|
Sehr verehrter Herr Schönberg!
Ich empfing Ihre Stücke und den
begleitenden Brief. Beide zeigen von
einem denkenden u. fühlenden Menschen,
als welchen ich Sie übrigens schon zu
erkennen geglaubt habe. Ich kenne
von Ihnen ein Quartett,
Es ist nicht vollkommen zu klären, ob Schönbergs Streichquartett Nr. 1 oder Nr. 2 gemeint ist. Die Vermutung, Busoni sei anlässlich seiner Meisterklasse im Februar 1907 und der gleichzeitigen Uraufführung des Streichquartetts Nr. 1 mit diesem Werk in Berührung gekommen (Theurich 1979, S. 66 f.), geht insofern fehl, als Busoni seine Lehrtätigkeit am Wiener Konservatorium erst im Oktober begann (Dent 1933, S. 159; Stuckenschmidt 1967, S. 31). Dennoch ist naheliegend, dass Busoni über Kenntnisse des Streichquartetts Nr. 1 verfügte, war das Werk doch bereits 1907 im Dreililien-Verlag in Berlin veröffentlicht worden, das Streichquartett Nr. 2 hingegen erst im Laufe des Februars 1909, noch dazu im Selbstverlag.
Lieder
Es ist unklar, welche Lieder Schönbergs Busoni zu diesem Zeitpunkt bekannt waren.
und
seinerzeit hatte ich eine Partitur von
Pelleas u. Melisande in Händen.
Schönberg hatte Busoni bereits 1903 Pelleas und Melisande aus Anlass der Aufführung seiner Instrumentierung von Schenkers Syrischen Tänzen bei den Berliner Orchesterabenden angeboten (vgl. den Brief vom 10. September 1903) und eine Partitur zukommen lassen (vgl. den Brief vom 20. September 1903). Zu einer Aufführung war es nicht gekommen, da Schönberg eine anderweitige Darbietung des Werks (im Rahmen der Konzerte der Vereinigung schaffender Tonkünstler) in Aussicht hatte und die Partitur zurückforderte (vgl. den Brief vom 16. Dezember 1903; siehe auch Weindel 2004, S. 101 f.). Busoni scheint sich daran offenbar nicht mehr erinnert zu haben.
Die
Instrumentation von Schenker’s Tänzen
(die ich in Berlin zur
Aufführung brachte)
Busoni hatte die Syrischen Tänze von Schenker in der Instrumentation von Schönberg im Rahmen des dritten Konzerts der Berliner Orchesterabende am 5. November 1903 aufgeführt (Dent 1933, S. 332 f.).
bewies den bewunderungswürdigen Orchester- Virtuosen. Von diesen gegebenen Punkten
ausgehend, waren mir Ihre Klavierstücke
keine Überraschung – d. i.: ich wußte
beiläufig was ich zu erwarten hatte.
|
Sehr verehrter Herr Schönberg!
Ich empfing Ihre Stücke und den
begleitenden Brief. Beide zeigen von
einem denkenden und fühlenden Menschen,
als welchen ich Sie übrigens schon zu
erkennen geglaubt habe. Ich kenne
von Ihnen ein Quartett,
Es ist nicht vollkommen zu klären, ob Schönbergs Streichquartett Nr. 1 oder Nr. 2 gemeint ist. Die Vermutung, Busoni sei anlässlich seiner Meisterklasse im Februar 1907 und der gleichzeitigen Uraufführung des Streichquartetts Nr. 1 mit diesem Werk in Berührung gekommen (Theurich 1979, S. 66 f.), geht insofern fehl, als Busoni seine Lehrtätigkeit am Wiener Konservatorium erst im Oktober begann (Dent 1933, S. 159; Stuckenschmidt 1967, S. 31). Dennoch ist naheliegend, dass Busoni über Kenntnisse des Streichquartetts Nr. 1 verfügte, war das Werk doch bereits 1907 im Dreililien-Verlag in Berlin veröffentlicht worden, das Streichquartett Nr. 2 hingegen erst im Laufe des Februars 1909, noch dazu im Selbstverlag.
Lieder,
Es ist unklar, welche Lieder Schönbergs Busoni zu diesem Zeitpunkt bekannt waren.
und
seinerzeit hatte ich eine Partitur von
Pelleas und Melisande in Händen.
Schönberg hatte Busoni bereits 1903 Pelleas und Melisande aus Anlass der Aufführung seiner Instrumentierung von Schenkers Syrischen Tänzen bei den Berliner Orchesterabenden angeboten (vgl. den Brief vom 10. September 1903) und eine Partitur zukommen lassen (vgl. den Brief vom 20. September 1903). Zu einer Aufführung war es nicht gekommen, da Schönberg eine anderweitige Darbietung des Werks (im Rahmen der Konzerte der Vereinigung schaffender Tonkünstler) in Aussicht hatte und die Partitur zurückforderte (vgl. den Brief vom 16. Dezember 1903; siehe auch Weindel 2004, S. 101 f.). Busoni scheint sich daran offenbar nicht mehr erinnert zu haben.
Die
Instrumentation von Schenkers Tänzen
(die ich in Berlin zur
Aufführung brachte)
Busoni hatte die Syrischen Tänze von Schenker in der Instrumentation von Schönberg im Rahmen des dritten Konzerts der Berliner Orchesterabende am 5. November 1903 aufgeführt (Dent 1933, S. 332 f.).
bewies den bewunderungswürdigen Orchestervirtuosen. Von diesen gegebenen Punkten
ausgehend, waren mir Ihre Klavierstücke
keine Überraschung – d. i.: ich wusste
beiläufig, was ich zu erwarten hatte.
Es war mir demgemäß selbstverständlich,
dass ich mit einer subjektiven, eigenartigen
und auf das Gefühl gegründeten Kunst
zu tun
haben würde – und dass es verfeinerte
künstlerische Gebilde sein würden,
mit denen Sie mich in Berührung brächten.
Das hat sich alles erfüllt, und ich
freue mich innig einer solchen Erscheinung.
Anders steht es mit meinem Eindruck
als Klavierspieler, von welchem ich – sei
es durch Erziehung, sei es durch fachmännische Einseitigkeit – nicht absehen
kann. – Was mir die ersten Bedenken
gegen Ihre Musik „als Klavierstück“ einflößt,
ist die wenige Breite des Satzes
im Umfange der Zeit und des Raumes.
Das Klavier ist ein kurzatmiges
Instrument, und man kann ihm nicht
genug nachhelfen.
Ich habe Ihre Stücke nun den fünften Tag
bei mir und habe mich täglich mit ihnen
beschäftigt. Ich glaube Ihre Absichten zu
erfassen und getraute
mich, nach einiger
Vorbereitung, die Klänge und
Stimmungen nach
Ihrer Erwartung wiederzugeben. Doch ist die
Aufgabe, durch allzugroße Konzision
Gedrängtheit, Kürze, Bündigkeit (lat.: concisio).
(das ist das Wort),
erschwert.
Da ich fürchte, missverstanden zu werden, so nehme
ich mir die Freiheit, Ihnen – zu meiner Verteidigung
–
eine kleine Illustration meiner Worte zu geben. Sie schreiben:
|
um das
Orchestrale ins
Pianistische zu
übertragen:
|
Die hier vorliegende Passage erscheint in der Druckfassung von Busonis Bearbeitung leicht verändert – wohl aufgrund der sich in den folgenden Briefen anschließenden Diskussion (vgl. Theurich 1979, S. 67).
|
Aber vielleicht entspricht das ganz und
gar nicht Ihren Absichten.
Ausgehend von dieser Passage aus der Bearbeitung des Klavierstücks op. 11 Nr. 2 durch Busoni entwickelt sich in den folgenden Briefen eine intensive Diskussion um Schönbergs Klavierstil, den Stellenwert einer Transkription sowie um eine mögliche Publikation der Werke. Vgl. hierzu die Briefe bis einschließlich 18. Juli 1910, zu Schönbergs Äußerungen zur Kompositionstechnik v. a. die Briefe vom 13. August 1909, 24. August 1909 und 3. Juli 1910.
Ich werde aber die Sachen noch
durcharbeiten, bis sie mir ganz ins Blut
gedrungen. Dann denke ich vielleicht anders.
Dieses soll weder ein Urteil noch eine
Kritik sein – welche beide ich mir (einer
solchen Individualität wie der Ihrigen gegenüber) nie anmaßen würde, sondern nur
mein Bericht des empfangenen Eindrucks
und meine Meinung als Klavierspieler. –
Seien Sie inzwischen bedankt und
freundschaftlich begrüßt.
Gerne hätte ich weiter
Ihr Vertrauen, und sagen Sie,
wenn ich
sonst was tun soll. –
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<opener>
<salute rend="align(center) space-below">Sehr verehrter <persName key="E0300023">Herr Schönberg</persName>!</salute>
</opener>
<p type="pre-split">Ich empfing <rs type="works" key="E0400112 E0400113">Ihre Stücke</rs> und <ref type="E010001" target="#D0100008">den
<lb/>begleitenden Brief</ref>. Beide zeigen von
<lb/>einem denkenden <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> fühlenden Menschen,
<lb/>als welchen ich Sie übrigens schon zu
<lb/>erkennen geglaubt habe. Ich kenne
<lb/>von Ihnen ein Quartett,
<note type="commentary" resp="#E0300318">Es ist nicht vollkommen zu klären, ob <persName key="E0300023">Schönbergs</persName> Streichquartett <rs key="E0400031">Nr. 1</rs> oder <rs key="E0400024">Nr. 2</rs> gemeint ist. Die Vermutung, <persName key="E0300017">Busoni</persName> sei anlässlich seiner Meisterklasse im <date when-iso="1907-02">Februar 1907</date> und der gleichzeitigen Uraufführung des <rs key="E0400031">Streichquartetts Nr. 1</rs> mit diesem Werk in Berührung gekommen <bibl>(<ref target="#E0800005"/>, S. 66 f.)</bibl>, geht insofern fehl, als <persName key="E0300017">Busoni</persName> seine Lehrtätigkeit am <orgName key="E0600049"><placeName key="E0500002">Wiener</placeName> Konservatorium</orgName> erst im <date when-iso="1907-10">Oktober</date> begann (<bibl><ref target="#E0800019"/>, S. 159</bibl>; <bibl><ref target="#E0800016"/>, S. 31</bibl>). Dennoch ist naheliegend, dass <persName key="E0300017">Busoni</persName> über Kenntnisse des <rs key="E0400031">Streichquartetts Nr. 1</rs> verfügte, war das Werk doch bereits <date when-iso="1907">1907</date> im <orgName key="E0600006">Dreililien-Verlag</orgName> in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> veröffentlicht worden, das <rs key="E0400024">Streichquartett Nr. 2</rs> hingegen erst im Laufe des <date when-iso="1909-02">Februars 1909</date>, noch dazu im Selbstverlag.</note>
Lieder<reg>,</reg>
<note type="commentary" resp="#E0300318">Es ist unklar, welche Lieder <persName key="E0300023">Schönbergs</persName> <persName key="E0300017">Busoni</persName> zu diesem Zeitpunkt bekannt waren.</note>
und
<lb/>seinerzeit hatte ich eine Partitur von
<lb/><title key="E0400012">Pelleas <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Melisande</title> in Händen.
<note type="commentary" resp="#E0300318"><persName key="E0300023">Schönberg</persName> hatte <persName key="E0300017">Busoni</persName> bereits <date when-iso="1903">1903</date> <rs key="E0400012">Pelleas und Melisande</rs> aus Anlass der Aufführung seiner <rs key="E0400017">Instrumentierung</rs> von <persName key="E0300024">Schenkers</persName> <rs key="E0400016">Syrischen Tänzen</rs> bei den <orgName key="E0600003"><placeName key="E0500029">Berliner</placeName> Orchesterabenden</orgName> angeboten (vgl. den <ref target="#D0100001">Brief vom <date when-iso="1903-09-10">10. September 1903</date></ref>) und eine Partitur zukommen lassen (vgl. den <ref target="#D0100003">Brief vom <date when-iso="1903-09-20">20. September 1903</date></ref>). Zu einer Aufführung war es nicht gekommen, da <persName key="E0300023">Schönberg</persName> eine anderweitige Darbietung des Werks (im Rahmen der Konzerte der <orgName key="E0600008">Vereinigung schaffender Tonkünstler</orgName>) in Aussicht hatte und die Partitur zurückforderte (vgl. den <ref target="#D0100005">Brief vom <date when-iso="1903-12-16">16. Dezember 1903</date></ref>; siehe auch <bibl><ref target="#E0800008"/>, S. 101 f.</bibl>). <persName key="E0300017">Busoni</persName> scheint sich daran offenbar nicht mehr erinnert zu haben.</note>
Die
<lb/><rs key="E0400017">Instrumentation</rs> von <persName key="E0300024">Schenker<orig>’</orig>s</persName> <rs key="E0400016">Tänzen</rs>
<lb/>(die ich in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> zur
Aufführung brachte)
<note type="commentary" resp="#E0300318"><persName key="E0300017">Busoni</persName> hatte die <rs key="E0400016">Syrischen Tänze</rs> von <persName key="E0300024">Schenker</persName> in der <rs key="E0400017">Instrumentation</rs> von <persName key="E0300023">Schönberg</persName> im Rahmen des dritten Konzerts der <orgName key="E0600003"><placeName key="E0500029">Berliner</placeName> Orchesterabende</orgName> am <date when-iso="1903-11-05">5. November 1903</date> aufgeführt <bibl>(<ref target="#E0800019"/>, S. 332 f.)</bibl>.</note>
<lb/>bewies den bewunderungswürdigen Orchester<choice><orig>-<lb break="no"/>V</orig><reg>v</reg></choice>irtuosen. Von diesen gegebenen Punkten
<lb/>ausgehend, waren mir <rs type="works" key="E0400112 E0400113">Ihre Klavierstücke</rs>
<lb/>keine Überraschung – d. i.: ich wu<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>te
<lb/>beiläufig<reg>,</reg> was ich zu erwarten hatte.
