Robert Freund an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Kleinlaufenburg · 8. Oktober 1909

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Lieber Freund! Mit Ihrer
Sendung haben Sie mir
eine grosse Freude bereitet
u. ich danke Ihnen wärm_
stens dafür. Eben im
Begriff nach B[uda]pest zu
reisen, erlauben Sie, dass ich
Ihnen meinen Eindruck
nach nur einmaligen Spielen
u. Lesen sage?

Berceuse u. Fantasie, meine
Lieblinge, einfach herrlich!
Paganini u. namentlich die
e moll Caprice, genial
übertragen. Bei der C dur
merke ich eher die Ȇbertra_
gung«; ich wette aber,
dass Jemand der Paganini nicht
ken̅t die e moll Caprice

Lieber Freund!

Mit Ihrer Sendung haben Sie mir eine große Freude bereitet und ich danke Ihnen wärmstens dafür. Eben im Begriff nach B[uda]pest zu reisen, erlauben Sie, dass ich Ihnen meinen Eindruck nach nur einmaligen Spielen und Lesen sage?

Berceuse und Fantasie, meine Lieblinge, einfach herrlich! Paganini und namentlich die e moll Caprice, genial übertragen. Bei der C dur merke ich eher die »Übertragung«; ich wette aber, dass Jemand der Paganini nicht kennt die e moll Caprice für ein Klavierstück halten wird. –

Bach famos! Das ist phantasievolle Figuration. Und Mozart steht nicht weit nach. – Im ersten Heft sagte mir, nach wie gesagt einmaligem Lesen, blos die Fughette zu, in das Preludietto, sowie in den Epilog im vierten Heft, kann ich mich noch nicht finden. Offen gestanden fürchte ich aber, dass auch für mich die Zeit gekommen ist, wo ich nicht mehr »mit« kann. Ich weiß nicht wie Sie z.B. über Bartók’s Bagatellen denken. Einige finde ich voller Talent, andere geradezu hässlich, eine Folge von Scheußlichkeiten, und gerade weil ich sein Talent hoch stelle, so frage ich mich ob nicht der Fehler an mir liegt, wenn ich mich in manche seiner Stücke nicht mehr finden kann. Erinnere ich mich doch genau welches Entsetzen noch vor 40 Jahren das e moll und B dur in der Sonate v. Liszt bei der ungeheuren Majorität der Musiker hervorrief! U. so ist also mein Misstrauen gegen mich selbst ein berechtigtes und ich sage meine Einwände offen, aber in aller Bescheidenheit. – So wie ich aber zurück bin, will ich mir beide Stücke einigemal vorspielen um zu sehen ob mir noch zu helfen ist. –

Ich freue mich sehr Sie schon nächstens in Basel zu sehen und zu hören. Wie steht es mit Zürich? Hat hier kein Lebenszeichen gegeben?

Von meiner Frau herzliche Grüße an Sie und Ihre l. Frau u. ich bin in alter Anhänglichkeit

Ihr treu ergebener

R. Freund

Zürich 8 Oct. 09 Untere Zäune 7
                                                                
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wird. –

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Mozart steht nicht weit
nach. – Im ersten Heft
sagte mir, nach wie gesagt
einmaligem Lesen, blos die
Fughette zu, in das Preludietto,
sowie in den Epilog im
vierten Heft, kan̅ ich mich
noch nicht finden. Offen
gestanden fürchte ich aber, dass
auch für mich die Zeit gekom_
men ist, wo ich nicht mehr
»mit« kan̅. Ich weiss nicht
wie Sie z.B. über Bartók’s
Bagatellen denken. Einige
finde ich voller Talent,
andere geradezu hässlich,

                                                                
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ich mich ob nicht der Fehler
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in manche seiner Stücke
nicht mehr finden kan̅.
Erin̅ere ich mich doch genau
welches Entsetzen noch vor 40
Jahren das e moll u. B dur
in der Sonate v. Liszt
bei der ungeheuren Majorität
der Musiker hervorrief!
U. so ist also mein Misstrauen
gegen mich selbst ein berech_
tigtes u. ich sage meine
Einwände offen, aber in aller
Bescheidenheit. – So wie ich
aber zurück bin, will ich mir
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um zu sehen ob mir noch
zu helfen ist. –

Ich freue mich sehr Sie
schon nächstens in Basel
zu sehen u. zu hören. Wie
steht es mit Zürich? Hat
hier kein Lebenszeichen
gegeben?

Von meiner Frau herzliche Grüsse
an Sie u. Ihre l. Frau u.
ich bin in alter Anhänglichkeit

Ihr treu ergebener

R. Freund

Zürich 8 Oct. 09
Untere Zäune 7
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1717 | olim: Mus.ep. R. Freund 28+Beil. (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief und Zeitungsausschnitt sind erhalten.
Umfang
1 Bogen, 1 Zeitungsausschnitt, 4 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Robert Freund, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
28. März 2021: in Bearbeitung (in der Erfassungs-/Codierungsphase)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition