Robert Freund an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Zürich · vmtl. 18. November 1904

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Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1708
Mus.ep. R. Freund 19 (Busoni-Nachl. B II)
[1]

Lieber Freund! Ich bekom̅e
äusserst selten eine Berliner
Zeitung zu Gesicht, weiss also
nicht was Schmidt geschrieben.
Meine Ken̅tniss der Berliner
Vorkomnisse Betrifft die Uraufführung von Busonis Klavierkonzert op. 39 in Berlin eine Woche zuvor und die unbefriedigenden Reaktionen der Kritiker darauf. Vor allem die Rezension von Leopold Schmidt im Berliner Tageblatt hatte Busoni in eine Art Krise gestürzt. (vgl. sein vorheriger Brief und die Anm. dazu) Freund hatte den Bericht zwar nicht gelesen, aber knapp zwei Wochen später wurde eine ähnlich gelagerte Kritik zu Busonis Klavierkonzert-Premiere vom selben Autor auch in den Signalen veröffentlicht. (Schmidt 1904a, Rezension vom 23.11.1904, S. 1162 ff.) […] mindestens 1 Zeichen: überschrieben. schöpfe ich
aus Lessman̅ Otto Leßmann war seit 1881 Schriftleiter der Allgemeinen Musikzeitung. Die Verwendung seines Namens ist hier also als Pars pro Toto zu verstehen. AMZ und Signale waren die beiden Zeitschriften, die Freund regelmäßig las. u. den Signalen;
Und sSie werden doch einem
alten Practiker Freund war selbst ein hervorragender Pianist, der in Leipzig bei Ignaz Moscheles, bei Carl Tausig in Berlin und in Budapest bei Franz Liszt studiert hatte. (Freund 1951, S. 5 ff.) Neben seiner Tätigkeit als 1. Klavierlehrer am Zürcher Konservatorium ist er im Schweizer Raum regelmäßig als Konzertpianist in Erscheinung getreten. (vgl. Isler 1932, S. 1 ff.) nicht zutrauen,
dass er sich durch irgend
ein kritisches Urtheil beeinflussen
lasse! Halt, ich habe
eben eine Unwahrheit gesagt:
ich lasse mich beeinflussen.
Wen̅ M. St. in den Signalen
ein neues Werk rühmt, so
weiss ich schon, dass es
mir nicht gefallen kan̅ u.
bin also ungünstig beeinflusst.
Wie langweilig sind mir Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Lieber Freund!

Ich bekomme äußerst selten eine Berliner Zeitung zu Gesicht, weiß also nicht, was Schmidt geschrieben. Meine Kenntnis der Berliner Vorkommnisse Betrifft die Uraufführung von Busonis Klavierkonzert op. 39 in Berlin eine Woche zuvor und die unbefriedigenden Reaktionen der Kritiker darauf. Vor allem die Rezension von Leopold Schmidt im Berliner Tageblatt hatte Busoni in eine Art Krise gestürzt. (vgl. sein vorheriger Brief und die Anm. dazu) Freund hatte den Bericht zwar nicht gelesen, aber knapp zwei Wochen später wurde eine ähnlich gelagerte Kritik zu Busonis Klavierkonzert-Premiere vom selben Autor auch in den Signalen veröffentlicht. (Schmidt 1904a, Rezension vom 23.11.1904, S. 1162 ff.) schöpfe ich aus Leßmann Otto Leßmann war seit 1881 Schriftleiter der Allgemeinen Musikzeitung. Die Verwendung seines Namens ist hier also als Pars pro Toto zu verstehen. AMZ und Signale waren die beiden Zeitschriften, die Freund regelmäßig las. und den Signalen; und Sie werden doch einem alten Praktiker Freund war selbst ein hervorragender Pianist, der in Leipzig bei Ignaz Moscheles, bei Carl Tausig in Berlin und in Budapest bei Franz Liszt studiert hatte. (Freund 1951, S. 5 ff.) Neben seiner Tätigkeit als 1. Klavierlehrer am Zürcher Konservatorium ist er im Schweizer Raum regelmäßig als Konzertpianist in Erscheinung getreten. (vgl. Isler 1932, S. 1 ff.) nicht zutrauen, dass er sich durch irgendein kritisches Urteil beeinflussen lasse! Halt, ich habe eben eine Unwahrheit gesagt: ich lasse mich beeinflussen. Wenn M. St. in den Signalen ein neues Werk rühmt, so weiß ich schon, dass es mir nicht gefallen kann und bin also ungünstig beeinflusst. Wie langweilig sind mir die Werke von „meisterhafter Factur“ und „nobler“ Erfindung! Es konnte nicht ermittelt werden, woher die Zitate stammen. Der Briefkontext legt nahe, dass es sich um Wiedergaben aus einem oder mehreren Aufsätzen von Max Steuer in den Signalen für die musikalische Welt handelt. Dbzgl. durchsucht wurden alle Artikel in den Ausgaben Nr. 53 bis Nr. 62 der Signale aus dem Jahr 1904. Es wäre auch denkbar, dass Freund nicht direkt zitiert, sondern lediglich sinngemäß den Tenor der Veröffentlichungen Steuers wiedergibt. Eine Verwechslung des Autors kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Lassen Sie sich durch Misserfolge nicht entmutigen! Künstlerisch empfundene und gestaltete Werke bleiben leben und mag auch zu Anfang die ganze Musiker-, d.h. Handwerker-Zunft dagegen Stellung nehmen. Freund nimmt hier Bezug auf die zentrale Debatte der Musikwelt in der zweiten Hälfte des 19. Jh.: den Parteienstreit zwischen den Anhängern der Neudeutschen Schule (den sog. „Zukunftsmusikern“) und den Konservativen (d.h. den „Handwerkern“). Freund selbst zählte sich zu den „Zukünftlern“. (vgl. sein Brief vom 23.06.1908, Archiv-Datierung fälschlich auf 1907) Vermutlich befördert wurde Freunds Einstellung dbzgl. durch seine Lehrer. Sowohl Franz Liszt, als vorrangiger und sehr prominenter Vertreter, als auch Carl Tausig (ebenfalls ein Schüler Liszts) gehörten zur Neudeutschen Schule. (vgl. Altenburg 1997, Sp. 66 ff., insbes. Sp. 72) Bringen Sie doch ja die Partitur mit. Von Busonis Klavierkonzert op. 39.

Wegen Ihres Recitals hier spreche ich nächstens mit den Hochmögenden Gemeint sind Vorstand und Musikkommission der Neuen Tonhalle-Gesellschaft Zürich. Aus der Idee für Busoni einen extra Klavier-Abend in Zürich zu arrangieren, ist sehr wahrscheinlich nichts geworden. (vgl. dazu Anm. im folgenden Brief) der Tonhalle-Gesellschaft und lasse Ihnen dann deren eventuelle Anträge zukommen.

Mit vielen Grüßen an Ihre Frau und Sie selbst bin ich

Ihr herzlich ergebener R. Freund

Untere Zäune 7, 18. November Der vorliegende Brief ist die direkte Antwort auf Busonis autographh datiertes Schreiben vom 16.11.1904, stammt also aus demselben Jahr und nicht erst von 1906.
                                                                
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Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
die Werke von “meisterhafter Factur” u.
“nobler” Erfindung! Es konnte nicht ermittelt werden, woher die Zitate stammen. Der Briefkontext legt nahe, dass es sich um Wiedergaben aus einem oder mehreren Aufsätzen von Max Steuer in den Signalen für die musikalische Welt handelt. Dbzgl. durchsucht wurden alle Artikel in den Ausgaben Nr. 53 bis Nr. 62 der Signale aus dem Jahr 1904. Es wäre auch denkbar, dass Freund nicht direkt zitiert, sondern lediglich sinngemäß den Tenor der Veröffentlichungen Steuers wiedergibt. Eine Verwechslung des Autors kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Lassen Sie sich durch Misserfolge
nicht entmuthigen! Künstlerisch empfundene u. gestal_
tete Werke bleiben leben u. mag auch zu
Anfang die ganze Musiker d.h: Handwerker-Zunft
dagegen Stellung nehmen. Freund nimmt hier Bezug auf die zentrale Debatte der Musikwelt in der zweiten Hälfte des 19. Jh.: den Parteienstreit zwischen den Anhängern der Neudeutschen Schule (den sog. „Zukunftsmusikern“) und den Konservativen (d.h. den „Handwerkern“). Freund selbst zählte sich zu den „Zukünftlern“. (vgl. sein Brief vom 23.06.1908, Archiv-Datierung fälschlich auf 1907) Vermutlich befördert wurde Freunds Einstellung dbzgl. durch seine Lehrer. Sowohl Franz Liszt, als vorrangiger und sehr prominenter Vertreter, als auch Carl Tausig (ebenfalls ein Schüler Liszts) gehörten zur Neudeutschen Schule. (vgl. Altenburg 1997, Sp. 66 ff., insbes. Sp. 72) Bringen Sie doch
ja die Partitur mit. Von Busonis Klavierkonzert op. 39.

Wegen Ihres recital’s hier, spreche ich nächstens
mit den hochmögenden Gemeint sind Vorstand und Musikkommission der Neuen Tonhalle-Gesellschaft Zürich. Aus der Idee für Busoni einen extra Klavier-Abend in Zürich zu arrangieren, ist sehr wahrscheinlich nichts geworden. (vgl. dazu Anm. im folgenden Brief) der Tonhalle Gesellschaft
u. lasse Ihnen dan̅ deren event. Anträge zukom̅en.

Mit vielen Grüssen an Ihre Frau u. Sie selbst
bin ich

Ihr herzlich ergebener
R. Freund
Untere Zäune 7, 18 Nov. [1906?] Der vorliegende Brief ist die direkte Antwort auf Busonis autographh datiertes Schreiben vom 16.11.1904, stammt also aus demselben Jahr und nicht erst von 1906.
[2v]
                                                                
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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 1708 | olim: Mus.ep. R. Freund 19 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Seiten 1 und 4 sind beschrieben, davon Seite 4 im Querformat; Innenteil des Bogens (Seite 2 und 3) vacat.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Robert Freund, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Freund ermuntert Busoni, sich ob der schlechten Kritiken nicht entmutigen zu lassen; verteidigt ihn gegen die musikalische „Handwerker-Zunft“; bittet ihn, die Partitur des Concertos unbedingt in die Schweiz mitzubringen; kündigt an, demnächst mit Vertretern der Tonhalle-Gesellschaft über einen möglichen Klavier-Abend Busonis in Zürichzu sprechen.
Incipit
Ich bekomme äußerst selten eine Berliner Zeitung zu Gesicht

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
27. Februar 2019: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition