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Diplomatische Umschrift
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Mus.ep. K. Weill 8 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5366
Deutsche
Staats- bibliothek
*
Berlin *
Lieber Meister,
tausend Dank für Ihren Brief,
der mich hier erreichte. Ich
bin sehr froh, von authentischster
Seite Ihr Wohlbefinden bestätigt
zu hören, denn es hatte mich
etwas bedrückt, nicht zu wissen,
wie es Ihnen geht. Hoffendlich hat
der Himmel nun ein Einsehen
u. schickt Ihnen die Wärme, die
wohl das letzte ist, was an Ih- rer völligen Gesundung noch fehlt.
Auch die Freudennachricht von
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Lieber Meister,
tausend Dank für Ihren Brief,
der mich hier erreichte. Ich
bin sehr froh, von authentischster
Seite Ihr Wohlbefinden bestätigt
zu hören, denn es hatte mich
etwas bedrückt, nicht zu wissen,
wie es Ihnen geht. Hoffentlich hat
der Himmel nun ein Einsehen
und schickt Ihnen die Wärme, die
wohl das Letzte ist, was an Ihrer völligen Gesundung noch fehlt.
Auch die Freudennachricht von
der Brautwahl war geeignet, meinen Florentiner Aufenthalt in ein
rosiges Licht zu tauchen, was ja
eigentlich Aufgabe der Sonne sein
müsste. Die versteckt sich aber vor
mir, seit ich 2000 m von ihr abgerückt bin; sollte das eine Rache
sein? Gestern hat es den ganzen
Tag geregnet und heut war eine
richtige Berliner Kälte, und wenn
Lello noch nicht abgereist ist,
rate ich ihm, noch ein paar Wochen zu warten.
Ich bin aber ganz froh, dass ich
durch diese Temperatur auf einen
Teil des Eindrucks, auf den Florentiner Himmel, verzichten muss,
denn noch das, was bleibt, ist
fast zu viel. Welches unfassbare
Glück, an der Brüstung des
Arno lehnen zu dürfen, an demselben Stein, den Dantes Hand
berührt hat! Das ist das Erschütternde an dieser Stadt:
es ist alles geblieben, wie es
zu Zeit ihrer Schöpfer war,
man muss nicht historisch denken, um Schönheiten zu erfassen
sondern alles lebt; man braucht
nur eine Hand von Cellinis
Perseus zu berühren – so spürt man
ein Pulsen, ein Regen, ein Sprechen
– und Jahrhunderte sinken in die
Fluten des Arno. An der Mauer
des Palazzo vecchio befindet sich
ein Gitterfenster, hinter dem
die Medici das Urteil des Volkes
über seine neusten Geschenke belauschten: hier ist der Sinn
all des Unbegreiflichen. Dieses
Volk konnte nicht leben ohne
Schönheit, so schuf es sich
die Männer, die ihnen jene Umgebung schaffen konnten, welche
ihre einzige Existenzbedingung
war. Das allein vermag eine solche
Fülle monumentaler Erscheinungen
zu erklären, wie diese Stadt im
Jahre 1500 sie aufzuweisen hatte.
—
Vor wenigen Jahren erst wurde
mir — durch Ihr Spiel und Ihre
Worte — Mozart zum Erlebnis. In
diesen Tagen bildet sich eine neue
Offenbarung heraus: die italienische Renaissance, und Raffaello als
Gegenpol zu Mozart. Die Madonna
Granduca versetzt mich in dieselben Wonneschauer wie ein Lied
von Schubert, und dieselbe Empfindung bewegt mich bei Murillos
bambino wie bei den geharnischten Männern.
Aus Mozarts Zauberflöte.
Es gibt nur eine
Kunst, und man spürt es körperlich, wenn sie in Erscheinung
tritt.
Dieses Reisen für sich allein ist
ein Genuss eigener Art. Man erlebt ungemein intensiv, man ist aufnahmefähig, ohne sensationslüstern zu werden, u. man sieht
Dinge, die manchem verborgen blei-
ben. Mit Felice Boghen habe ich
einen lustigen Abend verlebt.
Wir waren in einer italienischen
Kneipe – ich glaube, sie hiess
la bucollo –, es gab einen gött-
lichen Chianti; wir tranken auf
Ihre Gesundheit, auf Ihre Kunst,
auf Ihre Menschlichkeit –ach es
gab so viele Seiten Ihres Wesens,
auf die man anstossen musste,
dass ich in vollständig betrunke-
nem Zustande am Arno landete
und den ängstlich verborgenen
Mond mit einem Sonett über die
Schönheit des Lebens apostrophierte.
Meister, kommen Sie nach Italien,
hier finden Sie vieles, was Sie ver-
missen, es ist ruhig, die Men-
schen quälen sich weder selbst noch
gegenseitig, u. der Wein -----
Dann traf ich Frau Goth, die sich
sofort als Zeitung erwies, indem sie
berichtete, dass meine Orchesterstücke
aus der „Zaubernacht“ in Prag aufgeführt
werden; sollte das wahr sein? Es wäre
herrlich, aber ich bin nicht gewöhnt,
dass solche Freudenbotschaften sich bestä-
tigen. – Morgen abend fahre ich
nach Rom, wo ich bis Ende der Wo-
che poste restante zu erreichen bin.
