Ludwig Rubiner an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Spiez · 27. August 1918

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Mus.ep. L. Rubiner 27 (Busoni-Nachl. B II)
[1] Spiez Dienstag, 27. August 1918
Mus.Nach. F. Busoni B II, 4286

Lieber Herr Busoni!

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Heute Ihren lieben Brief erhalten.
Ich würde im höchsten Grade
Bedenken tragen, Wesen wie
Goethe oder Dante Künstler
zu nennen. Denn bei solchen
Charakteren ist die Kunst
die selbstverständliche Voraus-
setzung, so selbstverständlich wie
für den Redner Grammatik,
Vokabular und Volubilität seiner Sprache – d.h. Vorbedin-
=gung. Bei solchen grossen
Charakteren, die man doch
wohl Schöpfer – oder ähnlich –
nennen würde, braucht man
eher nicht mehr über ihre

Spiez Dienstag, 27. August 1918

Lieber Herr Busoni!

Heute Ihren lieben Brief erhalten. Ich würde im höchsten Grade Bedenken tragen, Wesen wie Goethe oder Dante Künstler zu nennen. Denn bei solchen Charakteren ist die Kunst die selbstverständliche Voraussetzung, so selbstverständlich wie für den Redner Grammatik, Vokabular und Volubilität seiner Sprache – d.h. Vorbedingung. Bei solchen grossen Charakteren, die man doch wohl Schöpfer – oder ähnlich – nennen würde, braucht man eher nicht mehr über ihre Gestaltungsfähigkeit zu diskutieren, weil die Gestaltung von Ideen eine Arbeit(!) ist, der sie sich wesentlich u. von (anderen) vornerein? immerwährend und unmerkbar unterziehen. Sondern man kann schon wieder mit ihnen über das Niveau, das Zutreffende und das Umfassende ihrer Ideen in Beziehung treten.

Dagegen ist der Künstler

(im aller, allerbesten Fall) ein Wesen, das glücklich ist, wenn es zufällig auch sogar einige Ideen erschafft, das aber gar nicht in seinen Ideen lebt, sich nicht mit ihnen identifiziert, ihnen nichts opfert, nichts für sie tut, und sie bloss als – ach endlich! – gefundenes Thema benutzt; ein Wesen, dem es immer lediglich auf die Frage der Gestaltung selbst ankommt, das den Schwung begrüsst, unabhängig davon, wohin er schwingt. Mit einem Wort: der Gestaltungsquatscher. Ein äusserst hochstehendes Beispiel: Hölderlin. Unglaublich liebenswerte (aber dennoch in Wahrheit lächerliche Typen): Victor Hugo u. Verdi.

so dass also für mich der Begriff Künstler ein Schanden-Name ist. Ich habe das die Jahre hindurch; immer wieder geschrieben und gedruckt. Und die besten meiner Generation wissen es heute auch.

wohlmeinender Tendenz etc. hat die ganze Frage nichts zu tun, auch das Schöpferische nicht. Sondern nur damit: Arbeitest du nur, um zu reden, gewissermassen als liebenswerte Gebensäusserung? Oder arbeitest du, um die wirklichen grossen Geheimnisse der Welt in Formen, die Menschen-Sinnen zugänglich sind, zu gestalten? Den zweiten Fall nenne ich einen Schöpfer.

Damit es nicht bei der blassen Terminologie bleibe, so zitiere ich einen der allerherrlichsten Sprüche Goethes. (Als ich Schüler war, zitierten meine Oberlehrer mit feierlichem Fettkinn Goethe; als ich Student war meine betrügerischesten Commilitonen. Goethe war um jene Zeit „die grosse Mode“. Die flachsten aller Universitätsprofessoren hielten Vorlesungen über Goethe; die carrieresüchtigsten. beriefen sich auf ihn. Und mit einer genug neuen Ausnahme – der höchstbedeutenden Bücher von Gundolf – gehören gerade die Goethebiographien und Goetheschriften zur allererbärmlichsten und schmalzigsten Literatur. Wenn also ich mich aufraffe, Goethe zu nennen oder gar zu zitieren, dann muss sein Wort schon ganz besonderes tief in mein Leben hineingeklungen sein!)