</p></div>
|
2Facsimile
|
2Diplomatic transcription
|
2XML
|
|
Es war mir demgemäss selbstverständlich
dass ich mit einer subjectiven, eigenartigen
u. auf das Gefühl gegründeten Kunst
zu thun
haben würde – und dass es verfeinerte
künstlerische Gebilde sein würden, die ich
mit denen Sie mich in Berührung brächten.
Das hat sich Alles erfüllt und ich
freue mich innig einer solchen Erscheinung.
Anders steht es mit meinem Eindruck
als Klavierspieler, von welchem ich – sei
es durch Erziehung, sei es durch fach- männische Einseitigkeit – nicht absehen
kann. – Was mir die ersten Bedenken
gegen Ihre Musik “als Clavierstück” einflösst
ist die wenige Breite des Satzes und
im Umfange der Zeit u. ders Raumes.
Das Klavier ist ein kurzathmiges
Instrument u. man kann ihm nicht
genug nachhelfen.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
Es war mir demgemä<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> selbstverständlich<reg>,</reg>
<lb/>dass ich mit einer subje<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>tiven, eigenartigen
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> auf das Gefühl gegründeten Kunst
zu t<orig>h</orig>un
<lb/>haben würde – und dass es verfeinerte
<lb/>künstlerische Gebilde sein würden, <del rend="strikethrough">die ich</del>
<lb/>mit denen Sie mich in Berührung brächten.</p>
<p rend="indent-first">Das hat sich <choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>lles erfüllt<reg>,</reg> und ich
<lb/>freue mich innig einer solchen Erscheinung.</p>
<p rend="indent-first">Anders steht es mit meinem Eindruck
<lb/>als Klavierspieler, von welchem ich – sei
<lb/>es durch Erziehung, sei es durch fach
<lb break="no"/>männische Einseitigkeit – nicht absehen
<lb/>kann. – Was mir die ersten Bedenken
<lb/>gegen Ihre Musik <soCalled rend="dq-uu"><hi rend="underline">als <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>lavierstück</hi></soCalled> einflö<choice><orig>sst</orig><reg>ßt,</reg></choice>
<lb/>ist die wenige Breite des Satzes <del rend="strikethrough">und</del>
<lb/>im Umfange der Zeit <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> de<subst><del rend="overwritten">r</del><add place="across">s</add></subst> Raumes.</p>
<p rend="indent-first">Das Klavier ist ein kurzat<orig>h</orig>miges
<lb/>Instrument<reg>,</reg> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> man kann ihm nicht
<lb/>genug nachhelfen.</p>
</div>
|
3Facsimile
|
3Diplomatic transcription
|
3XML
|
|
Ich habe Ihre Stücke nun den fünften Tag
bei mir u. habe mich täglich mit ihnen
beschäftigt. Ich glaube Ihre Absichten zu
erfassen u. getraute
Theurich 1977 (166) und Beaumont 1987 (384) fälschlich: „getraue“ (bzw. „feel confident“.
mich, nach einiger
Vorbereitung, die Klänge u.
Theurich 1977 (166) und Theurich 1979 (152): „und“.
