Martin Wegelius to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Helsinki · April 16, 1900

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Mus.ep. M. Wegelius 29 (Busoni-Nachl. B II)Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5342

Helsingfors, d. 16 April 1900.

Lieber Freund Ferruccio!

Wann habe ich Dir zuletzt geschrieben?
– ich weiss nicht, aber lange ists her.
Warum? – weiss auch nicht. Äüusseres
weiss ich schon Einiges von Dir – so⸗
gar dass Du wieder Papa bist. Ich
gratulire Dirch und Deine Gerda
herzlichst dazu – gratulire aufrich⸗
tig. Du fragst vielleicht warum?
Weil ich diesen Winter Zolas “Fé⸗
condité”
gelesen und einen tiefen,
bleibenden Eindruck davon habe, ei⸗
nen Eindruck, den ich kurz so aus⸗
drücken möchte: man darf in derlei
Dingen nicht gescheidter sein wollen
als die Natur. Es freut mich aber
nicht nur desshalb, sondern auch,[1]

Helsingfors, den 16. April 1900.

Lieber Freund Ferruccio!

Wann habe ich Dir zuletzt geschrieben? – ich weiß nicht, aber lange ists her. Warum? – Weiß auch nicht. Äußeres weiß ich schon Einiges von Dir – sogar, dass Du wieder Papa bist. Ich gratuliere Dich und Deine Gerda herzlichst dazu – gratuliere aufrichtig. Du fragst vielleicht warum? Weil ich diesen Winter Zolas „Fécondité“ gelesen und einen tiefen, bleibenden Eindruck davon habe, einen Eindruck, den ich kurz so ausdrücken möchte: man darf in derlei Dingen nicht gescheiter sein wollen als die Natur. Es freut mich aber nicht nur deshalb, sondern auch, weil ich meine, dass aus solchen Ehen, wie die deinige mit Gerda, kann die Geistesaristokratie rekrutiert werden. Drittens freue ich mich darüber, weil ein Kind ein gar gebrechliches Ding ist und wie ein Hauch weggeblasen werden kann aus der Zahl der Lebenden – da sind zwei doch eine Möglichkeit mehr. Argumentum de homine – ich hatte nur eins; Resultat keins.

Meine Hand inklusive Feder gebärdet sich heute recht ungeschickt; ich habe heute meinen alten Onkel (Papa von Gerda Wendell) zum Grabe getragen und habe noch eine steife Hand davon. Der Tod ist so gewöhnlich, dass er längst trivial sein sollte; in jedem einzelnen Fall ist er’s aber nicht. Er kommt einem dann immer wenig logisch, wenig natürlich vor – das ist eben das merkwürdigste. Dieser Mann war schon 74 Jahre alt, er hätte aber noch lange leben können – wenigstens 10 Jahre noch, und gesund. Es kam aber im Sommer eine bittere Sorge (um einen ungeratenen Sohn); seitdem kränkelte er und starb am Krebs.

Wir hatten jetzt zwei gute Jahre am Institut. Alles harmonisch, solid, ruhig vorwärts gehend. Jetzt wird nu der Ekman untreu. Es ist recht fatal – wäre er wenigstens ein Jahr noch geblieben, damit die armen Schüler nicht wieder in’s Ungewisse geworfen werden. Aber, seine Frau will ihn nicht länger dalassen. Sie hat ja subjektiv ganz recht. Es hilft aber nicht: seine natürliche, richtige, selbstverständliche Position wäre hier, wo er von allen geschätzt ist, und wo er sich wohl fühlt. Urlaub auf ein Jahr – ja, sehr gern, wenn es so heißen dürfte, aber auch darauf geht er (oder wohl richtiger sie) nicht ein, denn es könnte ja gerade dann draußen was geben …

Also: wie steht’s mit deinem Jensen? Wann hast Du ihn zuletzt gehört? Hat er seitdem irgendwo Erfolg als Spieler gehabt? Glaubst Du, dass er dem Ekman als Spieler ebenbürtig ist? Der ist nämlich schon ein anderer Kerl als damals in Berlin, und Du weißt, dass die Leute hier sich nicht so leicht zufrieden geben. Was den Leuten hier an Ekman gefällt, ist der virtuose Glanz des Anschlags im Verein mit der vollkommenen Zuverlässigkeit der Technik und der verständigen, klaren musikalischen Darstellung. Sie verzeihen ihm deshalb willig und gern den Mangel an dem, was sie doch sonst sehr lieben: Temperament und Innigkeit oder Raffiniertheit – ich sage oder, weil sie da manchmal in Unklarem sind und leicht (wenigstens anfänglich) zu betrügen sind. An Tiefe der Auffassung denken sie nicht so sehr; nur wenn Du hier spielst, sind sie dessen gewärtig.

Dem Ekman hast Du gesagt, dass Jensen ein guter Musiker ist, und dass er wohl ein guter Lehrer sein würde. Ich frage deshalb nur nach seinen Eigenschaften als Spieler; dass er ein intelligenter Mensch ist, folgere ich daraus, dass Du ihn in einem Brief an mich deinen „Freund“ genannt hast.

Der Novacek bleibt, Gott sei Dank. Der ist derselbige geblieben; ich möchte ihn ein Unikum nennen, weil er als Solist, Ensemblespieler und Lehrer ebenso vorzüglich ist. Als Solist hat er riesig vorwärts marschiert (und ist freilich darin nicht mehr „derselbe“); er wird bald dein Konzert spielen.

Auch die Sissi hat sich wesentlich entwickelt; sie hat etwas von ihrer früheren Sicherheit und Keckheit wiedergewonnen und ich glaube, dass wir noch viel Freude an ihr haben werden – wenn sie selbständiger wird. Ein größeres Werk zu gestalten, vermag sie noch nicht, am wenigsten wenn ihr Mann dabei sitzt und spielt, und der kann’s erst recht nicht und wird es nie lernen. Er ist hier die weibliche Natur, und fügt sich ausgezeichnet, wenn er neben Männern, wie Ekman und Nov. sitzt. Wenn er aber mit ihr spielt und der Mann sein will – da muss ich innerlich sehr lachen, wie z. B. diesen Herbst bei der großen D-Dur Sonate von Beethoven. Sie akkompagnierte wie ein gutes Kind, und er spielte selig ins Blaue hinein. Da glaubte ich, Dein Lachen zu hören und zu sehen. Aber sie wird schon was werden noch, wenn wir Geduld haben – einen wunderschönen Anschlag hat sie, schlägt aber noch tüchtig daneben.

Jetzt, lieber guter Freund, schreibe mir sehr bald von dem Jensen! Grüße Deine liebe Gerda auf das allerherzlichste von mir und Hanna und sei selbst von uns beiden wärmstens gegrüßt durch

Deinen alten

M Wegelius

Oder hast Du einen andern Vorschlag? Wenn Du auf den Jensen hältst, so lass mich auch wissen, wo er jetzt ist. Für Deine eigne Adresse im Frühjahr und Sommer wäre ich auch sehr dankbar.
                                                                
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die Geistesaristokratie recrutirt wer⸗
den. Drittens freue ich mich dar⸗
über, weil ein Kind ein gar ge⸗
brechliches Ding ist und wie ein
Hauch weggeblasen werden kann
aus der Zahl der lebenden – da
sind zwei doch eine Möglichkeit
mehr. Argumentum de homine –
ich hatte nur eins; Resultat keins.

Meine Hand incl. Feder gebär⸗
det sich heute recht ungeschickt;
ich habe heute meinen alten
Onkel
(Papa von Gerda Wendell) zum
Grabe getragen und habe noch
eine steife Hand davon. Der Tod
ist so gewöhnlich, dass er längst
trivial sein sollte; in jedem einzel⸗
nen Fall ist er’s aber nicht. Er Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
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gisch, wenig natürlich vor – das ist
eben das merkwürdigste. Dieser Mann
wann war schon 74 Jahre alt, er
hätte aber noch lange leben können
– wenigstens 10 Jahre noch, und gesund. Es kam
aber im Sommer eine bittere Sorge
(um einen ungerathenen Sohn); seitdem
kränkelte er und starb am Krebs.

Wir hatten jetzt zwei gute
Jahre am Institut. Alles harmo⸗
nisch, solid, ruhig vorwärts gehend.
Jetzt wird nu[…] 1 char: cancelled. der Ekman untreu.
Es ist recht fatal – wäre er wenig⸗
stens ein Jahr noch geblieben, damit
die armen Schüler nicht wieder
in’s Ungewisse geworfen werden.
Aber, seine Frau will ihn nicht
länger dalassen. Sie hat ja sub⸗
jektiv ganz reh recht. Es hilft Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
[2]

                                                                
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tige, selbstverständliche Position
wäre hier, wo er von allen geschätzt
ist, und wo er sich wohl fühlt.
Urlaub auf ein Jahr – ja, sehr
gern, wenn es so heissen dürfte,
aber auch darauf geht er, (oder
wohl richtiger sie) e nicht ein, denn
es könnte ja gerade dann draussen
was geben - - -

Also: wie steht’s mit deinem
Jensen? Wann hast Du ihn zu⸗
letzt gehört? Hat er seitdem ir⸗
gendwo Erfolg als Spieler gehabt?
Glaubst Du dass er dem Ekman
als Spieler ebenbürtig ist? Der
ist nämlich schon ein anderer
Kerl als damals in Berlin, und
Du weisst dass die Leute hier sich
nicht so leicht zufrieden geben.

                                                                
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B II, 5342

Was den Leuten hier an Ekman ge⸗
fällt ist der virtuose Glanz des An⸗
schlags im Verein mit der vollkomme⸗
nen Zuverlässigkeit der Technik und
der verständigen, klaren musikali⸗
schen Darstellung. Sie verzeihen ihm
desshalb willig und gern den Mangel an dem was sie
doch sonst sehr lieben: Temperament
und Innigkeit oder Raffinirtheit
di ich sage oder, weil sie da
manchmal in Unklarem sind und
leicht (wenigstens anfänglich) zu be⸗
trügen sind. An Tiefe der Auffassung
denken sie nicht so sehr; nur
wenn Du hier spielst, sind sie des⸗
sen gewärtig.

Dem Ekman hast Du gesagt,
dass Jensen ein guter Musiker ist,
und dass er wohl ein guter Lehrer
sein würde. Ich frage desshalb[3]

                                                                
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Spieler; dass er ein intelligenter
Mensch ist, folgere ich daraus, dass
Du ihn in einem Brief an mich
deinen “Freund” genannt hast.

Der Novacek bleibt, Gott sei
Dank. Der ist derselbige geblieben;
ich möchte ihn ein Unicum nen⸗
nen, weil er sich als Solist, En⸗
semblespieler und Lehrer ebenso
vorzüglich ist. Als Solist hat er
riesig vorwärts marschirt (und ist
freilich darin nicht mehr “derselbe”);
er wird bald dein Concert spielen.

Auch die Sissi hat sich we⸗
sentlich entwickelt; sie hat Etwas
von ihrer früheren Sicherheit und
Keckheit wiedergewonnen und ich
glaube dass wir noch viel Freude
an ihr haben werden – wenn Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
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Werk zu gestalten vermag sie noch
nicht, am wenigsten wenn ihr Mann
dabei sitzt und spielt, und der
kann’s erst recht nicht und wird
es nie lernen. Er ist hier die
weibliche Natur, und fügt sich aus⸗
gezeichnet, wenn er neben Männern,
wie Ekman und Nov. sitzt. Wenn
er aber mit ihr spielt und der
Mann sein will – da muss ich
innerlich sehr lachen, wie z. B. die⸗
sen Herbst bei der grossen D dur
Sonate
von Beethoven. Sie ackompag⸗
nirte
wie ein gutes Kind, und er
spielte selig in’s blaue hinein. Da
glaubte ich Dein Lachen zu hören
und zu sehen. Aber sie wird
schon was werden noch, wenn wir Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
[4]

                                                                
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8Diplomatic transcription
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nen Anschlag hat sie, schlägt aber
noch tüchtig daneben.

Jetzt, lieber guter Freund, schrei⸗
be mir sehr bald von dem Jensen!×)
Grüsse Deine liebe Gerda auf
das allerherzlichste von mir und
Hanna und sei selbst von uns
beiden
wärmstens gegrüsst durch

Deinen alten

M Wegelius

×) Oder hast Du einen andern
Vorschlag? Wenn Du auf den Jensen
hältst, so lass mich auch wissen, wo er
jetzt ist. Für Deine eigne Adresse
im Frühjahr und Sommer wäre ich
auch sehr dankbar.
                                                                
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Document

warningStatus: unfinished XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5342 | olim: Mus.ep. M. Wegelius 29 |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
2 Bogen, 8 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Martin Wegelius, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 12345678

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