Ferruccio Busoni to Jella Oppenheimer arrow_backarrow_forward

February 8, 1924

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Mus. ep. F. Busoni 759 (Busoni Nachl. BI)
Mus. Nachl. F. Busoni B I, 906
[1]

Sehr verehrte, liebe

Frau Jella,


ich freute mich Ihres Briefes
unsagbar. Inzwischen gelangte 
allerlei Schmackhaftes ins Haus,
für das ich Ihnen danke.
Speicher und Truhen sind
zum Sprengen voll, wie 
in den Bibelberichten. Dem Brief vom 26.01.1924 ist zu entnehmen, dass Oppenheimer drei Pakete, u.a. gefüllt mit Lebensmittel, an Busoni sendete.

– Mittlerweile war ich 
wieder ein paar mal Krank:
jetzt sitzt wieder der Kleinere
Konvaleszent auf dem Größeren.
Ich bedarf seit anderthalb
Jahren vieler Geduld; durste
nach Thätigkeit, Beweglichkeit
und – öffentlichkeit: denn man
ist nun einmal ein Zirkus-gaul.

– Ich hoffe, dass Sie die
Ulrike Woytich nicht gelesen Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Sehr verehrte, liebe

Frau Jella,

ich freute mich Ihres Briefes unsagbar. Inzwischen gelangte  allerlei Schmackhaftes ins Haus, für das ich Ihnen danke. Speicher und Truhen sind zum Sprengen voll, wie  in den Bibelberichten. Dem Brief vom 26.01.1924 ist zu entnehmen, dass Oppenheimer drei Pakete, u.a. gefüllt mit Lebensmittel, an Busoni sendete.

Mittlerweile war ich  wieder ein paar mal krank: jetzt sitzt der Kleinere Konvaleszent auf dem Größeren. Ich bedarf seit anderthalb Jahren vieler Geduld; durste nach Tätigkeit, Beweglichkeit und – Öffentlichkeit: denn man ist nun einmal ein Zirkusgaul.

Ich hoffe, dass Sie die Ulrike Woytich nicht gelesen

haben! Denn so gewandt auch die Erzählung ist, so wirkt sie doch sehr peinlich. Namentlich auf den Eingeweihten (wie ich); geschweige denn auf den unmittelbar Beteiligten! Bereits im vorangegangen Brief spricht Busoni davon, das Buch Ulrike Woytich zu lesen und dabei vertraute Parallelen zu realen Personen (wie Molly Filtsch) und Geschehnissen zu erkennen. Wohingegen ich–während meiner Krankheit–die ganze Novellen-reihe F. Von Saars mit Freude und Bewunderung durchgelesen habe. Da ist jedes Wort wahr und erlebt, und bei alter Schlichtheit doch anregend. - Auch hier begegnete mir manches persönlich-Bekannte, das ich in der Rückschau gern wieder sah. Busoni meint hier möglicherweise Saars Novellenreihe „Tragik des Lebens. Vier neue Novellen“ aus dem Jahr 1906. - Schön waren die Tage in Döbling, wo ich – ein Siebzehnjähriger– mit Saar Tür an Tür hausen durfte! Die prickelnden Herbst-morgen im Garten! Die scheinbar unendlichen Lebensperspektiven, die sich vor mir auftaten! Busoni bezieht sich hier, wie auch in seinem Brief vom 19.05.1922, auf seine Zeit in Wien und Döbling im Jahr 1873. Busoni bewegte sich zu dieser Zeit im Kreise namenhafter Schriftsteller, Musiker und Künstler, darunter befand sich auch der Schriftsteller Ferdinand von Saar; vgl. Leichtentritt 1916, S. 8

Aber ich verfalle in die Altersgewohnheit der Reminiszenz, und habe doch noch Einiges vor mir.

Ich lese, dass Hofmannsthal auch die Jugendtür hinter sich zugeschlagen. Und auch von ihm erwarte ich noch Manches. Hoffentlich geht’s bei ihm nach Wunsch. – Und von Ihnen selbst – werte Freundin – erhoffe ich gute Nachrichten. Möchten Sie bald eintreffen.–

Inzwischen grüße ich

Sie herzlich undverehrungsvoll

als Ihre treu ergebener

Ferruccio B

Am 8. Febr. 1924.
                                                                
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BI, 906
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haben! denn so gewandt auch
die Erzählung ist, so wirkt sie doch
sehr peinlich. Namentlich transcription uncertain. auf
den Eingeweihten (wie ich); geschweige
denn auf den unmittelbar Betheiligten! Bereits im vorangegangen Brief spricht Busoni davon, das Buch Ulrike Woytich zu lesen und dabei vertraute Parallelen zu realen Personen (wie Molly Filtsch) und Geschehnissen zu erkennen.
Wohingegen ich–während meiner
Krankheit–die ganze Novellen=-
-Reihe F. Von Saar's mit Freude
und Bewunderung durchgelesen
habe. Da ist jedes Wort wahr und
erlebt, u. bei alter Schlichtheit
doch anregend. - Auch hier begegnete
mir manches persönlich-Bekannte,
das ich in der Rückschau gern
wieder sah. Busoni meint hier möglicherweise Saars Novellenreihe „Tragik des Lebens. Vier neue Novellen“ aus dem Jahr 1906. - Schön waren die Tage
in Döbling, wo ich – ein Siebzehnjähriger–
mit Saar Thür an Thür hausen
durfte! Die prickelnden Herbst-
morgen im Garten! Die scheinbar
unendlichen Lebensperspektiven,
die sich vor mir aufthaten! Busoni bezieht sich hier, wie auch in seinem Brief vom 19.05.1922, auf seine Zeit in Wien und Döbling im Jahr 1873. Busoni bewegte sich zu dieser Zeit im Kreise namenhafter Schriftsteller, Musiker und Künstler, darunter befand sich auch der Schriftsteller Ferdinand von Saar; vgl. Leichtentritt 1916, S. 8 Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
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BI, 906
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Aber ich verfalle in
die Alters-gewohnheit der
Reminiszenz, und habe doch
noch Einiges vor mir.

Ich lese, dass Hofmannsthal
auch die Jugendthür hinter
sich zugeschlagen. Und auch
beivon ihm erwarte ich noch Manches.
Hoffentlich geht’s bei ihm
nach Wunsch. – Und von
Ihnen selbst – werthe Freundin –
erhoffe ich gute Nachrichten.
Möchten Sie bald eintreffen.–

Inzwischen grüße ich

Sie herzlich u.verehrungsvoll

als Ihre treu ergebener

Ferruccio B

Am 8 Febr. 1924.
                                                                
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Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 906+906a+906b | olim: Mus.ep. F. Busoni 759+759a.b |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
3 Blatt, 3 beschriebene Seite1 beschriebene Seite
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Summary
Busoni bedankt sich für die empfangenen Geschenke; spricht über kürzliche Krankheit und der Sehnsucht nach Aktivität und der Öffentlichkeit; warnt Oppenheimer vor dem Buch Ulrike Woytich; empfiehlt Lektüre von Saar; schwelgt dabei in Erinnerung an Jugendjahre in Döbling.

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
January 21, 2023: proposed (transcription and coding done, awaiting proofreading)
Direct context
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