Philipp Jarnach an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Polling · 2. August 1923

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N.Mus.Nachl. 30, 135
Polling, den 2. Aug. 23

Mein lieber Meister! – Heute nachts aus Donaueschingen
angekommen, ist mein erster Gedanke, an Sie zu
schreiben u. Ihnen herzlichst zu danken für Ihre
zwei Karten. Die erste zwar machte mich zunächst
etwas unmutig; ich nahm jedoch die Stelle nicht
wörtlich, wonach strenge Hingabe an das Vorgenomme-
ne Selbstsucht zu nennen wäre. Denn gerade das
ist es, was ich zuerst von Ihnen lernte; somit
wären ja Sie der Urheber des Uebels. (Was ich
da sage, ist unverschämt, aber nicht ernst zu neh-
men, das folgende hingegen wohl:) Denn mit der
Abschließung von der Außenwelt stimmt es nicht;
im Gegenteil, ich hatte kurz vorher von ihr fast
mehr verspürt als bekömmlich ist. Sie haben
trotzdem vollkommen Recht gehabt u. die Schelte
war reichlich verdient.

In Donauesch. wurde das Quartett trotz unge-
nügender Vorbereitung (manche Stellen waren un-
klar, das Ganze zu wenig nüanciert) mit
großer Verve u. Schwung gespielt und, also prä-

Polling, den 2. Aug. 23

Mein lieber Meister!

Heute nachts aus Donaueschingen angekommen, ist mein erster Gedanke, an Sie zu schreiben und Ihnen herzlichst zu danken für Ihre zwei Karten. Die erste zwar machte mich zunächst etwas unmutig; ich nahm jedoch die Stelle nicht wörtlich, wonach strenge Hingabe an das Vorgenommene Selbstsucht zu nennen wäre. Denn gerade das ist es, was ich zuerst von Ihnen lernte; somit wären ja Sie der Urheber des Übels. (Was ich da sage, ist unverschämt, aber nicht ernst zu nehmen, das Folgende hingegen wohl:) Denn mit der Abschließung von der Außenwelt stimmt es nicht; im Gegenteil, ich hatte kurz vorher von ihr fast mehr verspürt, als bekömmlich ist. Sie haben trotzdem vollkommen Recht gehabt, und die Schelte war reichlich verdient.

In Donaueschingen wurde das Quartett trotz ungenügender Vorbereitung (manche Stellen waren unklar, das Ganze zu wenig nuanciert) mit großer Verve und Schwung gespielt und, also präsentiert, vom Publico bereitwilligst geschluckt. Frau Gerda, die wir die Freude hatten, dort anzutreffen, wird Ihnen die Einzelheiten erzählen. Die drei Konzerte Vgl. die Programmübersicht der Donaueschinger Musiktage (1923) im Programmarchiv des SWR. boten eher Unerfreuliches. Bemerkenswert war nur ein neues Quartett von Hába. Er hat die Vierteltöne bereits so weit assimiliert, dass Erfinden und Gestalten wieder in den Vordergrund rücken und das Experiment zurücktritt. Dies Quartett ist tatsächlich komponiert, der zweite (und letzte) Satz sogar unter allen Umständen ein ausgezeichnetes, klares und sehr schön klingendes Stück. – Also ein Resultat.

Gebummelt wurde dort und getrunken viel. Wir empfinden alle die Notwendigkeit, den Kater ein wenig zu lüften, sozusagen. In etwa 14 Tagen gedenke ich über dieses und noch manches mit Ihnen zu plaudern; ich freue mich im Voraus.

Alles Herzlichste von Ursula und Ihrem treuen

PS Der Fürst ist unvergleichlich. Die Vehemenz seines Witzes und seine homerische Lustigkeit haben uns Junge alle beschämt.

                                                                
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sentiert, vom Publico bereitwilligst geschluckt. Frau
Gerda
, die wir die Freude hatten, dort anzu-
treffen, wird Ihnen die Einzelheiten erzählen.
Die drei Konzerte Vgl. die Programmübersicht der Donaueschinger Musiktage (1923) im Programmarchiv des SWR. boten eher Unerfreuliches.
Bemerkenswert war nur ein neues Quartett
von Haba. Er hat die Vierteltöne bereits so
weit assimiliert, daß Erfinden u. Gestalten wieder
in den Vordergrund rücken u. das Experiment
zurücktritt. Dies Quartett ist tatsächlich kom-
poniert, der zweite (u. letzter) Satz sogar unter
allen Umständen ein ausgezeichnetes, klares u.
sehr schön klingendes Stück. – Also ein Resultat. –

Gebummelt wurde dort u. getrunken viel. Wir
empfinden alle die Notwendigkeit, den Kater
ein wenig zu lüften, sozusagen. In etwa 14 Tagen
gedenke ich über dieses u. noch manches mit
Ihnen zu plaudern; ich freue mich im Vor-
aus. – Alles Herzlichste von Ursula u. Ihrem
treuen

P.S. – Der Fürst ist unvergleichlich. Die Vehemenz
seines Witzes u. seine homerische Lustigkeit
haben uns Junge alle beschämt.

Preußischer
Staats-
bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
                                                                
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Dokument

doneStatus: zur Freigabe vorgeschlagen XML Faksimile Download / Zitation

Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Nachl. 30,135 |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten; Umschlagaufriss links, mit minimalem Textverlust (behebbar); Poststempel unvollständig (Briefmarke fehlt).
Umfang
1 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Philipp Jarnach, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen hat
  • Hand Gerda Busonis, die auf der Umschlagrückseite mit Bleistift das Jahr notiert hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)

Zusammenfassung
Jarnach ist aus Donaueschingen zurückgekehrt, wo sein Streichquartett aufgeführt wurde und wo er Gerda Busoni getroffen hat; hebt ein neues Streichquartett und die Vierteltontechnik von Alois Hába lobend hervor; berichtet von der Begegnung mit dem Fürsten Maximilian Egon von Fürstenberg.
Incipit
Heute nachts aus Donaueschingen angekommen

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
25. November 2021: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition