Ludwig Rubiner an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Zürich · 1. Juni 1916

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Mus. Nachl. F. Busoni B II, 4263 Mus.ep. L. Rubiner 4 (Busoni-
Nachl. B II)
[1]
Zürich, d. 1. Juni 1916.
Hadlaubstr. 11.

Lieber Herr Busoni!

Vielleicht haben Sie noch in
irgend einer dunklen Ecke eine
Erinnerung an den enthusias⸗
tischen Schriftsteller Rubiner,
der in Berlin Sie besuchen durfte.
Das bin ich. Ich sah Sie und
Ihre Frau Gemahlin schon
oft in Zürich, Rubiner verlies Berlin 1914 aufgrund des ausbrechenden Ersten Weltkrieges. Er ging ins selbstgewählte Exil nach Zürich, veröffentlichte Texte in dortigen Zeitschriften und behielt seinen Kontakt zu den „Weissen Blättern“ bei. 1918 kehrte er nach Deutschland zurück. aber ich sprach
keinen von Ihnen auf
der Strasse an, zunächst,
weil Sie mich doch nicht er⸗
kannten; und dann weil
ich der Meinung war, dass
der Krieg Sie so ausseror⸗
dentlich betrübte, dass am

Zürich, den 1. Juni 1916. Hadlaubstr. 11.

Lieber Herr Busoni!

Vielleicht haben Sie noch in irgendeiner dunklen Ecke eine Erinnerung an den enthusiastischen Schriftsteller Rubiner, der in Berlin Sie besuchen durfte. Das bin ich. Ich sah Sie und Ihre Frau Gemahlin schon oft in Zürich, Rubiner verlies Berlin 1914 aufgrund des ausbrechenden Ersten Weltkrieges. Er ging ins selbstgewählte Exil nach Zürich, veröffentlichte Texte in dortigen Zeitschriften und behielt seinen Kontakt zu den „Weißen Blättern“ bei. 1918 kehrte er nach Deutschland zurück. aber ich sprach keinen von Ihnen auf der Straße an, zunächst, weil Sie mich doch nicht erkannten; und dann, weil ich der Meinung war, dass der Krieg Sie so außerordentlich betrübte, dass am Ende auch nur die Erwartung eines eventuellen Kriegsgespräches Ihnen unangenehm gewesen wäre.

Aber hier schicke ich Ihnen eine – leider verspätete – Geburtstagsgratulation. Sie steht in den „Weißen Blättern“ (die René Schickele herausgibt), sie stammt aus meiner Feder, und sie heißt „Tröster“. Der Tröster nämlich sind Sie in diesem Krieg für viele Menschen.

Denn da ich doch, vor Jahren, einmal in einem entscheidenden Punkte meines Privatlebens begonnen hatte, in Zeitschriften von Ihnen zu schreiben, Vgl. Rubiner 1910sowie Rubiners Brief vom 15.1.1910. so wollte ich es in einem entscheidenden Punkte des Weltlebens, jetzt im Kriege, erst recht tun.

Und wenn ich Ihnen ein klein wenig Freude mit meinen Zeilen in dieser grauenhaften Zeit gemacht habe, dann will ich mich für einen anständigen Menschen halten!

Mit den ergebensten Grüßen

Ihr Ludwig Rubiner.

                                                                
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tung eines eventuellen Kriegs⸗
gespräches Ihnen unangenehm
gewesen wäre.

Aber hier schicke ich Ihnen
eine – leider verspätete – Ge⸗
burtstagsgratulation. Sie
steht in den „Weissen Blättern“,
(die René Schickele herausgiebt,),
sie stammt aus meiner
Feder, und sie heißt „Tröster“.
Der Tröster nämlich sind Sie
in diesem Krieg für viele Menschen.

Denn da ich doch, vor Jahren,
einmal in einem entscheidenden
Punkte meines Privatlebens

                                                                
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[2] begonnen hatte, in Zeitschrif⸗
ten von Ihnen zu schreiben, Vgl. Rubiner 1910sowie Rubiners Brief vom 15.1.1910.
so wollte ich es in einem
entscheidenden Punkte des
Weltlebens, jetzt im Kriege,
erst recht tun.

Und wenn ich Ihnen ein
klein wenig Freude mit
meinen Zeilen in dieser
grauenhaften Zeit gemacht
habe, dann will ich mich
für einen anständigen Menschen
halten!

Mit den ergebensten Grüssen

Ihr
Ludwig Rubiner.

                                                                
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Berlin
                                                                
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Zürich 3
9–10
1 · VI
1916
Fil. Bahnhof
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Zürich 1
–1. VI. 16.–11
Briefträger II
Nachlaß Busoni B II
Mus.ep. L. Rubiner 4

Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4263-Beil.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4263 | olim: Mus.ep. L. Rubiner 4 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Brief und Umschlag sind gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 3 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ludwig Rubiner, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat.
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Zusammenfassung
Rubiner nimmt den Kontakt wieder auf, erinnert an ein Treffen in Berlin; übersendet seinen Busoni-Aufsatz Tröster.
Incipit
Vielleicht haben Sie noch in irgendeiner dunklen Ecke

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
8. März 2018: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition