Ferruccio Busoni to Philipp Jarnach arrow_backarrow_forward

Zürich · June 1, 1920

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N.Mus.Nachl. 30,60
1

L J ich fürchte, Ihre liebe Frau
gestern gekränkt zu haben: in
der unharmonischen Verfassung,

in die mich das Milieu versetzt hatte,
war ich meiner Aüsserungen nicht Meister.
Ich erwarte von Ihnen mehr u. Anderes,
als Ihr gestriges Stück mir gab: Das war
der Sinn meines zu schroffen Ausspruches.
Bei Ihrem Werke glaube ich alles werth-
volle, das darin enthalten ist, erkannt
u. gebührend geschätzt zu haben; aber,
das sind Qualitäten, die ich bereits an
Ihnen längst schätze. Wer aber sind Sie?
Sie erschweren dem Hörer die Deutung
Ihres Wesens; oder Sie sind noch so sehr
in der Freude an gewissen Errungenschaften
befangen, dass Sie nicht sich selbst, sondern
Ihre Errungenschaften ausdrücken. Ich
wage, Ihnen Dies Alles darzulegen, weil ich
weiss, dass Sie bereits inzwischen unterwegs
sind zu neuen Zielen. – Ihre liebe Frau
wird mir verzeihen und Sie werden verstehen.
– Schließlich, (und dies wird Ihnen
das Endgiltige meiner Meinung offenbaren)
glaube ich, dass Sie bald einen weiteren
Horizont aufsuchen müsseten: ein
Leben soll durch Ihre Seele gehenziehen, das
Ihnen hier nicht blüht:; […] at least 2 words: illegible.

L J

ich fürchte, Ihre liebe Frau gestern gekränkt zu haben: In der unharmonischen Verfassung, in die mich das Milieu versetzt hatte, war ich meiner Äußerungen nicht Meister. Ich erwarte von Ihnen mehr und anderes, als Ihr gestriges Stück mir gab: Das war der Sinn meines zu schroffen Ausspruches. Bei Ihrem Werke glaube ich alles Wertvolle, das darin enthalten ist, erkannt und gebührend geschätzt zu haben; aber das sind Qualitäten, die ich bereits an Ihnen längst schätze. Wer aber sind Sie? Sie erschweren dem Hörer die Deutung Ihres Wesens; oder Sie sind noch so sehr in der Freude an gewissen Errungenschaften befangen, dass Sie nicht sich selbst, sondern Ihre Errungenschaften ausdrücken. Ich wage, Ihnen dies alles darzulegen, weil ich weiß, dass Sie bereits inzwischen unterwegs sind zu neuen Zielen. – Ihre liebe Frau wird mir verzeihen, und Sie werden verstehen. – Schließlich (und dies wird Ihnen das Endgiltige meiner Meinung offenbaren) glaube ich, dass Sie bald einen weiteren Horizont aufsuchen müssten: Ein Leben soll durch Ihre Seele ziehen, das Ihnen hier nicht blüht:

Schlimmer als der Zorn von tausend
Elefanten ist die Feindschaft
einer einz’gen kleinen Wanze,
die auf deinem Lager kriecht.
Musst dich ruhig beißen lassen –
das ist schlimm – noch schlimmer ist es,
wenn du sie zerdrückst: Der Missduft
quält dich dann die ganze Nacht.
Ja, das Schrecklichste auf Erden
ist der Kampf mit Ungeziefer,
dem Gestank als Waffe dient –
das Duell mit einer Wanze! Heinrich Heine, Atta Troll (Ende von Caput XI).

Ihr Sie liebender

Heinrich Heine

Zürich 1. Juni 1920
                                                                
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N.Mus.Nachl. 30,60
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Schlimmer als der Zorn von tausend
Elephanten ist die Feindschaft
einer einz’gen kleinen Wanze,
die auf Deinem Lager kriecht.
Musst Dich ruhig beissen lassen –
Das ist schlimm – noch schlimmer ist es,
wenn du sie zerdrückst: Der Misduft
quält Dich dann die ganze Nacht.
Ja, das Schrecklichste auf Erden
ist der Kampf mit Ungeziefer,
Dem Gestank als Waffe dient –
Das Duell mit einer Wanze! Heinrich Heine, Atta Troll (Ende von Caput XI).

Ihr Sie liebender

Heinrich Heine

Zürich 1. Juni 1920
                                                                
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Staats-
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Kulturbesitz
                                                                
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1 Juni 20
Preußischer
Staats-
bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
                                                                
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doneStatus: candidate XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Nachl. 30,60 |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Collation
Nur die Vorderseiten sind beschrieben.
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • unbekannte Hand, die mit Bleistift das Briefdatum ergänzt hat
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Summary
Busoni bittet seine Schroffheit nach der Uraufführung von Jarnachs Sinfonia brevis zu entschuldigen; verlangt vom Werk „Deutung Ihres Wesens“; zitiert die Strophen zum „Duell mit einer Wanze“ aus Heinrich Heines Atta Troll.
Incipit
ich fürchte, Ihre liebe Frau gestern gekränkt zu haben

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
September 21, 2021: candidate (coding checked, proofread)
Direct context
Preceding Following
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