Max Reger to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Wiesbaden · May 27, 1896

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Mus. Ep. May Reger 91 (Busoni-Nachl. B II)
Mus. Nachl. F. Busoni
B II, 4056
[1]
Wiesbaden 27. Mai 96.

Bester Freund!

Mit erstauntem Blick
wirst Du wohl diese Zeilen betrachten – u. mit
noch erstaunterem Blick die Sendung von kunterbunten
Notenköpfen, welche mit diesem Briefe an Dich abgehen.
Es ist keine „bessere“ Welt, aus der ich schreibe – vorläufig
fehlt auch die mir sehr notwendige bessere Hälfte –
sondern eben nur aus jenen Landen kom̅t diese
Nachricht, wo nach der Bibel, welches Buch ich
wegen dem, „was schwarz auf weiß“ dasteht lese, also
ewige Finsternis, Heulen u. Zähneklappern herrscht
in Gestalt von bitterstem Mißmuth, Satire u.
Angeeckeltsein von dem Musikpanamaskandal,
wie er hier herrscht. Täglich 6–8 Stunden gehen im Nachlaß Busoni

Wiesbaden, 27. Mai 1896.

Bester Freund!

Mit erstauntem Blick wirst Du wohl diese Zeilen betrachten – und mit noch erstaunterem Blick die Sendung von kunterbunten Notenköpfen, welche mit diesem Briefe an Dich abgehen. Es ist keine „bessere“ Welt aus der ich schreibe – vorläufig fehlt auch die mir sehr notwendige bessere Hälfte –, sondern eben nur aus jenen Landen kommt diese Nachricht, wo nach der Bibel, welches Buch ich wegen dem „was schwarz auf weiß“ dasteht lese, also ewige Finsternis, Heulen und Zähneklappern herrscht in Gestalt von bitterstem Missmut, Satire und Angeeckeltsein von dem Musikpanamaskandal, wie er hier herrscht. Täglich 6–8 Stunden gehen im Klavierverstümmeln und dazu und dabei soll man als vernunftbegabtes Wesen (nach der Bibel) noch einen freien Ausblick haben. Die Regeln des strengen Kontrapunktes, welche ich bis jetzt so sehr befolgt habe, dränen sich vor mir auf wie allgewaltige Drachen und Einhörner und dabei lacht man eben das Lachen der allgemein bemitleideten „Geistesumnachteten“. Nun aber genug von dieser Gallenseite.

Wie geht es Dir? Mit aufrichtigster herzlichster und teilnahmevollster Freude lese ich stets in unseren Musikzeitungen von Deinen Triumphen. Also meinen ebenso aufrichtigen und herzlichen Glückwunsch dazu. Ich habe dich leider bis jetzt nur einmal spielen gehört – und das eine weiß ich ganz genau jetzt schon, dass Dein Name in der Geschichte des Klavierspiels mit eisernen Buchstaben eingegraben ist. Was nun Deine Kompositionen betrifft, so stelle ich dieselben auf dieselbe Höhe und ärgere mich bloß, dass die Klavierstücke noch nicht erschienen.

Zugleich muss ich wegen eines scheinbaren „Plagiats“ um Verzeihung bitten. Am 1. Juni erscheint eine Bearbeitung der D-Dur-Fuge sammt Präludium. Augener wollte noch so einen „Bach“ haben; aber ich habe Dich nicht abgeschrieben. Und so zürne also nicht; ich habe einige Stellen – vermessen genug –, kann man da sagen – im entgegengesetzten Sinne bearbeitet. Im übrigen mache ich ja Deiner Ausgabe schon aus dem Grunde nicht im geringsten Konkurrenz, da meine ja überhaupt nie bekannt wird, wie es mit all meinen Sachen so gehen wird. Mir geht es eben so, dass mir nach gerade alles egal wird; es kommt die sogenannte „Wurschtigkeit“ in beängstigendem Maße. Meinetwegen kann man mich durchprügeln nach allen Dimensionen; ich tröste mich mit dem Gedanken, dass Prügeln auch schon in der Bibel vorkommt. Aus jeder Wohnung werde ich rausgeschmissen, da ich zu viel Unordnung mache, die Gardinen in 14 Tagen aus blendenstem Weiß in sonderbares Gelb verwandle durch entsetzliches Qualmen; auf 20 Stück habe ichs schon gebracht täglich. Was macht denn eigentlich der biedere, so waschechte „Löwe“! Er schrieb mir letzthin mal einen furchtbar moralischen Brief, vor dem er entschieden drei Tage sich aller alkoholischen Getränke enthielt; schrieb vom Nüchternsein etc. etc.

Ich dachte immer: „um Gotteswillen jetzt fängt der gute Löwe an sich an Absinth zu gewöhnen,“ so sehr pries er die Freuden der Nüchternheit, und siehe es ward nicht so. Er beschrieb mir die Folgen des Alkohols in so beängstigendem Maße, dass ich seit der Zeit nur mehr „dunkles“Bier trinke aus Trauer über meine Schlechtigkeit. Nein, aber jetzt ernst gesprochen. Ich begreife nicht, was Löwe mit dieser Predigt wollte. Ich frage doch mal, ob denn der Alkohol so eine Herrschaft über mich hat. O Gott; jeden Tag 6–8 Stunden zu geben; in der Frühe von 81/2–1 Uhr ohne Pause (Weg höchstens) Nachmittags von 2–7 Uhr. Wann bleibt da Zeit zu „saufen.“ Abends muss ich arbeiten, denn zu welcher Zeit könnte ich denn meiner schriftlichen Arbeit nachgehen! Wann denn und ich produziere doch gerade genug! Ich habe jeden Mittwoch meinen Vereinsabend und da gehe ich hin von 10–1 oder 2 Uhr. und dabei muss ich bemerken, dass ich Kognak oder sonstige ähnliche Getränke nie habe; wenn Herr Löwe also in diesem Falle von Alkoholismus schreibt, so sage ich ihm das Eine entgegen: „Wie kommt es, dass ich nicht eine Spur nervös bin?“___!

Ich habe mir unterdessen hier viel, viel Mühe gegeben, die Leute für deine Kompositionen zu interessieren. Aber es gibt eben in Europa mehr Kaffern wie in Afrika. Wenn man diesen Leuten noch so oft die Sachen vorspielt, dann machen „Sie“ (denn solche Leute muss man groß schreiben) noch dieselben Gesichter.

Nun hoffentlich spielst Du nächsten Winter hier im Kurhause. Kurdirektor F. Hey’l; Dein Agent soll jetzt schon die Sache ordnen; Honorare gut. Nun leb wohl; lasse mich lasse mich balde wieder mal ein Brief von Dir lesen.

Mit bestem Gruß Dein aufrichtigst ergebenster

Max Reger

[„Tod und Verklärung“ von R. Strauss soll jetzt auch hier wieder mal gemacht werden. Ich bin kein großer Verehrer von R. Str.]

                                                                
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Klavierverstüm̅eln u. dazu u. dabei soll man als
vernunftbegabtes Wesen (nach der Bibel) noch einen freien
Ausblick haben. Die Regeln des strengen Kontrapunktes,
welche ich bis jetzt so sehr befolgt habe, dränen sich vor
mir auf wie allgewaltige Drachen u. Einhörner, u.
dabei lacht man eben das Lachen der allgemein
bemitleideten „Geistesumnachteten“. Nun aber genug
von dieser Gallenseite.

Wie geht es Dir? Mit aufrichtigster herzlichster
u. teilnahmevollster Freude lese ich stets in unseren
Musikzeitungen von Deinen Triumphen. Also meinen
ebenso aufrichtigen u. herzlichen Glückwunsch dazu.
Ich habe dich leider bis jetzt nur einmal spielen gehört –
u. das eine weiß ich ganz genau jetzt schon daß Dein Name
in der Geschichte des Klavierspiels mit eisernen Buchstaben
eingegraben ist. Was nun Deine Kompositionen betrifft,
so stelle ich Dieselben auf dieselbe Höhe u. ärgere mich bloß
dass die Klavierstücke noch nicht erschienen.

Zugleich muss ich wegen eines scheinbaren „Plagiats“
um Verzeihung bitten. Am 1. Juni erscheint eine Bearbeitung
der Ddur Fuge sam̅t Präludium. Augener wollte noch so
einen „Bach“ haben; aber ich habe Dich nicht abgeschrieben.

                                                                
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[2] Und so zürne also nicht; ich habe einige Stellen – vermessen genug –,
kan̅ man da sagen – im entgegengesetzten Sin̅e bearbeitet.
Im übrigen mache ich ja Deiner Ausgabe schon aus dem Grunde
nicht im geringsten Konkurrenz, da meine ja überhaupt nie
bekan̅t wird, wie es mit all meinen Sachen so gehen
wird. Mir geht es eben so, daß mir nach gerade alles egal
wird; es kom̅t die sogenan̅te „Wurschtigkeit“ in beängstigendem
Maße. Meinetwegen kan̅ man mich durchprügeln nach allen
Dim̅ensionen; ich tröste mich mit dem Gedanken, daß Prügeln auch
schon in der Bibel vorkom̅t. Aus jeder Wohnung werde ich
rausgeschmissen, da ich zu viel Unordnung mache, die Gardinen
in 14 Tagen aus blendenstem Weiß in sonderbares Gelb verwandle
durch entsetzliches Qualmen; auf 20 Stück habe ichs schon
gebracht täglich. Was macht den̅ eigentlich der biedere so waschechte
„Löwe“! Er schrieb mir letzthin mal einen furchtbar moralischen
Brief, vor dem er entschieden 3 Tage sich aller alkoholischen
Getränke enthielt; schrieb vom Nüchternsein etc. etc.

Ich dachte im̅er: „um Gotteswillen jetzt fängt der gute Löwe an
sich an Absinth zu gewöhnen,“
so sehr pries er die Freuden der
Nüchternheit, u. siehe es ward nicht so. Er beschrieb mir
die Folgen des Alkohols in so beängstigendem Maße, daß ich
seit der Zeit nur mehr „dunkles-“Bier trinke aus Trauer
über meine Schlechtigkeit. Nein, aber jetzt ernst
gesprochen. Ich begreife nicht, was Löwe mit dieser Predigt
wollte. Ich frage doch mal, ob den̅ der Alkohol so eine
Herrschaft über mich hat. O Gott; jeden Tag 6–8 Stunden zu
geben; in der Frühe von 81/2–1 Uhr ohne Pause (Weg
höchstens)

                                                                
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Nachmittags von 2–7 Uhr. Wan̅ bleibt da Zeit zu „saufen.“
Abends muß ich arbeiten, den̅ zu welcher Zeit kön̅te ich den̅
meiner schriftlichen Arbeit nachgehen! Wan̅ den̅ u.
ich produziere doch gerade genug! Ich habe jeden Mittwoch
meinen Vereinsabend u. da gehe ich hin von 10–1 od. 2 Uhr.
und dabei muss ich bemerken, daß ich Cognak oder sonstige
ähnliche Getränke nie habe; wen̅ Herr Löwe also in diesem
Falle von Alkoholismus schreibt, so sage ich ihm das Eine entgegen:
„Wie kom̅t es, dass ich nicht eine Spur nervös bin?“___!

Ich habe mir unterdessen hier viel, viel Mühe gegeben, die Leute
für deine Compositionen zu interessieren. Aber es gibt eben
in Europa mehr Kaffern wie in Afrika. Wen̅ man diesen
Leuten noch so oft die Sachen vorspielt, dan̅ machen „Sie“ (den̅ solche
Leute muss man groß schreiben) noch dieselben Gesichter.

Nun hoffentlich spielst Du nächsten Winter hier im Kurhause.
Curdirektor F. Hey’l; Dein Agent soll jetzt schon die Sache
ordnen; Honorare gut. Nun leb wohl; lasse mich lasse mich balde
wieder mal ein Brief von Dir lese. lesen.

Mit bestem Gruss

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Dein
aufrichtigst ergebenster

Max Reger

[„Tod u. Verklärung“ von R. Strauss
soll jetzt auch hier wieder
mal gemacht werden.
Ich bin kein großer
Verehrer v. R. Str.]

                                                                
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Wiesbaden
28.05.966-7V
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50
28/5
IX
Mus. Nachl. F. Busoni B II, 4056-Beil. Mus.ep.M.Reger 91
Nachlaß Busoni
B II
                                                                
<address xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0"> <addrLine>Ab. <persName key="E0300097">Max Reger</persName>, <placeName key="E0500061">Wiesbaden</placeName></addrLine> <addrLine><placeName key="E05XXXXX">Richlstr. 6p</placeName></addrLine> </address>
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Document

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Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4056+4056a | olim: Mus.ep. M. Reger 91+91a |

proof Kalliope

Condition
Brief und Umschlag sind gut erhalten.
Extent
2 Blatt, 4 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Max Reger, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Summary
Reger ärgert sich über die Rezeption seiner Kompositionen, seine Wohnungssituation und Ferdinand Löwes Moralpredigt zu seinem Alkoholkonsum; versichert, dass es sich bei seiner Bearbeitung von Bachs D-Dur-Fuge nicht um ein Plagiat handelt; hofft, dass Busoni im nächsten Winter in Wiesbaden ein Konzert gibt.
Incipit
Mit erstauntem Blick wirst Du wohl

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
April 21, 2025: todo (to be processed (file created by initial script))
Direct context
Preceding Following
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