Aber dieser westöstliche Goethe überhebt mich jeder weiteren Diskursive. Er sagt alles, was man tun muss: Sei’s Ergreifen, sei es Raffen, wenn nur sich fasst und hält: Allah Allah ist das arabische Wort für Gott. braucht nicht mehr zu schaffen Wir erschaffen seine Welt Dies ist wahrhaft wunderbar. Auch die Ablehnung der Natur (Allah braucht nicht mehr zu schaffen), und die letzte Zeile, die ausdrückt, dass der Schaffende durch sein Schaffen nach dem höchsten Sinn des Weltgeschehens hilft! Also unfatalistisch! Wollend und tuend! – Wie schön!!! Dagegen ist ja der Romantiker der typische Künstler. Der Ausdruck l’art pour l’art ist viel Französischer Ausdruck für Kunst für die Kunst. Gemeint ist hier das künstlerische Schaffen, im negativem Sinne, welches ohne Hintergedanken und ohne einen bestimmten Zweck entsteht. Somit kann die Kunst sich nie auf eine neue höhere Ebene weiterentwickeln. zu naiv, denn es kommt ihm auch nicht einmal auf den Kreis der Kunst an (viel weniger noch auf den Weltkreis wie einem Schöpfer) sondern nur auf seine spezifische Arbeit, auf sein spezifisches Werke. Daher ist also das, was er macht, immer nur feinere, vielleicht sogar beste, Unterhaltung.

Eine Erfahrung ist aber, dass bei jedem grossen Schöpfertum jene Atmosphäre der bloßen Grammatik des Schaffens, aber Kunst, sich ausbreitet. Das also bei der Arbeit an grossen Werken gewissermassen Kunst-Abfälle und =Spähne umherfliegen. Eine solche Atmosphäre herrscht bei Ihnen, wie es auch ganz natürlich ist. Schwache Köpfe treten ein, und halten diese Atmosphäre schon für das Letzte und Erzielenswerte, weil sie diese Luft nicht erst selbst sich bereifen meinen, sondern sie schon vorfinden u. von ihr ernährt werden. In diesem Sinne ist Goetzens Novelle in Ihrem Zimmer entstanden. Ich habe aber auch Eichendorf noch falsch genannnt. Sie stammt von Fouqué ab, das ist es, und sie ist eine reine Künstlerproduktion. Ihres Inhaltes wegen wird die Novelle auch wohl nicht bekannt werden, denn ich finde sie hat keinen. Sondern ihrer unterhaltendenden hemmungslosen Phantastik auf dem Niveau des sauberen gehaltenen lit. Familienblattes. Ersatz für einen guten Reiseroman. Alles andere ist in Goetz mediumistisch, d.h. unbewusst eingeströmt, was ich auch kenne, aber nicht billige. Sehr dagegen billigt es das Publikum. Vielleicht gelingt es einen vermögenden Mann zu finden, der bis zur Fertigstellung Goetzen das nackte Leben schenkt. – Ach, aber Welten trennen mich. – Dieser ganze Brief eigentlich nur geschrieben wegen der schönen Goetheschen Verse, und um Sie zu umarmen!

                                                                
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Gestaltungsfähigkeit zu disku-
tieren, weil die Gestaltung von
Ideen eine Arbeit(!) ist, der
sie sich wesentlich u. von (anderen) vornerein?
immerwährend und unmerkbar
unterziehen. Sondern man kann
schon wieder mit ihnen über
das Niveau, das Zutreffende und das Umfassende ihrer
Ideen in Beziehung treten.

Dagegen ist der Künstler

(im aller, allerbesten Fall) ein
Wesen, das glücklich ist, wenn
es zufällig auch sogar einige
Ideen erschafft, das aber
gar nicht in seinen Ideen
lebt, sich nicht mit ihnen
identifiziert, ihnen nichts
opfert, nichts für sie tut, und
sie bloss als – ach endlich! –
gefundenes Thema benutzt;

                                                                
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ein Wesen, dem es immer
lediglich auf die Frage der
Gestaltung selbst ankommt,
das den Schwung begrüsst,
unabhängig davon, wohin er
schwingt. Mit einem Wort:
der Gestaltungsquatscher. Ein
äusserst hochstehendes Beispiel:
Hölderlin. Unglaublich liebens-
=werte (aber dennoch in Wahr-
=heit lächerliche Typen): Victor
Hugo
u. Verdi.

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

so dass also für mich der Begriff
Künstler ein Schanden-Name
ist. Ich habe das die Jahre
hindurch; immer wieder geschrieben
und gedruckt. Und die besten
meiner Generation wissen es heute
auch.

wohlmeinender Tendenz
etc. hat die ganze Frage nichts zu
tun, auch das Schöpferische nicht.
Sondern nur damit: Arbeitest

                                                                
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du nur, um zu reden, gewisser-
=massen als liebenswerte Gebens-
=äusserung? Oder arbeitest du,
um die wirklichen grossen
Geheimnisse der Welt in
Formen, die Menschen-Sinnen
zugänglich sind, zu gestalten?
Den zweiten Fall nenne ich einen
Schöpfer.

Damit es nicht bei der blassen
Terminologie bleibe, so zitiere
ich einen der allerherrlichsten
Sprüche Goethes. (Als ich Schüler
war, zitierten meine Oberlehrer
mit feierlichem Fettkinn Goethe;
als ich Student war meine
betrügerischesten Commilitonen.
Goethe war um jene Zeit „die
grosse Mode“
. Die flachsten
aller Universitätsprofessoren
hielten Vorlesungen über Goe
Goethe; die carrieresüchtigsten.
beriefen sich auf ihn. Und

                                                                
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mit einer genug neuen Ausnahme
– der höchstbedeutenden
Bücher von Gundolf – gehören
gerade die Goethebiographien und Goetheschriften zur aller-
erbärmlichsten und schmalzigsten
Literatur. Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Wenn also ich mich aufraffe,
Goethe zu nennen oder gar
zu zitieren, dann muss sein
Wort schon ganz besonderes
tief in mein Leben hineingeklungen
sein!)

Aber dieser westöstliche Goethe
überhebt mich jeder weiteren
Diskursive. Er sagt alles,
was man tun muss:
Sei’s Ergreifen, sei es Raffen,
wenn nur sich fasst und hält:
Allah Allah ist das arabische Wort für Gott. braucht nicht mehr zu
schaffen
Wir erschaffen seine Welt

                                                                
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Dies ist wahrhaft wunderbar.
Auch die Ablehnung der Natur
(Allah braucht nicht mehr zu
schaffen), und die letzte Zeile,
die ausdrückt, dass der Schaffende
durch sein Schaffen nach dem
höchsten Sinn des Weltgeschehens
hiel hilft! Also unfatalistisch!
Wollend und tuend! – Wie schön!!!
Dagegen ist ja der
Romantiker der typische
Künstler. Der Ausdruck
l’art pour l’art ist viel Französischer Ausdruck für Kunst für die Kunst. Gemeint ist hier das künstlerische Schaffen, im negativem Sinne, welches ohne Hintergedanken und ohne einen bestimmten Zweck entsteht. Somit kann die Kunst sich nie auf eine neue höhere Ebene weiterentwickeln.
zu naiv, denn es kommt
ihm auch nicht einmal auf
den Kreis der Kunst an
(viel weniger noch auf den
Weltkreis wie einem Schöpfer)
sondern nur auf seine spezi-
=fische Arbeit, auf sein spezifi-
=sches Werke. Daher ist also

                                                                
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das, was er macht, immer nur
feinere, vielleicht sogar beste,
Unterhaltung.

Eine Erfahrung ist aber, dass
bei jedem grossen Schöpfer-
=tum jene blosse Atmosphäre
der blossen Grammatik des
Schaffens, aber Kunst, sich aus-
=breitet. Das also bei der Arbeit
an grossen Werken gewisser-
=massen Kunst-Abfälle und
=Spähne umherfliegen.
Eine solche Atmosphäre
herrscht bei Ihnen, wie es
auch ganz natürlich ist.
Schwache Köpfe treten ein,
und halten diese Atmosphäre
schon für das Letzte und Er-
=zielenswerte, weil sie diese
Luft nicht erst selbst sich

                                                                
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bereifen meinen, sondern sie schon
vorfinden u. von ihr ernährt werden.
In diesem Sinne ist Goetzens
Novelle in Ihrem Zimmer ent-
standen. Ich habe aber auch
Eichendorf noch falsch genannnt.
Sie stammt von Fouqué ab,
das ist es, und sie ist eine
reine Künstlerproduktion. Ihres
Inhaltes wegen wird die Novelle
auch wohl nicht bekannt werden,
denn ich finde sie hat keinen.
Sondern ihrer unterhaltendenden
hemmungslosen Phantastik auf
dem Niveau des sauberen gehaltenen
Flit. Familienblattes. Ersatz
für einen guten Reiseroman.
Alles andere ist vonin Goetz medi-
=umistisch, d.h. unbewusst eingeströmt,
was ich auch kenne, aber nicht
billige. Sehr dagegen billigt es das
Publikum. Vielleicht gelingt es
einen vermögenden Mann zu finden,
der bis zur Fertigstellung Goetzen das
nackte Leben schenkt. – Ach, aber
Welten trennen mich. – Dieser ganze
Brief eigentlich nur geschrieben wegen
der schönen Goetheschen Verse, und um
Sie zu umarmen!

                                                                
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Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4286-Berl.
Nachlaß Busoni B II
Mus. ep. L. Rubiner 27
Zürich 27.VIII.18.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
27. aug 1918
                                                                <note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="shelfmark" place="top-center" resp="#archive_sig">
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4286 | olim: Mus.ep. L. Rubiner 27 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
2 Bogen, 8 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders LudwigRubiner, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischerSchreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mitBleistift eingetragen und eine Foliierung vorgenommenhat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalbdes Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234567891011

Zusammenfassung
Ludwig Rubiner kritisiert in seinem Brief an Busoni die Romantik und ihre Anhänger und vergleicht die Novelle mit einem literarischen Familienblatt. Er versucht einen Unterschied zwischen Künstler und Schöpfer darzustellen, wobei er dem Begriff des Künstlers einen negativen Beigeschmack gibt.
Incipit
Heute Ihren lieben Brief erhalten.

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
12. Februar 2018: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition