Ferruccio Busoni to Philipp Jarnach arrow_backarrow_forward

London · July 2, 1920

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N.Mus.Nachl. 30, 62
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L Ph J Sie können Ssich
schwer vorstellen, wie
verführerisch schön

London ist, im Flrühling, im
Frieden, in Freiheit: denn es ist
wie gelöst nach dem Kriege; die
menschlichen Wünsche und Instinkte
wollen ihre Rechte; die Hypocrisie
der Victorianischen Zeit scheint
überwunden. Dazu die Unerschöpf-
lichkeit der Begebenheiten und
Erscheinungen, die Verlockungen
für jede Art Liebhaberei und
Geschmack; die wundersame Bei Beaumont 1987 (314) „wonderful“ („wunderbar“) statt „wondrous“ („wundersam“).
Einsamkeit im Gewühle: – und
wo man auch steht, steht man in
der Mitte, das Ende ist überall
gleich entfernt. – So geschaut ist
London unvergleichlich und
grenzenlos. – Wäre es auch eine
“Kunst”-Stadt, dann könnte
man es nicht ertragen! – Aber
ora incomincian le dolenti note
sagt Matteo. Ital.: „Nun fangen jene schmerzenvollen Laute zu tönen an“; Zitat aus Busonis Oper Arlecchino oder Die Fenster (2. Satz Arlecchino als Kriegsmann), wo Matteo wiederum das Inferno von Dantes Divina commedia zitiert (5. Gesang, V. 25, Übersetzung von Hermann Gmelin).

L Ph J

Sie können sich schwer vorstellen, wie verführerisch schön London ist, im Frühling, im Frieden, in Freiheit: Denn es ist wie gelöst nach dem Kriege; die menschlichen Wünsche und Instinkte wollen ihre Rechte; die Hypokrisie der Viktorianischen Zeit scheint überwunden. Dazu die Unerschöpflichkeit der Begebenheiten und Erscheinungen, die Verlockungen für jede Art Liebhaberei und Geschmack; die wundersame Einsamkeit im Gewühle – und wo man auch steht, steht man in der Mitte, das Ende ist überall gleich entfernt. – So geschaut, ist London unvergleichlich und grenzenlos. – Wäre es auch eine „Kunst“-Stadt, dann könnte man es nicht ertragen! – Aber „ora incomincian le dolenti note“, sagt Matteo. Ital.: „Nun fangen jene schmerzenvollen Laute zu tönen an“; Zitat aus Busonis Oper Arlecchino oder Die Fenster (2. Satz Arlecchino als Kriegsmann), wo Matteo wiederum das Inferno von Dantes Divina commedia zitiert (5. Gesang, V. 25, Übersetzung von Hermann Gmelin).

Man hört auf, Künstler zu sein, als Künstler zu fühlen: Man ist wie der Sehende bei den Blinden, und schließlich – wie in jener Parabel von Wells – wird einem die Überzeugung aufgedrückt, dass die Blinden auf den Sehenden herabschauen, so paradox das ist.

Die vornehmste und allgemein bestätigte Erscheinung ist, dass einem hier nichts einfällt: so übermächtig ist der Einfluss der Atmosphäre. Goethe hätte – in England – keine sämtlichen Werke hinterlassen. Hier ist alles fortwährend zu beginnen; es ist, als ob der Grund, den man legt, im Weiterbauen unter den Füßen wegschlüpfte. Wie soll der Einzelne standhalten? Und wie sollen zwei Hände die tausend Zipfel fassen? – Man gibt es bald auf – wie es auch ein jeder tut, der sich hier niederlässt.

Das ist der Grund, warum ich London, das ich anbete und mich berauscht, nicht bewohne. Einige Male im Leben habe ich die Frage bei mir erwogen (eines davon war ich schon auf der Haussuche) – immer lehnte ich es schließlich ab.

Dieses Russische Ballet ist jetzt, nach Wagner, die vollkommeneste Organisation geworden. Wie gewisse Infusorien (was weiß ich von Biologie!!) Teile von ihrem Körper abstoßen, welche dann selbständig weiterleben, so ist aus dem originalen Ballet russe eine hundertköpfige Institution entstanden, die überall zugleich arbeitet und Tausende von Menschen in ihre Interessen zieht; so dass jeder, dem man begegnet, irgendwie daran beteiligt ist. Musiker, Maler, Dichter, Finanzleute, Luxus, Geilheit, Strebertum – dies alles vereint sich in dieser Pseudo-Kunst-Manifestation, die schließlich nur ein Prätext für ganz andere Bestrebungen geworden ist. – Ein anständiger Kritiker schreibt über meinen Orchesterabend: Er bittet Herrn Busoni im Namen seiner Kollegen, es nicht als Unhöflichkeit zu betrachten, wenn sie sämtlich um 9 Uhr 10 den Saal verlassen mussten, um sich zum Russischen Ballet zu begeben!

Der Abend war übrigens ein sehr großer Erfolg. Aber All-Schluckendes London schluckte mir die Hälfte davon weg – als wie Giotto es mit den Mahlzeiten macht. Giotto war Busonis Hund (vgl. Canetti 1977). Trotzdem bin ich zufrieden gewesen. Das Orchester war willig, respektvoll (zum Schluss freundschaftlich) und außerordentlich geschickt.

Bald hoffe ich, Sie wiederzusehen, weiter zu berichten und Berichte anzuhören. Etwa zum July 11, 1920nächsten Sonntag rechne ich in Zürich zurück zu sein.

