Ferruccio Busoni to Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · June 4, 1917

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53.4. Juni 1917

Lieber verehrter,

es war so gut von Ihnen auch
bei diesem geringen Anlaße Ihre
freundliche Theilnahme zu zeigen. Hans Pfitzner hatte kurz zuvor seine gegen Busoni gerichtete Schrift Futuristengefahr veröffentlicht.

Wohl hätte ich in ganz
anderem Tone erwiedern können
an den Herrn Doktor von der
Münchner Festwoche
, (die uns
keine neuesten Nachrichten bringen
wird!) aber um ihn mit solchenden
Waffen der Grobheit zu schlagen
hätte ich gemein werden müßen,
was wiederum sein Sieg gewesen
wäre. Völlig ungerecht ist er
bei dem Argument, dass ich mit
der Kritik der Schlagwörter
“musikalisch” und “tief”
den Deutschen Unterricht ertheilen
wolle. Pfitzner 1926, S. 212. Es verhält sich ganz umgekehrt.

Lieber Verehrter,

es war so gut von Ihnen, auch bei diesem geringen Anlasse Ihre freundliche Teilnahme zu zeigen. Hans Pfitzner hatte kurz zuvor seine gegen Busoni gerichtete Schrift Futuristengefahr veröffentlicht.

Wohl hätte ich in ganz anderem Tone erwidern können an den Herrn Doktor von der Münchner Festwoche (die uns keine neuesten Nachrichten bringen wird!), aber um ihn mit den Waffen der Grobheit zu schlagen, hätte ich gemein werden müssen, was wiederum sein Sieg gewesen wäre. Völlig ungerecht ist er bei dem Argument, dass ich mit der Kritik der Schlagwörter „musikalisch“ und „tief“ den Deutschen Unterricht erteilen wolle. Pfitzner 1926, S. 212. Es verhält sich ganz umgekehrt.

Ich bin’s, der ich in Deutschland, seit Kindheit auf und noch als reifer Mann, fortwährend unterrichtet wurde; und jeder Notenkopist, jeder Provinz-Stammtischler konnte und durfte mich mit jenen beiden Wörtern einschüchtern und sich über mich stellen. Ähnlich erging es mir mit dem gangbaren Wort „Gefühl“, und man hat es fertiggebracht, mir die Etikette anzukleben „des Mannes von Intellekt ohne Seele“. Die erwähnten Begriffe „Gefühl“, „Tiefe“ und auch „Sehnsucht“ dienen bei Pfitzner zur Abgrenzung der „Deutschen“ von den „romanischen Völkern“ (vgl. Pfitzner 1926, S. 222. – Nein, die durften nicht bedingungslos siegen, Sie haben ganz Recht. Siehe Nun werden Sie meine Revolte gegen die Kanonisierung Regers (durch Suter) eher verstehen als damals: Max Reger war am 11. Mai 1916 an Herzversagen gestorben. das ging nicht gegen Suter und kaum gegen Reger: es ging gegen ein Prinzip, das aufrecht zu halten ich die Schweizer für undeutsch genug halten möchte.

Alle Verehrung vor den größten Deutschen! Die mediokren füttern sich aber von Schlagwörtern und sprechen im Herdenton „wir“. Wir halten durch“, das ist das neueste. —

Am 31. Mai fand eine vierte Aufführung meiner Spiele Busonis Opern Arlecchino und Turandot, die jeweils gemeinsam aufgeführt wurden. statt, mit glänzendem Erfolge. – Nun arbeite ich an einer „großen, kritisch-instruktiven Ausgabe“ von Liszts Don-Juan-Fantasie, worin ich Manches niederlege – –

Ich rechne, zu Ihrer Symphonie nach Basel zu kommen, und freue mich auf Musik und Geselligkeit. Die Symphonie ist doch am June 9, 1917Samstag? Möchten Sie mir das kurz bestätigen?

Verzeihen Sie die Mühe und seien Sie nochmals bedankt von Ihrem verehrungsvoll

und herzlich ergebenen

F. Busoni

4. Juni 1917
                                                                
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(2)

Ich bin’s, der ich in Deutschland,
seit Kindheit auf u. noch als
reifer Mann, fortwährend unter-
richtet wurde; und jeder Noten-
-KompKonpist, jeder Provinz-Stammtischler
konnte u. durfte mich mit d jenen
beiden Wörtern einschüchtern, u.
sich über mich stellen. Ähnlich
erging es mir mit dem gangbaren
Wort „Gefühl“, u. man hat es
fertig gebracht, mir die Etikette
anzukleben “des Mannes von
Intellekt ohne Seele.”
Die erwähnten Begriffe „Gefühl“, „Tiefe“ und auch „Sehnsucht“ dienen bei Pfitzner zur Abgrenzung der „Deutschen“ von den „romanischen Völkern“ (vgl. Pfitzner 1926, S. 222. – Nein,
die durften nicht bedingungslos
siegen, Sie haben ganz Recht. Siehe
Nun werden Sie meine Revolte
gegen die Kanonisierung Reger’s
(durch Suter) eher verstehen, als
damals: Max Reger war am 11. Mai 1916 an Herzversagen gestorben. das ging nicht gegen
Suter u. kaum gegen Reger: es
ging gegen ein Prinzip, das
aufrecht zu halten ich die
Schweizer für undeutsch genug
halten möchte.

                                                                
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(3)

Alle Verehrung vor den größten
Deutschen! Die mediokren füttern
sich aber von Schlagwörtern u.
sprechen im Heerden-Ton „wir“.
Wir hallten durch“, das ist
das neueste. —

Am 31. Mai fand eine 4. Auf-
führung meiner Spiele Busonis Opern Arlecchino und Turandot, die jeweils gemeinsam aufgeführt wurden. statt, mit
glaenzendem Erfolge. – Nun arbeite
ich an einer „grossen, kritisch-in-
struktiven Ausgabe“
von Liszt’s Don
Juan Fantasie
, worin ich Manches
niederlege Refardt 1939 (31) fälschlich: „widerlege“. – –

Ich rechne, zu Ihrer Symphonie
nach Basel zu kommen und
freue mich auf Musik und
Geselligkeit. Die Symphonie ist
doch am June 9, 1917Samstag? Möchten Sie
mir das kurz bestätigen?

Verzeihen Sie die Mühe und
seien Sie nochmals bedankt
von Ihrem verehrungsvoll

u. herzlich ergebenen

F. Busoni

4 Juni 1917
                                                                
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Provenance
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
3 Blätter, 3 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der Datierung und Nummerierung mit Bleistift vorgenommen hat.

Summary
Busoni bedankt sich für Hubers Unterstützung in der Hans Pfitzner-Kontroverse; beklagt seine stereotype Herabsetzung durch die Deutschen; berichtet vom Erfolg mit Arlecchino und Turandot; arbeitet an einer Ausgabe von Liszts Don-Juan-Fantasie; kündigt Aufführungsbesuch von Hubers Symphonie in Basel an.
Incipit
es war so gut von Ihnen

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
June 2, 2017: candidate (coding checked, proofread)
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