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Mus. ep. F. Busoni 757 (Busoni Nachl. BI) Mus. Nachl. F. Busoni B I, 905
[1]
Verehrte Freundin,
liebe Frau Jella,
Es war ein mühseliger Winter, der
bis in den Juni herein reichte! Erst
seit gestern hat sich das Wetter
für den Sommer entschieden, dem
man nicht recht traut. -Dieser
ist aber der Vollendung meiner
sich lang hinziehenden Konvaleszenz
meint hier Genesung/Heilung
unentbehrlich; von ihm erhoffen
wir die Heilung. -(dem Kranken,
dann Genesenden erscheint das alles
von einziger Wichtigkeit: seinen
Zuhörern kann es leicht lang-
weilig werden.)- Immerhin: im
Februar konnte ich wieder arbeiten,
dieser Zustand schien endgiltig;–
allein eine neue Unterbrechung stellt
sich seit einem Monate wieder ein.
Nun sollte die Sonne wirken!~
In dem tiefsten Momente
meiner Erkrankung beschäftigte
ich mich vorzugsweise mit Büchern:
Sei iches, dass ich welche las; sei es, dass
ich sie sammelte und ordnete.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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Verehrte Freundin,
liebe Frau Jella,
Es war ein mühseliger Winter, der
bis in den Juni herein reichte! Erst
seit gestern hat sich das Wetter
für den Sommer entschieden, dem
man nicht recht traut. -Dieser
ist aber der Vollendung meiner
sich lang hinziehenden Konvaleszenz
meint hier Genesung/Heilung
unentbehrlich; von ihm erhoffen
wir die Heilung. -(dem Kranken,
dann Genesenden, erscheint das alles
von einziger Wichtigkeit: seinen
Zuhörern kann es leicht lang-weilig werden.)- Immerhin: im
Februar konnte ich wieder arbeiten,
dieser Zustand schien endgültig;–
allein eine neue Unterbrechung stellt
sich seit einem Monate wieder ein.
Nun sollte die Sonne wirken!
In dem tiefsten Momente
meiner Erkrankung beschäftigte
ich mich vorzugsweise mit Büchern:
Sei es, dass ich welche las; sei es, dass
ich sie sammelte und ordnete.
Ich habe dadurch meine Bibliothek
einigermaßen kennengelernt. Eine
Solche ist nur schön, wenn sie lebt.
Bücher werden erworben, getauscht,
ausgekartet, wandern zum Buchbinder;
werden umgestapelt, die Lücken aus-gefüllt, die Gruppen ergänzt.
Eine solche Sammlung betrachte ich
als ein großes Nachschlagewerk;
die Bände werden herausgegriffen,
wenn man einer Information
bedarf: Zur Illustrierung einer
Behauptung, zur Erläuterung eines
Gesprächs, zur Hilfe für eine Arbeit.
Meine Kollektion entspricht genügend
meinen Bedürfnissen –(sie umfasst
jetzt gegen 5000 Bände)-, doch
ist immer Etwas nachzuholen und
jeder gute Zufall, der Sie bereichert,
ist willkommen. – Leider sind die
ausländischen Bücher hier verschwunden.
Doch London und Paris, mit denen ich
bibliophile Beziehungen unterhalte,
versorgen mich; und viele gute
Freunde, die um mein Steckenpferd
wissen, beschicken mich oft ungefragt.
Ich wurde, gezwungenermaßen,
einsiedlerisch und habe doch einen
starken Drang zum Leben, zum
Mitleben, zum Mitwirken. Meine
Situation ist (in der Meinung der
Leute) gerade heute derart, ich
mit weniger Mühe mehr ausrichten
könnte. –Ich vertraue, dass mir
eine so gestaltete, fördernde
Tätigkeit, noch vergönnt werde.
Las letzthin von Hofmannsthal
ein dramatisches Fragment, dass
mir bedeutsam schien: eine Art
legendarische Kasper Hauser-geschichte.
Busoni bezieht sich hier vermutlich auf das Werk
Der Turm.
- Der neue Band von
Aus den nachfolgenden Briefen geht hervor, dass
Wassermanns
Ulrike Woytich gemeint ist.
