durch Frl. Boetticher er- fahre ich, dass Sie die Zwischenzeit
zu meinem Gunsten ausgenutzt,
und das Buch über Ihren ergebenen
Freund beendet haben. Dafür seien
Sie vorläufig allerherzlichst bedankt.
Dieses Buch, zu meinem 50. Geburts tage, bedeutet dessen beste und
bedeutsamste Feier. – Ferner höre
ich mit Interesse, dass Sie meinem
Vorschlage folgen wollen und einen
Einakter planen, die Brücke von
der Kam̅ermusik zum Musikdrama
zu schlagen.Vgl. Busonis entsprechenden Vorschlag im Brief vom 13.1.1916.
Was den letzteren Be- griff anlangt, so kam er aus
gewohnter Übernommenheit auf’s
Papier. Ich habe wieder ˅einmal die
Opernpartituren Mozart’s fleissig
vor Augen, und gewinne den Eindruck, dass sie jünger sind, als
die des Parsifal. Sie sind theatralischer
und selbst dramatischer, von der
superioren Schlagfertigkeit des
AusdruckesBei Beaumont 1987 (237)„des Ausdruckes“ ersetzt durch: „their“ („the scores of Mozart’s operas“).
ganz zu schweigen.
durch Frl. Bötticher erfahre ich, dass Sie die Zwischenzeit
zu meinen Gunsten ausgenutzt
und das Buch über Ihren ergebenen
Freund beendet haben. Dafür seien
Sie vorläufig allerherzlichst bedankt.
Dieses Buch, zu meinem 50. Geburtstage, bedeutet dessen beste und
bedeutsamste Feier. – Ferner höre
ich mit Interesse, dass Sie meinem
Vorschlage folgen wollen und einen
Einakter planen, die Brücke von
der Kammermusik zum Musikdrama
zu schlagen.Vgl. Busonis entsprechenden Vorschlag im Brief vom 13.1.1916.
Was den letzteren Begriff anlangt, so kam er aus
gewohnter Übernommenheit aufs
Papier. Ich habe wieder einmal die
Opernpartituren Mozarts fleißig
vor Augen und gewinne den
Eindruck, dass sie jünger sind als
die des Parsifal. Sie sind theatralischer
und selbst dramatischer, von der
superioren Schlagfertigkeit des
Ausdruckes
ganz zu schweigen.
Das Theater gehört im Grunde
jener Nation, von welcher Mozarts
Musik und Textdichtungen stammen.
Wollen Sie aber ein Gegengewicht
der Leichtigkeit des Wolfgang Amadeus entgegenstellen – bei Ihren
mutmaßlichen Vorstudien –,
so betrachten Sie, als Opernkomponist,
den II. Teil von GoethesFaust.
Das verbindet Mozart und Wagner und
übertrifft sie beide, als Opernanlage.
Zahlreiche Aussprüche Goethes
deuten dahin, dass er sich dieses
Werk als Opernkomposition gedacht
und für die Hélena z. B. zwei Darstellerinnen forderte, eine rezitierende
und eine singende. Goethe selbst
dachte dabei an Mozart – und
allgemeiner an einen Komponisten,
der durch Geburt Deutscher,
durch Erziehung Romane wäre,
oder umgekehrt. (Also: Wolf-Ferrari.)Busoni an Edith Andreae (6.8.1916): „Der Komponist Wolf-Ferrari haust auch in Zürich: er ist ein Träumer und Weltfremder, sympathisch, nicht uninteressant.“ (Briner 1976, S. 25).
Dieser Mann hat sich merkwürdigerweise jetzt gefunden, nur
hat er nicht Talent. Von ihm
sandte mir Ricordi eine Trilogie zu: „Faust“,
und er nennt sich Brüggman.
Die italienische Umdichtung Goethes stammt
von ihm selber und ist sehr achtungswert.
Aber die Musik ist hilflos, und es ist
zu erstaunen, dass er damit drei Abende
ausfüllen konnte. – Anschließend an
diese Nachrichten und Betrachtungen,
möchte ich Ihnen vorschlagen, eine
historisch-ästhetische Studie
über die Faust-Musiken zu verfassen.
Eine solche Studie hat Leichtentritt nicht veröffentlicht.
Diese Literatur ist üppiger, als Sie
vielleicht vermuten. Ich habe 35–40
Werke dieser Art gezählt, die einzelnen
Lieder nicht gerechnet. – Der Versuch
eines derartigen Buches existiert
in der kleinen Sammlung, die unter dem
Schutze R. Strauss’ erschien. Aber es
ist nicht erschöpfend. – Ich fürchte,
Sie sind erschöpft infolge meiner
umständlichen Schreiblust,
darum – zu Ihrer Schonung –
riegle ich ab
und grüße Sie
ebenso herzlich als hochachtend
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<rs key="E0800114">Dieses Buch</rs>, zu <date when-iso="1916-04-01">meinem 50. Geburts
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<lb/><rs key="E0400451">Einakter</rs> planen, die Brücke von
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Was den letzteren Be
<lb break="no"/>griff anlangt, so kam er aus
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<lb/>Papier. Ich habe wieder <metamark function="insertion" target="#add_einmal">˅</metamark><add xml:id="add_einmal" place="above">einmal</add> die
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<lb/>und selbst dramatischer, von der
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2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
2XML
* The * Library * of * Congress *
Das Theater gehört im Grunde
jener Nation, von welcher Mozart’s Musik und Textdichtungen stammen.Dieser Satz ist bei Beaumont 1987 (237) ohne Kennzeichnung ausgelassen.
Wollen Sie aber ein GegengewichtBei Beaumont 1987 (237)„Gegengewicht“ übersetzt mit: „object to compare and contrast“. der Leichtigkeit des Wolfgang Ama- deus entgegenstellen – bei Ihren
muthmaasslichen Vorstudien –
so betrachten Sie, als Opernkomponist,
den II. Theil von Goethe’sFaust.
Das verbindet Mozart u. Wagner und
übertrifft sie Beide, als Opern Anlage.
Zahlreiche Aussprüche Goethe’s deuten dahin, dass er sich dieses
Werk als Opern Komposition gedacht,
u. für die Hélena z. B. zwei Dar- stellerinnen forderte, eine rezitierende
und eine sprechendesingende.. Goethe selbst
dachte dabei an Mozart – undBei Beaumont 1987 (237) übersetzt „und“ hier mit „or“. allgemeiner an einen Komponisten,
der halb durch Geburt Deutscher,
durch Erziehung Romane waere,
oder umgekehrt. (Also: Wolff-Ferrari.)Busoni an Edith Andreae (6.8.1916): „Der Komponist Wolf-Ferrari haust auch in Zürich: er ist ein Träumer und Weltfremder, sympathisch, nicht uninteressant.“ (Briner 1976, S. 25).
Dieser Mann hat sich merkwürdiger weise jetzt gefunden, er h nur
hat er nicht Talent. Von ihm
sandte mir Ricordi eine Trilogie zu: “Faust,” und er nennt sich Brüggman.
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<lb/><rs key="E0500013">jener Nation</rs>, von welcher <persName key="E0300010">Mozart<orig>’</orig>s</persName>
<lb/>Musik und Textdichtungen stammen.
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Wollen Sie aber ein Gegengewicht
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300622">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (237)</bibl> <q>Gegengewicht</q> übersetzt mit: <q>object to compare and contrast</q>.</note>
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<lb/>deuten dahin, dass er sich <rs key="E0400107">dieses
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<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> für die Hélena z. B. zwei Dar
<lb break="no"/>stellerinnen forderte, eine rezitierende
<lb/>und eine <subst><del rend="strikethrough">sprechende</del><add place="above">singende.</add></subst><orig>.</orig> <persName key="E0300124">Goethe</persName> selbst
<lb/>dachte dabei an <persName key="E0300010">Mozart</persName> – und
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300622">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (237)</bibl> übersetzt <q>und</q> hier mit <q>or</q>.</note>
<lb/>allgemeiner an einen Komponisten,
<lb/>der <del rend="strikethrough">halb</del> durch Geburt <placeName key="E0500015">Deutscher</placeName>,
<lb/>durch Erziehung Romane w<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>re,
<!-- gibt es dafür bei Goethe Belege? -->
<lb/>oder umgekehrt. (Also: <persName key="E0300815">Wol<orig>f</orig>f-Ferrari</persName>.)
<note type="commentary" resp="#E0300622"><persName key="E0300017">Busoni</persName> an <persName key="E0300817">Edith Andreae</persName> (<date when-iso="1916-08-06">6.8.1916</date>): <q>Der Komponist <persName key="E0300815">Wolf-Ferrari</persName> haust auch in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName>: er ist ein Träumer und Weltfremder, sympathisch, nicht uninteressant.</q> (<bibl><ref target="#E0800400"/>, S. 25</bibl>).</note>
</p>
<p rend="indent-first">
Dieser Mann hat sich merkwürdiger
<lb break="no" rend="nh"/>weise jetzt gefunden, <del rend="strikethrough">er h</del> nur
<lb/>hat er nicht Talent. Von ihm
<lb/><add place="margin-left">sandte</add> mir <orgName key="E0600164">Ricordi</orgName> eine <rs key="E0400640">Trilogie</rs> zu: <title key="E0400431" rend="dq-uu">Faust<orig>,</orig></title><reg>,</reg>
<lb/>und er nennt sich <persName key="E0300816">Brüggman</persName>.
</p>
</div>
Die italien. Umdichtung Goethes stam̅t
von ihm selber u. ist sehr achtungswerth.
Aber die Musik ist hilflos und es ist
zu erstaunen, dass er damit 3 Abende
ausfüllen konnte. – Anschliessend an
diese Nachrichten u. Betrachtungen,
möchte ich Ihnen vorschlagen eine
historisch=aesthetische Studie
über die Faust Musiken zu verfassen.
Eine solche Studie hat Leichtentritt nicht veröffentlicht. Diese Literatur ist üppiger, als Sie
vielleicht vermuthen. Ich habe 35–40
Werke dieser Art gezählt, – die einzelnen
Lieder nicht gerechnet. – EinDer Versuch
eines derartigen Buches existiert
in der kleinen Sam̅lung, die unter dem
Schutze R. Strauss’ erschien. Aber es
ist nicht erschöpfend. – Ich fürchte
Sie sind erschöpft infolge meiner
umstaendlichen Schreiblust,
darum – zu Ihrer Schonung –
riegle ich ab,Bei Beaumont 1987 (237) übersetzt mit: „and so – to show mercy – I shall close“.
und grüsse Sie
ebenso herzlich als hochachtend
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<p rend="indent-first">
Er ist <placeName key="E0500013">Italiener</placeName>, vielleicht flämischen
<lb/>Ursprungs, <choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice> hat in <placeName key="E0500015">Deutschland</placeName> studiert.
<note type="commentary" resp="#E0300622"><persName key="E0300816">Alfred Brüggemann</persName> studierte u.a. in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> bei <persName key="E0300070">Engelbert Humperdinck</persName>.</note>
</p>
<p rend="indent-first">
Die <placeName key="E0500013"><choice><abbr>italien.</abbr><expan>italienische</expan></choice></placeName> Umdichtung <persName key="E0300124">Goethes</persName> sta<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t
<lb/>von ihm selber <choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice> ist sehr achtungswert<orig>h</orig>.
<lb/>Aber die Musik ist hilflos<reg>,</reg> und es ist
<lb/>zu erstaunen, dass er damit <choice><orig>3</orig><reg>drei</reg></choice> Abende
<lb/>ausfüllen konnte. – Anschlie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>end an
<lb/>diese Nachrichten <choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice> Betrachtungen,
<lb/>möchte ich Ihnen vorschlagen<reg>,</reg> eine
<lb/>historisch<pc>=</pc><choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>sthetische Studie
<lb/>über die <hi rend="underline"><title key="E0400431">Faust</title><choice><orig> </orig><reg>-</reg></choice>Musiken</hi> zu verfassen.
<!-- zumindest in James Simons Buch geht es um Faust auch jenseits von Goethe; unklar, ob Busoni das hier auch meint -->
<note type="commentary" resp="#E0300622">Eine solche Studie hat <persName key="E0300093">Leichtentritt</persName> nicht veröffentlicht.</note>
<lb/>Diese Literatur ist üppiger, als Sie
<lb/>vielleicht vermut<orig>h</orig>en. Ich habe 35–40
<lb/>Werke dieser Art gezählt, <orig>–</orig> die einzelnen
<lb/>Lieder nicht gerechnet. – <subst><del rend="overwritten">Ein</del><add place="across">Der</add></subst> Versuch
<lb/>eines derartigen Buches existiert
<lb/>in <rs key="E0800401">der kleinen Sa<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>lung</rs>, die unter dem
<lb/>Schutze <persName key="E0300022">R. Strauss’</persName> erschien. Aber es
<lb/>ist nicht erschöpfend. – Ich fürchte<reg>,</reg>
<lb/><hi rend="underline">Sie</hi> sind erschöpft infolge meiner
<lb/>umst<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>ndlichen Schreiblust,
<lb/>darum – zu Ihrer Schonung –
<lb/>riegle ich ab<orig>,</orig>
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300622">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (237)</bibl> übersetzt mit: <q>and so – to show mercy – I shall close</q>.</note>
und grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Sie
<lb/>ebenso herzlich als hochachtend
</p>
<closer>
<salute rend="indent-3">als Ihr ergebener</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName></signed>
<dateline><placeName key="E0500132">Zürich</placeName><reg>,</reg> <date when-iso="1916-05-16">16<reg>.</reg> Mai 1916</date></dateline>
</closer>
<postscript>
<p rend="indent-neg indent-first-neg space-above small">Sie kennen ohne Zweifel <persName key="E0300168">Byron<orig>’</orig>s</persName> <title rend="dq-uu" key="E0400641">Sardanapal</title>. – Als junger
<lb/>Mann betrachtete ich ihn als eine Operndichtung.<orig> –</orig>
<note type="commentary" resp="#E0300622"><persName key="E0300806">Widmann</persName> hatte <persName key="E0300017">Busoni</persName> während ihres Briefwechsels <date when-iso="1884">1884</date> ein Libretto zu <persName key="E0300168">Byrons</persName> <title key="E0400641">Sardanapalus</title> angeboten <bibl>(vgl. <ref target="#E0800060"/>, S. 224)</bibl>.</note><!-- Widmann-Briefe im Busoni-Nachlass vorhanden -->
</p>
</postscript>
</div>
Brief von Ferruccio Busoni an Hugo Leichtentritt (Zürich, 16. Mai 1916), bearbeitet von Kira Herbing, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Hugo Leichtentritt, hrsg. von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, November 2022: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0101510 (25. November 2022: zur Freigabe vorgeschlagen)
Download der bereinigten Lesefassung im PDF-Dateiformat (.pdf)
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<title xml:lang="de">Brief von Ferruccio Busoni an Hugo Leichtentritt (Zürich, 16. Mai 1916)</title>
<title xml:lang="en">Letter by Ferruccio Busoni to Hugo Leichtentritt (Zurich, 16 May 1916)</title>
<author key="E0300017">Ferruccio Busoni</author>
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<resp>Prepared by</resp>
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<forename>Kira</forename>
<surname>Herbing</surname>
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<resp>Digitization by</resp>
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<publisher>Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin</publisher>
<pubPlace>Berlin</pubPlace>
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<title type="main">Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften</title>
<title type="genre">Briefe</title>
<title type="subseries" key="E010009">Briefwechsel Ferruccio Busoni – Hugo Leichtentritt</title>
<editor key="E0300314">Christian Schaper</editor>
<editor key="E0300313">Ullrich Scheideler</editor>
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<collection>Ferruccio Busoni Papers Additions, 1866–1924</collection>
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<summary><persName key="E0300017">Busoni</persName> dankt für die fertiggestellte <rs key="E0800114">Biographie</rs>; empfiehlt zu <persName key="E0300010">Mozarts</persName> Leichtigkeit als Gegengewicht <title key="E0400107">Faust II</title>, den <persName key="E0300124">Goethe</persName> als Oper angelegt habe (<q>Das verbindet <persName key="E0300010">Mozart</persName> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <persName key="E0300006">Wagner</persName> und übertrifft sie <choice><orig>B</orig><reg>b</reg></choice>eide</q>); hat <persName key="E0300816">Alfred Brüggemanns</persName> <title key="E0400640">Faust-Trilogie</title> von <orgName key="E0600164">Ricordi</orgName> erhalten (<q>die Musik ist hilflos</q>); legt <persName key="E0300093">Leichtentritt</persName> nahe, eine Studie über <title key="E0400431">Faust</title>-Musiken zu verfassen.</summary>
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<docDate><date when-iso="1916-05-16"/></docDate>
<incipit>durch <persName key="E0300351">Frl. B<choice><orig>oe</orig><reg>ö</reg></choice>tticher</persName> erfahre ich, dass Sie</incipit>
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<collation>Nur die Vorderseiten sind beschrieben.</collation>
<condition>Der Brief ist gut erhalten.</condition>
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<handNote xml:id="major_hand" scope="major" medium="black_ink" scribe="author" scribeRef="#E0300017">Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.</handNote>
<handNote xml:id="lc_st_red" scope="minor" medium="red_ink" scribe="archivist">Bibliotheksstempel (rote Tinte).</handNote>
<handNote xml:id="archive" scope="minor" medium="pencil" scribe="archivist">Hand des Archivars, der auf der ersten Seite das Datum mit Bleistift vermerkt hat.</handNote>
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<p>Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.</p>
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<p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit einfachen Bindestrichen.</p>
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<p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p>
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<p>Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut <att>rend</att> der entsprechenden Elemente codiert.</p>
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<p>Die Übertragung folgt den Editionsrichtlinien des Projekts. <ptr target="http://www.busoni-nachlass.org/E1000003"/></p>
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<change when-iso="2022-11-21" who="#E0300314">Transkription und Regularisierung durchgesehen</change>
<change when-iso="2022-11-23" who="#E0300314">Auszeichnungen korrigiert, zusätzliche Elemente und Entitäten</change>
<change when-iso="2022-11-24" who="#E0300314">Kommentarredaktion</change>
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<date when-iso="1916-05-16">16. Mai 1916.</date>
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<stamp rend="round majuscule small">* The * Library * of * Congress *</stamp>
</note>
<opener>
<salute rend="indent space-below">Sehr verehrter <rs key="E0300093">Herr Doktor</rs>,</salute>
</opener>
<p rend="indent-first">
durch <persName key="E0300351">Frl. B<choice><orig>oe</orig><reg>ö</reg></choice>tticher</persName> er
<lb break="no"/>fahre ich, dass Sie die Zwischenzeit
<lb/>zu meine<choice><sic>m</sic><corr>n</corr></choice> Gunsten ausgenutzt<orig>,</orig>
<lb/>und <rs key="E0800114">das Buch</rs> über <rs key="E0300017">Ihren ergebenen
<lb/>Freund</rs> beendet haben. Dafür seien
<lb/>Sie vorläufig allerherzlichst bedankt.
</p>
<p rend="indent-first">
<rs key="E0800114">Dieses Buch</rs>, zu <date when-iso="1916-04-01">meinem 50. Geburts
<lb break="no" rend="nh"/>tage</date>, bedeutet dessen beste und
<lb/>bedeutsamste Feier. – Ferner höre
<lb/>ich mit Interesse, dass Sie meinem
<lb/>Vorschlage folgen wollen und einen
<lb/><rs key="E0400451">Einakter</rs> planen, die Brücke von
<lb/>der Ka<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>ermusik zum Musikdrama
<lb/>zu schlagen.
<note type="commentary" resp="#E0300622">Vgl. <persName key="E0300017">Busonis</persName> entsprechenden Vorschlag im <ref target="#D0101507">Brief vom <date when-iso="1916-01-13">13.1.1916</date></ref>.</note>
Was den letzteren Be
<lb break="no"/>griff anlangt, so kam er aus
<lb/>gewohnter Übernommenheit auf<orig>’</orig>s
<lb/>Papier. Ich habe wieder <metamark function="insertion" target="#add_einmal">˅</metamark><add xml:id="add_einmal" place="above">einmal</add> die
<lb/><seg rend="indent">Opernpartituren <persName key="E0300010">Mozart<orig>’</orig>s</persName> flei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ig
<lb/>vor Augen<orig>,</orig> und gewinne den</seg>
<lb/>Eindruck, dass sie jünger sind<orig>,</orig> als
<lb/>die des <title key="E0400163">Parsifal</title>. Sie sind theatralischer
<lb/>und selbst dramatischer, von der
<lb/>superioren Schlagfertigkeit des
<lb/><seg rend="indent">Ausdruckes
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300622">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (237)</bibl> <q>des Ausdruckes</q> ersetzt durch: <q>their</q> (<q>the scores of Mozart’s operas</q>).</note>
ganz zu schweigen.</seg>
</p>
<pb n="2"/>
<note type="stamp" place="top-right" resp="#lc_st_red">
<stamp rend="round majuscule small">* The * Library * of * Congress *</stamp>
</note>
<p rend="indent-first">
Das Theater gehört im Grunde
<lb/><rs key="E0500013">jener Nation</rs>, von welcher <persName key="E0300010">Mozart<orig>’</orig>s</persName>
<lb/>Musik und Textdichtungen stammen.