Alle guten Wünsche! Stets Ihr Weill.
N.B. Ich werde nicht nach
Napoli gehen; es ist zu früh
in der Jahreszeit u. mein Geld
geht zur Neige. Vielleicht gehe
ich von Ancona per Schiff nach
Venedig, von dort nach Wien.
Nochmals viel Liebes für Sie
u. alle, die gut zu Ihnen
sind. Ihr K. W.
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der Brautwahl war geeignet, mei- nen Florentiner Aufenthalt in ein
rosiges Licht zu tauchen, was ja
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müsste. Die versteckt sich aber vor
mir, seit ich 2000 m von ihr ab- gerückt bin; sollte das eine Rache
sein? Gestern hat es den ganzen
Tag geregnet u. heut war eine
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durch diese Temperatur auf einen
Teil des Eindrucks, auf den Flo- rentiner Himmel, verzichten muss,
denn noch das, was bleibt, ist
fast zu viel. Welches unfassbare
Glück, an der Brüstung des
Arno lehnen zu dürfen, an dem- selben Stein, den Dantes Hand
berührt hat! Das ist das er- schütternden an dieser Stadt:
es ist alles geblieben, wie es
zu Zeit ihrer Schöpfer war,
man muss nicht historisch den- ken, um Schönheiten zu erfassen[2]
B II, 5366
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Staats- bibliothek
*
Berlin *
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sondern alles lebt; man braucht
nur eine Hand von Cellinis
Perseus zu berühren – so spürt man
ein Pulsen, ein Regen, ein Sprechen,
– u. Jahrhunderte sinken in die
Fluten des Arno. An der Mauer
des Palazzo vecchio befindet sich
ein Gitterfenster, hinter dem
die Medici das Urteil des Volkes
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B II, 5366
Schönheit, so schuf es sich
die Männer, die ihnen jene Um- gebung schaffen konnten, welche
ihre einzige Existenzbedingung
war. Das allein vermag eine solche
Fülle monumentaler Erscheinungen
zu erklären, wie diese Stadt im
Jahre 1500 sie aufzuweisen hatte.
—
Vor wenigen Jahren erst wurde
mir — durch Ihr Spiel u. Ihre
Worte — Mozart zum Erlebnis. In
diesen Tagen bildet sich eine neue
Offenbarung heraus: die italieni- sche Renaissance, u. Raffaello als
Deutsche
Staats- bibliothek
*
Berlin *
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Gegenpol zu Mozart. Die Madonna
Granduca versetzt mich in diesel- ben Wonneschauer wie ein Lied
von Schubert, u. dieselbe Empfin- dung bewegt mich bei Murillos
bambino wie bei den geharnischten Männern.
Aus Mozarts Zauberflöte.
Es gibt nur eine
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lüstern zu werden, u. man sieht
Dinge, die manchem verborgen blei-
ben. Mit Felice Boghen habe ich
einen lustigen Abend verlebt.
Wir waren in einer italienischen
Kneipe – ich glaube, sie hiess
la bucollo –, es gab einen gött-
lichen Chianti; wir tranken auf
Ihre Gesundheit, auf Ihre Kunst,
auf Ihre Menschlichkeit –ach es
gab so viele Seiten Ihres Wesens,
auf die man anstossen musste,
dass ich in vollständig betrunke-
nem Zustande am Arno landete
und den ängstlich verborgenen
[4]
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lüstern zu werden, u. man sieht
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<lb/>la bucollo –, es gab einen gött-
<lb/>lichen Chianti; wir tranken auf
<lb/>Ihre Gesundheit, auf Ihre Kunst,
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<lb/>gab so viele Seiten Ihres Wesens,
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Mond mit einem Sonett über die
Schönheit des Lebens apostrophierte.
Meister, kommen Sie nach Italien,
hier finden Sie vieles, was Sie ver-
missen, es ist ruhig, die Men-
schen quälen sich weder selbst noch
gegenseitig, u. der Wein -----
Dann traf ich Frau Goth, die sich
sofort als Zeitung erwies, indem sie
berichtete, dass meine Orchesterstücke
aus der „Zaubernacht“ in Prag aufgeführt
werden; sollte das wahr sein? Es wäre
herrlich, aber ich bin nicht gewöhnt,
dass solche Freudenbotschaften sich bestä-
tigen. – Morgen abend fahre ich
nach Rom, wo ich bis Ende der Wo-
che poste restante zu erreichen bin.
Alle guten Wünsche! Stets Ihr Weill.
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N.B. Ich werde nicht nach
Napoli gehen; es ist zu früh
in der Jahreszeit u. mein Geld
geht zur Neige. Vielleicht gehe
ich von Ancona per Schiff nach
Venedig, von dort nach Wien.
Nochmals viel Liebes für Sie
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sind. Ihr K. W.
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[Rückseite von Blatt 4 (Textseite 7)]
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