Wassermann hat offenbar „unsere“
Molly Filtsch zur Heldin: gestern
Abend enthüllte sich mir diese
Tatsache. - Es ist „Wahrheit“ und
„Dichtung“ zusammengegossen;
nun bin ich neugierig, wieweit
von der mir bekannten Wahrheit,
(deren Zeuge ich in Einigen gewesen)
mir in dem Bande begegnen wird.
Molly Filtsch war Gesellschafterin von
Sophie v. Todesco; vgl. Werlitz 2015, S. 28.
Molly Filtsch war sowohl mit Hofmannsthal; vgl. ibid., S. 28
als auch mit Wassermann, dem sie gelegentlich ihr Haus in Aussee
zur Verfügung stellte, bekannt; vgl.Schnitzler/Braunwarth 2012, S. 340.
Unter Beachtung der nachfolgenden Briefe stellt die Geschichte der Ulrike Woytich, welche
von einer Frau handelt, die sich das Vertrauen einer vornehmen Familie erschleicht, eine direkte Parallele
zur realen Person Molly Filtsch und der Familie Todesco her.
Heute zeigte mir Frau Gerda
Ihre gütige Karte aus Karlsbad.
Sie rührte an meinem Gewissen,
und gab den Anstoß zu dieser
schriftlichen Plauderei. - Wir
sollten uns nicht so sehr in der
Zeit trennen; die räumliche
Trennung ist traurig genug.-
Darum erhoffe ich, sobald Sie
es wieder können, dass Sie mir
schreiben. Ich bitte Sie herzlich
darum
und küsse Ihre Hände
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BI, 905 [2]
Ich habe dadurch meine Bibliothek
einigermaßen kennengelernt. Eine
Solche ist nur schön, wenn sie lebt.
Büchern werden erworben, getauscht,
ausgekartet, wandern zum Buchbinder;
werden umgestapelt, die Lücken aus-
gefüllt, die Gruppen ergänzt.
Eine solche Sammlung betrachte ich
als ein großes Nachschlagewerk;
die Bände werden herausgegriffen,
wenn man einer Information
bedarf: Zur Illustrierung einer
Behauptung, zur Erläuterung eines
Gesprächs, zur Hilfe für eine Arbeit.
Meine Kollektion entspricht genügend
meinen Bedürfnissen –(sie umfasst
jetzt gegen 5000 Baende)-, doch
ist immer Etwas nachzuholen, und
jeder gute Zufall, der Sie bereichert,
ist willkommen. – Leider sind die
ausländischen Bücher hier verschwunden.
Doch London u. Paris, mit denen ich
bibliophile Beziehungen unterhalte,
versorgen mich; und viele gute
Freunde, die um mein Steckenpferd
wissen, beschicken mich oft, ungefragt.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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<lb/>Eine solche Sammlung betrachte ich
<lb/>als ein großes Nachschlagewerk;
<lb/>die Bände werden herausgegriffen,
<lb/>wenn man einer Information
<lb/>bedarf: Zur Illustrierung einer
<lb/>Behauptung, zur Erläuterung eines
<lb/>Gesprächs, zur Hilfe für eine Arbeit.
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4Diplomatic transcription
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[Rückseite von Textseite 2]
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5Facsimile
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5Diplomatic transcription
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BI, 905 [3]
Ich wurde, gezwungenermassen,
einsiedlerisch, und habe doch einen
so starken Drang zum Leben, zum
Mit-Leben, zum Mitwirken. Meine
Situation ist (in der Meinung der
Leute) gerade heute derart, ich
mit weniger Mühe mehr ausrichten
könnte. –Ich vertraue, dass mir
eine so gestaltete, fördernde
Thätigkeit, noch vergönnt werde.
– Las letzthin von Hoffmannsthal
ein dramatisches Fragment, dass
mir bedeutsam schien: eine Art
legendarischer Kasper Hauser=- geschichte.
Busoni bezieht sich hier vermutlich auf das Werk
Der Turm.
- Der neue Band von
Aus den nachfolgenden Briefen geht hervor, dass
Wassermanns
Ulrike Woytich gemeint ist.