Stimmungen nach
Ihrer Erwartung wiederzugeben. Doch ist die
Aufgabe, durch allzugroße Concision,
Gedrängtheit, Kürze, Bündigkeit (lat.: concisio).
(das ist das Wort)
erschwert.
Da ich fürchte misverstanden zu werden, so nehme
ich mir die Freiheit, Ihnen – zu meiner Vertheidigung
Theurich 1977 (166) und Theurich 1979 (152): „Verteidigung“.
–
eine kleine Illustration meiner Worte zu geben. Sie schreiben:
|
um das
Orchestrale in’s
Pianistische zu
übertragen:
|
Die hier vorliegende Passage erscheint in der Druckfassung von Busonis Bearbeitung leicht verändert – wohl aufgrund der sich in den folgenden Briefen anschließenden Diskussion (vgl. Theurich 1979, S. 67).
|
* The * Library * of * Congress *
Aber vielleicht entspricht das ganz und
gar nicht Ihren Absichten.
Ausgehend von dieser Passage aus der Bearbeitung des Klavierstücks op. 11 Nr. 2 durch Busoni entwickelt sich in den folgenden Briefen eine intensive Diskussion um Schönbergs Klavierstil, den Stellenwert einer Transkription sowie um eine mögliche Publikation der Werke. Vgl. hierzu die Briefe bis einschließlich 18. Juli 1910, zu Schönbergs Äußerungen zur Kompositionstechnik v. a. die Briefe vom 13. August 1909, 24. August 1909 und 3. Juli 1910.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<p>Ich habe <rs type="works" key="E0400112 E0400113">Ihre Stücke</rs> nun den fünften Tag
<lb/>bei mir <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> habe mich täglich mit ihnen
<lb/>beschäftigt. Ich glaube Ihre Absichten zu
<lb/>erfassen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> getraute
<note resp="#E0300318" type="commentary" subtype="ed_diff_minor"><bibl><ref target="#E0800004"/> (166)</bibl> und <bibl><ref target="#E0800060"/> (384)</bibl> fälschlich: <q>getraue</q> (bzw. <q>feel confident</q>.</note>
mich, nach einiger
<lb/>Vorbereitung, die Klänge <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<note resp="#E0300318" type="commentary" subtype="ed_diff_minor"><bibl><ref target="#E0800004"/> (166)</bibl> und <bibl><ref target="#E0800005"/> (152)</bibl>: <q>und</q>.</note>
Stimmungen nach
<lb/>Ihrer Erwartung wiederzugeben. Doch ist die
<lb/>Aufgabe, durch allzugroße <hi rend="underline"><choice><orig>Conc</orig><reg>Konz</reg></choice>ision</hi><orig>,</orig>
<note type="commentary" resp="#E0300318">Gedrängtheit, Kürze, Bündigkeit (lat.: concisio).</note>
<add place="above">(das ist das Wort)</add><reg>,</reg>
erschwert.</p>
<p rend="indent-first">Da ich fürchte<reg>,</reg> mis<reg>s</reg>verstanden zu werden, so nehme
<lb/>ich mir die Freiheit, Ihnen – zu meiner Vert<orig>h</orig>eidigung
<note resp="#E0300318" type="commentary" subtype="ed_diff_minor"><bibl><ref target="#E0800004"/> (166)</bibl> und <bibl><ref target="#E0800005"/> (152)</bibl>: <q>Verteidigung</q>.</note>
–
<lb/>eine kleine Illustration meiner Worte zu geben. Sie schreiben:
<!-- wäre akkurater als Spaltensatz innerhalb des Absatzes zu realisieren, erforderte preprocessing von <cb/> zu <column> -->
<table rend="noborder margin-left">
<row>
<cell>
<notatedMusic>
<ptr target="nb/D0100009-nb1.xml"/>
<graphic width="150px" height="69px" url="D0100009_3_ex_1.png"/>
<desc><persName key="E0300023">Arnold Schönberg</persName>, <title key="E0400019">Klavierstück op. 11 Nr. 2</title>, T. 40</desc>
</notatedMusic>
</cell>
<cell><p>um das
<lb/><hi rend="underline">Orchestrale</hi> in<orig>’</orig>s
<lb/><hi rend="underline">Pianistische</hi> zu
<lb/>übertragen:</p>
</cell>
<cell>
<notatedMusic>
<ptr target="nb/D0100009-nb2.xml"/>
<graphic width="123px" height="69px" url="D0100009_3_ex_2.png"/>
<desc><persName key="E0300017">Ferruccio Busoni</persName>, <rs key="E0400032">Bearbeitung von <persName key="E0300023">Schönbergs</persName> op. 11 Nr. 2</rs>, T. 47</desc>
</notatedMusic>
<note type="commentary" resp="#E0300318">Die hier vorliegende Passage erscheint in der Druckfassung von <rs key="E0400032"><persName key="E0300017">Busonis</persName> Bearbeitung</rs> leicht verändert – wohl aufgrund der sich in den folgenden Briefen anschließenden Diskussion (vgl. <bibl><ref target="#E0800005"/>, S. 67</bibl>).</note>
</cell>
</row>
</table>
<note type="stamp" resp="#lc_st_red" place="margin-right"><stamp rend="round majuscule small">* The * Library * of * Congress *</stamp></note>
<lb/>Aber vielleicht entspricht das ganz und
<lb/>gar nicht Ihren Absichten.
