig>,</orig> <q rend="dq-du">was schwarz auf weiß</q> dasteht lese, also
<lb/>ewige Finsternis, Heulen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Zähneklappern herrscht
<lb/>in Gestalt von bitterstem Mi<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>mut<orig>h</orig>, Satire <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<lb/>Angeeckeltsein von dem Musikpanamaskandal,
<lb/>wie er hier herrscht. Täglich 6–8 Stunden gehen im
<note type="stamp" place="bottom-center" resp="#sbb_st_blue">
<stamp>Nachlaß Busoni</stamp>
</note>
<pb n="2"/>
Klavierverstü<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>eln <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> dazu <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> dabei soll man als
<lb/>vernunftbegabtes Wesen (nach der Bibel) noch einen freien
<lb/>Ausblick haben. Die Regeln des strengen Kontrapunktes,
<lb/>welche ich bis jetzt so sehr befolgt habe, dränen sich vor
<lb/>mir auf wie allgewaltige Drachen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Einhörner<orig>,</orig> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<lb/>dabei lacht man eben das Lachen der allgemein
<lb/>bemitleideten <soCalled rend="dq-du">Geistesumnachteten</soCalled>. Nun aber genug
<lb/>von dieser Gallenseite.
</p>
<p>
Wie geht es Dir? Mit <hi rend="underline">aufrichtigster</hi> <hi rend="underline">herzlichster</hi>
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <hi rend="underline">teilnahmevollster</hi> Freude lese ich stets in unseren
<lb/>Musikzeitungen von Deinen Triumphen. Also meinen
<lb/><hi rend="underline">ebenso aufrichtigen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> herzlichen</hi> Glückwunsch dazu.
<lb/>Ich habe dich leider bis jetzt nur einmal spielen gehört –
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> das <hi rend="underline">eine</hi> weiß ich ganz genau jetzt schon<reg>,</reg> da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> Dein Name
<lb/>in der Geschichte des Klavierspiels mit eisernen Buchstaben
<lb/>eingegraben ist. Was nun Deine Kompositionen betrifft,
<lb/>so stelle ich <choice><orig>D</orig><reg>d</reg></choice>ieselben auf <hi rend="underline">dieselbe</hi> Höhe <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> ärgere mich bloß<reg>,</reg>
<lb/>dass die Klavierstücke noch nicht erschienen.
</p>
<p>
Zugleich muss ich wegen eines scheinbaren <soCalled rend="dq-du">Plagiats</soCalled>
<lb/>um Verzeihung bitten. Am <date when-iso="1896-06-01">1. Juni</date> erscheint eine Bearbeitung
<lb/>der <title><choice><orig>Ddur Fuge</orig><reg>D-Dur-Fuge</reg></choice></title> sa<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t Präludium. Augener wollte noch so
<lb/>einen <soCalled rend="dq-du">Bach</soCalled> haben; aber ich habe Dich <hi rend="underline">nicht</hi> abgeschrieben.
<pb n="3"/>
<note type="foliation" resp="archive" place="top-right">[2]</note>
Und so zürne also nicht; ich habe einige Stellen – vermessen genug –,
<lb/>ka<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> man da sagen – im entgegengesetzten Si<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>e bearbeitet.
<lb/>Im übrigen mache ich ja Deiner Ausgabe schon aus dem Grunde
<lb/>nicht im geringsten Konkurrenz, da meine ja überhaupt <hi rend="underline">nie</hi>
<lb/>beka<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>t wird, wie es mit all meinen Sachen so gehen
<lb/>wird. Mir geht es eben so, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> mir nach gerade alles egal
<lb/>wird; es ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t die sogena<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>te <soCalled rend="dq-du">Wurschtigkeit</soCalled> in beängstigendem
<lb/>Maße. Meinetwegen ka<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> man mich durchprügeln nach allen
<lb/>Di<choice><orig>m̅</orig><reg>m</reg></choice>ensionen; ich tröste mich mit dem Gedanken, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> Prügeln auch
<lb/>schon in der Bibel vorko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t. Aus jeder Wohnung werde ich
<lb/>rausgeschmissen, da ich zu viel Unordnung mache, die Gardinen
<lb/>in 14 Tagen aus blendenstem Weiß in sonderbares Gelb verwandle
<lb/>durch entsetzliches Qualmen; auf 20 Stück habe ichs schon
<lb/>gebracht täglich. Was macht de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> eigentlich der biedere<reg>,</reg> so waschechte
<lb/><persName key="E0300236" rend="dq-du">Löwe</persName>! Er schrieb mir letzthin mal einen furchtbar moralischen
<lb/>Brief, vor dem er entschieden <choice><orig>3</orig><reg>drei</reg></choice> Tage sich aller alkoholischen
<lb/>Getränke enthielt; schrieb vom Nüchternsein etc. etc.
</p>
<p>
Ich dachte i<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>er: <q rend="dq-du">um Gotteswillen jetzt fängt der gute <persName key="E0300236">Löwe</persName> an
<lb/>sich an Absinth zu gewöhnen,</q> so sehr pries er die Freuden der
<lb/>Nüchternheit, <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> siehe es ward nicht so. Er beschrieb mir
<lb/>die Folgen des Alkohols in so beängstigendem Maße, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> ich
<lb/>seit der Zeit nur mehr <mentioned rend="dq-du">dunkles<orig>-</orig></mentioned>Bier trinke aus Trauer
<lb/>über meine Schlechtigkeit. Nein, aber jetzt ernst
<lb/>gesprochen. Ich begreife nicht, was <persName key="E0300236">Löwe</persName> mit dieser Predigt
<lb/>wollte. Ich frage doch mal, ob de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> der Alkohol so eine
<lb/>Herrschaft über mich hat. O Gott; jeden Tag 6–8 Stunden zu
<lb/>geben; in der Frühe von <hi rend="underline">81/2–1 Uhr</hi> ohne Pause (<hi rend="underline">Weg</hi>
<lb/>höchstens)
<pb n="4"/>
Nachmittags von 2–7 Uhr. Wa<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> bleibt da Zeit zu <mentioned rend="dq-du">saufen.</mentioned>
<lb/>Abends <hi rend="underline">mu<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice></hi> ich arbeiten, de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> zu welcher Zeit kö<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>te ich de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>
<lb/>meiner schriftlichen Arbeit nachgehen! Wa<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<lb/>ich produziere doch gerade genug! Ich habe jeden Mittwoch
<lb/>meinen Vereinsabend <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> da gehe ich hin von 10–1 <choice><abbr>od.</abbr><expan>oder</expan></choice> 2 Uhr.
<lb/>und dabei muss ich bemerken, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> ich <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>ognak oder sonstige
<lb/>ähnliche Getränke <hi rend="underline">nie</hi> habe; we<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> <persName key="E0300236">Herr Löwe</persName> also in diesem
<lb/>Falle von Alkoholismus schreibt, so sage ich ihm das Eine entgegen:
<lb/><q rend="dq-du">Wie ko<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t es, dass ich nicht eine Spur nervös bin?</q>___!
</p>
<p>
Ich habe mir unterdessen hier viel, viel Mühe gegeben, die Leute
<lb/>für deine <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>ompositionen zu interessieren. Aber es gibt eben
<lb/>in <placeName key="E0500943">Europa</placeName> mehr Kaffern wie in <placeName key="E0500945">Afrika</placeName>. We<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> man diesen
<lb/>Leuten noch so oft die Sachen vorspielt, da<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> machen <mentioned rend="dq-du">Sie</mentioned> (de<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice> solche
<lb/>Leute muss man <hi rend="underline">groß</hi> schreiben) noch dieselben Gesichter.
</p>
<p>
Nun hoffentlich spielst Du nächsten Winter hier im Kurhause. <!-- Kurhaus: Eintrag existiert noch nicht -->
<lb/><choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>urdirektor <persName key="E03XXXXX">F. Hey’l</persName>; Dein Agent soll <hi rend="underline">jetzt</hi> schon die Sache
<lb/>ordnen; <hi rend="underline">Honorare gut</hi>. Nun leb wohl; lasse mich lasse mich balde
<lb/>wieder mal ein Brief von Dir <del rend="strikethrough">lese.</del> lesen.
</p>
<closer>
<salute>
Mit bestem Gru<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>
<note type="stamp" rend="inline" place="margin-left" resp="#sbb_st_red">
<stamp rend="round border align(center)">
Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
<lb/>Dein
<lb/><hi rend="underline">aufrichtigst ergebenster</hi>
</salute>
<signed><persName key="E0300097">Max Reger</persName></signed>
<address>
<placeName key="E0500061">Wiesbaden</placeName>
<placeName key="E05XXXXX">Richlstr. 6p</placeName>
</address>
</closer>
<postscript>
<p>
[<title key="E04XXXXX" rend="dq-du">Tod <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Verklärung</title> <!-- muss angelegt werden --> von <persName key="E0300022">R. Strauss</persName>
<lb/>soll jetzt auch hier wieder
<lb/>mal gemacht werden.
<lb/>Ich bin <hi rend="underline">kein</hi> großer
<lb/>Verehrer <choice><abbr>v.</abbr><expan>von</expan></choice> <persName key="E0300022">R. Str.</persName>]
</p>
</postscript>
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</text>
</TEI>