Martin Wegelius to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Pohja · prob. July 23, 1894

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Mus.ep. M. Wegelius 10 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5323
Pojo, den 8 Juli 1894. Der Brief wurde erst zusammen mit dem folgenden Brief am 23. Juli 1894 abgeschickt (vergleiche dazu die Kommentierung des Folgebriefs).

Lieber Ferruccio!

Schönsten Dank für deine Be⸗
mühungen und für deinen
Brief! Nicht überliefert. Dem Kontext ist zu entnehmen, dass Busoni auf den Brief vom 24. Juni 1894 geantwortet hat, nachdem er auf Wegelius’ Bitte hin Kurt Müller aufgesucht und sich dessen Klavierspiel angehört hatte. Nur bist Du fürch⸗
terlich knapp in deinen Mit⸗
theilungen. Was soll ich nun
damit machen? Das er fleissig,
gewissenhaft, bescheiden und
fein ist, weiss ich schon von
Klindworth; von dir erwarte⸗
te ich eine feste, bestimmte
Aussage über die Frage, ob
er für uns passt oder nicht[1]

Pojo, den 8. Juli 1894. Der Brief wurde erst zusammen mit dem folgenden Brief am 23. Juli 1894 abgeschickt (vergleiche dazu die Kommentierung des Folgebriefs).

Lieber Ferruccio!

Schönsten Dank, für deine Bemühungen und für deinen Brief! Nicht überliefert. Dem Kontext ist zu entnehmen, dass Busoni auf den Brief vom 24. Juni 1894 geantwortet hat, nachdem er auf Wegelius’ Bitte hin Kurt Müller aufgesucht und sich dessen Klavierspiel angehört hatte. Nur bist Du fürchterlich knapp in deinen Mitteilungen. Was soll ich nun damit machen? Dass er fleißig, gewissenhaft, bescheiden und fein ist, weiß ich schon von Klindworth; von dir erwartete ich eine feste, bestimmte Aussage über die Frage, ob er für uns passt oder nicht – ob er uns und unserm Publikum genügt. Ich kann mir schon vorstellen, dass diese Antwort sehr schwer ist. Hättest Du bei ihm Talent in höherm Sinn gefunden, so würde das Wort auch in deinem Brief genannt sein – dass Du sehr viel darunter verstehst, weiß ich wohl. Gestehen wir uns aber auch offen, dass z. B. der Dayas nicht ein solches Talent hatte. Sein Spiel war zuweilen durch gewaltige Energie und Bravour imponierend, ebenso oft aber brutal und roh, unsympathisch. Nun denke ich mir: Der Müller ist wohl noch nicht so selbständig, er hat noch nicht die Bravour, aber er hat vielleicht andere Seiten, die ebenso gut sind – sein Spiel hat vielleicht etwas Freundliches und Gewinnendes, Hübsches; so etwas ließen mir Klindworths Zeilen vermuten. darüber sagst Du nun gar nichts – Du sagst nicht einmal, ob er die Sachen gut oder schlecht gespielt hat. Du meinst natürlich, er hat sie mittelmäßig gespielt. Aber zwischen gut und schlecht liegen viele Nuancen, und einige von ihnen sind der Art, dass sie eine Entwicklung zum wirklich Guten erhoffen lassen. Ich kann mir übrigens die Situation recht gut vorstellen. Der junge Mann sitzt da vor seinem Richter, von dem er weiß, dass von ihm sein Geschick abhängt, ohne ein anderes Publikum, an das er appellieren könnte – und spielt natürlicherweise schlechter, als er öffentlich spielen würde. Auch das „spricht hier mit“; da müssen wir etwas abziehen. Es kam schon mancher „grüne Jugend“ zu uns, der sich in ein paar Jahren ganz schön entpuppte – z. B. Halvorsen, Martin und mehrere. Johan Halvorsen unterrichtete von 1889 bis 1892 als Nachfolger von Hermann Csillag Violine am Musikinstitut (vgl. Dahlström 1982, S. 332). Nach seinem Studium in Oslo, Stockholm und Leipzig hatte er bei seiner Anstellung in Helsinki Erfahrung als Orchestermusiker an den Theatern seiner Studienstädte und zumindest ein Jahr Lehrerfahrung in Aberdeen nachzuweisen (vgl. Dybsand 2002, Sp. 462). Alfred Martin übernahm 1892 die Stelle von Henri Merck als Cellolehrer und unterrichtete bis 1895 am Institut (vgl. Dahlström 1982, S. 333). Für Martin war Helsinki die erste Lehrstelle, wenngleich er nach zwei Jahren Cellounterricht am Konservatorium in Sondershausen (1884–1886; vgl. Hoffmann 2021, S. 59) schon im Alter von 16 Jahren bis zu seiner Berufung nach Helsinki regelmäßig als Solist und Ensemblespieler mit dem Loh-Orchester – damals Fürstliches Orchester Sondershausen – auftrat (vgl. ibid., S. 59; N. N. 1892a). Ab 1886 studierte er bis mindestens 1889 am Konservatorium in Leipzig (vgl. Hoffmann 2022, S. 60; Bernsdorf 1888, S. 306). Ein junger, gefügiger Mensch wäre mir für paar Jahre sehr willkommen, denn ich muss jetzt einmal Ordnung schaffen in dem Lehrgang der Klavierschüler und einen einigermaßen bestimmten Lehrplan feststellen; der Dayas hat in der Beziehung so toll gewirtschaftet, dass es nicht länger so fortgehen darf. Er muss sich also unterordnen können, ohne dass Konflikte dadurch entstehen. Andererseits muss er aber auch das Klavierspiel „mit Anstand und Würde“ nach außen repräsentieren können. Wenn er nichts Hervorragendes leistet, so darf er sich jedenfalls nicht blamieren; was er leistet, soll anständig und in dem Sinn unanfechtbar sein, dass er keine eigentliche Blößen zeigt. Sagst Du noch, dass ich sehr große Prätentionen habe? Du meinst wohl, dass wir etwas heruntergekommen sind, seit deinem Hiersein. Nu ja! Wie sagt doch Chamisso so schön in seinem „Kanon“ in vierdoppeltem Kontrapunkt:

