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Mus. ep. F. Busoni 757 (Busoni Nachl. BI) Mus. Nachl. F. Busoni B I, 904
[1]
19 Mai 1922
Liebe und verehrte
Frau Jella,
Mehrere Meldungen
aus Wien, und der Umstand, dass ich
letzthin beim Sichten meiner Bücher
auf den Gedenkband „Döbling“ ge-
rieth, wecken seit Tagen Erinnerungen
und heimweh-artige Empfindungen
in der Richtung Ihrer schönen
Stadt.
Bereits im vorigen Brief an Jella Oppenheimer
bekundet Busoni seinen Wunsch nach
Wien zurückzukehren.
Ein reinlich=starrer Wintertag
taucht mir im Gedächtnis auf,
als ich etwa im 11. Jahre stand. Fuhr
mit Ihrer verehrten Frau Mutter
in dem ausgepolsterten Coupe,
(Die Füsse froren mir zum Schmerzen)
und Wien erschien mir märchenhaft
und als wie alle Möglichkeiten in sich
bergend.
Während Busonis Zeit am Wiener Konservatorium schloss sein Vater
Ferdinando Busoni im Winter 1875/76 Bekanntschaft mit
Familie Gomperz. Sophie von Todesco beteiligte sich großzügig an
diversen Ausgaben des jungen Busonis;
vgl. Dent 1974, S. 21.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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19 Mai 1922
Liebe und verehrte
Frau Jella,
Mehrere Meldungen
aus Wien und der Umstand, dass ich
letzthin beim Sichten meiner Bücher
auf den Gedenkband „Döbling“ ge-riet, wecken seit Tagen Erinnerungen
und heimwehartige Empfindungen
in der Richtung Ihrer schönen
Stadt.
Bereits im vorigen Brief an Jella Oppenheimer
bekundet Busoni seinen Wunsch nach
Wien zurückzukehren.
Ein reinlich-starrer Wintertag
taucht mir im Gedächtnis auf,
als ich etwa im 11. Jahre stand. Fuhr
mit Ihrer verehrten Frau Mutter
in dem ausgepolsterten Coupe
(Die Füße froren mir zum Schmerzen)
und Wien erschien mir märchenhaft
und als wie alle Möglichkeiten in sich
bergend.
Während Busonis Zeit am Wiener Konservatorium schloss sein Vater
Ferdinando Busoni im Winter 1875/76 Bekanntschaft mit
Familie Gomperz. Sophie von Todesco beteiligte sich großzügig an
diversen Ausgaben des jungen Busonis;
vgl. Dent 1974, S. 21.
Dieses Wien der 70er Jahre ist
mir als „Begriff“ geblieben. Dann
verdarb mir die „Sezession“ ein
wenig das Bild und nun wage ich
nicht, mir das gegenwärtige vorzustellen.
Busoni bezieht sich hier vermutlich auf die Wiener Secession, welche am
3. April 1897 gegründet wurde und zur Verbreitung des Jugendstils
in Österreich beitrug.
– (auch nach Triest empfinde ich Sehnsucht;
fürchte mich aber davor, es ohne die
Eltern (und selber gealtert) wiederzusehen!)
Die Familie Busoni zog in Folge des Deutsch-Französischen Krieges 1870 von
Paris nach Triest
vgl. Leichtentritt 1916, S. 5-6.
Hier trat Busoni am 24.11.1873
im Alter von 7 Jahren erstmals öffentlich als Pianist auf;
vgl. Kogan 2010, S. 8.
– Alles übrige Österreich hängt aber
mit Leiden des Pubertätsalters, un--freiwilliger Vereinsamung, in meinem
Geschichtsbehälter zusammen; und
ich grolle den sämtlichen Graz',
Klagenfurths, Laibachs, Frohnleitens,
Zillis und Gmundens in Bausch
und Bogen!
Busoni zählt an dieser Stelle Orte auf, in denen er in seiner Kindheit und Jugend
lebte und (zum Teil wiederholt) konzertierte. Aufgrund Ferdinando Busonis Bemühungen
seinen Sohn Ferruccio in der Musikwelt bekannt zu machen (vgl. Kogan 2010, S.8),
waren die frühen Lebensjahre geprägt vom ständigen Wechsel des Wohnorts.
Die Familie Busoni übersiedelte 1878 nach Graz,
im selben Jahr zog Familie Busoni weiter nach Klagenfurth,
wo Busoni weitere Konzerte gab; vgl. Dent 1974, S. 29.
Im Juni 1879 siedelte die Familie nach Zilli;
vgl. ibid., S. 33
In Frohnleiten entstanden 1885 erste Entwürfe
seiner unvollendeten Oper Sigune; vgl. ibid., S. 57.
(Inbegriffen die Berge,
die Kröpfe
Gemeint ist vermutlich das Kropfband, welches Teil der österreichischen
und bayrischen Tracht ist., und die bezwiebelten
Kirchtürme.) – Ich bewundere
Wassermannss Tenacität,
Durchhaltevermögen die
ihn an Aussee fesselt. (noch mehr,
wie er von dort aus die ver--schwindenden Länder intuiert und
widergibt.)
Ganz zuletzt drang die Kunde
von Hofmannsthal's
„großem Welt Theater“
nach Berlin, das man als den
„österreichischen Faust“
ausspielt. Ich freue mich der
erfüllten Aufgabe und darauf
Sie lesen zu dürfen.
Jedoch von Ihnen selbst höre
ich zu wenig und diese Zeilen
(mit der überflüssigen Einleitung)
sollen veranlassen, dass Sie mir
gütigst wieder schreiben mögen.
Ich arbeite viel, und mit
gutem Ergebnis. Kam erst
im März aus Paris wieder.
Busoni gab vom 4. bis 15. März 1922
mehrere Konzerte als Klaviersolist in Paris;
vgl. Beaumont 1987, S. 349.
Be-schäftige mich eifrig als Biblio-thekar (ich habe nun an die 4000
Bände beisammen, und fühle
mich in meinen Bücherstuben
am heimischsten.
Neuerdings interessiere ich
mich auch wieder für das Kla-vierspiel, und hoffe noch ein Schritt-chen vorwärts zu kommen.(?)
Aufgrunddessen, dass sich Busonis Gesundheitszustand fortan verschlechterte
trat Busonis bereits am 29.05.1922 das letzte Mal öffentlich als Pianist auf;
vgl. Beaumont 1987, S. 353.
Gottlob, die Meinen sind
in Berlin vereint. Benni brachte
aus Zürich eine Frau mit….
In dem Brief an Volkmar Andreae vom 16.01.1922 geht hervor,
dass Busoni durch Andreae von der Verlobung seines
Sohnes mit Henriette Rinderknecht erfuhr und nicht durch seinen Sohn selbst;
vgl. Beaumont 1987, S. 348.
- Im Ganzen geht es gut, und
und ich bin dankbar.
Ich küsse Ihre Hände
und zeichne als Ihr
treu ergebener
Ferruccio B.
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<p rend="align(right)">Mehrere Meldungen</p>
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<lb/>(Die Fü<choice><orig>ss</orig></choice><reg>ß</reg>e froren mir zum Schmerzen)
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BI, 904 [2]
Dieses Wien der 70er Jahre ist
mir als "Begriff" geblieben. Dann
verdarb mir die „Sezession“ ein
wenig das Bild; und nun wage ich
nicht, mir das gegenwärtige vorzustellen.
Busoni bezieht sich hier vermutlich auf die Wiener Secession, welche am
3. April 1897 gegründet wurde und zur Verbreitung des Jugendstils
in Österreich beitrug.
– (auch nach Triest empfinde ich Sehnsucht;
fürchte mich aber davor, es ohne die
Eltern (und selber gealtert) wiederzusehen!)
Die Familie Busoni zog in Folge des Deutsch-Französischen Krieges 1870 von
Paris nach Triest
vgl. Leichtentritt 1916, S. 5-6.
Hier trat Busoni am 24.11.1873
im Alter von 7 Jahren erstmals öffentlich als Pianist auf;
vgl. Kogan 2010, S. 8.
– Alles übrige Oesterreich hängt aber
mit Leiden des Pubertäts Alters, un-
--freiwilliger Vereinsamung, in meinem
Geschichtsbehälter zusammen; und
ich grolle den sämtlichen Graz',
Klagenfurths, Laibach's, Frohnleiten's,
Zilli's und Gmunden's in Bausch
und Bogen!
Busoni zählt an dieser Stelle Orte auf, in denen er in seiner Kindheit und Jugend
lebte und (zum Teil wiederholt) konzertierte. Aufgrund Ferdinando Busonis Bemühungen
seinen Sohn Ferruccio in der Musikwelt bekannt zu machen (vgl. Kogan 2010, S.8),
waren die frühen Lebensjahre geprägt vom ständigen Wechsel des Wohnorts.
Die Familie Busoni übersiedelte 1878 nach Graz,
im selben Jahr zog Familie Busoni weiter nach Klagenfurth,
wo Busoni weitere Konzerte gab; vgl. Dent 1974, S. 29.
Im Juni 1879 siedelte die Familie nach Zilli;
vgl. ibid., S. 33
In Frohnleiten entstanden 1885 erste Entwürfe
seiner unvollendeten Oper Sigune; vgl. ibid., S. 57.
(Inbegriffen die Berge,
die Kröpfe
Gemeint ist vermutlich das Kropfband, welches Teil der österreichischen
und bayrischen Tracht ist., und die bezwiebelten
Kirchthürme.) – Ich bewundere
Wassermanns's Tenacität,
Durchhaltevermögen die
ihn an Aussee fesselt. (noch mehr,
wie er, d von dort aus, die ver-
--schwindenden Länder intuiert und
widergibt.)
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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<lb/>– (auch nach <placeName key="E0500145"><hi rend="underline">Triest</hi></placeName> empfinde ich Sehnsucht;
<lb/>fürchte mich aber davor, es ohne die
<lb/>Eltern (und selber gealtert) wiederzusehen!)
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Die Familie Busoni zog in Folge des Deutsch-Französischen Krieges <date when-iso="1870">1870</date> von
<placeName key="E0500012">Paris</placeName> nach <placeName key="E0500145">Triest</placeName>
<bibl>vgl. <ref target="#E0800114"/>, S. 5-6</bibl>.
Hier trat <persName key="E0300017">Busoni</persName> am <date when-iso="1873-11-24">24.11.1873</date>
im Alter von 7 Jahren erstmals öffentlich als Pianist auf;
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<lb/> – Alles übrige <placeName key="E0500091"><choice><orig>Oe</orig><reg>Ö</reg></choice>sterreich</placeName> hängt aber
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<lb break="no" rend="after:-"/>-freiwilliger Vereinsamung, in meinem
<lb/>Geschichtsbehälter zusammen; und
<lb/>ich grolle den sämtlichen <placeName key="E0500295">Graz'</placeName>,
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waren die frühen Lebensjahre geprägt vom ständigen Wechsel des Wohnorts.
Die Familie Busoni übersiedelte <date when-iso="1878">1878</date> nach <placeName key="E0500295">Graz</placeName>,
im selben <date when-iso="1878-12">Jahr</date> zog Familie Busoni weiter nach <placeName key="E0500834">Klagenfurth</placeName>,
wo <persName key="E0300017">Busoni</persName> weitere Konzerte gab; <bibl>vgl. <ref target="#E0800218"/>, S. 29</bibl>.
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(Inbegriffen die Berge,
<lb/>die Kröpfe<note type="commentary" resp="#E0300836">Gemeint ist vermutlich das Kropfband, welches Teil der österreichischen
und bayrischen Tracht ist.</note>, und die bezwiebelten
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<lb/><persName key="E0300404">Wassermanns<choice><orig>'</orig></choice>s</persName> Tenacität,<note type="commentary" resp="#E0300836">Durchhaltevermögen</note> die
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<lb break="no" rend="after:-"/>-schwindenden Länder intuiert und
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[Rückseite von Textseite 2]
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BI, 904 [3]
Ganz zuletzt drang die Kunde
von Hoffmannsthal's
„grossem Welt Theater“
nach Berlin, das man als den
„österreichischen Faust“
ausspielt. Ich freue mich der
erfüllten Aufgabe und darauf
Sie lesen zu dürfen. _________
Jedoch von Ihnen selbst höre
ich zu wenig und diese Zeilen
(mit der überflüssigen Einleitung)
sollen veranlassen, dass Sie mir
gütigst wieder schreiben mögen.
- Ich arbeite viel, und mit
gutem Ergebnis. Kam erst
im März aus Paris wieder.
Busoni gab vom 4. bis 15. März 1922
mehrere Konzerte als Klaviersolist in Paris;
vgl. Beaumont 1987, S. 349.
Be-
schäftige mich eifrig als Biblio=- thekar (ich habe nun an die 4000
Bände beisammen, und fühle
mich in meinen Bücherstuben
am heimischsten.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
|
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<p>Ganz zuletzt drang die Kunde
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<lb/>Jedoch von Ihnen selbst höre
<lb/>ich zu wenig und diese Zeilen
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<lb/>gütigst wieder schreiben mögen.
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7Diplomatic transcription
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Neuerdings interessiere ich
mich auch wieder für das -.-Kla=- -vierspiel, u. hoffe noch ein Schritt-
chen vorwärts zu kommen.(?)
Aufgrunddessen, dass sich Busonis Gesundheitszustand fortan verschlechterte
trat Busonis bereits am 29.05.1922 das letzte Mal öffentlich als Pianist auf;
vgl. Beaumont 1987, S. 353.
Gottlob, die Meinen sind
in Berlin vereint. Benni brachte
aus Zürich eine Frau mit….
In dem Brief an Volkmar Andreae vom 16.01.1922 geht hervor,
dass Busoni durch Andreae von der Verlobung seines
Sohnes mit Henriette Rinderknecht erfuhr und nicht durch seinen Sohn selbst;
vgl. Beaumont 1987, S. 348.
- Im Ganzen geht es gut, und
und ich bin dankbar.
Ich küsse Ihre Hände
und zeichne als Ihr
treu ergebener
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Ferruccio B.
|
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In dem Brief an <persName key="E0300129">Volkmar Andreae</persName> vom <date when-iso="1922-01-16">16.01.1922</date> geht hervor,
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<lb/>- Im Ganzen geht es gut, und
<lb/>und ich bin dankbar.
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