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300622">Dieser Satz ist bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (237)</bibl> ohne Kennzeichnung ausgelassen.</note>
</p>
<p rend="indent-first">
Wollen Sie aber ein Gegengewicht
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300622">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (237)</bibl> <q>Gegengewicht</q> übersetzt mit: <q>object to compare and contrast</q>.</note>
<lb/>der Leichtigkeit des <persName key="E0300010">Wolfgang Ama
<lb break="no"/>deus</persName> entgegenstellen – bei Ihren
<lb/>mut<orig>h</orig>ma<orig>a</orig><choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>lichen Vorstudien –<reg>,</reg>
<lb/>so betrachten Sie, <hi rend="underline">als Opernkomponist</hi>,
<lb/>den <title key="E0400107">II. T<orig>h</orig>eil</title> von <persName key="E0300124">Goethe<orig>’</orig>s</persName> <title key="E0400431">Faust</title>.
<lb/>Das verbindet <persName key="E0300010">Mozart</persName> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <persName key="E0300006">Wagner</persName> und
<lb/>übertrifft sie <choice><orig>B</orig><reg>b</reg></choice>eide, als Opern<choice><orig> A</orig><reg>a</reg></choice>nlage.
</p>
<p rend="indent-first">
Zahlreiche Aussprüche <persName key="E0300124">Goethe<orig>’</orig>s</persName>
<lb/>deuten dahin, dass er sich <rs key="E0400107">dieses
<lb/>Werk</rs> als Opern<choice><orig> K</orig><reg>k</reg></choice>omposition gedacht<orig>,</orig>
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> für die Hélena z. B. zwei Dar
<lb break="no"/>stellerinnen forderte, eine rezitierende
<lb/>und eine <subst><del rend="strikethrough">sprechende</del><add place="above">singende.</add></subst><orig>.</orig> <persName key="E0300124">Goethe</persName> selbst
<lb/>dachte dabei an <persName key="E0300010">Mozart</persName> – und
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300622">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (237)</bibl> übersetzt <q>und</q> hier mit <q>or</q>.</note>
<lb/>allgemeiner an einen Komponisten,
<lb/>der <del rend="strikethrough">halb</del> durch Geburt <placeName key="E0500015">Deutscher</placeName>,
<lb/>durch Erziehung Romane w<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>re,
<!-- gibt es dafür bei Goethe Belege? -->
<lb/>oder umgekehrt. (Also: <persName key="E0300815">Wol<orig>f</orig>f-Ferrari</persName>.)
<note type="commentary" resp="#E0300622"><persName key="E0300017">Busoni</persName> an <persName key="E0300817">Edith Andreae</persName> (<date when-iso="1916-08-06">6.8.1916</date>): <q>Der Komponist <persName key="E0300815">Wolf-Ferrari</persName> haust auch in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName>: er ist ein Träumer und Weltfremder, sympathisch, nicht uninteressant.</q> (<bibl><ref target="#E0800400"/>, S. 25</bibl>).</note>
</p>
<p rend="indent-first">
Dieser Mann hat sich merkwürdiger
<lb break="no" rend="nh"/>weise jetzt gefunden, <del rend="strikethrough">er h</del> nur
<lb/>hat er nicht Talent. Von ihm
<lb/><add place="margin-left">sandte</add> mir <orgName key="E0600164">Ricordi</orgName> eine <rs key="E0400640">Trilogie</rs> zu: <title key="E0400431" rend="dq-uu">Faust<orig>,</orig></title><reg>,</reg>
<lb/>und er nennt sich <persName key="E0300816">Brüggman</persName>.
