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25.125. Sept. 1916
Lieber Verehrter
Carissimo e veneratissimo
dass mein Brief Sie „verschnupft“
hat, rechne ich mir zur unverzeih- lichen Schuld: Sie verdienen solche
Briefe, die erwärmen, wie die Ihren
es (infallibilmente) thun!
„Allein die Schuld liegt nicht
an mir“
ausschliesslich; überall sehe ich zu
viel des Hässlichen u. Bösen in Wirkung
u. Erscheinung treten, u. es ist nur
gekränkte Güte, verletzter Gerechtigkeit[s]sinn
an mir, wenn ich selber hässlich u.
böse werde, oder scheine. – Schiessen
im Kriege u. Kassierer-Vorträge im
Frieden sind Dinge die mich irritieren.
Ich vermeide sie, ignoriere sie so lange
als es geht (es geht am glücklichsten wenn
ich sehr interessiert arbeite) – aber
wenn ich mit ihnen zusammengeführt
werde, ist es mir schwer den wohlwollenden
Ton zu wahren. – Die Sache mit den
Bajonetten am Abend des ersten August
Anlässlich des „Bundesfeiertags“ (Nationalfeiertag der Schweiz).
in Zürich war u. bleibt widerwärtig, u.
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Lieber Verehrter,
Carissimo e veneratissimo,
dass mein Brief Sie „verschnupft“
hat, rechne ich mir zur unverzeihlichen Schuld: Sie verdienen solche
Briefe, die erwärmen, wie die Ihren
es (infallibilmente) tun!
„Allein die Schuld liegt nicht
an mir“
ausschließlich; überall sehe ich zu
viel des Hässlichen und Bösen in Wirkung
und Erscheinung treten, und es ist nur
gekränkte Güte, verletzter Gerechtigkeitssinn
an mir, wenn ich selber hässlich und
böse werde, oder scheine. – Schießen
im Kriege und Kassierer-Vorträge im
Frieden sind Dinge, die mich irritieren.
Ich vermeide sie, ignoriere sie so lange,
als es geht (es geht am glücklichsten, wenn
ich sehr interessiert arbeite) – aber
wenn ich mit ihnen zusammengeführt
werde, ist es mir schwer, den wohlwollenden
Ton zu wahren. – Die Sache mit den
Bajonetten am Abend des 1. August
Anlässlich des „Bundesfeiertags“ (Nationalfeiertag der Schweiz).
in Zürich war und bleibt widerwärtig, und
sie hat mir von den sympathischen
bisherigen Schweizer Eindrücken viel
zerstört. Ich sehe die Schweiz seitdem
anders als vorher. Diese – wenn Sie
wollen – Überempfindlichkeit findet
aber in dem nun beginnenden dritten
Verbannungsjahr eine Art Erklärung;
noch verwickelter geworden für mich durch
die italienische Kriegserklärung an
Deutschland.
Italien, mit den anderen Mittelmächten seit 1915 im Kriegszustand, hatte dem Deutschen Reich erst am 28. August 1916 den Krieg erklärt.
Damit fällt möglicherweise
alles zusammen, das ich in 20 Jahren
künstlerisch aufgebaut, wirtschaftlich
erspart hatte; und das trifft mich in einem
Alter, wo ein neuer Anfang eine
moralische Anstrengung erfordert, gegen
die die gewonnene Einsicht sich widersetzt.
Populär gesagt: man findet es nicht mehr
die Mühe wert.
Glücklicherweise dämmert mir das
erste schwache Morgenrot eines neuen
Arbeitstages, der – wenn es hält,
was es verspricht – ein schöner Tag
werden sollte … und 2–3 Jahre dauern müsste.
Volkstümlicher: ich beschäftige mich in
Gedanken mit der Ausführung meines „Haupt“-Werkes.
Nun werden Sie meinen letzten Brief
nachsichtiger lesen, Ihre Verzeihung
leichter erteilen. –
Ungern – immer stärker ungern –
setze ich mich ans Klavier zum Üben.
(Für das erste Abonnementskonzert hier habe ich
mich noch nicht gerührt). La prospettiva
eines verantwortlichen vier-abendlichen
Zyklus in Basel – an sich selbst
erfreulich – stellt aber eine tüchtige
Klimper-Aufgabe dem Lustlosen,
nimmt mir viel Zeit von meiner
„Morgenröte“ weg. Darum meine
strenge Allüre in Fragen des Honorars, wenngleich (bei noch strengerer
Logik) kein Zusammenhang besteht
zwischen einem Stück Leben, das
ausgegeben ist, und einem Tausendfrankenschein, der eingenommen wird.
Wird das ihr „Kassierer“ verstehen?
Hoffnungslos. Eher vielleicht die
bemittelten vorgesetzten Musikfreunde!
Bleiben Sie mir gut, denn Sie
verstehen alles.
Ihr verehrungsvoll
und herzlich ergebener
F. Busoni
Zürich, 25. September 1916.
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2(2)
sie hat mir von demn sympathischen
bisherigen Schweizer Eindrücken viel
zerstört. Ich sehe die Schweiz seitdem
anders, als vorher. Diese – wenn Sie
wollen – ÜberEmpfindlichkeit findet
aber in dem nun beginnenden dritten
Verbannungs Jahr eine Art Erklärung;
noch verwickelter geworden für mich durch
die italienische Kriegserklärung an
Deutschland.
Italien, mit den anderen Mittelmächten seit 1915 im Kriegszustand, hatte dem Deutschen Reich erst am 28. August 1916 den Krieg erklärt.
Damit fällt möglicherweise
Alles zusammen, das ich in 20 Jahren
künstlerisch aufgebaut, wirthschaftlich
erspart hatte; u. das trifft mich in einem
Alter, wo ein neuer Anfang eine
moralische Anstrengung erfordert, gegen
die die gewonnene Einsicht sich widersetzt.
Populär gesagt: man findet es nicht mehr
die Mühe werth.
Glücklicher weise dämmert mir das
erste schwachen Morgenroth eines neuen
Arbeitstages, der – wenn ers hält –
was es verspricht ein schöner Tag
werden sollte … u. 2–3 Jahre dauern müsste.
Volksthümlicher: ich beschäftige mich in
Gedanken mit der Ausführung meines “Haupt” Werkes.
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Nun werden Sie meinen letzten Brief
nachsichtiger lesen, Ihre Verzeihung
leichter ertheilen. –
Ungern – immer stärker ungern –
setze ich mich an’s Klavier zum Üben.
(Für das I. Abonn. Konz. hier habe ich
mich noch nicht gerührt). La prospettiva
eines verantwortlichen vier-abendlichen
Zyklus in Basel – an sich selbst
erfreulich – stellt aber eine tüchtige
Klimper-Aufgabe dem Lustlosen,
nimmt mir viel Zeit von meiner
“Morgenröthe” weg. Darum meine
strenge Allüre in Fragen des Hon- orars, wenngleich (bei noch strengerer
Logik) kein Zusammenhang besteht
zwischen einem Stück Leben das
ausgegeben ist u. einem Tausend- frank[en]schein der eingenommen wird.
Wird das ihr „Kassierer“ verstehen?
Hoffnungslos. Eher[…]
1 char: cancelled.
vielleicht die
bemittelten vorgesetzten Musikfreunde!
Bleiben Sie mir gut, denn Sie
verstehen Alles.
Ihr verehrungsvoll
u. herzlich ergebener
F Busoni
Z. 25. S. 1916.
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<lb break="no"/>orars, wenngleich (bei noch strengerer
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[Rückseite von Textseite 3]
IIV
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