Sehr verehrliche liebe Frau Professor,
ich sah mir heute meine bald 40 Jahre alten Chopin Variatione
an. An ihnen ist nicht viel zu „flicken“.
Aus Busonis Brief an Kwast-Hodapp vom 22.04.1922 geht hervor, dass Kwast-Hodapp das „Flicken“ angeregt hat, und Busoni sich der Bearbeitung annimmt, trotz gegenteiliger Aussage in diesem Brief.
Nach der Fertigstellung am 28.04.1922 wird Busoni die Verbesserte Fassung von op.22 veröffentlichen.
Jedes Werk entspricht dem
Augenblick, in dem es entstand; vorausgesetzt, dass es überhaupt
dem Augenblick entsprach!
– Ich würde (ganz zu Anfang) dem Thema die folgende „faustische“ Einleitung vorausschicken:
Der skizzierte Ausschnitt ist nicht genau so in den Noten zu Busonis Doktor Faust zu finden, erinnert aber aufgrund der Achtelpunktierungen und der Oktaven im Bass an die Vorspiele I und II aus Busonis Faust.
Das Notenbeispiel kommt so nicht in Busonis Faust vor, erinnert aber insbesondere durch die fallende Punktierung an das Werk.
Auslassen: Die Variationen auf Seite 7,
und die beiden letzten, Seite 22 und 23.
Mit der Fuge bin ich nur bedingungsweise einverstanden. Den ersten
Teil wollte ich (heute!) im Tarantella-Rhythmus ausgestalten, mit
dem Thema:
Der
4/
4-Takt sollte mit den letzten 2 Zeilen von Seite 26 beginnen. – Der Orgelpunkt ......? (Seite 29)
Das gäbe eine Arbeit, die voraussichtlich zu einer noch sehr
ausgreifenden Umarbeitung führte.
An
Frieda Kwast-Hodapp, 20. April 1922
Für einen 18-jährigen, als der ich der Komponist war, ist
das Stück präsentabel. –
Es soll im ganzen so bleiben! –
Inzwischen erhalte ich Ihren lieben und anregenden Brief,
Der erwähnte Brief ist im Nachlass Busoni nicht erhalten. Deshalb sind auch die Bezüge der nächsten Absätze nicht eindeutig zu identifizieren.
für
den ich Ihnen danke. ❊
Ihren Bemerkungen über das Recht des Nachschaffenden stimme
ich, ohne weiteres, bei.
– Die Auffassung von Beethovens d-Moll Sonate entstand durch
eine Vorschrift Beethovens selbst über das ezitativ: er sagt
ungefähr, man solle das Pedal durchwegs halten; und es müsse die
Stelle so klingen, als ob einer in eine Höhle hineinriefe. – An
die Symphonie-Abende will ich denken.
– Den Artikel von Schreker hatte ich gelesen: schade, dass
der Stil die Absicht vermindert!
Hier bezieht sich Busoni auf Schrekers Artikel Das Opernrezept, der am 16. April 1922 in der Morgenausgabe des Berliner Tageblatts erschienen ist. Darin echauffiert sich Schreker in eher flapsigem Schreibstil darüber, dass sein „Opernrezept“ entlarvt wurde und nun allen Komponisten zur Verfügung steht. (Schreker 1922)
Ihrem trefflichen Mann die achtungsvoll-herzlichsten Grüße.
Auch Ihnen
von Ihrem ergebenen
F. Busoni
Busoni wird den Brief von Kwast-Hodapp am 16. April 1922 erhalten haben, auf dieses Datum fiel der Ostersonntag 1922.
❊
Der Ostersonntag ist mein verschiebbarer Geburtstag, da der
1. April 1866 auf dieses Fest fiel. Darum war Ihr Brief eine
Geburtstagsgabe.