Inzwischen alles Liebe und Freundschaftliche von

Ihrem F. Busoni

London, 2. Juli 1920
                                                                
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N.Mus.Nachl. 30, 62
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Man hört auf Künstler zu sein,
als Künstler zu fühlen: man ist
wie der Sehende bei den Blinden,
und schliesslich – wie in jener
Parabel
Beaumont 1987 (314) übersetzt unbestimmter: „in a parable“. von Wells – wird Einem
die Überzeugung aufgedrückt,
dass die Blinden auf den Sehenden
herabschauen, so paradox das ist.

– Die vornehmste u. allgemein
bestätigte Erscheinung ist, dass
Einem hier Nichts einfällt:
Sso übermächtig ist der Einfluss
der Athmosphaere. Goethe hätte
– in England – keine sämtlichen
Werke hinterlassen. Hier ist
Alles fortwährend zu beginnen;
es ist, als ob der Grund den man
legt, im Weiterbauen unter
den Füssen wegschlüpfte.
Wie soll der Einzelne Stand halten?
Und wie sollen zwei Hände die
tausend Zipfel fassen? Beaumont 1987 (314) übersetzt: „And how can one pair of hands maintain control of the countless problems?“. – Man
gibt es bald auf – wie es auch
ein Jeder thut, der sich hier
niederlässt. Bei Beaumont 1987 (314) ohne den folgenden Absatzwechsel.

                                                                
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N.Mus.Nachl. 30, 62
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Das ist der Grund warum ich
London, das ich anbete, und das mich
berauscht, nicht bewohne. Einige
male im Leben habe ich die Frage
bei mir erwogen – (eines davon
war ich schon auf der Haus-suche) –
immer lehnte ich es schliesslich ab. –

– Dieses Beaumont 1987 (314): „The“. Russische Ballet ist jetzt,
nach Wagner, die vollkommeneste
Organisation geworden. Wie gewisse
Infusorien Bei Beaumont 1987 (314) „infusions“ („Infusionen“) statt „infusoria“ („Infusorien“, Aufgusstierchen). (was weiss ich von
Biologie!!) die Theile von ihrem
Körper abstossen welche dann
selbständig weiter leben, so ist
aus dem originalen Ballet russe
eine hundertköpfige Institution Beaumont 1987 (314): „a multifarious organization“.
entstanden, die überall zugleich
arbeitet und […] at most 2 char: illegible. Tausende von
Menschen in ihre Interessen
zieht; so dass Jeder dem man
begegnet, irgendwie daran
betheiligt ist. Musiker, Maler,
Dichter, Finanzleute, Luxus,
Geilheit, Streberthum – dies
Alles vereint sich in dieser

                                                                
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4 Pseudo-Kunst-Manifestation,
die schliesslich nur ein Pretext
für ganz andere Bestrebungen
geworden ist. – Ein anständiger
Kritiker schreibt über meinen Orchester
Abend: er bittet Hrn Busoni in
Namen seiner Kollegen, es nicht
als Unhöflichkeit zu betrachten,
wenn sie sämtlich um 9 Uhr 10 Bei Beaumont 1987 (315) bleibt „sämtlich um 9 Uhr 10“ unübersetzt.
den Saal verlassen mussten, um
sich zum russischen Ballet zu begeben!

– Der Abend war übrigens ein
sehr grosser Erfolg. Aber All-Schluck⸗
endes London, schluckte mir die
Hälfte davon weg – als wie
Giotto es mit den Mahlzeiten macht. Die Übersetzung bei Beaumont 1987 (315) erweckt den Eindruck, es gehe hier nicht um Busonis „Mahlzeiten“, sondern um das Futter seines Hundes Giotto („mir“ ist ausgelassen, und statt „den Mahlzeiten“ heißt es: „his food“). Giotto war Busonis Hund (vgl. Canetti 1977).
Trotzdem bin ich zufrieden gewesen.
Das Orchester war willig, respektvoll
(zum Schluss freundschaftlich) und
ausserordentlich geschickt.

– Bald hoffe ich Sie wiederzusehen
weiter zu Bberichten u. Berichte an-
zuhören. Etwa zum July 11, 1920nächsten Sonntag
rechne ich in Zürich zurück zu sein.

Inzwischen Alles Liebe
und Freundschaftliche von

Ihrem
F. Busoni

London 2. Juli 1920
                                                                
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bibliothek
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Document

doneStatus: candidate XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Nachl. 30,62 |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
4 Blatt, 4 beschriebene Seiten
Collation
Nur die Vorderseiten sind beschrieben.
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand Gerda Busonis, die auf der Rückseite mit Bleistift das Datum notiert hat
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 12345678

Summary
Busoni beschreibt die Nachkriegsatmosphäre in London, das wegen seiner Vielfalt und grundstürzenden Dynamik keinen Boden für Kunstwerke biete; kritisiert die alles verschlingende Institutionalisierung der Ballets russes („Pseudo-Kunst-Manifestation“), zu denen die Rezensenten seines Konzerts vorzeitig abgewandert sind; kündigt Rückkehr nach Zürich für ca. 11. Juli an.
Incipit
Sie können sich schwer vorstellen, wie verführerisch

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
January 8, 2021: candidate (coding checked, proofread)
Direct context
Preceding Following
Near in this edition
Previous editions
Beaumont 1987, S. 314 f.