Ferruccio Busoni an Heinrich Schenker arrow_backarrow_forward

Berlin · 19. Februar 1898

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Verehrter Freund.

Ich besitze iIhren Brief
u. das Manuscript, vorher
erhielt ich auch eine Karte Die Karte ist nicht überliefert.
und die 5 Stücke (cinq morceaux,
piano-pieces), bei Breitkopf.

Für Alles besten Dank
und herzlichste Anerkennung. – Federhofer 1985 (81) ohne „–“.

Ihre Phantasie verdient
den Namen, denn sie ist
phantasievoll, im ganzen
bedeutend, durchwegs

interessant, von großem
Zug und feinster Ausar-
-beitung. Diese Vorzüge
(und es sind nicht geringe)
anzuerkennen ist mir
eine Herzensfreude: ich
thue es unbeschränkt. –

Verehrter Freund.

Ich besitze Ihren Brief und das Manuskript, vorher erhielt ich auch eine Karte Die Karte ist nicht überliefert. und die 5 Stücke (cinq morceaux, piano-pieces), bei Breitkopf.

Für alles besten Dank und herzlichste Anerkennung. –

Ihre Phantasie verdient den Namen, denn sie ist phantasievoll, im ganzen bedeutend, durchwegs interessant, von großem Zug und feinster Ausarbeitung. Diese Vorzüge (und es sind nicht geringe) anzuerkennen ist mir eine Herzensfreude: ich tue es unbeschränkt. –

Im Bau des Stückes glaubte ich zu bemerken, dass die Verbindungsteile zwischen den drei Sätzen (an sich spannend und inhaltsreich) doch vielleicht über Gebühr ausgesponnen sind, so dass man in Wahrheit anstatt dreier Stücke derer fünf aufweisen kann. Anderseits muss ich bewundern, wie Sie den organischen Zusammenhang herstellen und wiederum aus den drei Teilen einen machen.

Nicht verschweigen darf ich, dass Ihre Subjektivität hie und da höchst subjektiv das Wort redet; es ist, als ob Sie in Ihren eigenen vier Wänden allein und nur für sich Musik machten. Nur ein Publikum, das Sie persönlich kennt und liebt, wird solche Stellen auffassen und genießen können – ein solches Publikum gibt es aber nicht. Als ein prägnantes Beispiel dieser Art sind die Variationen VI und VII anzuführen, die ich wirklich ganz auszumerzen raten würde. –

Dass ich mit meinen geringen Kräften und meinem noch geringeren Einfluss für das Werk eintreten werde, habe ich wiederholt ausgesprochen, und ich bleibe dabei. Auch lasse ich mich nicht von meinem Versprechen, sondern von meiner Überzeugung leiten.

Ich bin so beschäftigt, dass ich enden muss, so gerne ich weiter schriebe. Am 8. März in Wien werde ich das Vergnügen haben, das Gespräch mündlich fortzuführen. Anlässlich des 25. Geschäftsjubiläums des Verlegers Gutmann reiste Busoni nach Wien, um am 8. März 1898 bei einem Wohltätigkeitskonzert aufzutreten (vgl. N. N. 1898d.)

Herzlichste Grüße

Ihr sehr ergebener

F. Busoni

Meine Frau grüßt freundlichst.

Berlin, 19.2.98.
                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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Im Bau des Stückes
glaubte Federhofer 1985 (81) fälschlich: „glaube“. ich zu bemerken
dass die Verbindungstheile
zwischen den drei Sätzen,
(an sich spannend und
inhaltsreich) doch vielleicht
über Gebühr ausgesponnen
sind, so dass man in
Wahrheit anstatt dreier
Stücke, derer fünf
aufweisen kann.
Anderseits muss ich
bewundern, wie Sie den
organischen Zusammenhang
herstellen und wiederum
aus den drei Theilen einen
machen.

Nicht verschweigen darf
ich, dass Ihre Subjectivität
hie u. da höchst subjectiv das Wort
redet; es ist, als ob Sie
in Ihren eigenen vier
Waenden, allein u. nur
für Sich Musik machten.

                                                                
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Nur ein Publikum, das
Sie persönlich kennt und
liebt, wird solche Stellen
auffassen u. geniessen
koennen – ein solches
Publikum giebt es aber
nicht. Als ein prägnantes
Beispiel dieser Art sind
die Variationen VI + VII
anzuführen, die ich
wirklich ganz auszumerzen
rathen würde. – Federhofer 1985 (81) ohne „–“.

Dass ich mit meinen
geringen Kräften und
meinem noch geringeren
Einfluss für das Werk
eintreten werde, habe
ich wiederholt ausge-
sprochen und ich
bleibe dabei. DabeiAuch
lasse ich mich nicht von
meinem Versprechen,
sondern von meiner
Überzeugung leiten.

                                                                
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Ich bin so beschäftigt,
dass ich enden muss,
so gerne ich weiter schriebe.
Am 8. März in Wien
werde ich das Vergnügen
haben, das Gespräch
mündlich fortzuführen. Anlässlich des 25. Geschäftsjubiläums des Verlegers Gutmann reiste Busoni nach Wien, um am 8. März 1898 bei einem Wohltätigkeitskonzert aufzutreten (vgl. N. N. 1898d.)

Herzlichste Grüsse

Ihr sehr ergebener

F Busoni

Meine Frau
grüsst freundlichst.

Berlin 19.2.98.
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Vereinigte Staaten von Amerika | Riverside | University of California, Special Collections and Archives | Oswald Jonas memorial collection | Box 9, Folder 27
Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Wahrscheinlich Hand Heinrich Schenkers, Markierungen mit lila Buntstift.

Zusammenfassung
Busoni hat die überarbeitete Fassung der Fantasie erhalten; äußert sich zu deren „Subjektivität“ und zur Länge der „Verbindungsteile“; kündigt ein Treffen für den 8. März in Wien an.
Incipit
Ich besitze Ihren Brief und das Manuskript,

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler Theresa Menard Maximilian Furthmüller
bearbeitet von
Stand
29. Dezember 2018: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Federhofer 1985, S. 80 f. Bent/Bretherton/Drabkin 2014, S. 20 f.