„Das ist die Not der schweren Zeit,
Das ist die schwere Zeit der Not,
Das ist die schwere Not der Zeit,
Das ist die Zeit der schweren Not.

Also, hilf, lieber Samiel, Allusion auf den schwarzen Jäger Samiel, der in Carl Maria von Webers Freischütz Jägern durch einen Teufelspakt gegen eine Opfergabe übernatürliche Treffsicherheit verleiht. und sage geradeaus: Meinst Du, dass wir jenen Müller für unsere Mühle brauchen können? Die „Klemme“ finde ich nicht so schwer; hast Du einmal meinen Auftrag übernommen, so bist Du durch keinerlei Rücksichten an den jungen Mann gebunden, deine Meinung geradeheraus zu sagen. Hat Klindworth zu viel gesagt in seiner von mir zitierten Empfehlung, oder nicht?

Nun Gott befohlen, lieber Ferruccio, zürne nicht dem unermüdlichen Frager, sondern „bleibe mir gewogen“. Womöglich als Anspielung auf Heinrich Heine gemeint, der seine Briefe häufig mit dieser Grußformel beendete (siehe zum Beispiel die Briefe 34, 41, 43, 48, 55, 60, 62 und weitere in Heine/Hirth 1914).

Grüße deine Frau schönstens von Hanna und

Deinem M Wegelius

Nach der Beschreibung müsste er nun jedenfalls lieber Kurz als Kurt heißen. Wegelius zitiert im Brief vom 24. Juni Karl Klindworths Beschreibung von Müller: „er ist sehr kleiner Gestalt, es ist ihm versagt, sogleich einen imponierenden, günstigen Eindruck zu machen“.
                                                                
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– ob er uns und unserm Pu⸗
blicum genügt. Ich kann
mir schon vorstellen, dass
diese Antwort sehr schwer
ist. Hättest Du bei ihm
Talent in höherm Sinn ge⸗
funden, so würde das Wort
auch in deinem Brief ge⸗
nannt sein – dass Du sehr
viel darunter verstehst, weiss
ich wohl. Gestehen wir uns
aber auch offen, dass z. B.
der Dayas nicht ein sol⸗
ches Talent hatte. Sein Spiel
war zuweilen durch gewal⸗
tige Energie und Bravur
imponirend, ebenso oft aber
brutal und roh, unsympa⸗ Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
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tisch. Nun denke ich mir:
der Müller ist wohl noch
nicht so selbständig, er hat
noch nicht die Bravur, aber
er hat vielleicht andere
Seiten, die ebenso gut
sind – sein Spiel hat viel⸗
leicht
etwas freundliches
und gewinnendes, hübsches;
so etwas liessen mir Klind⸗
worth
[s] Zeilen vermuthen.
Darüber sag[…] at least 1, at most 2 char: overwritten. st Du nun gar
nichts – Du sagst nicht einmal, ob
er die Sachen gut oder
schlecht gespielt hat. Du
meinst natürlich, er hat sie
mittelmässig gespielt. Aber
zwischen gut und schlecht
liegen viele Nuancen, und[2]