</p>
<pb n="3"/>
<note type="stamp" place="top-right" resp="#lc_st_red">
<stamp rend="round majuscule small">* The * Library * of * Congress *</stamp>
</note>
<p rend="indent-first">
Er ist <placeName key="E0500013">Italiener</placeName>, vielleicht flämischen
<lb/>Ursprungs, <choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice> hat in <placeName key="E0500015">Deutschland</placeName> studiert.
<note type="commentary" resp="#E0300622"><persName key="E0300816">Alfred Brüggemann</persName> studierte u.a. in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> bei <persName key="E0300070">Engelbert Humperdinck</persName>.</note>
</p>
<p rend="indent-first">
Die <placeName key="E0500013"><choice><abbr>italien.</abbr><expan>italienische</expan></choice></placeName> Umdichtung <persName key="E0300124">Goethes</persName> sta<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>t
<lb/>von ihm selber <choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice> ist sehr achtungswert<orig>h</orig>.
<lb/>Aber die Musik ist hilflos<reg>,</reg> und es ist
<lb/>zu erstaunen, dass er damit <choice><orig>3</orig><reg>drei</reg></choice> Abende
<lb/>ausfüllen konnte. – Anschlie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>end an
<lb/>diese Nachrichten <choice><orig>u.</orig><reg>und</reg></choice> Betrachtungen,
<lb/>möchte ich Ihnen vorschlagen<reg>,</reg> eine
<lb/>historisch<pc>=</pc><choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>sthetische Studie
<lb/>über die <hi rend="underline"><title key="E0400431">Faust</title><choice><orig> </orig><reg>-</reg></choice>Musiken</hi> zu verfassen.
<!-- zumindest in James Simons Buch geht es um Faust auch jenseits von Goethe; unklar, ob Busoni das hier auch meint -->
<note type="commentary" resp="#E0300622">Eine solche Studie hat <persName key="E0300093">Leichtentritt</persName> nicht veröffentlicht.</note>
<lb/>Diese Literatur ist üppiger, als Sie
<lb/>vielleicht vermut<orig>h</orig>en. Ich habe 35–40
<lb/>Werke dieser Art gezählt, <orig>–</orig> die einzelnen
<lb/>Lieder nicht gerechnet. – <subst><del rend="overwritten">Ein</del><add place="across">Der</add></subst> Versuch
<lb/>eines derartigen Buches existiert
<lb/>in <rs key="E0800401">der kleinen Sa<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>lung</rs>, die unter dem
<lb/>Schutze <persName key="E0300022">R. Strauss’</persName> erschien. Aber es
<lb/>ist nicht erschöpfend. – Ich fürchte<reg>,</reg>
<lb/><hi rend="underline">Sie</hi> sind erschöpft infolge meiner
<lb/>umst<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>ndlichen Schreiblust,
<lb/>darum – zu Ihrer Schonung –
<lb/>riegle ich ab<orig>,</orig>
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300622">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (237)</bibl> übersetzt mit: <q>and so – to show mercy – I shall close</q>.</note>
und grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Sie
<lb/>ebenso herzlich als hochachtend
</p>
<closer>
<salute rend="indent-3">als Ihr ergebener</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName></signed>
<dateline><placeName key="E0500132">Zürich</placeName><reg>,</reg> <date when-iso="1916-05-16">16<reg>.</reg> Mai 1916</date></dateline>
</closer>
<postscript>
<p rend="indent-neg indent-first-neg space-above small">Sie kennen ohne Zweifel <persName key="E0300168">Byron<orig>’</orig>s</persName> <title rend="dq-uu" key="E0400641">Sardanapal</title>. – Als junger
<lb/>Mann betrachtete ich ihn als eine Operndichtung.<orig> –</orig>
<note type="commentary" resp="#E0300622"><persName key="E0300806">Widmann</persName> hatte <persName key="E0300017">Busoni</persName> während ihres Briefwechsels <date when-iso="1884">1884</date> ein Libretto zu <persName key="E0300168">Byrons</persName> <title key="E0400641">Sardanapalus</title> angeboten <bibl>(vgl. <ref target="#E0800060"/>, S. 224)</bibl>.</note><!-- Widmann-Briefe im Busoni-Nachlass vorhanden -->
</p>
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