Ferruccio Busoni to Hans Huber arrow_backarrow_forward

Bottmingen · September 17, 1910

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3.
Bottmingen
den 17 Sept.
1910

Hochverehrter
Herr u Meister.

Wenn Sie für Ihre Rétraite Frz.: Zurückgezogenheit.
Verstaendnis finden wollten,
so konnten Sie sich an keinen
Geeigneteren wenden als an
mich. Ich billige Ihre Zurück-
gezogenheit umso freudiger,
als sie mir die Möglichkeit
verschafft, Ihr wachsendes
Clavier Concert zu sehen,
von dem ich mir manche
Erfüllung erwarte.

Ich selbst bin voller
Verstaendnis für Ihre
Situation, da ich mich
in einer aehnlichen u.
leider gezwungeneren
befinde.

Bottmingen den 17. September 1910

Hochverehrter Herr und Meister.

Wenn Sie für Ihre Retraite Frz.: Zurückgezogenheit. Verständnis finden wollten, so konnten Sie sich an keinen Geeigneteren wenden als an mich. Ich billige Ihre Zurückgezogenheit umso freudiger, als sie mir die Möglichkeit verschafft, Ihr wachsendes Klavierkonzert zu sehen, von dem ich mir manche Erfüllung erwarte.

Ich selbst bin voller Verständnis für Ihre Situation, da ich mich in einer ähnlichen und leider gezwungeneren befinde.

Die Partitur meiner Oper ist wieder unterbrochen, und dafür habe ich an den Chopin-Stücken zu laborieren, die ich bereits seit 25 Jahren zu beherrschen glaube und doch immer wieder erobern muss. Dem Geiste ist das nun keine neu-befruchtende Nahrung, und ich gehe ernstlich mit dem Gedanken um, mein Finger- und Handwerk im Stich zu lassen. –

Das Saint-Saëns’sche Buch, das Sie mir so freundlich senden, Das Buch (vermutlich Portraits et souvenirs) erhielt Busoni mit Hubers vorigem Brief. hat mich nicht gerade ermutigt. Die Kapitel über Liszt und Rubinstein stellen einem die Zwecklosigkeit jedes weiteren Klavierspielens in grausamer Weise vor Augen. – Immerhin, ich habe genug in die Tiefen dieser kleinen Kunst blicken dürfen, um nicht an „Wunder“ zu glauben. Liszt wirkte durch den Kontrast mit seinen Vorgängern, und Saint-Saëns berichtet darüber seine „Jugend“-Eindrücke aus der Erinnerung. Rubinstein habe ich selbst gehört. – Wohin steuert nun dieses Klavierspiel? Soll aus ihm noch Weiteres werden, so brauchen wir eine neue Literatur und ein bereichertes Instrument. Während die Orgelbauer fast an jedem neuen Instrument Vervollkommnungen und neue Einrichtungen anbringen, hat sich das Klavier seit 50 Jahren nicht von der Stelle gerührt. Meine Vorschläge an Klavierbauer sind alle souverainement Frz.: selbstherrlich. abgewiesen worden. – Enfin! – Frz.: Sei’s drum.

– Ich werde mich immer unendlich freuen, Sie wiederzusehen, aber nehmen Sie keine Rücksicht, mein „altes“ Klavierspiel zu versäumen. Ich grüße Sie ebenso herzlich als hochachtend und bin Ihr

sehr ergebener

Ferruccio Busoni

Sehr leid tut es mir zu hören, dass Sie leidend sind, und da ist es Ihre Pflicht, der notwendigen Diät zu folgen. Ich wünsche, dass diese einen endgiltigen Erfolg habe, und bald.

                                                                
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Die Partitur meiner Oper
ist wieder unterbrochen u.
dafür weisshabe ich an den
Chopin Stücken zu laboriren,
die ich bereits seit 25 Jahren
zu beherrschen glaube u. doch
immer wieder erobern muß.
Dem Geiste ist das nun
keine neu=befruchtende
Nahrung u. ich gehe ernstlich
mit dem Gedanken um,
meine Finger= u. Handwerk
im Stich zu laßen. – *)↗

Sehr leid thut es mir
zu hören, dass Sie leidend
sind und da ist es Ihre
Pflicht, der nothwendigen
Diät zu folgen. Ich wünsche,
dass diese einen endgiltigen
Erfolg habe, und bald.

                                                                
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(2)

↗*) Das Saint-Saëns’sche
Buch, das Sie mir so freundlich
senden, Das Buch (vermutlich Portraits et souvenirs) erhielt Busoni mit Hubers vorigem Brief. hat mich nicht
gerade ermuthigt. Die Kapitel
über Liszt u. Rubinstein
stellen Einem die Zwecklosig-
keit jedes weiteren Clavier-
-spielens in grausamer Weise
vor Augen. – Immerhin,
ich bin zu sehrhabe genug in die
Tiefen dieser kleinen Kunst
blicken dürfen, um annoch nicht
an “Wunder” zu glauben.
Liszt wirkte durch den
Konstrast mit seinen Vor-
gängern und Saint-Saens
berichtet spricht darüber seine
„Jugend“-Eindrücke aus der
Erinnerung. aus Rubinstein
habe ich selbst gehört –
Wohin steuert nun dieses
Klavierspiel? Soll aus ihm
noch Weiteres werden, so

                                                                
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. Während die
Orgelbauer fast an jedem
neuen Instrument Vervoll-
kommnungen und neue
Einrichtungen anbringen,
hat istsich das Clavier seit 50 Jahren
nicht von der Stelle gerührt.
Meine Vorschläge an
Clavierbauer sind alle
souverainement Frz.: selbstherrlich. abge-
wiesen worden. – Enfin! – Frz.: Sei’s drum.

– Ich werde mich immer
unendlich freuen, Sie wie-
derzusehen, aber nehmen
Sie keine Rücksicht das mein
„altes“ Klavierspiel zu
versäumen. Sie Ich grüße
Sie ebenso herzlich als
hochachtend u. bin Ihr

sehr ergebener

Ferruccio Busoni

                                                                
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Provenance
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Collation
Infolge eines Verweiszeichens Busonis von der Mitte der zweiten zur dritten Seite ergibt sich eine veränderte Lesereihenfolge: 1, 2 (erster Absatz), 3, 4. Wo der zweite Absatz der zweiten Seite einzuordnen ist, lässt sich keiner entsprechenden Kennzeichnung entnehmen; vermutlich handelt es sich um eine nachträgliche Umwidmung zum Postskriptum bei regulärer Schreibreihenfolge 1, 2, 3, 4.
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat.
  • Vmtl. Hand des Archivars, der die Ziffer 3 auf dem Brief eingetragen hat.

Summary
Busoni drückt sein Verständnis für Hubers Absage zum Klavierabend aus; reflektiert über die Zukunft des Klavierspiels.
Incipit
Wenn Sie für Ihre Rétraite Verstaendnis finden wollten

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
April 27, 2017: candidate (coding checked, proofread)
Direct context
Preceding Following
Near in this edition
Previous editions
Refardt 1939, S. 6 Beaumont 1987, S. 113 f.