                                                                
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einige von ihnen sind der
Art, dass sie eine Entwick⸗
lung zum wirklich Guten er⸗
hoffen lassen. Ich kann mir
übrigens die Situation recht
gut vorstellen. Der junge
Mann sitzt da vor seinem
Richter
, von dem er weiss
dass von ihm sein Geschick
abhängt, ohne ein anderes
Publicum, an das er apelli⸗
ren könnte – und spielt
natürlicherweise schlechter,
als er öffentlich spielen
würde. Auch das “spricht
hier mit”
; da müssen wir
Etwas abziehen. Es kam
schon mancher “grüne Ju⸗
gend”
zu uns, der sich in

                                                                
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B II, 5323

Paar Jahren ganz schön
entpuppte – z. B. Halvorsen,
Martin u. Mehrere. Johan Halvorsen unterrichtete von 1889 bis 1892 als Nachfolger von Hermann Csillag Violine am Musikinstitut (vgl. Dahlström 1982, S. 332). Nach seinem Studium in Oslo, Stockholm und Leipzig hatte er bei seiner Anstellung in Helsinki Erfahrung als Orchestermusiker an den Theatern seiner Studienstädte und zumindest ein Jahr Lehrerfahrung in Aberdeen nachzuweisen (vgl. Dybsand 2002, Sp. 462). Alfred Martin übernahm 1892 die Stelle von Henri Merck als Cellolehrer und unterrichtete bis 1895 am Institut (vgl. Dahlström 1982, S. 333). Für Martin war Helsinki die erste Lehrstelle, wenngleich er nach zwei Jahren Cellounterricht am Konservatorium in Sondershausen (1884–1886; vgl. Hoffmann 2021, S. 59) schon im Alter von 16 Jahren bis zu seiner Berufung nach Helsinki regelmäßig als Solist und Ensemblespieler mit dem Loh-Orchester – damals Fürstliches Orchester Sondershausen – auftrat (vgl. ibid., S. 59; N. N. 1892a). Ab 1886 studierte er bis mindestens 1889 am Konservatorium in Leipzig (vgl. Hoffmann 2022, S. 60; Bernsdorf 1888, S. 306). Ein jun⸗
ger, gefügiger Mensch wäre
mir für Paar Jahre sehr
willkommen, denn ich muss
einmal jetzt einmal Ord⸗
nung schaffen in dem Lehr⸗
gang der Klavierschüler,
und einen einigermassen
bestimmten Lehrplan fest⸗
stellen; der D. hat in der
Beziehung so toll gewirth⸗
schaftet, dass es nicht länger
so fortgehen darf. Er muss
Andererseits muss
sich also unterordnen kön⸗
nen
, ohne dass Conflicte
[3]

                                                                
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seitzs muss er aber auch das
Klavierspiel “mit Anstand
und Würde”
nach aussen
representiren können.
Wenn er Nichts hervorra⸗
gendes leistet, so darf
er sich jedenfalls nicht
blamiren; was er leistet
soll anständig und in dem
Sinn unanfechtbar sein,
dass er keine eigentliche
Blössen zeigt. Sagst Du
noch, dass ich sehr gros⸗
se Prätentionen habe?
Du meinst wohl, dass
wir etwas heruntergekom⸗ Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
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men sind seit deinem Hier⸗
sein. Nu ja! Wie sagt doch
Chamisso so schön in sei⸗
nem “Canon” in vierdoppelten
Kontrapunkt:

×) Nach der Beschreibung müsste er nun jeden⸗
falls lieber Kurz als Kurt heissen. Wegelius zitiert im Brief vom 24. Juni Karl Klindworths Beschreibung von Müller: „er ist sehr kleiner Gestalt, es ist ihm versagt, sogleich einen imponierenden, günstigen Eindruck zu machen“.
“Das ist die Noth der schwe⸗
ren Zeit,
Das ist die schwere Zeit der
Noth,
Das ist die schwere Noth der
Zeit,
Das ist die Zeit der schwe⸗
ren Noth.

Also, hilf, lieber Sam[…] at least 1, at most 2 char: overwritten. iel, Allusion auf den schwarzen Jäger Samiel, der in Carl Maria von Webers Freischütz Jägern durch einen Teufelspakt gegen eine Opfergabe übernatürliche Treffsicherheit verleiht.
und sage gerade aus: meinst
Du, dass wir den jenen
Müller für unsere Mühle
brauchen können?×) Die
“Klemme” finde ich nicht[4]

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="space-above" type="split"> men sind<reg>,</reg> seit deinem Hier <lb break="no"/>sein. Nu ja! Wie sagt doch <lb/><persName key="E0300913">Chamisso</persName> so schön in sei <lb break="no"/>nem <title key="E0400689" rend="dq-uu"><choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>anon</title> in vierdoppelte<choice><sic>n</sic><corr>m</corr></choice> <lb/>Kontrapunkt:</p> <note type="footnote" n="1" place="margin-left top" rend="small rotate(90)"> <metamark>×)</metamark> Nach der Beschreibung müsste er nun jeden <lb break="no"/><seg rend="indent">falls lieber Kurz als Kurt hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en. <note type="commentary" resp="#E0300616"><persName key="E0300207">Wegelius</persName> zitiert im <ref target="#D0102014">Brief vom <date when-iso="1894-06-24">24. Juni</date></ref> <persName key="E0300911">Karl Klindworths</persName> Beschreibung von <persName key="E0300983">Müller</persName>: <q source="#D0102014" n="3">er ist sehr kleiner Gestalt, es ist ihm versagt, sogleich einen imponierenden, günstigen Eindruck zu machen</q>.</note> </seg> </note> <quote rend="dq-uu indent"> <l>Das ist die Not<orig>h</orig> der schwe <lb break="no"/><seg rend="align(right)">ren Zeit,</seg></l> <l>Das ist die schwere Zeit der <lb/><seg rend="align(right)">Not<orig>h</orig>,</seg></l> <l>Das ist die schwere Not<orig>h</orig> der <lb/><seg rend="align(right)">Zeit,</seg></l> <l>Das ist die Zeit der schwe <lb break="no"/><seg rend="align(right)">ren Not<orig>h</orig>.</seg></l></quote> <p type="pre-split">Also, hilf, lieber Sam<subst><del rend="overwritten"><gap reason="overwritten" atLeast="1" atMost="2" unit="char"/></del><add place="across">ie</add></subst>l, <note type="commentary" resp="#E0300616">Allusion auf den schwarzen Jäger Samiel, der in <persName key="E0300159">Carl Maria von Webers</persName> <title key="E0400161">Freischütz</title> Jägern durch einen Teufelspakt gegen eine Opfergabe übernatürliche Treffsicherheit verleiht.</note> <lb/>und sage gerade<orig> </orig>aus: <choice><orig>m</orig><reg>M</reg></choice>einst <lb/>Du, dass wir <del rend="strikethrough">den</del> jenen <lb/><rs key="E0300983">Müller</rs> für unsere Mühle <lb/>brauchen können?<metamark function="footnote" n="1">×)</metamark> Die <lb/><q rend="dq-uu">Klemme</q> finde ich nicht <note type="foliation" resp="#archive" place="bottom-right">[4]</note> </p></div>
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so schwer; hast Du einmal
meinen Auftrag übernommen,
so bist Du durch keinerlei
Rücksichten an den jungen
Mann
gebunden, deine Mei⸗
nung gerade heraus zu
sagen. Hat Klindworth
zu viel gesagt in seiner
von mir citirten Empfeh⸗
lung, oder nicht?

Nun Gott befohlen, lieber
Ferruccio, zürne nicht dem
unermüdlichen Frager, son⸗
dern “bleibe mir gewogen”. Womöglich als Anspielung auf Heinrich Heine gemeint, der seine Briefe häufig mit dieser Grußformel beendete (siehe zum Beispiel die Briefe 34, 41, 43, 48, 55, 60, 62 und weitere in Heine/Hirth 1914).

Grüsse deine Frau schön⸗
stens von Hanna und

Deinem
M Wegelius

                                                                
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Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 5323 | olim: Mus.ep. M. Wegelius 10 |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
2 Bogen, 8 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Martin Wegelius, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 12345678

Summary
Wegelius dankt für Busonis Einschätzung zu Kurt Müller, den Busoni zuvor aufgesucht hatte; bedauert die negativ geprägten, aber doch ausweichenden Schilderungen; erbittet erneut eine klare Meinung, ob Müller als Klavierlehrer in Frage komme.
Incipit
Schönsten Dank, für deine Bemühungen

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
March 19, 2024: proposed (transcription and coding done, awaiting proofreading)
Direct context
Preceding Following
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