Wassermann hat offenbar “unsere”
Molly Filtsch alszur Heldin: gestern
Abends enthüllte sich mir diese
Thatsache. - Es ist „Wahrheit[“] und
“Dichtung” zusammengegossen;
nun bin ich neugierig, wieweit
von der mir bekannten Wahrheit,
(deren Zeuge ich in Einigen gewesen)
mir in dem Bande begegnen wird.
Molly Filtsch war Gesellschafterin von
Sophie v. Todesco; vgl. Werlitz 2015, S. 28.
Molly Filtsch war sowohl mit Hofmannsthal; vgl. ibid., S. 28
als auch mit Wassermann, dem sie gelegentlich ihr Haus in Aussee
zur Verfügung stellte, bekannt; vgl.Schnitzler/Braunwarth 2012, S. 340.
Unter Beachtung der nachfolgenden Briefe stellt die Geschichte der Ulrike Woytich, welche
von einer Frau handelt, die sich das Vertrauen einer vornehmen Familie erschleicht, eine direkte Parallele
zur realen Person Molly Filtsch und der Familie Todesco her.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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- Der neue Band von
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Aus den nachfolgenden Briefen geht hervor, dass
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<lb/>mir in dem Bande begegnen wird.
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<persName key="E0300969">Molly Filtsch</persName> war Gesellschafterin von
<persName key="E0300970">Sophie v. Todesco</persName>; <bibl>vgl. <ref target="#E0800448"/>, S. 28</bibl>.
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als auch mit <persName key="E0300404">Wassermann</persName>, dem sie gelegentlich ihr Haus in <placeName key="E0500901">Aussee</placeName>
zur Verfügung stellte, bekannt; <bibl>vgl.<ref target="#E0800449"/>, S. 340</bibl>.
Unter Beachtung der nachfolgenden Briefe stellt die Geschichte der <title key="E0400664">Ulrike Woytich</title>, welche
von einer Frau handelt, die sich das Vertrauen einer vornehmen Familie erschleicht, eine direkte Parallele
zur realen Person <persName key="E0300969">Molly Filtsch</persName> und der Familie Todesco her.
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6Diplomatic transcription
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[Rückseite von Textseite 3]
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7Facsimile
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7Diplomatic transcription
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7XML
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BI, 905 [4]
Heute zeigte mir Frau Gerda
Ihre gütige Karte aus Karlsbad.
Sie rührte an meinem Gewissen,
und gab den Anstoss zu dieser
Schriftlichen Plauderei. - Wir
sollten uns nicht so sehr in der
Zeit trennen; die Räumliche
Trennung ist traurig genug.-
Darum erhoffe ich, sobald Sie
es wieder können, dass Sie mir
schreiben. Ich bitte Sie herzlich
darum, und Küße Ihre Hände
|
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<note type="shelfmark" resp="#archive" place="top-left">BI, 905</note>
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<p>
<lb/>Heute zeigte mir <persName key="E0300059">Frau Gerda</persName>
<lb/>Ihre gütige Karte aus <placeName key="E0501034">Karlsbad</placeName>.
<lb/>Sie rührte an meinem Gewissen,
<lb/>und gab den Ansto<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> zu dieser
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<lb/>sollten uns nicht so sehr in der
<lb/>Zeit trennen; die <choice><sic>R</sic><corr>r</corr></choice>äumliche
<lb/>Trennung ist traurig genug.-
<lb/>Darum erhoffe ich, sobald Sie
<lb/>es wieder können, dass Sie mir
<lb/>schreiben. Ich bitte Sie herzlich
<lb/>darum<choice><orig>,</orig></choice> <seg type="closer" subtype="salute">und <choice><sic>K</sic><corr>k</corr></choice>ü<choice><sic>ß</sic><corr>ss</corr></choice>e Ihre Hände</seg>
</p>
<closer>
<salute>als Ihr treu und</salute>
<salute>freundschaftlich ergebener</salute>
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<lb/>Staatsbibliothek
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<signed rend="indent"><persName key="E0300017">Ferruccio B.</persName></signed>
<dateline><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>, am <date when-iso="1923-07-06">6. Juli 1923</date></dateline>
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8Facsimile
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8Diplomatic transcription
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8XML
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[Rückseite von Textseite 4]
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