<note type="commentary" resp="#E0300318">Ausgehend von dieser Passage aus der <rs key="E0400032">Bearbeitung</rs> des <rs key="E0400113">Klavierstücks op. 11 Nr. 2</rs> durch <persName key="E0300017">Busoni</persName> entwickelt sich in den folgenden Briefen eine intensive Diskussion um <persName key="E0300023">Schönbergs</persName> Klavierstil, den Stellenwert einer Transkription sowie um eine mögliche Publikation der Werke. Vgl. hierzu die Briefe bis einschließlich <ref target="#D0100022"><date when-iso="1910-07-18">18. Juli 1910</date></ref>, zu <persName key="E0300023">Schönbergs</persName> Äußerungen zur Kompositionstechnik v. a. die Briefe vom <ref target="#D0100012"><date when-iso="1909-08-13">13. August 1909</date></ref>, <ref target="#D0100014"><date when-iso="1909-08-24">24. August 1909</date></ref> und <ref target="#D0100020"><date when-iso="1910-07-03">3. Juli 1910</date></ref>.</note>
</p>
</div>
|
4Facsimile
|
4Diplomatic transcription
|
4XML
|
|
Ich werde aber die Sachen noch
durcharbeiten, bis sie mir ganz in’s Blut
gedrungen. Dann denke ich vielleicht anders.
Dieses soll weder ein Urtheil, noch eine
Kritik sein – welche beide ich mir (einer
solchen Individualität wie der Ihrigen gegen- -über) nie anmaassen würde, sondern durch nur
mein Bericht des empfangenen Eindrucks
u. meine Meinung als Clavierspieler. –
Seien Sie inzwischen bedankt und
freundschaftlich begrüsst.
Gerne hätte ich weiter* The * Library * of * Congress *
Ihr Vertrauen und sagen Sie,
waswenn ich
sonst was thun soll. –
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<p rend="indent-first">Ich werde aber die Sachen noch
<lb/>durcharbeiten, bis sie mir ganz in<orig>’</orig>s Blut
<lb/>gedrungen. Dann denke ich vielleicht anders.</p>
<p>Dieses soll weder ein Urt<choice><orig>heil,</orig><reg>eil</reg></choice> noch eine
<lb/>Kritik sein – welche beide ich mir (einer
<lb/>solchen Individualität wie der Ihrigen gegen
<lb break="no" rend="after:-"/>über) nie anma<choice><orig>ass</orig><reg>ß</reg></choice>en würde, sondern <del rend="strikethrough">durch</del> nur
<lb/>mein Bericht des empfangenen Eindrucks
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> meine Meinung als <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>lavierspieler. –</p>
<p rend="indent-first">Seien Sie inzwischen bedankt und
<lb/>freundschaftlich begrü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t.
Gerne hätte ich weiter
<note type="stamp" resp="#lc_st_red" place="margin-right"><stamp rend="round majuscule small">* The * Library * of * Congress *</stamp></note>
<lb/>Ihr Vertrauen<reg>,</reg> und sagen Sie,
<subst><del rend="strikethrough">was</del><add place="above">wenn</add></subst> ich
<lb/>sonst was t<orig>h</orig>un soll. –</p>
<closer>
<salute rend="align(center)">Ihr sehr ergebener</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">Ferruccio Busoni</persName></signed>
<dateline rend="align(left)"><date when-iso="1909-07-26">26<reg>.</reg> Juli 1909.</date></dateline>
</closer>
</div>
|