Ferruccio Busoni an Frieda Kwast-Hodapp arrow_backarrow_forward

Berlin · 20. April 1922

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Mus. ep. F. Busoni 633 (Busoni-Nachl. B I)
Mus. Nachl. F. Busoni B I, 772


[Nach einer beglaubigten Abschrift]

[Adresse: ] Frau Professor Kwast-Hodapp
Dörnbergstrasse 1. Berlin. W
[Berlin,] 20. April 1922

Sehr verehrliche liebe Frau Professor,

ich sah mir heute meine bald 40 Jahre alten Chopin Variationen
an. An ihnen ist nicht viel zu "flicken". Jedes Werk entspricht dem
Augenblick, in dem es entstand; vorausgesetzt, dass es überhaupt
dem Augenblick entsprach!

– Ich würde (ganz zu Anfang) dem Thema die folgende "fausti-
sche" Einleitung vorausschicken:

[]

Auslassen: Die Variationen auf Seite 7,
und die beiden letzten, Seite 22 u. 23.

Mit der Fuge bin ich nur bedingungsweise einverstanden. Den ersten
Teil wollte ich (heute!) im Tarantella-Rhythmus ausgestalten, mit
dem Thema:

[]

Der 4/4-Takt sollte mit den letzten 2 Zeilen von Seite 26 begin-
nen. – Der Orgelpunkt ......? (Seite 29)

Das gäbe eine Arbeit, die voraussichtlich zu einer noch sehr
ausgreifenden Umarbeitung führte.

[]

[Berlin,] 20. April 1922

Sehr verehrliche liebe Frau Professor,

ich sah mir heute meine bald 40 Jahre alten Chopin Variatione an. An ihnen ist nicht viel zu "flicken". Jedes Werk entspricht dem Augenblick, in dem es entstand; vorausgesetzt, dass es überhaupt dem Augenblick entsprach!

– Ich würde (ganz zu Anfang) dem Thema die folgende "faustische" Einleitung vorausschicken:

Auslassen: Die Variationen auf Seite 7, und die beiden letzten, Seite 22 u. 23.

Mit der Fuge bin ich nur bedingungsweise einverstanden. Den ersten Teil wollte ich (heute!) im Tarantella-Rhythmus ausgestalten, mit dem Thema:

Der 4/4-Takt sollte mit den letzten 2 Zeilen von Seite 26 beginnen. – Der Orgelpunkt ......? (Seite 29)

Das gäbe eine Arbeit, die voraussichtlich zu einer noch sehr ausgreifenden Umarbeitung führte.

An Frieda Kwast-Hodapp, 20. April 1922

Für einen 18-jährigen, als der ich der Komponist war, ist das Stück präsentabel. –

Es soll im ganzen so bleiben! –

Inzwischen erhalte ich Ihren lieben und anregenden Brief, für den ich Ihnen danke.

Ihren Bemerkungen über das Recht des Nachschaffenden stimme ich, ohne weiteres, bei.

– Die Auffassung von Beethovens D moll-Son. entstand durch eine Vorschrift Beethovens selbst über das Rezitativ: er sagt ungefähr, man solle das Pedal durchwegs halten; und es müsse die Stelle so klingen, als ob einer in eine Höhle hineinriefe. – An die Symphonie-Abende will ich denken.

– Den Artikel von Schreker hatte ich gelesen: schade, dass der Styl die Absicht vermindert!

Ihrem trefflichen Mann die achtungsvoll-herzlichsten Grüsse. Auch Ihnen von Ihrem ergebenen

F. Busoni

Der Ostersonntag ist mein verschiebbarer Geburtstag, da der 1. April 1866 auf dieses Fest fiel. Darum war Ihr Brief eine Geburtstagsgabe.
                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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B I, 772
[2]An Frieda Kwast-Hodapp, 20. April 1922

Für einen 18-jährigen, als der ich der Komponist war, ist
das Stück präsentabel. –

Es soll im ganzen so bleiben! –

Inzwischen erhalte ich Ihren lieben und anregenden Brief, für
den ich Ihnen danke. x)

Ihren Bemerkungen über das Recht des Nachschaffenden stimme
ich, ohne weiteres, bei.

– Die Auffassung von Beethovens D moll-Son. entstand durch eine Vorschrift Beethovens selbst über das Rezitativ: er sagt ungefähr, man solle das Pedal durchwegs halten; und es müsse die Stelle so klingen, als ob einer in eine Höhle hineinriefe. – An die Symphonie-Abende will ich denken.

– Den Artikel von Schreker hatte ich gelesen: schade, dass der Styl die Absicht vermindert!

Ihrem trefflichen Mann die achtungsvoll-herzlichsten Grüsse.
Auch Ihnen
von Ihrem ergebenen

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

F. Busoni

x)Der Ostersonntag ist mein verschiebbarer Geburtstag, da der
1. April 1866 auf dieses Fest fiel. Darum war Ihr Brief eine
Geburtstagsgabe.
                                                                
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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 772 | olim: Mus.ep. F. Busoni 663 |

Nachweis Kalliope

Zustand
Die Abschrift ist gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten sind beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schrift, mit der Schreibmaschine geschrieben
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Ergänzung in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Busoni teilt Kwast-Hodapp seine Überlegungen zu Umarbeitungen seiner Chopin-Variationen mit; skizziert musikalische Änderungen; stimmt ihren Gedanken zum Recht des Nachschaffenden zu; erläutert seine Auffassung von Beethovens d-Moll Sonate anhand einer Originalanweisung Beethovens; äußert sich kritisch zum Stil eines Artikels von Schreker.
Incipit
ich sah mir heute meine bald 40 Jahre alten Chopin Variatione[n] an.

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
16. Juni 2025: in Bearbeitung (in der Erfassungs-/Codierungsphase)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition